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Charité Universitätsmedizin Berlin

Die Charité zählt zu den größten Universitätskliniken Europas. Hier forschen, heilen und lehren Ärzte und Wissenschaftler auf internationalem Spitzenniveau. Über die Hälfte der deutschen Nobelpreisträger für Medizin und Physiologie stammen aus der Charité.
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Leberfibrose: Riesenzellen springen ein, wenn die Immunfunktion ausfällt
- 28-09-2023Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und der Cumming School of Medicine der Universität Calgary Es ist ein Kompensationsmechanismus der kranken Leber und er war bislang unbekannt: Verlieren Immunzellen in der Leber, die Kupffer-Zellen, durch eine Vernarbung des Gewebes ihre Funktion, strömen Immunzellen aus dem Knochenmark in das Organ und bilden größere Zellcluster, um ihre Aufgaben zu übernehmen. Wissenschaftler:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Medizinischen Fakultät der Universität Calgary konnten erstmals beobachten, wie die geschädigte Leber ihre bakterielle Filterfunktion aufrechterhält. Ihre grundlegenden Erkenntnisse sind im Fachmagazin Science* erschienen und können perspektivisch dazu beitragen, neue Therapien bei Leberschädigungen zu entwickeln. Die Leber ist ein erstaunliches Organ. Sie ist das zentrale Stoffwechselorgan des Körpers und sowohl für die Aufnahme von Nährstoffen als auch für den Abbau von Giften verantwortlich. Sie reguliert den Fett- und den Zuckerstoffwechsel, den Mineral-, Vitamin- und Hormonhaushalt. Sie ist in der Lage, sich selbst zu regenerieren. Und: Weniger bekannt, aber überlebenswichtig ist ihre Rolle als zentrales immunologisches Organ. Die Leber hat wesentlichen Anteil daran, unseren Blutstrom frei von Krankheitserregern, von Bakterien, Viren oder Pilzen, zu halten. Kommt es zu einer Sepsis, landläufig auch Blutvergiftung genannt, werden über 90 Prozent der Eindringlinge von der Leber herausgefiltert. Diese essenzielle Leistung des Organs wird durch eine spezialisierte Abwehrzelle erbracht – eine Fresszelle mit dem Namen Kupffer-Zelle, benannt nach dem deutsch-baltischen Anatomen Karl Wilhelm von Kupffer. Um ihre Filterfunktion zu erfüllen, sitzen Kupffer-Zellen in den kleinen Blutgefäßen der Leber, den Sinusoiden, und erhalten konstant Signale von Leberzellen und Zellen, die die Blutgefäße der Leber auskleiden. Bei schwerwiegenden Erkrankungen, allen voran chronischen Lebererkrankungen, führen Schädigungen der Leber zu einer Ansammlung von Narbengewebe, einer Fibrose, die die Funktionen des Organs einschränkt. Im fortgeschrittenen Stadium dieses Gewebeumbaus erfährt auch das Umfeld der Kupffer-Zellen fatale Veränderungen – die Folgen waren bislang ungeklärt. Diesem Phänomen ist ein Forschungsteam um den Immunologen Prof. Dr. Paul Kubes an der Cumming School of Medicine der Universität Calgary zusammen mit Kolleg:innen an der Charité auf den Grund gegangen, nicht zuletzt, um Patient:innen mit einer fibrotischen Leber künftig besser behandeln zu können. Chronische Lebererkrankungen nehmen weltweit stark zu. In Deutschland führen vor allem starker Alkoholkonsum und die Fettlebererkrankung zu Leberfibrose und ihrem Endstadium, der Leberzirrhose. Die Fettleber betrifft Schätzungen zufolge schon jetzt jeden vierten Menschen und hat ihre Ursache in Lebensgewohnheiten wie Überernährung und Bewegungsmangel sowie Erkrankungen wie Diabetes und Fettstoffwechselstörungen. Auch Infektionen oder genetische Ursachen können zu Leberfibrose führen. Obwohl es bereits gute Modelle für Lebererkrankungen gibt, konnte bisher noch niemand das Voranschreiten der Leberfibrose und die zentrale Filterfunktion währenddessen darstellen. Rolle des Immunsystems bei Leberfibrose in neuem Licht Genau das ist dem internationalen Team jetzt gelungen. Unter Einsatz einer neuartigen Mikroskopie-Technik, die es erlaubt, im lebenden Organismus zelluläre Funktionen im Detail zu beobachten, sowie weiteren Mikroskopie-Techniken haben die Forschenden die Funktion von Kupffer-Zellen im Tiermodell und in Gewebeproben von Patient:innen mit Leberzirrhose eingehend untersucht. Dabei konnten sie einen neuen Zelltyp ausmachen, den sie als Kupffer-Zell-ähnliche Synzytien bezeichnen. Es handelt sich um eine Art Riesenzellen – größere, mehrkernige Zellverbände, hervorgegangen aus herbeigeeilten Immunzellen des Knochenmarks. Dr. Moritz Peiseler, Wissenschaftler und Arzt an der Klinik für Hepatologie und Gastroenterologie der Charité sowie Erstautor der Studie, beschreibt, was im Zuge des narbigen Umbaus in der Leber geschieht: „Mehr und mehr Leberzellen sterben ab. Im gesamten Organ und um die kleinen Blutgefäße bildet sich Bindegewebe. Das Blut wird auf neue, erweiterte Gefäße innerhalb und außerhalb der Leber umgeleitet. Dadurch verlieren die Kupffer-Zellen den Kontakt mit ihrer Umgebung und verhalten sich schließlich nicht mehr so, als befänden sie sich in der Leber. Sie verlieren ihre Funktion, fangen keine Bakterien mehr aus dem Blut auf und Infektionen des Blutkreislaufs nehmen zu. Doch recht schnell infiltrieren spezialisierte Monozyten, Immunzellen aus dem Knochenmark, die Leber. Sie folgen den Umgehungsgefäßen und bilden Cluster, die groß genug sind, um Bakterien in den etwas größeren Gefäßen abzufangen.“ Eine lebensrettende Kompensation, ausgelöst durch das Mikrobiom, vermutlich das Mikrobiom des Darms. Die Kupffer-Zell-ähnlichen Gebilde übernehmen fortan die Filterfunktion der eigentlichen Kupffer-Zellen. Da sie in veränderten Blutgefäßen existieren müssen, passen sich die eingewanderten Immunzellen an. Sie bilden netzartige Strukturen und werden so zu einem effektiven mikrobiellen Filter. Welche molekularen Mechanismen an diesen Vorgängen beteiligt sind, konnten die Forschenden in ihrer Arbeit beschreiben. „Diese Erkenntnisse verändern die Art und Weise, wie wir über die Rolle des Immunsystems bei einer Leberfibrose denken“, befindet Studienleiter Prof. Kubes. „So war man bisher mitunter der Auffassung, dass Immunzellen aus dem Knochenmark daran gehindert werden sollten, in die Leber einzudringen. Wie unsere Untersuchung zeigt, könnte aber genau das schädlich sein. Statt die Immunfunktion bei einer fortgeschrittenen Erkrankung zu unterdrücken, könnte es sogar eine gute Idee sein, sie zu fördern.“ Grundlage für neuartige Therapien und Behandlung der Leberfibrose Die Studie wurde an drei großen Lebertransplantationszentren, unter ihnen die Charité, durchgeführt und hat gezeigt, dass die Vorgänge bei einer Leberfibrose beim Menschen ähnlich verlaufen, wie im Tiermodell beobachtet. Daher werfen die Entdeckungen grundsätzliche Fragen für die Behandlung von Patient:innen mit fibrotischer Leber auf. Einer der Hauptgründe, weshalb Patient:innen mit Leberzirrhose versterben, ist eine Infektion. Gleichzeitig leiden viele Erkrankte an teils fortgeschrittener Lebervernarbung, ohne dabei ein erhöhtes Infektionsrisiko zu haben. „Wir vermuten, dass die Leber bis zu einem gewissen Schädigungsgrad durch die Rekrutierung der Kupffer-Zell-ähnlichen Synzytien ihre Funktion aufrechterhält. Letztlich ist ja auch die Lebervernarbung ein evolutionär vorteilhafter Mechanismus, mit dem ein geschädigtes Organ das Überleben sichert. Daher macht es durchaus Sinn, dass sich auch das Immunsystem anpasst“, erklärt Dr. Peiseler, der unter anderem durch das Clinician Scientist Programm der Charité und des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) unterstützt wird. Die aktuelle Untersuchung trägt zu einem besseren Verständnis bei, wie der wichtigste mikrobielle Filter des Körpers beim Entstehen von Lebererkrankungen funktioniert – eine Grundlage, um neuartige Therapien zu entwickeln. Die ursprünglichen Kupffer-Zellen verhalten sich durch den fehlenden Kontakt mit der Umgebung nicht mehr wie Immunzellen der Leber. Es wäre also denkbar, ihren Identitäts- und damit Funktionsverlust zu verhindern. Auch ist jetzt bekannt, auf welche Weise die Leber auf krankhafte Veränderungen reagiert. Diesen Prozess zu fördern, könnte Patient:innen schützen. Denn eine verbesserte mikrobielle Filterfunktion senkt das Risiko, an einer Leberzirrhose zu versterben und kann den Zeitpunkt einer Lebertransplantation – die derzeit einzige Behandlungsmöglichkeit – hinauszögern.
Abnahme der Artenvielfalt kann Verbreitung von Viren begünstigen
- 26-09-2023Wie hängen Umweltveränderungen, Artensterben und die Ausbreitung von Krankheitserregern zusammen? Die Antwort darauf gleicht einem Puzzle. Ein Puzzlestück haben Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin nun im Fachmagazin eLife* beschrieben: Sie zeigen, dass die Zerstörung tropischer Regenwälder die Vielfalt an Stechmückenarten vermindert. Gleichzeitig werden widerstandsfähige Stechmückenarten häufiger – und damit auch deren Viren. Gibt es von einer Art viele Exemplare, können sich deren Viren schnell verbreiten. In ihrer Studie haben die Wissenschaftler:innen der Charité in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) untersucht, wie sich die Abholzung von Regenwald und die Umwandlung dieser Flächen in Kaffee- und Kakaoplantagen oder Dörfer auf das Vorkommen und die Artenvielfalt von Stechmücken und deren Viren auswirken. Die Studie, die damit die Fachgebiete der Virologie und Biodiversitätsforschung vereint, entstand unter Federführung von Prof. Dr. Sandra Junglen, Leiterin der Arbeitsgruppe „Ökologie und Evolution von Arboviren“ am Institut für Virologie der Charité. Für die Forschungsarbeit haben die Wissenschaftler:innen zunächst Stechmücken in der Gegend des Taï-Nationalparks an der Elfenbeinküste gefangen. Hier gibt es eine große Bandbreite an Landnutzungsarten – von ungestörtem Regenwald über Sekundärwald, Kakao- und Kaffeeplantagen bis hin zu Dörfern. „Die gefangenen Stechmückenarten haben wir identifiziert und auf Virusinfektionen getestet“, erklärt Prof. Junglen. „Dann haben wir geschaut, wie sich in den unterschiedlichen Landnutzungstypen die Zusammensetzung an Stechmückenarten unterscheidet, wo bestimmte Viren vorkommen und wie häufig diese sind.“** Widerstandsfähige Stechmückenarten können sich durchsetzen In einem gesunden Ökosystem wie einem intakten Regenwald gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Viren. Das liegt vor allem daran, dass es hier eine große Vielfalt an Tieren gibt, die als Träger der Viren – sogenannte Wirte – infrage kommen. Denn Viren sind immer an ihre Wirte gebunden. Wird das Ökosystem verändert, betrifft das auch die Viren, erklärt Prof. Junglen: „Wir entdeckten 49 Virenarten. Die größte Vielfalt an Wirten und Viren haben wir in unberührten und nur leicht gestörten Lebensräumen beobachtet.“ Die meisten der 49 Virenarten kamen in den untersuchten Gebieten relativ selten vor. Neun Virusarten wurden jedoch häufig in mehreren Lebensräumen gefunden, wobei das Vorkommen von fünf Virenarten in gestörten Lebensräumen zunahm und in Dörfern am höchsten war. „Das bedeutet, dass die Abholzung des tropischen Regenwaldes zu einer Abnahme der Vielfalt an Stechmückenarten führt und sich somit die Zusammensetzung an Wirtsarten verändert. Einige widerstandsfähige Stechmückenarten haben sich auf den gerodeten Flächen stark vermehrt und mit ihnen ihre Viren“, erklärt Prof. Junglen. Wie sich eine Artengemeinschaft zusammensetzt, hat also direkte Auswirkungen auf das Vorkommen von Viren: „Wenn eine Wirtsart sehr häufig ist, dann erleichtert das die Ausbreitung von Viren“, sagt die Virologin. Alle Viren, die häufiger vorkamen, wurden in einer bestimmten Stechmückenart nachgewiesen. Die Viren gehören zu unterschiedlichen Familien und haben verschiedene Eigenschaften. „Damit konnten wir zum ersten Mal nachweisen, dass die Verbreitung der Viren nicht auf eine enge genetische Verwandtschaft zurückzuführen ist, sondern auf die Eigenschaften ihrer Wirte – also insbesondere auf jene Stechmückenarten, die gut mit veränderten Umweltbedingungen in gestörten Lebensräumen zurechtkommen.“ Neue Einblicke in die Dynamik von Infektionskrankheiten Zwar infizieren die gefundenen Viren nur Stechmücken und können – nach jetzigem Stand – nicht auf Menschen übertragen werden. Sie sind aber dennoch als Modell hilfreich, um zu verstehen, wie sich die Veränderung der Vielfalt einer Artengemeinschaft auf das Vorkommen und die Häufigkeit von Viren auswirkt. „Unsere Studie macht deutlich, wie wichtig Artenvielfalt ist und dass die Abnahme der Artenvielfalt das Vorkommen bestimmter Viren begünstigt, weil es die Verbreitung ihrer Wirte fördert“, betont Prof. Junglen. „Bisher wurden solche Prozesse fast ausschließlich an einzelnen Erregern und einzelnen Wirten untersucht. Nun ergibt sich ein vollständigeres Bild, an dem weiter geforscht werden kann“, führt Prof. Junglen aus. Im nächsten Schritt plant das Forschungsteam, weitere Lebensräume in anderen Ländern zu untersuchen – auch um herauszufinden, welche Faktoren es genau sind, die bei einer Änderung der Landnutzung die Vielfalt der Stechmückenarten beeinflussen und welche Eigenschaften die Viren mitbringen müssen, um sich mit ihren Wirten ausbreiten zu können.
Wohnen für Beschäftigte: Internationale Pflegekräfte beziehen Apartmenthaus
- 20-09-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat heute als Generalmieter offiziell den Schlüssel für ein Apartmenthaus mit 76 Wohneinheiten erhalten. Die Apartments im Bezirk Pankow sind vollständig ausgestattet und als Wohnmöglichkeit, insbesondere für internationale Pflegefachkräfte, gedacht. Ziel ist es, neue Mitarbeiter:innen mit adäquatem Wohnraum zu versorgen und damit zugleich zur Gewinnung und Sicherung von Fachkräften beizutragen. Das achtgeschossige Gebäude wurde von Berlinovo übergeben und entspricht mit seiner hohen Qualität und den energetischen Maßstäben den Nachhaltigkeitsansprüchen der Charité. Astrid Lurati, Vorstand für Finanzen und Infrastruktur, erklärt dazu: „Die Charité engagiert sich sehr, weitere Pflegekräfte zur Aufrechterhaltung der hohen Qualität in der Krankenversorgung anzuwerben. Als ein kritischer Faktor hat sich dabei die schwierige Wohnraumsituation in Berlin erwiesen. Inzwischen hat sich dies in Ballungsräumen als Wettbewerbsfaktor in der Rekrutierung von Fachpersonal, insbesondere von Pflegekräften aus dem Ausland, entwickelt. Wir sind daher dankbar über die Zusammenarbeit mit zuverlässigen Kooperationspartnern, mit denen wir die Wohnraumbedarfe unserer Beschäftigten und Studierenden zu bezahlbaren Konditionen in größerem Umfang langfristig bedienen können. Hervorheben möchte ich heute unsere Kooperation mit Berlinovo, durch die wir ein beachtliches Apartment-Kontingent bereitstellen können. Zugleich freuen wir uns, dass die zukunftsorientierte energetische bauliche Gestaltung des Apartmenthauses in das Nachhaltigkeitskonzept der Charité passt.“ Die Charité intensiviert ihre Bemühungen bei der Anwerbung von internationalen Pflegekräften und hat dafür Anfang des Jahres eine eigene Stabsstelle etabliert. Ziel ist die Gewinnung und Integration internationaler Gesundheitsfachpersonen, insbesondere aus Albanien, Mexiko, Philippinen, Tunesien, Brasilien, Kolumbien und der Türkei. Prämisse dabei ist, keine Pflegekräfte aus Ländern anzuwerben, die selbst Arbeitskräfte benötigen. Aktuell sind in der Charité rund 700 Personen aus sogenannten Drittländern beschäftigt. Carla Eysel, Vorstand für Personal und Pflege, betont: „Die Charité ist ein attraktiver Arbeitgeber und hat mit mehr als 21.550 Beschäftigten und 121 Nationalitäten eine sehr internationale Belegschaft. Die Charité engagiert sich seit einigen Jahren intensiv für die Anwerbung von ausländischem Pflegepersonal. Dabei kümmern wir uns beispielsweise um Sprachkurse sowie die fachliche Anerkennung und inzwischen auch vermehrt um geeignete Wohnmöglichkeiten.“ Sie ergänzt: „Ein gutes Wohnangebot ist ein zusätzlicher Anreiz für potenzielle Fachkräfte und so erhöhen wir mit diesem Apartmenthaus zugleich die Attraktivität des Pflegeberufes. Denn, wer sich für einen medizinischen Beruf in der Charité interessiert, darf in der Gesundheitsstadt Berlin überaus gute Bedingungen erwarten und dazu gehört inzwischen auch kostengünstiges Wohnen. Mein Dank gilt allen, die dieses Projekt unterstützt haben und ich wünsche allen Bewohnerinnen und Bewohnern eine gute Zukunft im neuen Zuhause.“
Ausgezeichnet: Charité stellt Befinden der Patient:innen stärker in den Fokus
- 20-09-2023Wenn Kliniken die Ergebnisse von Behandlungen erheben, geht es oft um Zahlen und Fakten: Wie oft wird eine Operation durchgeführt? Wie häufig gab es Komplikationen? Im Rahmen ihrer Strategie „Wir denken Gesundheit neu – Charité 2030“ will die Berliner Universitätsmedizin das subjektiv empfundene Wohl der Patient:innen bei der Messung des Behandlungserfolgs noch stärker in den Mittelpunkt rücken. Dazu werden Betroffene bereits an mehreren Kliniken der Charité routinemäßig befragt, wie sie ihren Gesundheitszustand während und nach einer Behandlung selbst einschätzen. „Patient Reported Outcome Measures“ (PROMs) nennt man solche Fragebögen. Für die Einführung der PROMs wurde die Charité nun ausgezeichnet. Die Medizin der Zukunft: Wie sieht sie aus? Für die Berliner Universitätsmedizin gehört dazu, die Perspektive der Erkrankten noch mehr zu berücksichtigen. Eine verstärkte Orientierung am Nutzen für Patient:innen ist deshalb Teil des Strategiekonzepts „Wir denken Gesundheit neu – Charité 2030“, das der Vorstand der Charité Ende 2020 vorgestellt hat. „Wie geht es Ihnen?“ standardisiert erfassen Das Projekt „Charité PROM Rollout“ strebt die flächendeckende Erfassung der selbstberichteten Gesundheit bei allen Patient:innen der Charité in der Routineversorgung an. Mit der Verleihung des Lohfert-Preises 2023 hat die Christoph Lohfert Stiftung das Engagement der Berliner Universitätsmedizin in diesem Bereich nun gewürdigt. Laut der Jury zeigt das Projekt eindrücklich, wie die Charité als großes Unternehmen Patient:innen und deren Einschätzung zu ihrer Erkrankung wertschätzt, systematisch erfasst und auswertet. Die Preisverleihung fand gestern im Rahmen des Hamburger Gesundheitswirtschaftskongresses statt. Prof. Dr. Martin E. Kreis, Vorstand Krankenversorgung der Charité, unterstützt und fördert das Projekt. Er sagt: „Wir arbeiten darauf hin, dass an der Charité das subjektive Empfinden der Patientin oder des Patienten im Fokus einer jeden Behandlung steht. So möchten wir sowohl die Qualität der Behandlung als auch die Lebensqualität der Betroffenen weiter verbessern. Die systematische Auswertung der Sicht der Erkrankten in einer so großen Einrichtung ist jedoch alles andere als trivial. Umso mehr freue ich mich, dass die Anstrengungen aller am Projekt beteiligten Mitarbeitenden zur Implementierung der PROMs an der Charité nun gewürdigt werden.“ Koordiniert wird das nun ausgezeichnete Projekt von einem interdisziplinären Team des Charité Center for Patient-Centered Outcomes Research (CPCOR). Dessen Leiter, PD Dr. Felix Fischer, erläutert: „Unsere Aufgabe ist es, die Frage ‚Wie geht es Ihnen?‘ so zu erfassen, dass die Antwort in ihren vielen Dimensionen mess- und vergleichbar wird. Diese Standardisierung macht es einerseits dem ärztlichen Personal einfacher, mit den Patientinnen und Patienten über die individuellen Einschränkungen ihrer Lebensqualität zu sprechen und, falls nötig, therapeutisch darauf einzugehen. Durch den anonymisierten Vergleich vieler Krankheitsverläufe können wir andererseits Auswirkungen verschiedener Therapien auf den subjektiv empfundenen Gesundheitszustand erfassen. Diese Informationen sind eine wichtige Basis für die Therapiewahl, die dann verstärkt zusammen mit den Betroffenen getroffen werden kann.“ PROMs künftig in allen Charité-Kliniken PROMs geben Auskunft über die individuell wahrgenommene Gesundheit und Lebensqualität. Sie ergänzen die vorhandenen Messinstrumente, die sich auf quantitative Parameter wie Blutwerte, Tumorwachstum, Blutdruck oder Gewicht stützen. An der Charité sind krankheitsübergreifende PROM-Fragebögen im Einsatz, die digital acht Kerndomänen der Gesundheit erfassen: körperliche Funktionsfähigkeit, Schmerzen, Schlaf, Erschöpfung, Angst, Depressivität, kognitive Funktionsfähigkeit und soziale Teilhabe. Um die Lebensqualität im Verlauf der Behandlung messen zu können, werden die Patient:innen vor, während und im Anschluss an eine Therapie nach ihrem Befinden befragt – mithilfe eines Tablets in der Charité und per E-Mail nach ihrer Entlassung. PROMs werden an der Charité bereits routinemäßig im Brustzentrum der Klinik für Gynäkologie, den Einrichtungen des Wirbelsäulenzentrums, im Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, in der Klinik für Urologie, der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik erhoben. Die Fragebögen werden derzeit in weiteren Einrichtungen der Charité eingeführt. Ziel ist die flächendeckende Erhebung von PROMs an allen bettenführenden Kliniken und Ambulanzen der Charité, also die systematische Befragung von mehr als 120.000 voll- und teilstationär sowie mehr als 730.000 ambulant behandelten Patient:innen.
Newsweek 2024: Charité zählt zu den besten Fachkrankenhäusern der Welt
- 14-09-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat im Newsweek-Ranking der spezialisierten Kliniken in sechs Bereichen besonders gute Plätze erreicht. Dabei schneidet die Berliner Universitätsmedizin herausragend in den Bereichen Neurochirurgie, Neurologie, Orthopädie, Herzchirurgie, Kardiologie sowie Onkologie ab. In vier Fachgebieten hat die Charité sogar einen Platz unter den weltweiten TOP 10 erzielt. Zudem konnten zum Teil noch bessere Platzierungen erreicht werden als im Vorjahr. Die US-amerikanische Zeitschrift und das Datenportal Statista haben für die Rangliste weltweit die besten Einrichtungen in zwölf Fachgebieten untersucht. Für das Ranking wurden u.a. die 300 besten Krankenhäuser für Kardiologie und Onkologie sowie die 125 besten für Neurologie, Neurochirurgie, Orthopädie, Pulmologie sowie Urologie betrachtet. Die Ranglisten basieren auf einer weltweiten Umfrage, an der sich zahlreiche medizinische Fachkräfte beteiligt haben. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, erklärt: „Die herausragende Kompetenz der Charité wurde erneut bestätigt. Wir sind in allen Fachgebieten unter den TOP 100 der World's Best Specialized Hospitals 2024 und belegen dabei fast ausschließlich Plätze unter den besten 30 Fachkrankenhäusern. Mein Dank gilt insbesondere unseren engagierten Mitarbeitenden.“
Patientenveranstaltung: Charité informiert zu Diabetes
- 13-09-2023Welche Auswirkungen haben Ernährung und verschiedene Diäten auf Diabetes? Welche technischen Entwicklungen gibt es bei Glukose-Messsystem? Und welche Medikamente behandeln nicht nur Diabetes, sondern schützen auch die inneren Organe? Diese und weitere Fragen beantwortet die Charité – Universitätsmedizin Berlin am Mittwoch, den 20. September auf ihrer Informationsveranstaltung „Diabetes mellitus betrifft alle Organe“. Allein in Deutschland leben rund 8,5 Millionen Menschen mit Diabetes mellitus. Zudem erkranken jährlich mehr als eine halbe Million Erwachsene neu daran. Als Diabetes mellitus wird eine Gruppe von Erkrankungen des Zuckerstoffwechsels bezeichnet, die auf einem relativen oder absoluten Mangel an Insulin beruht. Unbehandelt führt die Erkrankung neben einem erhöhten Blutzucker zu einer Schädigung von Gefäßen und Organen. So besitzen Menschen, die an einem Diabetes mellitus erkranken, ein sehr hohes Risiko, einen Herzinfarkt oder ein chronisches Nierenversagen zu erleiden. Die Expert:innen der Charité informieren in kurzen Vorträgen über die Auswirkungen der Erkrankung auf die Organe Leber, Nieren und das Herz und welche Diabetes-Medikamente diese Organe schützen können. Zudem thematisieren sie die Vorteile einer angepassten Ernährung und regelmäßiger Bewegung. Darüber hinaus erfahren Interessierte auch Neues zu Insulinpumpen und deren Kopplung an kontinuierliche Glukose-Messsysteme. Die Veranstaltung findet statt am Mittwoch, den 20. September von 16:00 bis 19:00 Uhr im Lehrgebäude am Charité Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1 in 13353 Berlin (Geländeadresse: Forum 3). Eine Anmeldung für die Präsenzveranstaltung ist nicht notwendig. Fragen aus dem Publikum sind willkommen. Für Interessierte, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird alternativ ein Livestream angeboten, für Fragen des Publikums an die Vortragenden ist ein Chat geschaltet. Zur Registrierung für die digitale Veranstaltung nutzen Sie folgenden Link https://diabetestag.charite.de/registrierung/.
Sonntagsvorlesung „Von Virchows Zellenlehre zur personalisierten Krebstherapie“
- 12-09-2023Rudolf Virchow schafft mit seiner Zellularpathologie eine naturwissenschaftliche Grundlage für die Medizin: Jede Zelle entsteht aus einer Zelle – und auch Krankheiten entstehen auf zellulärer Ebene. Virchows Theorie bildet zugleich die Basis für moderne Methoden der Krebsbehandlung. In der kommenden Sonntagsvorlesung am 17. September geht es um das große Thema Krebs, Virchows Zellenlehre und die therapeutischen Ansätze aus seiner Theorie. Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, spricht über Rudolf Virchow, seine Ausbildung in Berlin und seine Karriere als Star der Pathologie. Zudem erklärt er, wie Virchow seine Zellenlehre konzipierte und wie diese Theorie den Rahmen bietet, Krebs besser verstehen und behandeln zu können. Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie, informiert über die zellbasierte Krebsmedizin, die an Virchows Entdeckung der kleinsten Einheit anknüpft und mithilfe modernster Technologien neue Behandlungskonzepte ermöglicht. Sie erklärt, wie die personalisierte, zellbasierte Krebstherapie heute gedacht wird und welches Potenzial sie hat, Krankheiten zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, lange bevor Symptome sichtbar werden. Zudem spricht sie über aktuelle Studien und neueste Forschungsergebnisse. Nach den Vorträgen kann die Ausstellung „DA IST ETWAS. Krebs und Emotionen“ im Berliner Medizinhistorischen Museum mit einer Einführung von Prof. Eggert und Prof. Schnalke besucht werden. Die Sonntagsvorlesung „Von Virchows Zellenlehre zur personalisierten Krebstherapie“ findet am 17. September um 14 Uhr im Hörsaal Innere Medizin am Campus Charité Mitte, Charitéplatz 1 in 10117 Berlin statt. Geländeadresse: Sauerbruchweg 2, barrierefreier Zugang: Virchowweg 9. Der Eintritt ist frei. Die Vorlesung kann im Nachgang als Audiomitschnitt „Sonntagsvorlesung nachgehört“ auf der Charité-Website und dem Charité-YouTube-Kanal abgerufen werden. Mehr zur Sonntagsvorlesung erzählt Prof. Schnalke im Kurzvideo.
Antidepressiva bei körperlichen Erkrankungen und gleichzeitiger Depression
- 07-09-2023Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und Universität Aarhus Menschen mit Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes, nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall leiden nicht selten zusätzlich an einer Depression. Wie gut wirken bei ihnen Antidepressiva? Sind sie ebenso sicher wie bei Menschen ohne körperliche Erkrankung? Diesen Fragen sind Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Aarhus in Dänemark, jetzt nachgegangen. In einer systematischen Übersichtsarbeit haben sie den weltweiten Forschungstand zusammengetragen und ausgewertet. Die klinisch hoch relevanten Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift JAMA Psychiatry* veröffentlicht. „Etwa 20 Prozent der Menschen mit körperlichen Erkrankungen leiden gleichzeitig an einer Depression – beides sollte behandelt werden“, sagt Prof. Dr. Christian Otte, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Benjamin Franklin. „Bei der Auswahl des passenden Antidepressivums spielen Gegenanzeigen und Wechselwirkungen mit anderen einzunehmenden Medikamenten eine wichtige Rolle. Doch zum Glück gibt es heute eine Vielzahl an Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, sodass praktisch bei jeder körperlichen Erkrankung mindestens ein passendes Präparat zur Behandlung einer Depression infrage kommt.“ Dennoch ist für Betroffene und behandelnde Ärzt:innen weiterhin offen: Sind Antidepressiva im jeweiligen Fall tatsächlich wirksam und auch sicher? „Bisher gab es auf diese Frage keine gesicherte Antwort“, so Prof. Otte. „Denn Zulassungsstudien von Antidepressiva werden fast ausschließlich mit körperlich gesunden Studienteilnehmenden durchgeführt.“ Eingehende Prüfung der Studienlage Um den weltweit aktuellen Stand der Forschung zusammenzuführen, hat das Studienteam medizinische Datenbanken nach sogenannten Meta-Analysen durchsucht, die bereits vorhandene Studien zusammenfassen. Dabei hat das Team strenge Auswahlkriterien angelegt: „In unsere Arbeit haben nur solche Analysen Eingang gefunden, die Daten randomisierter kontrollierter Studien zusammengefasst haben, da sie am besten geeignet sind, Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten zu untersuchen“, sagt Dr. Ole Köhler-Forsberg, Depressionsforscher an der Universität Aarhus. „Wir haben insgesamt 52 hochwertige Meta-Analysen ausfindig gemacht und für 27 unterschiedliche körperliche Erkrankungen ausgewertet. Darunter waren vor allem Krebs-, Herz- und Stoffwechselerkrankungen sowie rheumatologische und neurologische Krankheiten.“ Prof. Otte resümiert: „Wir konnten zeigen, dass Antidepressiva bei depressiven Patientinnen und Patienten mit körperlicher Erkrankung tatsächlich ähnlich wirksam und sicher sind wie bei Betroffenen ohne eine solche Erkrankung.“ Zwar verursachten die Antidepressiva etwas häufiger Nebenwirkungen als ein Scheinmedikament, auch Placebo genannt, doch sehen die Forschenden keine generellen Sicherheitsbedenken für einen Einsatz bei körperlich Erkrankten. Klinisch hochrelevante Ergebnisse „Diese Ergebnisse sind eine gute Nachricht für Betroffene mit Depressionen und körperlichen Erkrankungen – und sie sind klinisch hochrelevant“, erklärt Prof. Otte. „Denn oftmals ist die Lebensqualität insbesondere durch die Depression stark beeinträchtigt. Auch weiß man, dass sich der Verlauf der körperlichen Erkrankung bei gleichzeitigem Auftreten einer Depression verschlechtert. Ergänzend zu anderen Therapiemaßnahmen kann eine Gabe von Antidepressiva den Betroffenen also sehr helfen.“ Die Forschenden gehen davon aus, dass die Studienergebnisse in die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Depression eingehen werden. Die NVL ist eine gemeinsame Initiative von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zur Qualitätsförderung in der Medizin. „Uns hat überrascht, wie wenige große Studien es überhaupt zu dieser Thematik gibt, insbesondere auch bei häufigen Konstellationen wie etwa einer Krebserkrankung und gleichzeitiger Depression. Hier besteht aus unserer Sicht weiterhin großer Forschungsbedarf“, sagt Prof. Otte. In zukünftigen Projekten möchte er gemeinsam mit seinem Team herausfinden, ob Antidepressiva womöglich auch über die Bekämpfung einer Depression hinausgehende Wirkungen haben und ob sie beispielsweise einzelne Symptome einer gleichzeitig vorhandenen körperlichen Erkrankung lindern können.
ERC Starting Grants für zwei Forschende der Charité
- 05-09-2023Zwei Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) haben den Europäischen Forschungsrat mit ihren Ideen überzeugt. Prof. Dr. Birgit Nemec ist Professorin für Geschichte der Medizin. Sie wird sich dem Engagement von Patient:innen mit arzneimittelbedingten Behinderungen sowie dem Wandel im Umgang mit Risiken seit der Contergan-Katastrophe widmen. Der Biomathematiker Dr. Maik Pietzner ergründet mögliche neue Ziele für Therapien bei häufigen, aber oft vernachlässigten Erkrankungen. Die Nachwuchswissenschaftler:innen erhalten für die Umsetzung ihrer innovativen Projekte und den Aufbau einer Arbeitsgruppe in den kommenden fünf Jahren jeweils rund 1,5 Millionen Euro. ERC Starting Grants gehören zu den höchsten europäischen Auszeichnungen. Sie ermöglichen Spitzenforschung in einem breiten Spektrum von Disziplinen. Forschende, die am Anfang ihrer Karriere stehen, können so eigene Projekte starten, Teams bilden und Ideen verfolgen. Der Europäische Forschungsrat hat heute die Vergabe von 400 Starting Grants an junge Wissenschaftler:innen in ganz Europa bekanntgegeben. Unter ihnen erneut zwei Forschende der Charité und des BIH. Arzneimittelbedingte Behinderungen: Von Patient:innen lernen Sie hatten Namen wie Primodos, Duogynon, Depakine oder Contergan. Es handelte sich um Präparate zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer Schwangerschaft, um Antiepileptika oder um Medikamente, die Schlaflosigkeit und Beschwerden in der Schwangerschaft lindern sollten. Allen gemeinsam: Kinder, deren Mütter Arzneimittel dieser Art während der Schwangerschaft eingenommen hatten, kamen mit mitunter schwerwiegenden Behinderungen zur Welt. Einige der Wirkstoffe werden noch heute eingesetzt, allerdings in genau definierten Anwendungsgebieten. Lange kämpften – und kämpfen zum Teil noch immer – Betroffene und Angehörige um Anerkennung ihrer Behinderung als Folge einer Medikation und um Entschädigung. Eine der größten medizinischen Katastrophen in diesem Zusammenhang war die Verwendung von Thalidomid, eines Wirkstoffes, der 1957 als Schlaf- und Beruhigungsmittel unter dem Namen Contergan auf den Markt kam. Der Nachweis eines direkten Zusammenhangs von vorgeburtlicher Medikamenteneinnahme und Fehlbildungen oder anderen Schädigungen ist oft schwer zu erbringen. In der ganzen Welt haben sich daher insbesondere in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Patient:innengruppen gegründet und miteinander vernetzt. Im Schulterschluss oder als einzelne Gruppierungen rangen und ringen sie um Aufklärung, Ursachenforschung und Anerkennung ihrer Behinderungen. Beyond Thalidomide – Thalidomide und darüber hinaus: Patient:innen als wirkmächtige Akteure für Wandel und Innovation – ist der Titel des neuen Vorhabens von Prof. Nemec. Die Medizinhistorikerin wird den internationalen Anstieg des Engagements von Patient:innen mit arzneimittelbedingten Behinderungen nachzeichnen. „Wir wollen verstehen, wie diese neuen Akteure in der Zivilgesellschaft und in der Wissenschaft die Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit verändert haben“, erklärt Prof. Nemec. „Sie haben eine Dringlichkeit geschaffen, mit der wir bis heute konfrontiert sind. Es ist erstaunlich, dass es bis heute keine geschichtliche Aufarbeitung darüber gibt, wie sich Betroffene verhalten.“ Wie also handeln und organisieren sich die Patient:innen? Wie aktivieren und eignen sie sich Ressourcen an? Wie tragen sie zu Wandel und Umdenken bei? Umfangreiche historische Recherchen, Bibliotheks- und Archivarbeit in Verbindung mit Zeitzeugeninterviews in vielen Ländern der Erde, von Lateinamerika über Afrika bis nach Südostasien, sollen zum ersten Mal eine Geschichte arzneimittelbedingter Behinderungen im Kontext reproduktiver Gesundheit aus der Perspektive von Patient:innen nachzeichnen. Diese wird die bisherige expertenzentrierte Darstellung ergänzen und ein umfassendes Rahmenwerk über die Art und Weise wie sich Patient:innen engagieren schaffen. Prof. Nemec beschäftigt sich schon lange Zeit intensiv mit der Rolle von Patient:innen und Aktivist:innen in der Aushandlung von Wissen und Praktiken in der neueren Geschichte von Schwangerschaft und Fortpflanzung. Eines ihrer derzeitigen Forschungsprojekte am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité arbeitet die länderübergreifende Geschichte hormoneller Schwangerschaftstests gemeinsam mit Betroffenengruppen auf. Ein anderes Projekt studiert den Wandel von Risiko- und Präventionskonzepten im Zuge von Schwangerschaft und Reproduktion in Deutschland. Zusätzlicher Fokus ihrer Forschung: die materiellen und visuellen Kulturen der Wissenschaften, der Geschichte urbaner Räume und Gedächtnispolitik. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der Wissenschaften. Gene als Schlüssel zu neuen Therapien Die meisten Erkrankungen haben einen polygenen Hintergrund: Viele verschiedene Gene sind involviert und spielen – in bislang kaum verstandener Weise – zusammen. Schon kleinste Veränderungen in den relevanten Genen können das Krankheitsrisiko erhöhen. Genau hier will Dr. Maik Pietzner, Gruppenleiter in der AG Computational Medicine des BIH mit seinem neuen Vorhaben GenDrug ansetzen. Für eine Vielzahl häufiger, aber dennoch vernachlässigter Krankheiten fehlt es an wirksamen und sicheren Medikamenten. Einen Schlüssel zu neuen Therapien sieht er in den Genen, da die meisten Krankheiten auch einen genetischen Hintergrund haben. Mit einer ausgeklügelten Strategie, die künstliche Intelligenz (KI) zur Aufarbeitung riesiger Datenmengen nutzt, wollen der Biomathematiker und sein Team in großem Stil krankheitsrelevante Gene aufspüren und damit Ansatzpunkte für die Behandlung häufiger, aber wenig betrachteter Krankheiten liefern. „Unser Ziel ist, krankheitsspezifische kleine Veränderungen in den Genen und damit Zielstrukturen für innovative Medikamente zu finden. Dabei werden wir neue Wege beschreiten: Wir werden Erkenntnisse der Genomsequenzierung mit elektronischen Gesundheitsdaten verknüpfen und unter Verwendung künstlicher Intelligenz nach bislang unbekannten Zusammenhängen zwischen Genetik und Krankheitsmanifestation suchen – Zusammenhängen, die richtungsweisend bei der Entwicklung neuer Medikamente sein könnten“, wie Dr. Pietzner erklärt. Die Verfügbarkeit elektronischer Gesundheitsdaten eröffnet erstmals die Möglichkeit, anhand anonymisierter Daten von Millionen von Menschen Erkrankungen systematisch und ökonomisch zu erforschen. „Wir gehen davon aus, dass sich bei Sichtung der riesigen Datenpools genetische Signaturen herauskristallisieren, die für bestimmte Krankheiten typisch sind“, so der Wissenschaftler. „Unsere Computerprogramme sind in der Lage, in einer für uns ohne KI-Support nicht zu bewältigenden Datenfülle Muster zu erkennen und sichtbar zu machen. Methodisch ist das ein Quantensprung.“ In den Genen sind Informationen für die Herstellung von Eiweißstoffen, den Proteinen, hinterlegt. Genau an diesen Genprodukten sind Dr. Pietzner und sein Team interessiert. Denn Proteine, die man bei bestimmten Erkrankungen gehäuft oder in ihrem Bauplan verändert findet, könnten Ansatzpunkte für eine innovative Therapie sein. Oder aber die neu gewonnenen Erkenntnisse über Risikogene und ihre Genprodukte untermauern bereits vorhandene Therapieansätze und bieten die Chance, diese weiterzuentwickeln – auch das wäre ein Zugewinn.
Wie sich schweres Long COVID langfristig entwickelt
- 22-08-2023Menschen mit Post-COVID-Syndrom, die ein halbes Jahr nach ihrer Corona-Infektion an einer krankhaften Erschöpfung – der Fatigue – leiden, sind oft nach bis zu 20 Monaten noch stark beeinträchtigt. Das zeigt eine aktuelle Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers. Betroffene, die das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS entwickeln, sind in den allermeisten Fällen unverändert schwer krank. Patient:innen mit ähnlichen Symptomen, die die Diagnosekriterien für ME/CFS nicht erfüllen, erleben dagegen eine langsame Verbesserung ihrer Beschwerden. Veröffentlicht ist die Arbeit im Fachmagazin eClinicalMedicine*. Wenn drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch immer gesundheitliche Beschwerden bestehen, die über mindestens zwei Monate anhalten und nicht anderweitig zu erklären sind, spricht man vom Post-COVID-Syndrom (PCS). Die Symptome sind insgesamt heterogen, viele Betroffene haben Atembeschwerden, können sich schlecht konzentrieren und sind kaum belastbar. Besonders oft berichten PCS-Erkrankte von einer bleiernen Erschöpfung, die sich durch normale Erholung kaum beheben lässt: die sogenannte Fatigue. Häufig können diese Menschen den Alltag kaum noch bewältigen und leichte Anstrengung verschlechtert den Zustand, man spricht von Belastungsintoleranz. Frauen trifft es deutlich häufiger als Männer. Nicht nur Betroffene fragen sich, wie lange sie mit ihren Symptomen zu kämpfen haben werden. Für die ersten Monate nach der Infektion gibt es dazu mittlerweile Erkenntnisse aus einer Reihe von Studien. Danach dauert die Erholung im Schnitt desto länger, je schwerer die Infektion verlaufen ist. Bei vielen gehen die Beschwerden innerhalb eines Jahres zurück – das gilt jedoch leider nicht für alle Erkrankten. Unklar ist bisher, wie sich die Krankheit bei ihnen langfristig entwickelt. Wie lang sind die Schatten von COVID-19? In der nun veröffentlichten Studie fokussierten die Forschenden auf Menschen, die ein halbes Jahr nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion noch immer an einer ausgeprägten Fatigue und stark reduzierter Belastbarkeit litten. Im Gegensatz zu Studien, die sich allein auf die Beschreibung der Symptome durch die Betroffenen stützen, wurden die 106 Teilnehmenden – zum Großteil Frauen – zu drei Zeitpunkten im Abstand von mehreren Monaten umfassend medizinisch untersucht. „Leider zeigen unsere Daten, dass Post-COVID-Betroffene mit schwerer Fatigue auch mehr als eineinhalb Jahre nach ihrer Infektion noch immer krank sind“, sagt Dr. Judith Bellmann-Strobl, Letztautorin der Studie und Oberärztin der Hochschulambulanz für Neuroimmunologie des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des Max Delbrück Centers. „Nur bei der Hälfte von ihnen – die nicht das Vollbild von ME/CFS zeigen – zeichnet sich eine langsame Besserung zumindest einiger Symptome ab.“ Zwei Gruppen von PCS-Erkrankten mit ausgeprägter Fatigue und Belastungsintoleranz Bereits letztes Jahr hatten die Forschenden beobachtet, dass sich unter den Post-COVID-Betroffenen mit stark reduzierter Belastbarkeit zwei Gruppen unterscheiden lassen. Ein Teil der Patient:innen erfüllt das Vollbild eines ME/CFS – eine komplexe neuroimmunologische Erkrankung, die mit schwerer Fatigue und Belastungsintoleranz einhergeht und zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führen kann. Patient:innen in der zweiten Gruppe haben zwar ähnliche Symptome, ihre Beschwerden nach körperlicher Anstrengung sind jedoch meist nicht so stark ausgeprägt und halten weniger lang an. Bei der letzteren Gruppe gehen der aktuellen Studie zufolge die Fatigue, aber auch das allgemeine Krankheitsgefühl, Schmerzen und Konzentrationsstörungen über die Zeit etwas zurück. Ihre Belastbarkeit steigt ein wenig, einige Betroffenen konnten wieder einer Arbeit nachgehen. Bei den Post-COVID-Patient:innen mit ME/CFS veränderten sich die Beschwerden dagegen kaum, obwohl auch sie eine symptomatische Therapie erhielten. Mit sehr wenigen Ausnahmen: „Sieben der 55 ME/CFS-Erkrankten erlebten eine Verbesserung ihrer Beeinträchtigungen“, erklärt Dr. Bellmann-Strobl. „Wir haben allerdings zurzeit noch keine Erklärung dafür und konnten keine medizinischen Gemeinsamkeiten feststellen.“ Handkraft zur Abschätzung der Prognose? Eine weitere in der Studie gemachte Beobachtung lässt sich künftig möglicherweise für die Abschätzung des Krankheitsverlaufs bei Post-COVID-Erkrankten mit ME/CFS nutzen: Je mehr Kraft die Patient:innen zu Beginn der Erkrankung in der Hand hatten, desto geringer ausgeprägt waren ihre Symptome bis zu 20 Monate später. „Die Handkraft war nicht nur ein Parameter für die Schwere der Erkrankung zu Beginn, sondern konnte auch vorhersagen, wie sich die ME/CFS-Erkrankung weiter entwickeln wird“, erklärt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité und Leiterin des Charité Fatigue Centrums. Zusammen mit Dr. Bellmann-Strobl hat sie die Studie geleitet. Sie betont: „Bevor wir die Handkraft allerdings prognostisch nutzen können, müssen wir ihre Aussagekraft mit weiteren Studien bestätigen.“ „In Europa leben nach aktuellen Aussagen der WHO etwa 36 Millionen Menschen mit Long COVID, von denen die meisten in ihrem Alltag eingeschränkt sind und von denen viele kein normales Leben mehr führen können“, betont Prof. Scheibenbogen. „Bereits vor der Pandemie waren in Europa geschätzt drei Millionen Menschen an ME/CFS erkrankt und vorliegenden Daten lassen vermuten, dass sich deren Zahl infolge der Pandemie verdoppelt hat. Unsere Studie zeigt, dass die meisten ME/CFS-Erkrankten anhaltend schwer krank sind. Neben der intensiven Suche nach wirksamen Therapien brauchen wir deshalb auch rasch Versorgungseinrichtungen, in denen die Betroffenen auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und klinischer Erfahrung multidisziplinär betreut werden.“ In Ermangelung von Therapien, die nicht nur die Symptome lindern, sondern auch die Ursache des Post-COVID-Syndroms und ME/CFS beheben, empfiehlt Dr. Bellmann-Strobl den Patient:innen vor allem, ihre Energiereserven durch das sogenannte Pacing gut einzuteilen und eine Überlastung zu vermeiden. Hilfsmittel können beispielsweise Schrittzähler, Herzfrequenzmesser, ein Aktivitätstagebuch und Entspannungsübungen sein. „Durch das Pacing lässt sich die Postexertionelle Malaise, eine Verschlechterung des Zustands, verhindern. Je besser Betroffene das Pacing beherrschen, desto weniger Beschwerden haben sie durch ihre Erkrankung. Dabei sollte man sich sehr vorsichtig an die Belastungsgrenzen herantasten; eine professionelle Anleitung kann dabei helfen, eine Überanstrengung zu vermeiden.“
Weniger Nebenwirkungen als befürchtet: Kortison in niedrigen Dosen
- 15-08-2023Bei rheumatoider Arthritis – oft ungenau als Rheuma bezeichnet – ist Kortison sehr wirksam, medizinische Leitlinien raten aber von einer längerfristigen Einnahme ab. Grund sind eine Reihe von Nebenwirkungen – die allerdings vor allem bei den früher üblichen hohen Dosierungen beobachtet wurden. Zur Verabreichung von kleinen Mengen Kortison über einen längeren Zeitraum gibt es dagegen wenig aussagekräftige Daten. Eine Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Annals of Internal Medicine* zeigt jetzt: Zumindest der Blutdruck steigt nach zweijähriger Therapie mit niedrig dosiertem Kortison nicht an. Und die oft befürchtete Gewichtszunahme fällt mit rund einem Kilogramm moderat aus. Als Kortison wird umgangssprachlich die Gruppe der Glukokortikoide bezeichnet. Das sind körpereigene und auch synthetische Wirkstoffe, die unter anderem das Immunsystem hemmen. Kortison-Präparate werden deshalb schon seit Langem gegen eine ganze Reihe von entzündlichen Erkrankungen eingesetzt, darunter Autoimmunkrankheiten wie die rheumatoide Arthritis. Und sie wirken: Kortison-Präparate helfen gegen die Entzündung in den Gelenken, mindern Schmerzen und lindern die krankheitsbedingte körperliche Behinderung. Außerdem werden die Gelenke deutlich weniger geschädigt. Kortison wird entgegen Leitlinien verwendet „Weil Kortison-Präparate so gut gegen die rheumatoide Arthritis helfen, nehmen 30 bis 50 Prozent der Betroffenen sie auch zwei Jahre nach der Diagnose noch – und zwar entgegen den aktuellen medizinischen Leitlinien und Empfehlungen“, erklärt Dr. Andriko Palmowski, Erstautor der Studie von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité. „Die Leitlinien und Empfehlungen raten eigentlich, Kortison – wenn überhaupt – nur vorübergehend zu verabreichen, weil sonst relevante Nebenwirkungen zu befürchten sind.“ Allerdings: Viele dieser Nebenwirkungen sind für die früher viel häufiger verabreichten hohen Kortison-Dosierungen gut belegt, für die heute bevorzugten geringeren Mengen ist die Datenlage weniger eindeutig. Dr. Palmowski: „So genau wissen wir also gar nicht, wie stark die Nebenwirkungen bei niedrig dosierten Kortison-Präparaten sind.“ In der Vergangenheit hatten einige Beobachtungsstudien beispielsweise darauf hingedeutet, dass eine langfristige Einnahme von geringen Mengen Kortison bei rheumatoider Arthritis den Blutdruck ansteigen lässt und zu einer Gewichtszunahme führt. „Allerdings haben Beobachtungsstudien aufgrund verschiedener verzerrender Effekte nur eine begrenzte Aussagekraft“, betont Prof. Dr. Frank Buttgereit, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité und Leiter der Studie. „Für eine stärkere Beweiskraft benötigt man ein höherwertiges Untersuchungsdesign, die sogenannten randomisierten kontrollierten Studien.“ Von dieser Art der Studien, bei der der Zufall entscheidet, ob die Teilnehmenden das Medikament oder ein Scheinpräparat erhalten, gab es sogar schon eine Handvoll. Für eine statistisch verlässliche Analyse der beiden Nebenwirkungen hatte jede für sich genommen jedoch zu wenige Patient:innen eingeschlossen. Charité-Studie analysiert Daten von über 1.100 Personen Das Charité-Forschungsteam holte deshalb von fünf der bereits abgeschlossenen randomisierten kontrollierten Studien die Messwerte zu Blutdruck und Körpergewicht ein und analysierte diese gemeinsam. So kamen Daten von insgesamt mehr als 1.100 Menschen mit rheumatoider Arthritis aus zwölf europäischen Ländern zusammen, die über zwei Jahre hinweg niedrig dosierte Kortison-Präparate oder ein Scheinpräparat beziehungsweise Kontrollmedikamente erhalten hatten. Alle Patient:innen hatten zudem, wie üblich, eine dauerhafte Begleitmedikation zur besseren Eindämmung der Erkrankung bekommen. Das Ergebnis: Unter der Kortison-Therapie veränderte der Blutdruck sich nicht signifikant, und die Betroffenen nahmen im Schnitt nur 1,1 Kilogramm mehr zu als die Teilnehmenden in der Kontrollgruppe. Ähnliches galt auch für Risikopatient:innen, die zu Studienbeginn bereits übergewichtig waren oder einen hohen Blutdruck hatten. „Die Ergebnisse unserer Studie machen die Leitlinien nicht obsolet, denn Glukokortikoide können auch andere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Neigung zu Infektionen mit sich bringen“, resümiert Prof. Buttgereit. „Aber für viele Rheuma-Betroffene und auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist die Sorge vor einem Blutdruckanstieg und einer Gewichtszunahme ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Kortison-Therapie. Das sollte sie jedoch nicht sein, weil beide Effekte – wie unsere Ergebnisse zeigen – keine große Relevanz haben. Stattdessen sollte die Entscheidungsfindung eher die anderen Nebenwirkungen in den Blick nehmen.“ Um das Für und Wider einer Therapie mit niedrig dosiertem Kortison künftig noch besser abwägen zu können, plant das Charité-Forschungsteam nun, zu weiteren Nebenwirkungen hochqualitative Daten zu sammeln. Als nächstes im Fokus: die Osteoporose.
Prof. Christian Otte ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
- 01-08-2023Prof. Dr. Christian Otte hat zum 1. August die Leitung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Benjamin Franklin (CBF) der Charité – Universitätsmedizin Berlin übernommen. Er ist seit 2016 W3-Professor für Klinische Psychiatrie der Charité und war bisher stellvertretender Direktor der Klinik. Prof. Otte folgt auf Prof. Dr. Isabella Heuser-Collier, die die Klinikleitung seit 2001 innehatte und nun in den Ruhestand geht. Prof. Otte ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und seit 2011 an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am CBF. Der 54-Jährige betont zu seinen klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkten: „Eines meiner Fokusthemen ist das gleichzeitige Vorliegen von Depressionen und körperlichen Erkrankungen. Dabei beschäftigt uns die Frage, wie sich diese Erkrankungen wechselseitig beeinflussen und welche Behandlungsansätze für die Patient:innen wirksam sein können.“ Der gebürtige Hamburger konkretisiert seine Forschungsinteressen: „Zu den wissenschaftlichen Schwerpunkten gehören zudem die Durchführung und methodische Weiterentwicklung klinischer Studien. Dabei interessieren wir uns besonders für große konfirmatorische und leitlinienverändernde Studien. Also Studien, die wesentlich länger als bisher laufen und zeigen können, was die Patient:innen nachhaltig unterstützt. Dafür arbeiten wir auch an Studien mit neuen Designs, sogenannten Platform Trials. Klinische Interventionsstudien bieten darüber hinaus auch hervorragende Möglichkeiten, Grundlagenforschung zu biologischen und psychologischen Krankheitsmechanismen mit der Versorgung zu integrieren und damit die Behandlungsmöglichkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dieses Ziel haben wir uns als Klinik und auch im neu gegründeten Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit besonders auf die Fahnen geschrieben“. Ein besonderes Anliegen ist Prof. Otte zudem die Lehre und Förderung junger Mediziner:innen: „Ich möchte die Medizinstudierenden für unser Fach begeistern und schon frühzeitig im Studium auf das Thema psychische Gesundheit aufmerksam machen. Darüber hinaus gilt es, forschungsaktive Nachwuchstalente zu fördern und ihnen die Verknüpfung von klinischen Fragestellungen und medizinischer Forschung zu ermöglichen.“
Umfassende Krebsmedizin: Charité kooperiert mit Onkologiezentrum in Seoul
- 27-07-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Samsung Comprehensive Cancer Center in Seoul haben ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Ziel der Kooperation sind die Förderung und Weiterentwicklung der Krebsmedizin durch intensive Zusammenarbeit und den Austausch zu Versorgung und onkologischer Forschung. Dafür arbeiten das Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC) und das Samsung Comprehensive Cancer Center (SCCC) intensiv zusammen und tauschen sich zu Krebstherapien und onkologischer Forschung aus. Die Kooperation umfasst zudem gemeinsame Forschungstätigkeiten und den gegenseitigen Austausch von medizinischem Personal zur Aus- und Weiterbildung. Darüber hinaus arbeiten beide Partner aktiv an der digitalen Transformation in den Bereichen der computergestützten Supportsysteme sowie der medizintechnischen Entwicklung zusammen und verständigen sich zu Aufgaben des Managements. Anlässlich der Unterzeichnung erklärte Prof. Dr. Martin E. Kreis, Vorstand Krankenversorgung der Charité: „Die Gesundheitsversorgung ist ein globales Thema und wir haben die Chance, mit einem anderen weltweit führenden Zentrum in der Krebsbehandlung intensiv zu kooperieren. Das SCCC steht für eine fortschrittliche interdisziplinäre Behandlung und eine hochmoderne medizinische Ausstattung. Ebenso wichtig sind den koreanischen Kolleg:innen Prävention und Rehabilitation sowie der Fokus auf Ausbildung und Forschung. Mit der Kooperation können wir die personalisierte Krebsmedizin in beiden Institutionen zum Wohle der Patient:innen verbessern.“ Prof. Dr. Ulrich Keilholz, Direktor des CCCC, ergänzte: „Das Charité Comprehensive Cancer Center ist das integrative Tumorzentrum der Charité. Die Kooperation mit dem ähnlich organisierten SCCC wird beiden Institutionen neue Impulse liefern und den Expert:innen helfen, Krebsforschung und Versorgungsstrukturen zu verbessern. Die gemeinsamen Interessen reichen von der komplementären Forschung an präklinischen Tumormodellen bis hin zu digitalisierten ‚Patient-Reported Outcome Measurements' (PROMs). Interessant ist für uns auch das in Seoul integrierte Cancer Education Center, das Patient:innen, Angehörige und Besucher:innen über die verschiedenen Aspekte von Krebs und die möglichen Behandlungsmethoden aufklärt.“
Pionierforschung: Nichtinvasive Hirnstimulation mit höchster Präzision
- 24-07-2023Ausgefeilte Technologien zur Hirnstimulation und Gehirn-Computer-Schnittstellen sind das Feld von Prof. Dr. Surjo Soekadar, Einstein-Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Mit seinem Team entwickelt und erprobt er Systeme, die eine Kommunikation zwischen dem Gehirn und externen Geräten ermöglichen. Auf diese Weise können unter anderem Schwerstgelähmte kraft ihrer Gedanken Exoskelette steuern. Doch die Systeme stoßen an Grenzen. Und tiefer im Schädelinneren gelegene Hirnareale sind nur schwer zu erreichen. Eine neue Generation dieser Schnittstellen, ausgestattet mit hochauflösenden Sensoren und einem besonders effektiven Stimulationsverfahren, soll das ändern – unterstützt vom Europäischen Forschungsrat (ERC) in den kommenden fünf Jahren mit rund zwei Millionen Euro. Gehirn-Computer-Schnittstellen, im Englischen Brain-Computer Interfaces (BCIs) genannt, nutzen die Tatsache, dass das Gehirn elektrische Felder erzeugt. Diese Felder lassen sich auf der Kopfhaut messen. Anschließend übersetzen BCIs die Hirnaktivität in Steuersignale externer Geräte wie Prothesen, Roboter oder Exoskelette. Menschen mit schweren Lähmungen kann dies Bewegungen oder Kommunikation ermöglichen. Sogenannte bidirektionale BCIs erlauben es darüber hinaus, Hirnaktivität gezielt elektrisch anzuregen, beispielsweise um ein Tastempfinden beim Steuern einer Prothese zu simulieren. Von medizinischem Nutzen sind BCI-Systeme unter anderem im Bereich der neurologischen Rehabilitation, beispielsweise wenn es darum geht, die Kommunikations- oder die Bewegungsfähigkeit schwerstgelähmter Menschen wiederherzustellen. Therapeutisches Spektrum von BCIs erweitern Menschen mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen zu neuer Lebensqualität zu verhelfen, ist Prof. Soekadar ein Anliegen. Seit fünf Jahren leitet er den Forschungsbereich Translation und Neurotechnologie sowie die Arbeitsgruppe Klinische Neurotechnologie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte. Die therapeutischen Potenziale von BCI-Systemen hat er bereits frühzeitig erkannt. Jenseits des Wiederherstellens sensomotorischer Funktionen sollen sie nun auch in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen zum Einsatz kommen. Mit der aktuellen Förderung durch den Europäischen Forschungsrat will der Berliner Neurowissenschaftler nun entscheidende Hürden auf dem Weg zu einer sicheren und effektiven bidirektionalen Gehirn-Computer-Schnittstelle nehmen. Die wohl größte unter ihnen ist der menschliche Schädel selbst. Wird die Hirnaktivität von außerhalb der Knochendecke gemessen, beispielsweise mittels Elektroenzephalographie (EEG), ist die Genauigkeit der BCI bislang begrenzt. Die Implantation von Elektroden oder Sensoren in den Schädel dagegen ist aufwendig und birgt zahlreiche Risiken. Das Team um Prof. Soekadar ist auf der Suche nach Alternativen und erprobt derzeit den Einsatz von ultragenauen Sensoren, sogenannten Quantensensoren, die Hirnaktivität mit einer wesentlich höheren Genauigkeit an der Kopfoberfläche messen können als EEG oder andere nichtinvasive Methoden. Mit Unterstützung der Einstein Stiftung Berlin und in Zusammenarbeit mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) sowie der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) ist bereits ein Prototyp eines solchen Quanten-BCIs entstanden. Grundlage der Hightech-Sensoren sind gasförmige Atome, die als Magnetfeldsonden fungieren und die auf die elektrischen Hirnsignale reagieren. Man nennt sie optisch gepumpte Magnetometer (OPM). Weltweit erste nichtinvasive bidirektionale Gehirn-Computer-Schnittstelle Trotz rasanter Fortschritte im Bereich der Neurotechnologie existiert aktuell noch kein bidirektionales BCI auf der Basis nichtinvasiver, also nicht operativ eingreifender, Methoden. Grund dafür ist einerseits die notwendige Empfindlichkeit der Sensoren und andererseits die Stärke der Stimulation, die erforderlich ist, um das Gehirn durch den Schädelknochen hindurch anzuregen. Dabei auftretende Störsignale lassen eine zuverlässige Messung und Interpretation von Hirnsignalen noch nicht zu. „Genau dieses Problem wollen wir lösen“, erklärt Prof. Soekadar. „Wir haben vor, an der Charité die weltweit erste bidirektionale Gehirn-Computer-Schnittstelle auf der Basis von Quantensensoren und Temporaler Interferenz-Magnetstimulation, kurz TIMS, einer besonders effektiven Form der Neurostimulation, zu entwickeln. Unser Ziel ist dabei, das System insbesondere auch für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen, beispielsweise Depressionen, zugänglich zu machen.“ Das neue Hirnstimulationsverfahren TIMS soll hierbei eine Schlüsselrolle spielen. Es basiert auf sich überlagernden, gegenseitig verstärkenden oder abschwächenden Magnetfeldern. Dieses Prinzip haben die Forschenden um Prof. Soekadar im Rahmen eines vorangegangenen ERC Starting Grants etabliert und einen solchen Prototyp mithilfe des SPARK-BIH Innovationsprogramms gebaut. Im nun bevorstehenden ERC-Consolidator-Projekt BNCI2 soll dieser Prototyp erweitert und schließlich mit dem Quanten-BCI kombiniert werden. „Die Möglichkeiten, die sich durch diese Kombination für Wissenschaft und Klinik ergeben, sind sehr weitreichend“, davon ist Prof. Soekadar überzeugt. So soll es möglich werden, in Abhängigkeit bestimmter Hirnzustände die Aktivität auch tiefer Areale des Gehirns gezielt anzuregen. Der Einsatz von hochauflösenden Quantensensoren soll dabei eine Messgenauigkeit erreichen, die bisher nur invasiven Verfahren vorbehalten war. „Wir hoffen mit dem System Aktivitätsmuster im Gehirn zu erkennen, die für das Auftreten bestimmter klinischer Symptome verantwortlich sind. In einem zweiten Schritt soll das Auftreten dieser Symptome über einen geschlossenen Neuromodulationskreislauf gezielt beeinflusst werden“, so der Wissenschaftler. Die Tatsache, dass es sich um ein nichtinvasives System handelt, ist eine wichtige Voraussetzung für einen breiten klinischen Einsatz, der das Leben vieler Patient:innen nachhaltig verbessern kann. Gleichzeitig gilt es bei diesem Vorstoß in noch unbekannte Dimensionen der therapeutischen Neuromodulation, ethische Herausforderungen und Aspekte der Cybersicherheit in den Blick zu nehmen.
Nicht nur Lebensstil und Gene: Weiterer Einflussfaktor für Übergewicht entdeckt
- 20-07-2023Was bestimmt, ob wir fettleibig werden? Neben dem Lebensstil wirkt sich auch die Veranlagung aus, die Gene aber können den ererbten Hang zum Übergewicht nicht vollständig erklären. Eine Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Science Translational Medicine* zeigt jetzt, dass auch eine Art Formatierung des DNA-Codes eines Sättigungsgens mit einem leicht erhöhten Risiko für Fettleibigkeit einhergeht – zumindest bei Frauen. Diese sogenannte epigenetische Markierung wird bereits in der frühen Embryonalphase etabliert. Übergewicht, insbesondere starkes, steigert das Risiko für eine Reihe von schwerwiegenden Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Das Gesundheitsproblem wächst: Weltweit nimmt die Zahl übergewichtiger Menschen zu, in Deutschland geht man davon aus, dass zwei von drei Männern (60 Prozent) und knapp die Hälfte der Frauen (45 Prozent) zu viele Kilos auf die Waage bringen. Was aber bestimmt, ob Menschen übergewichtig werden? Klar ist: Neben dem Lebensstil spielt Veranlagung eine große Rolle. Bei eineiigen Zwillingen ähnelt sich der Body-Mass-Index (BMI) zu 40 bis 70 Prozent. Auch wenn sie nicht in der gleichen Familie aufwachsen, bleibt diese große Ähnlichkeit bestehen. Mittlerweile sind mehrere Genvarianten bekannt, die das Gewicht beeinflussen – und damit das Risiko, Fettleibigkeit (Adipositas) zu entwickeln. Zusammengenommen können sie jedoch die beobachtete Erblichkeit nicht erklären. Forschende vermuteten deshalb, dass es zusätzliche, nichtgenetische Faktoren geben muss, die sich auf den Hang zum Übergewicht auswirken. Sättigungsgen wird nicht abgeändert, sondern formatiert Einen solchen haben Forschende um Prof. Dr. Peter Kühnen, Direktor der Klinik für pädiatrische Endokrinologie der Charité, in ihrer aktuellen Studie nun identifiziert. Demnach steigt das Risiko für Fettleibigkeit bei Frauen um etwa 44 Prozent, wenn an dem für das Sättigungsgefühl verantwortlichen Gen POMC (Proopiomelanocortin) besonders viele Methylgruppen haften. Methylgruppen sind kleine chemische Einheiten, mit denen der Körper die Buchstaben des DNA-Codes markiert, um Gene an- oder auszuschalten, ohne die DNA-Buchstabenfolge zu ändern. Ein Vergleich: Die Wirkung ähnelt der Hervorhebung eines Abschnitts in einem Text, ohne dass der Text umgeschrieben wird. Bezeichnet wird diese Art der „DNA-Formatierung“ als epigenetische Markierung. Für die Studie hatte das Forschungsteam die „Formatierung“ des POMC-Gens bei mehr als 1.100 Menschen analysiert. Bei adipösen Frauen mit einem BMI über 35 fanden sich mehr Methylgruppen an dem Sättigungsgen als bei normalgewichtigen Frauen. „Eine Erhöhung des Adipositas-Risikos um 44 Prozent entspricht etwa dem Effekt, den man auch bei einzelnen Genvarianten beobachtet hat“, sagt Studienleiter Prof. Kühnen. „Im Vergleich wirken sich sozioökonomische Faktoren allerdings deutlich stärker aus, sie können das Risiko um das Zwei- bis Dreifache erhöhen. Warum der Effekt der Methylierung nur bei Frauen zum Tragen kommt, wissen wir noch nicht.“ Das POMC-Gen wird bereits sehr früh in der embryonalen Entwicklung „formatiert“, wie die Forschenden durch einen Vergleich von Methylierungsmustern bei jeweils mehr als 30 eineiigen und zweieiigen Zwillingen nachwiesen. Während die „Formatierung“ des Sättigungsgens bei eineiigen Zwillingen in den meisten Fällen übereinstimmte, korrelierte sie bei zweieiigen Zwillingen kaum. „Das deutet darauf hin, dass die epigenetische Markierung des POMC-Gens schon kurz nach dem Verschmelzen von Ei- und Samenzelle etabliert wird, noch bevor sich die befruchtete Eizelle in zwei Zwillingsembryonen aufteilt“, erklärt Lara Lechner, Erstautorin der Studie von der Klinik für pädiatrische Endokrinologie. Die ganz frühe Phase einer Schwangerschaft ist also bereits entscheidend. Was beeinflusst die Formatierung? Doch was beeinflusst, wie stark das Sättigungsgen methyliert wird – und damit das Risiko für Übergewicht? Vergangene Studien hatten darauf hingedeutet, dass sich die An- oder Abwesenheit bestimmter Nährstoffe, die als Lieferanten für Methylgruppen dienen, möglicherweise auf epigenetische Prozesse auswirken könnten. Zu diesen Nährstoffen zählen beispielsweise Betain, Methionin oder Folsäure, die für gewöhnlich über die Nahrung aufgenommen werden. Eine neu entwickelte Methode erlaubte es den Charité-Wissenschaftler:innen nun erstmals, im Labor mithilfe von einzelnen menschlichen Stammzellen nachzuahmen, wie das Methylierungsmuster in der Embryonalentwicklung festgelegt wird und welchen Einfluss Nährstoffe darauf haben. „Unsere und auch andere Studien zeigen einerseits, dass Folsäure, Betain und andere Nährstoffe sich in begrenztem Maße auf den Umfang der Methylierung auswirken“, sagt Prof. Kühnen. „Wir haben dabei beobachtet, dass das ‚DNA-Formatierungssystem‘ insgesamt recht stabil ist und kleinere Schwankungen im Nährstoffangebot von den Zellen kompensiert werden. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise, dass sich die Variabilität dieser ‚Formatierung‘ zufällig entwickelt. Das bedeutet, dass man zumindest aktuell noch nicht von außen beeinflussen kann, ob eine Person mehr oder weniger Methylierung in der POMC-Region aufweist.“ Medikamentöse Hilfe potenziell möglich Zumindest theoretisch könnte man Frauen, die aufgrund einer Methylierung des POMC-Gens ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Fettleibigkeit haben, medikamentös beim Abnehmen unterstützen. Darauf deuten erste Ergebnisse an vier hochadipösen Frauen und einem Mann mit eben dieser „Formatierung“ des Sättigungsgens hin. Sie erhielten einen spezifischen Wirkstoff, der in die Entstehung des Hungergefühls eingreift und für die Adipositas-Behandlung von Menschen mit einem mutierten, also fehlerhaften POMC-Gen zugelassen ist. Innerhalb von drei Monaten nach Start der Behandlung empfanden die fünf Patient:innen weniger Hunger und verloren im Schnitt sieben Kilogramm, also rund fünf Prozent ihres Körpergewichts. Einige von ihnen setzten die Behandlung länger fort und nahmen weiter ab. „Diese Ergebnisse zeigen zunächst einmal, dass sich ein epigenetisch verändertes POMC-Gen überhaupt potenziell medikamentös adressieren lässt“, sagt Prof. Kühnen. „Weitere große kontrollierte Studien müssen zeigen, ob und wie wirksam und sicher die Behandlung mit dem Wirkstoff auch über einen längeren Zeitraum wäre. Insgesamt könnte ein solches Medikament jedoch nur Teil einer umfassenden Behandlungsstrategie sein.“
Versorgung von Long-COVID-Betroffenen und psychiatrisch behandelten Menschen verbessern
- 17-07-2023Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat deutschlandweit insgesamt 35 neue Vorhaben zur Versorgungsforschung für eine Förderung ausgewählt. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin leiten zwei dieser Projekte, an zwei weiteren Vorhaben ist die Charité beteiligt. Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung weiterzuentwickeln und kontinuierlich zu verbessern. Ein aktueller Schwerpunkt: Übergänge und Schnittstellen im Gesundheitswesen. Der Innovationsfonds unterstützt Projekte mit Modellcharakter, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen. Dabei stellen die gewonnenen Erkenntnisse Weichen, denn sie sind Grundlage gesetzlicher Entscheidungen. Prof. Dr. Liane Schenk, derzeit Sprecherin der Plattform – Charité Versorgungsforschung: „Die Projekte, die wir nun umsetzen können, nehmen verstärkt Versorgungsverläufe in den Fokus, um Abläufe der Gesundheitsfürsorge insbesondere an den Sektorengrenzen – beispielsweise zwischen Klinik und ambulanter Versorgung – besser zu verstehen und zu optimieren. Damit das gelingen kann, werden verschiedenste Datenquellen und methodische Ansätze kombiniert. Einbezogen werden die Sichtweisen aller Beteiligten im Versorgungsprozess, wobei die Perspektive der Patientinnen und Patienten zentral ist.“ Die neuen Versorgungsforschungsprojekte an der Charité: Best-Practice für die Entlassung psychiatrisch behandelter Menschen Der Übergang von der stationären oder teilstationären Versorgung in die ambulante Weiterversorgung ist für Patient:innen mit psychischen Erkrankungen ein besonders wichtiger und kritischer Schritt im Behandlungsverlauf. Er ist gesetzlich geregelt, jedoch wurde das psychiatrische Entlassmanagement bislang noch nicht tiefergehend betrachtet. Wissenschaftler:innen des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft sowie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie evaluieren nun gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse das Entlassmanagement im Bereich Psychiatrie. Die Forschenden wollen unter anderem Versorgungsverläufe an dieser sensiblen Schnittstelle analysieren und dabei regionale wie auch zeitliche Trends berücksichtigen. Erfahrungen der Patient:innen und der Leistungserbringenden werden gleichermaßen einbezogen, um mögliche Hürden zu identifizieren. Das Ziel ist ein Leitfaden mit Best-Practice-Modellen für die Entlassung psychiatrisch behandelter Menschen in die ambulante Versorgung. Projekt: E2-PSY – Evaluation des Entlassmanagements gemäß §39 Absatz 1a SGB V von (teil-)stationär-psychiatrisch behandelten Menschen Leitung: Dr. Julie O’Sullivan, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, und Dr. Stefanie Schreiter, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Mitte Bessere Versorgung für Long-COVID-Betroffene Eine Infektion mit COVID-19 kann zu gesundheitlichen Langzeitfolgen führen, die längst noch nicht aufgeklärt sind und deren Versorgung Patient:innen wie auch Behandelnde vor Herausforderungen stellt. In diesem Projekt wollen Forschende die Symptomatik und die aktuelle gesundheitliche Versorgung eingehend analysieren, sodass Betroffene mit dem Krankheitsbild Long-COVID oder Post-COVID zukünftig besser versorgt werden können. Über zwei Jahre hinweg werden sie zusammen mit dem BKK Dachverband e.V. deutschlandweit Krankenkassen-Routinedaten erheben und auswerten. Eine Gruppe von Patient:innen soll zusätzlich näher untersucht und standardisiert befragt werden. Ein Expertenpanel aus Betroffenen, ambulanten Versorgern und weiteren beteiligten Institutionen begutachtet anschließend die Ergebnisse, um Empfehlungen für eine verbesserte Versorgung abzuleiten. Ziel sind Leitfäden für Post-COVID-Erkrankte und ihre primären Versorger, häufig sind dies Hausärztinnen und Hausärzte. Projekt: LCovB – Die Versorgungssituation von Long-COVID-Betroffenen verbessern Leitung: Dr. Johanna Schuster, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, und Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie Beteiligt ist die Charité darüber hinaus als Konsortialpartnerin an folgenden Projekten: Dissolve-E: Digitalisierung eines übergeordneten Leitlinienregisters für ein offenes, leitlinienbasiertes, vertrauenswürdiges Behandlungsumfeld. Die Konsortialführung hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V., Projektleiterin an der Charité ist Prof. Dr. Sylvia Thun, Core Unit Digitale Medizin und Interoperabilität, Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). NUTSEN: Neue Therapien bei Seltenen Erkrankungen am Beispiel der sogenannten Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD). Die Konsortialführung hat das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, Projektleiter an der Charité ist Prof. Dr. Friedemann Paul, Experimental and Clinical Research Center (ECRC).
Ausstellungseröffnung „Da ist etwas. Krebs und Emotionen“ im Medizinhistorischen Museum
- 11-07-2023Welche Emotionen löst die Diagnose Krebs bei Betroffenen aus? Überwiegt die Angst oder spielen auch andere Gefühle, wie Wut, Scham und Einsamkeit oder Hoffnung, Mut und Zuversicht eine Rolle? Diese Fragen thematisiert die Ausstellung „Da ist etwas. Krebs und Emotionen“ des Berliner Medizinhistorischen Museums (BMM) der Charité. Dabei werden Emotionen sowohl als subjektive und persönliche Empfindungen dargestellt als auch im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext betrachtet. Die Ausstellung wird von der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Krebsstiftung gefördert und ist vom 12. Juli 2023 bis 28. Januar 2024 zu sehen. Anhand von kulturhistorischen Exponaten, wissenschaftlichen Objekten und interaktiven Medienstationen sowie Filminterviews wird sichtbar gemacht, wie stark Gefühle durch gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen geprägt sind. Der Rundgang veranschaulicht diesen Wandel und lädt ein, auch über eigene Gefühle und deren kulturelle Prägung nachzudenken. Sechs Ausstellungsmodule betrachten verschiedene Einzelfragen. So wird beispielsweise gefragt, warum den Patient:innen (BRD und DDR) noch in den 1970er Jahren die Krebsdiagnosen gar nicht mitgeteilt wurden. Ebenso wird thematisiert, in welcher Weise die immer erfolgreicheren Krebstherapien die Gefühle gegenüber Krebs verändert haben. Anschließend mündet die Ausstellung in drei Stationen mit verschiedenen Interviews. Dabei kommen Patient:innen, Angehörige und Pflegekräfte ebenso zu Wort wie Onkolog:innen, Psychoonkolog:innen und Mitarbeitende aus der Krebsberatung. Sie sprechen über das „Geheiltwerden von Krebs“, über das „Leben mit Krebs“ und über das „Sterben an Krebs“. Die Interviews vermitteln zeitgenössische Sichtweisen zu Krebs und Emotionen und eröffnen darüber hinaus Perspektiven in die Zukunft. Online-Version der Ausstellung Für alle Interessierten, die nicht ins BMM kommen können, gibt es ab 12 Juli die digitale Version der Ausstellung unter https://krebs-und-emotionen.de. STATEMENTS ZUR AUSSTELLUNG Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité: „Mit ‚Krebs‘ fährt ein Schreck in die Knochen. Für die Betroffenen ist die Diagnose oft ein Urteil. Für die Medizin ist das Krankheitsbild eine Zumutung. Die Ausstellung interveniert in den Präparatesaal Rudolf Virchows und ergänzt die Betrachtung der Organe um das Entscheidende: die Erschütterung, das Erleben und das Leben mit der Krankheit.“ Gerd Nettekoven, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Deutsche Krebshilfe: „Die Gründung der Deutschen Krebshilfe – im Jahr 1974 – fiel in eine Zeit, in der mit Krebs weitestgehend tabuisierend umgegangen wurde. Eines der wichtigsten Anliegen unserer Organisation war es daher auch, zur Entstigmatisierung von Krebs in der Gesellschaft beizutragen. Ich bin überzeugt, dass die Ausstellung – deren Zustandekommen wir als Deutsche Krebshilfe finanziell gerne unterstützt und gefördert haben – das Bewusstsein für einen offenen Umgang mit der Erkrankung Krebs weiter schärfen wird.“ Dr. Johannes Bruns, Mitglied des Stiftungsvorstands der Deutschen Krebsstiftung: „Gerade bei Krebs hat die Art und Weise, wie sich Behandler:innen gegenüber ihren Patient:innen verhalten und mit ihren Emotionen umgehen, entscheidenden Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen und damit auch auf den Behandlungserfolg. Diese Ausstellung schärft den Blick für die Gefühle im Umgang mit der Erkrankung Krebs im Wandel der Zeiten. Wer in der Onkologie tätig ist, sollte sie auf keinen Fall verpassen.“ Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onklologie und Hämatologie: „Eine gute und umfassende Krebsbehandlung besteht heute nicht nur aus Hightech-Präzisionsmedizin, sondern muss vor allem auch die vielfältigen Emotionen und Belastungen berücksichtigen, die eine Krebsdiagnose bei allen Beteiligten auslöst: Bei den betroffenen Patienten und ihren Angehörigen, bei ihrem gesamten Lebensumfeld, aber auch beim Behandlungsteam.” Privatdozentin Dr. Bettina Hitzer, Medizinhistorikerin, Initiatorin und wissenschaftliche Beraterin der Ausstellung: „Gefühle galten lange als ahistorisch. Heute hat man erkannt, wie stark Gefühle kulturell geprägt und damit historisch wandelbar sind. Diese Erkenntnis wirft ein völlig neues Licht auf die Geschichte von Krankheiten wie Krebs. Gefühle spielten hier eine wichtige, bislang aber viel zu wenig beachtete Rolle. Der Blick zurück in diese komplexe Vergangenheit eröffnet zugleich Perspektiven für den gegenwärtigen Umgang mit Krebs.” Dr. Anne Schmidt, Historikerin und Kuratorin der Ausstellung: „Beim Rundgang durch die Ausstellung begegnen die Besucher:innen der Krankheit Krebs wie viele Patient:innen: zunächst im Rahmen von Aufklärungskampagnen, später im Gespräch mit Ärzt:innen, dann während der Therapien. Der Rundgang informiert über verschiedene und sich wandelnde Sichtweisen auf den Zusammenhang von Krebs und Emotionen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen der Menschen, die an Krebs erkrankten und die ihrer Angehörigen.” Katalog Der Katalog zur Ausstellung ist für eine Schutzgebühr von 6 Euro über bmm(at)charite.de erhältlich. Ringvorlesung Die erste von vier Vorlesungen in der Hörsaalruine des BMM findet am Donnerstag, den 7. September, 18 Uhr s. t. zum Thema Krebsforschung – neue Ansätze statt. Das Podiumsgespräch mit Prof. Angelika Eggert, Prof. Ulrich Keilholz und Prof. Susanne Michl wird von Prof. Thomas Schnalke moderiert. Weitere Termine der Ringvorlesung unter https://bmm-charite.de/ausstellungen#veranstaltungen. Der Eintritt ist frei.
Neurologische Autoimmunerkrankungen im Zentrum
- 11-07-2023Wie entstehen neurologische Erkrankungen, die durch Antikörper ausgelöst oder beeinflusst werden? Wie lassen sie sich besser diagnostizieren und vor allem behandeln? Das untersucht die neue Klinische Forschungsgruppe „BecauseY“ unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Von einem innovativen Behandlungsangebot werden insbesondere Patient:innen profitieren, bei denen eine Antikörper-vermittelte neurologische Erkrankung auf den ersten Blick gar nicht vermutet wurde. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert den Verbund mit 6,2 Millionen Euro für zunächst vier Jahre. Entzündliche neurologische Erkrankungen können durch Infektionserreger wie Viren, Bakterien oder Pilze verursacht werden oder durch Autoimmunprozesse, die körpereigenes Hirn- oder Nervengewebe schädigen. Hierbei können bei einer Reihe von Patient:innen sogenannte neuronale Autoantikörper die Kommunikation zwischen den Nervenzellen beeinträchtigen und so Autoimmunerkrankungen des Nervensystems auslösen. Dass Antikörper Krankheiten wie Demenz, Epilepsie, Psychosen oder schwere Hirnentzündungen (Autoimmun-Enzephalitis) hervorrufen können, ist eine relativ neue Erkenntnis, die die Neurologie und Psychiatrie grundlegend verändert hat. „Die derzeitige Forschung legt nahe, dass noch viele weitere neurologische und psychiatrische Symptome mit fehlgeleiteten Immunprozessen, also Autoimmunität, zusammenhängen. Zudem könnten Autoantikörper bei einer Vielzahl von Erkrankungen zusätzliche krankheitsverändernde Auswirkungen haben“, erklärt Prof. Dr. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité und Sprecher der Klinischen Forschungsgruppe. „Hier besteht ein riesiger Forschungsbedarf. Deshalb möchten wir mit unserem neuen Verbund das Entstehen und die Krankheitsmechanismen von Antikörper-vermittelten neurologischen Erkrankungen noch genauer untersuchen und so besser verstehen lernen.“ Zentrum zur Erforschung und Behandlung Antikörper-vermittelter neurologischer Erkrankungen Die Klinische Forschungsgruppe wird entsprechend die Häufigkeit, die Angriffspunkte und die Funktionen von Autoantikörpern bei neurologischen Erkrankungen bestimmen, neue diagnostische Tests und bildgebende Verfahren für das Gehirn sowie innovative Therapien entwickeln. Struktureller Kern ist ein Zentrum, in dem grundlagenwissenschaftlich und klinisch tätige Forscherinnen und Forscher eng zusammenarbeiten: einerseits vor Ort in der Klinik für Neurologie, andererseits auch in verschiedenen Laboren der Projektpartner. Proben der Patient:innen wie zum Beispiel Blut oder Gehirnwasser werden unmittelbar in der Forschung verwendet und im Umkehrschluss werden Erkenntnisse aus dem Labor in Therapiestudien angewendet. „Ein solches Zentrum mit explizitem Fokus auf Antikörper-vermittelten Erkrankungen ist bislang nicht etabliert“, sagt Prof. Dr. Harald Prüß, ebenfalls von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie und Koordinator der Klinischen Forschungsgruppe und ergänzt: „Hier setzen wir mit BecauseY an. Wir werden Patient:innen nicht nur ganzheitlich unter einem personalisierten Ansatz durch den gesamten Krankheitsverlauf begleiten, sondern gleichzeitig die zugrundeliegenden Autoantikörper nachbauen, deren Funktionsweise verstehen und neue Therapien anwenden. Durch diese Schnittstelle zwischen experimenteller und klinischer Forschung werden unsere Ergebnisse Betroffenen unmittelbar zugutekommen.“ Die Wissenschaftler:innen gehen aktuell außerdem davon aus, dass bestimmte Autoantikörper auch eine Rolle bei Erkrankungen spielen, die bis dato noch nicht im Zusammenhang mit Autoimmunität gesehen wurden, beispielsweise dem Schlaganfall, neurodegenerativen Demenzen oder Entwicklungsstörungen. Daraus ergeben sich wiederum gänzlich neue therapeutische Ansätze.
Dreifachtherapie führt zu langanhaltender Verbesserung bei Mukoviszidose
- 07-07-2023Der Schleim in den Atemwegen ist weniger zäh, die Entzündung in der Lunge geht deutlich zurück: Diese positiven und langanhaltenden Effekte kann eine Dreifachtherapie bei Patient:innen mit Mukoviszidose erzielen. Das belegen Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center jetzt in der Fachzeitschrift European Respiratory Journal*. Die Medikation lindert demnach die Lungenerkrankung bei vielen Betroffenen. Bereits vor zwei Jahren zeigte eine Forschungsgruppe unter Leitung der Charité, dass die Kombinationstherapie mit den drei Wirkstoffen Elexacaftor, Tezacaftor und Ivacaftor für einen großen Teil der Patient:innen mit der Erbkrankheit Mukoviszidose wirksam ist, also die Lungenfunktion und Lebensqualität spürbar verbessert. Jetzt hat das Team um Prof. Dr. Marcus Mall, damaliger und aktueller Studienleiter, erstmals untersucht, inwiefern diese Therapie auch langfristig, das heißt über mindestens zwölf Monate hinweg, hilft. Dafür haben die Forschenden das Sputum, das Atemwegssekret, genauer betrachtet. „Bei Patient:innen mit Mukoviszidose ist der Schleim in den Atemwegen sehr zäh, weil er zu wenig Wasser enthält und die schleimbildenden Moleküle, die sogenannten Muzine, zu stark chemisch miteinander verklebt sind. Der daraus resultierende zähe Schleim verstopft die Atemwege, erschwert damit die Atmung und führt bei den Betroffenen zu einer chronischen bakteriellen Infektion und Entzündung der Lunge“, erklärt Prof. Mall, Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin und des Christiane Herzog Mukoviszidose-Zentrums der Charité. Die Wissenschaftler:innen zeigen in der aktuellen Studie, dass die Dreifachtherapie mit Elexacaftor, Tezacaftor und Ivacaftor bei Patient:innen mit Mukoviszidose, auch Cystische Fibrose genannt, dafür sorgt, dass das Atemwegssekret weniger zäh ist und die Entzündung und die bakterielle Infektion in der Lunge abnehmen. „Und das über die gesamte Dauer der Studie von einem Jahr. Das ist deshalb so bedeutsam, weil frühere Medikationen wieder zu einem Anstieg der Bakterienlast in den Atemwegen geführt hatten“, erläutert Dr. Simon Gräber, ebenfalls von der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin der Charité und Co-Leiter der Studie. An dieser nahmen 79 Jugendliche und Erwachsene mit Mukoviszidose und einer chronischen Lungenerkrankung teil. Erfolg für die Behandlung von Mukoviszidose, weitere Forschung wichtig „Das ist ein toller Erfolg für die Behandlung der Cystischen Fibrose“, sagt Prof. Mall. „Gleichwohl können wir noch nicht von einer Normalisierung oder gar Heilung der Patient:innen sprechen. Chronische, über viele Jahre der Erkrankung entstandene Lungenveränderungen lassen sich leider nicht rückgängig machen.“ Für Betroffene mit einer fortgeschrittenen Lungenerkrankung bleiben deshalb etablierte Behandlungsansätze mit Inhalationen von schleimlösenden Medikamenten und Antibiotika sowie Physiotherapie wichtig. „Wir werden weiterhin intensiv daran forschen, wie Therapien, die Mukoviszidose über die krankheitsverursachenden molekularen Defekte angreifen – wie die jetzt untersuchte Dreifachmedikation – noch effektiver werden können. Hierzu gehört insbesondere ein früher Therapiebeginn im Kleinkindalter mit dem Ziel, chronische Lungenveränderungen möglichst zu verhindern“, berichtet Prof. Mall. „Außerdem steht diese Therapie für rund zehn Prozent unserer Patient:innen aufgrund ihrer genetischen Voraussetzungen aktuell nicht zur Verfügung“, ergänzt Dr. Gräber. „Daher forschen wir auch mit Hochdruck an neuen molekularen Therapieansätzen, um alle Menschen mit Mukoviszidose effektiv behandeln zu können.“ Zudem arbeiten die Wissenschaftler:innen daran, die Fehlfunktion des Schleims bei Mukoviszidose besser zu verstehen und neue schleimlösende Wirkstoffe zu entwickeln. Davon könnten dann ebenfalls Patient:innen mit häufigen chronisch-entzündlichen Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD profitieren.
10 Millionen Euro für die bessere Behandlung der Multiplen Sklerose
- 06-07-2023Weil sie so unterschiedlich verläuft, gilt die Multiple Sklerose (MS) als die „Krankheit mit tausend Gesichtern“. Die Komplexität der Erkrankung macht auch ihre Behandlung schwierig. Ein internationales Konsortium unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin möchte das ändern: Es will eine KI-gestützte Online-Plattform entwickeln, die den Verlauf der MS individuell vorhersagen kann. Das soll es leichter machen, die jeweils beste Therapie festzulegen. Das Projekt „Clinical impact through AI-assisted MS care" (CLAIMS) wird jetzt im Rahmen der Innovative Health Initiative der EU für vier Jahre mit knapp 10 Millionen Euro gefördert. Bei der Multiplen Sklerose greift das Immunsystem das zentrale Nervensystem an. Je nachdem, welche Nervenfasern geschädigt werden, kann das zu Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen, Müdigkeit, Konzentrationsproblemen, motorischen und weiteren neurologischen Einschränkungen führen. Weltweit sind über 2,8 Millionen Menschen von der schwerwiegenden Autoimmunkrankheit betroffen, in Deutschland sind es rund 250.000. 70 bis 80 Prozent der Erkrankten sind Frauen. Heilbar ist MS nicht, ihr Verlauf lässt sich jedoch mithilfe von Medikamenten und weiteren Maßnahmen günstig beeinflussen. Dafür ist es elementar, dass die Behandlung möglichst individuell zugeschnitten ist. „Mit dem Projekt CLAIMS wollen wir die Behandlung von Menschen mit MS noch stärker personalisieren“, erklärt Prof. Dr. Friedemann Paul, Koordinator der Initiative und Direktor des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung von Charité und Max Delbrück Center. „Dazu werden wir Vorhersagemodelle entwickeln, die den Krankheitsverlauf für jede Patientin und jeden Patienten auf Basis der individuellen Daten prognostizieren und die Wirkung verschiedener Medikamente simulieren können. Wichtiger Bestandteil ist dabei die Einbeziehung der Betroffenen.“ 15 Partner aus 9 Ländern erforschen Multiple Sklerose Für die Entwicklung der Plattform vereint das Konsortium die klinische, wissenschaftliche, technische und kommunikative Expertise von 15 öffentlichen und privaten Partnern aus neun verschiedenen Ländern – von Klinika über Universitäten zu kleinen und großen Unternehmen sowie einer Stiftung. In die Algorithmen einfließen sollen klinische Daten wie MRT-Bilder und Ergebnisse aus Blut- und Augenuntersuchungen, und zwar über den Verlauf der Krankheit hinweg. Zusätzlich sollen Patient:innen über eine App selbst Angaben zu ihren Symptomen, ihrem Befinden und auch finanziellen Belastungen beitragen können. Die Informationen werden pseudonymisiert und datenschutzkonform übermittelt, analysiert werden sie mit neuesten Deep-Learning-basierten KI-Modellen. Die Plattform soll dabei auch zusätzlich bestehende Krankheiten berücksichtigen können. Ziel ist ein möglichst umfassendes Bild der individuellen MS-Erkrankung. Gleichzeitig verspricht sich das Forschungsteam, noch mehr über die Multiple Sklerose zu erfahren – beispielsweise wie sie sich mit oder ohne Krankheitsschübe entwickelt. „Wir hoffen, dass der ganzheitliche Blick künftig ermöglicht, dass jeder und jede MS-Betroffene zum richtigen Zeitpunkt das richtige Medikament erhält“, erklärt Prof. Paul. „Ich bin überzeugt, dass wir so die Lebensqualität und Prognose der Menschen mit MS deutlich verbessern können.“
Immunschwäche nach schwerer Verletzung des Rückenmarks
- 28-06-2023Nach einem Unfall oder einer schweren Verletzung können Nervenbahnen im Rückenmark geschädigt oder durchtrennt sein. Man spricht von einer Querschnittlähmung. Je nach Lage der Verletzung sind unterschiedliche Teile des Körpers von Ausfällen und Lähmung betroffen. Forschende unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben jetzt untersucht, inwiefern Rückenmarksverletzungen auch zu einer eingeschränkten Immunfunktion beitragen. Im Fachmagazin Brain* beschreiben sie unter anderem, wie komplette Querschnittlähmungen zu Immunschwäche und einem erhöhten Infektionsrisiko führen. Diese können die neurologische Erholung behindern oder gar lebensbedrohlich sein. Vorbeugung hingegen kann die Risiken mindern. Akut querschnittgelähmte Patient:innen sind besonders anfällig für Infektionen, etwa für Atem- oder Harnwegsinfekte. Die genaue Ursache dafür war lange Zeit unklar. Komplikationen dieser Art sind im schlimmsten Fall tödlich oder aber sie beeinträchtigen die Regeneration. Ob das Immunsystem direkt betroffen ist und bei einer Verletzung des Rückenmarks Schaden nimmt, dieser Frage ist ein internationales Forschungsteam nun systematisch nachgegangen. „Wir wollten wissen, ob die Immunschwäche nach einer Rückenmarkverletzung von der Schwere und Höhe der Schädigung abhängt, ähnlich wie es bei einer Lähmung der Muskulatur der Fall ist“, sagt Dr. Marcel Kopp, Wissenschaftler im Bereich Experimentelle Neurologie der Charité. Verursacht wird die Querschnittlähmung durch eine teilweise oder komplette Durchtrennung des Rückenmarks. Unterhalb der Verletzung können die Gliedmaßen gelähmt sein und werden nicht gefühlt. Auch Organe oder Organsysteme können betroffen sein, denn wichtige Nervenverbindungen im Rückenmark sind unterbrochen. Das größte Risiko für Menschen, die eine akute Querschnittlähmung erlitten haben, sind in den ersten Wochen erworbene Infektionen mit nachfolgender Sepsis, einer Blutvergiftung. Sie zu verhindern, ist ein wesentliches Ziel. Denn Infektionen stellen nicht nur ein Risiko für das Überleben der Patient:innen dar, sie behindern auch eine bestmögliche Erholung neurologischer und motorischer Funktionen. Lokal ansetzende Therapien oder neue präventive und immunwirksame Behandlungen könnten die Ergebnisse einer Rehabilitation verbessern. Biomarker verweisen auf Infektionsrisiko Die Forschenden gehen davon aus, dass es infolge der schweren Verletzung zu einer gestörten Kommunikation zwischen dem Gehirn und Teilen des autonomen Nervensystems im Rückenmark kommt. Die ausbleibende Koordination von Nerven- und Immunsystem mündet schließlich in einer systemischen Immunschwäche. Marker im Blut, die mit einem solchen Defizit einhergehen, sollen dabei helfen, die Infektionsanfälligkeit von Patient:innen frühzeitig individuell abzuschätzen und zu behandeln. Welche Blutveränderungen sind also spezifisch für eine akute Rückenmarkverletzung? Und sind diese Veränderungen abhängig von der Lage und Schwere der Verletzung? „Um dies festzustellen, haben wir im Blut von akut querschnittgelähmten Patient:innen die Menge eines spezifischen Zelloberflächenmoleküls auf bestimmten Immunzellen, den Monozyten, untersucht. Das Molekül trägt den Namen mHLA-DR und ist ein bewährter Biomarker zum Abschätzen der Immunkompetenz bei intensivmedizinischen Patient:innen“, erklärt Dr. Kopp. Die Ergebnisse aus Gruppen von Betroffenen mit jeweils unterschiedlichen Verletzungen des Rückenmarks wurden anschließend mit Ergebnissen von Patient:innen verglichen, bei denen lediglich eine Verletzung der Wirbelkörper vorlag, bei noch intaktem Rückenmark. „Für schwerwiegende Rückenmarkverletzungen konnten wir nachweisen, dass eine reduzierte Anzahl von HLA-DR-Molekülen pro Monozyt zu einer Deaktivierung dieser Immunzellen führt. Da die Vorläufer der Fresszellen eine wichtige Komponente der Immunabwehr sind, lässt sich anhand dieses Markers die Anfälligkeit für schwere Infektionen und Sepsis bei kritisch kranken Menschen vorhersagen“, so der Wissenschaftler. Je höher und schwerer die Verletzung, umso ausgeprägter die Immunschwäche Eine Immunschwäche nach Rückenmarkverletzung wird auch Spinal Cord Injury-induced Immune Deficiency Syndrome (SCI-IDS) genannt. Wie die aktuelle Studie zeigt, ist sie bei Patient:innen mit schweren, neurologisch vollständigen Rückenmarkverletzungen oberhalb der Brustwirbelsäule am stärksten ausgeprägt. Das zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit Patient:innen, die nur eine leichtere Verletzung im Bereich der unteren Brust- oder Lendenwirbelsäule erlitten hatten. Insgesamt sind Rückmarkverletzte deutlich stärker betroffen als Patienten:innen mit einer reinen Wirbelsäulenverletzung ohne Beteiligung des Rückenmarks. „Die Rückenmarkverletzung an sich, die Verletzungshöhe und die Schwere der Läsion sind entscheidende Faktoren beim Entstehen der sogenannten neurogen-vermittelten Immunschwäche“, schließt Prof. Jan Schwab, Leiter der multizentrischen Studie mit insgesamt etwas mehr als einhundert akut Verletzten. Besonders hoch ist das Risiko für beispielsweise eine lebensbedrohliche Lungenentzündung bei Patient:innen mit stark ausgeprägter Immunschwäche. Auch kann neben der zellulären Immunabwehr das Immungedächtnis mitbetroffen sein. Beobachtet wurde dies vor allem bei Rückenmarkverletzten mit schweren und hoch liegenden Schäden. Prof. Schwab kommt zu dem Schluss: „Erworbene Infektionen sind bei Querschnittlähmung eine schwerwiegende Komplikation. Ein möglichst frühes Erkennen besonders gefährdeter Patient:innen ist daher wesentlich, um das Überleben und die Selbstständigkeit im späteren Alltag dieser Menschen zu verbessern.“ Die nun folgenden Untersuchungen müssen zeigen, ob eine Behandlung der Immunschwäche tatsächlich zu besseren Ergebnissen bei dieser vulnerablen Patientengruppe führt.
Perspektiven für die Gesundheitsversorgung in Europa schaffen
- 16-06-2023Wie kann eine Gesundheitsversorgung in 10, 20 oder 30 Jahren, kurzum in der Zukunft aussehen? Werden Mediziner:innen mit künstlicher Intelligenz Diagnosen stellen? Nutzen Ärzt:innen Big-Data-Analysen, um Krankheitsverläufe im Voraus zu bestimmen? Bleiben wir dank modernster Vorsorge länger gesund? Heute hat die Charité – Universitätsmedizin Berlin in London die Präsidentschaft der European University Hospital Alliance (EUHA) für die kommenden Monate übernommen. Ganz oben auf der gesundheitspolitischen Agenda: die nachhaltige Gestaltung der Gesundheitssysteme in Europa, damit sie dem demografischen Wandel, einer voranschreitenden Digitalisierung und dem erheblichen Mangel an Fachpersonal gerecht werden können. In London sind Führungskräfte und Expert:innen der EUHA zur halbjährlichen Mitgliederversammlung und einem Symposium mit dem Titel „Rethinking European Health Systems: Creating the Sustainable Health Workforce of the Future“ zusammengekommen. Was sie bewegt, ist die Dringlichkeit einer Reform der europäischen Gesundheitssysteme. Fast alle Länder Europas stehen vor der Herausforderung, eine alternde Bevölkerung zu versorgen. In fast allen Ländern fehlt Personal, mangelt es an Ressourcen, kommt es zu Engpässen. Unterdessen entstehen beinahe täglich, insbesondere im Umfeld der Universitätsmedizin, neuartige Konzepte zur Versorgung von Patient:innen oder tragen Erkenntnisse der biomedizinischen Forschung zu innovativen Therapieansätzen bei. Wie also lassen sich die europäischen Gesundheitssysteme unter diesen Voraussetzungen zukunftssicher aufstellen? Wie können Arbeitskräfte gewonnen und bestmöglich ausgebildet werden? Kann ein langes Erhalten von Gesundheit durch neuartige Präventionskonzepte der Schlüssel zu einer bestmöglichen Versorgung aller sein? „Diese drängenden Fragen gilt es anzugehen“, sagt Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité. „Die COVID-19-Pandemie hat einmal mehr den Handlungsbedarf aufgezeigt: Wir müssen europaweit gemeinsame Standards in der Gesundheitsversorgung erarbeiten, Kooperationen in der biomedizinischen Forschung stärken und gemeinsam ein Konzept für die Ausbildung der Mediziner:innen und Gesundheitsfachkräfte von morgen entwickeln. Dabei ist eine Bündelung von Ressourcen wichtig, denn nur so können wir den Herausforderungen mit innovativen Ansätzen begegnen.“ Charité löst King’s Health Partners ab Mit ihrer Verantwortung für die Versorgung von Patient:innen, für Forschung und Ausbildung kommt Universitätskliniken eine besondere Rolle in dem notwendigen Transformationsprozess zu. Mit dem heutigen Tag übernimmt die Charité den Vorsitz der EUHA und damit die Federführung für diesen Prozess in den kommenden Monaten. Sie löst das Londoner Universitätsklinikum King’s Health Partners ab und wird die aktuellen Themen gemeinsam mit dem schwedischen Karolinska University Hospital angehen, da sie von besonderer Tragweite sind. Das Karolinska University Hospital wird im November die darauffolgende Präsidentschaft antreten. „Das Ziel unserer Präsidentschaft ist es, die Plattform der EUHA zu nutzen und zu erweitern, damit wir in Europa einerseits besser auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet sind, beispielsweise auf neue Infektionskrankheiten oder Krisenfälle, und andererseits voneinander lernen, um unsere Gesundheitssysteme zukunftssicher aufzustellen“, sagt Prof. Kroemer. Das betrifft in besonderem Maße den Bereich Digital Health und den Aufbau eines gemeinsamen European Health Data Space, damit Gesundheitsdaten länderübergreifend für Versorgung und Forschung nutzbar werden. Es gehe darum, die Systeme und Strukturen europaweit auszubauen und intelligente Tools zu entwickeln: „Im digitalen Zeitalter muss das Gesundheitswesen zugunsten medizintechnischer Neuerungen und einer patientenzentrierten Medizin befähigt werden, große Mengen an klinischen Daten konsequent verarbeiten und damit auch nutzen zu können“, so der Vorstandsvorsitzende der Charité. Wie dies umgesetzt werden kann, damit beschäftigt sich das Digital Health and Data Network der EUHA, eine Arbeitsgruppe unter Charité-Leitung, die vor vier Jahren gegründet wurde. Neue Ansätze aus EUHA-Gruppen und -Netzwerken Den aktuellen Herausforderungen des Fachkräftemangels stellt sich unter anderem das 2021 ins Leben gerufene und an der Charité koordinierte Nursing Network der EUHA. Neben einer Vertretung der Interessen der Pflegenden auf europäischer Ebene stehen die Entwicklung gemeinsamer Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramme und ein Austauschprogramm für Mitarbeitende im Vordergrund. Zu den innovationstreibenden Kräften der EUHA gehört neben vielen weiteren Aktivitäten auch das European Center for Gene & Cellular Cancer Therapies (EUCCAT), an dem die Charité und das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) maßgeblich beteiligt sind. Das virtuelle Institut strebt es an, neuartige Krebstherapien erschwinglich und zugänglich zu machen. Dazu führt es Grundlagenforschung, Einrichtungen zur Herstellung von Arzneimitteln, Kapazitäten für klinische Studien und Umsetzungswissen zusammen. Perspektivisch soll damit Europas Wettbewerbsfähigkeit auf dem Gebiet von Forschung und Entwicklung sowie klinischer Anwendung von Zell- und Gentherapien gestärkt werden. „Die Entwicklung innovativer Therapien, sogenannte Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs), eine stärkere Berücksichtigung der Interessen von Patientinnen und Patienten durch das Erheben von Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) und neue Ansätze, die dazu beitragen, exzellentes Personal zu gewinnen und binden, das sind neben der Digitalisierung Kernthemen, die die Zukunft der europäischen Universitätskliniken bestimmen werden“, befindet Prof. Kroemer. „Für den Austausch von Informationen und Best Practice ist die EUHA eine exzellente Plattform. Den Aktivitäten zum Erfolg zu verhelfen, dafür wird sich die Charité im Zuge ihrer Präsidentschaft einsetzen und Kontakte zu den Institutionen der Europäischen Union sowie anderen internationalen Organisationen weiter ausbauen.“
Wieder geöffnet: Berliner Medizinhistorisches Museum
- 15-06-2023Das Berliner Medizinhistorische Museum (BMM) der Charité ist heute mit zahlreichen Gästen aus Wissenschaft, Kultur und Politik wiedereröffnet worden. Nach der dreijährigen substanziellen Modernisierung zeigt sich das Gebäude mit großzügigen Vitrinenfenstern und neu konzipiertem Eingangsbereich. Darüber hinaus wurde ein neuer Vorplatz gestaltet sowie das Innere des Gebäudes mit zeitgemäßer Museumstechnik ausgestattet. Anlässlich der Eröffnung startet zudem die Sonderausstellung „Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst“. Das Museum war ursprünglich im Juni 1899 auf Initiative Rudolf Virchows als Pathologisches Museum mit einer Schausammlung von über 20.000 Präparaten eröffnet worden. Nachdem Gebäude und Sammlung im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren, konnte das Museum erst 1998 als Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité eröffnet werden. Nach mehr als 120 Jahren wurde das Museum nun zwischen 2020 und 2023 erstmals grundlegend modernisiert und ausgebaut. Dr. Severin Fischer, Staatssekretär für Wirtschaft, Energie und Betriebe, sagte dazu: „Mit dem neu gestalteten Museum steht unserer Stadt ein weiteres Highlight zur Verfügung, welches sicherlich nicht nur für die Berlinerinnen und Berliner neue Entdeckungen bereit hält, sondern auch viele Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland anziehen wird. Ich freue mich, dass wir in der Berliner Wirtschaftsverwaltung die Modernisierung mit insgesamt 12,45 Millionen Euro im Rahmen der GRW-Förderung unterstützen konnten und das Museum nun zukunftsfest und zeitgemäß aufgestellt ist!“ Das BMM ist zudem als Ort für Studium, Lehre und Forschung eine Einrichtung der Fakultät und so erklärte Prof. Dr. Joachim Spranger, Dekan der Charité, dazu: „Das BMM ist ein Ort der Begegnung: Interessierte erfahren besondere Dinge über die mehr als 300-jährige Medizingeschichte der Charité. Es ist auch für uns als Charité wichtig zu wissen, woher wir kommen und unsere Geschichte im Guten wie im Schlechten zu kennen. Das BMM ist in diesem Sinne für uns auch ein Ort der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Besonders begeistert mich die aktuelle Ausstellung mit einer Kombination aus Kunst und aktuellen wissenschaftlichen Präsentationen.“ Zusätzlich zu den Fenstervitrinen sowie dem veränderten Vorplatz sind ein Multifunktionsraum für Museumspädagogik, ein Schaulabor und Räumlichkeiten für die Aufnahme und Ausleihe neuer Sammlungsobjekte sowie die Vorbereitung von Sonderausstellungen entstanden. Astrid Lurati, Vorstand Finanzen und Infrastruktur der Charité, betonte: „Im Namen der Charité danke ich für die Finanzierung der Modernisierungsmaßnahme in Höhe von 12,45 Millionen Euro. Diese wurde zu 90 Prozent als Gemeinschaftsaufgabe ,Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur' (GRW) und zu zehn Prozent aus Landesmitteln gefördert.“ Sie ergänzte: „Für den neuen Look haben wir die sieben Fenster im Erdgeschoss und ersten Stock herausgebrochen und die Fensterlaibungen wurden über beide Geschosse hinweg zu hochgeschossenen Vitrinenkörpern mit relativ geringer Tiefe ausgebaut.“ Jochen Brinkmann, Leiter des Geschäftsbereichs Bau der Charité, hob hervor: „Die Fenstervitrinen als neues architektonisches Element verstehen sich als Einladung, offen und ohne Berührungsängste in das Museum einzutreten, um sich mit Geschichte, Bedingungen und Zielen der Medizin an der Charité vertraut zu machen. Die Modernisierung des Hauses beinhaltete ebenso die Erneuerung der touristischen Infrastruktur sowie die vollständige Erneuerung der Haustechnik auf allen sieben Etagen.“ Ergänzend zur Modernisierungsmaßnahme wurde als Projekt "Kunst am Bau" ein Bronzemodell des historischen Campusgeländes mit seinen markanten Gebäuden gestalten. Dieses ist für alle Besuchenden gut sichtbar, wenn sie zum Museum gehen. Darüber hinaus bietet das topografische Bronzemodell eine gute Orientierung auf dem geschichtsträchtigen Campus. Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, skizzierte, was das BMM ausmacht: „Mit der architektonischen Neugestaltung, den zusätzlichen Räumen und einer modernen museumstechnischen Infrastruktur bildet das Museum eine einzigartige Schnittstelle zwischen Medizin und Öffentlichkeit. Worum es auch in unserem neuen Medizinhistorischen Museum bis heute geht, ist ein Dreiklang: Das Zusammenspiel von Objektgehalt, Immersion und Transparenz.“ Er ergänzte: „Wir sind glücklich, dass die Modernisierung erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Und auch wenn das Museum mehr als 120 Jahre alt ist, ist es absolut fit für die Gegenwart und die Zukunft. Wir freuen uns auf viele weitere kreative und wissenserweiternde Ausstellungen in unserem neuen alten Museum.“ Sonderausstellung „Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst“ Mit der Sonderausstellung wird das BMM wiedereröffnet und widmet sich einem außerordentlich dynamischen medizinischen Feld. Die Neurowissenschaften beschäftigen sich mit dem zentralen Körperorgan. Wissenschaftlich gilt das Gehirn in seinen Strukturen und Funktionen noch in vielerlei Hinsicht als unverstanden und die Neurowissenschaft unternimmt die größten Forschungsanstrengungen, um dies zu ändern. Die Ausstellung bietet allen Interessierten einen Blick hinter die Kulissen. Sie zeigt, wie detailliert sich die Landkarte des Gehirns inzwischen zeichnen lässt, wo Wahrnehmung, Empfinden, Erinnern und Denken sitzen. Und wie sich die einzelnen Hirnregionen zu höheren Funktionseinheiten vernetzen und welche medizinischen Möglichkeiten inzwischen zielgenau genutzt werden können, wenn die Hirnleistung eingeschränkt ist. Darüber hinaus weitet die Ausstellung den Blick und zeigt in etlichen Werken überragende künstlerische Positionen, die das Gehirn als Projektionsfläche für das Menschsein in all seinen Dimensionen ausdeuten. Die Ausstellung war zunächst 2022 für die Bundeskunsthalle in Bonn unter maßgeblicher Mitarbeit von Neurowissenschaftler:innen der Charité konzipiert und realisiert worden. Für die Präsentation im BMM erfolgte eine thematische Anpassung und als besonderer Schwerpunkt eine ergänzende Präsentation aktueller Forschungs-, Diagnose- und Behandlungsansätze der Charité. In einzelnen Ausstellungsstationen geben Neurowissenschaftler:innen Einblicke in rund 20 Themenfelder und den Neuro-Kosmos der Charité. Es geht unter anderem um moderne Bildgebung, Gedankenlesen, Hirnsimulation und Hirnstimulation, Gehirn-PC-Schnittstellen, Bewegungsstörungen, Sucht und Schlaganfall und als besondere Herausforderung um Autoimmunität, Alzheimer und Demenz sowie um neurochirurgische Eingriffe am wachen Patienten. Die Ausstellung ist vom 16. Juni 2023 bis 28. Januar 2024 zu sehen. Erweiterte Dauerausstellung In der Dauerausstellung des BMM gehen die Besucher:innen auf eine Zeitreise und folgen der Herausbildung und Ausgestaltung der naturwissenschaftlich begründeten Medizin westlicher Prägung. Sie treten dabei durch verschiedene Aktionsräume: Anatomisches Theater, Anatomisches Museum, Krankensaal, Labor, Seziersaal, Studien- und Lehrsammlung. Die Besucher:innen erfahren vieles aus der Geschichte der Charité, aber auch zu den Gefährdungen und Abgründen, denen die Medizin, etwa zu Zeiten des Nationalsozialismus, erliegen kann, wenn sie das ethische Ziel ihres Denkens, Forschens, Lehrens und Handelns zum Wohl des Einzelnen aus den Augen verliert. Neu ist beispielsweise eine Tür ins Depot – nicht ins reale des BMM, vielmehr in ein realistisch inszeniertes. Depotdinge, wie sie typischerweise im Museum einlagern – medizinische Geräte, Modelle, Instrumente, Lehrtafeln – zeigen sich hier eng an eng. An einem größeren Monitor sehen die Besucher:innen virtuell weitere Depotobjekte, können sich ihnen und ihren zugehörigen Kontexten nähern und letztlich eintauchen in den faszinierenden Kosmos der Objektgeschichten. Sonderöffnungszeiten und freier Eintritt Anlässlich der Eröffnung erweitert das BMM die Öffnungszeiten und ist am 16. und 18. Juni von 10:00 bis 20:00 Uhr sowie im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften am 17. Juni von 10:00 bis 00:00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist an allen drei Tagen kostenfrei.
Das Neuroblastom unter der Lupe
- 02-06-2023Das Neuroblastom ist die dritthäufigste bösartige Krebserkrankung bei Kindern. Die Heilungschancen sind sehr unterschiedlich, insbesondere bei fortgeschrittenen Fällen wird der Tumor aber leider oft resistent gegen die Therapie und ist bereits bei Diagnosestellung metastasiert. Um die Behandlungsmöglichkeiten für diese Kinder zu verbessern, wollen Forschende unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin in dem Sonderforschungsbereich „Entschlüsselung evolutionärer Mechanismen beim Neuroblastom“ nun genauer untersuchen, wie ein solcher Tumor eigentlich entsteht und sich weiterentwickelt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben für zunächst knapp vier Jahre mit rund 13,5 Millionen Euro. Neuroblastome sind Tumore, die sich häufig im Bauchraum oder entlang der Wirbelsäule entwickeln. Sie entstehen dadurch, dass bestimmte Zellen des Nervensystems sehr früh in der Körperentwicklung entarten – möglicherweise bereits vor der Geburt. Deshalb sind vor allem Kleinkinder bis zu einem Alter von sechs Jahren und manchmal sogar Neugeborene betroffen. Charakteristisch ist, dass Neuroblastome stark unterschiedliche klinische Verläufe zeigen: Manche bilden sich spontan zurück, andere wachsen sehr aggressiv. Die aggressiven Formen lassen sich zwar oft zunächst erfolgreich behandeln, kehren aber in vielen Fällen wieder zurück und streuen auch in andere Organe. Das ist der Grund dafür, dass noch immer mehr als die Hälfte der Kinder mit einem Hochrisiko-Neuroblastom ihre Erkrankung nicht überleben. „Um die Heilungschance dieser Kinder zu erhöhen, müssen wir besser verstehen, was genau im Tumorgewebe im Verlauf der Therapie passiert“, sagt Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité und Sprecherin des jetzt für drei Jahre und neun Monate bewilligten Sonderforschungsbereichs. „Sobald wir die Treiber der Neuroblastom-Evolution kennen, wollen wir darauf abzielend neue Therapien entwickeln. Unser Ziel ist, in Zukunft für jeden individuellen Fall abschätzen zu können, wie die Krankheit verlaufen wird, und dann mit passgenauen Therapien eine Rückkehr des Tumors zu verhindern.“ Die Forschenden gehen davon aus, dass verschiedene Zelltypen im Gewebe eines jeden Neuroblastoms ihre Eigenschaften auf unterschiedliche Art und Weise verändern, wenn sie Krebsmedikamenten ausgesetzt sind oder sich in andere Körperbereiche bewegen. „Anders als bisher angenommen deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass die Tumorzellen nicht nur auf genetischem Wege evolvieren, sich also nicht nur Fehler im Erbgut anhäufen“, erklärt Prof. Eggert, die auch Sprecherin des Standorts Berlin im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) und Co-Direktorin des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Berlin ist. „Stattdessen gibt es offenbar zusätzliche nichtgenetische Faktoren, die das Verhalten der Tumorzellen beeinflussen, wie zum Beispiel chemische Veränderungen an Proteinen.“ Um diesen ungewöhnlich komplexen Prozess der Tumorentwicklung im Detail zu untersuchen, plant der Forschungsverbund, Neuroblastom-Gewebe Zelle für Zelle umfassend zu analysieren. Mit neuesten Methoden wollen die Forschenden katalogisieren, was in den Tumorzellen auf Ebene der DNA, RNA, Epigenetik und Proteine passiert. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz soll anschließend helfen, neue Angriffspunkte für gezielte Kombinationstherapien zu identifizieren. Dazu bündelt der Forschungsverbund die einschlägige Expertise von Wissenschaftler:innen der Charité, des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), des Max Delbrück Centers, der Universität zu Köln, der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), der Eberhard Karls Universität Tübingen sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Prof. Eggert ist überzeugt, dass eine interdisziplinäre und institutionsübergreifende Herangehensweise, die hohe klinische und wissenschaftliche Expertise, aber auch technologische und datenwissenschaftliche Innovation vereint, der vielversprechendste Ansatz ist, um neue Therapiestrategien zu entwickeln – für das Neuroblastom, aber auch andere komplexe Krankheitsbilder.
SOLOMIYA: Ein Jahr Unterstützung der psychosozialen Versorgung in der Ukraine
- 31-05-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin koordiniert das Netzwerk SOLOMIYA zur psychosozialen Unterstützung der Menschen in der Ukraine. Gestartet ist SOLOMIYA – ukrainisch für Frieden – im letzten Frühjahr und bringt Kliniken in Deutschland und der Ukraine partnerschaftlich zusammen. Ziel ist es weiterhin, die Bereiche psychische Gesundheit, Notfallversorgung und Traumatologie zu stärken sowie mit dringend benötigten Medikamenten zu unterstützen. Das Projekt wird mit 6,2 Millionen Euro vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert und von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt. Vor einem Jahr hat ein Team um Dr. Solveig Kemna, Dr. Valentyna Mazhbits und Prof. Dr. Malek Bajbouj entschieden, die Menschen in der Ukraine mit einem Netzwerk zu mentaler Gesundheit zu unterstützen. Für die Kolleg:innen von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Benjamin Franklin war unverkennbar, dass der Krieg die medizinische Grundversorgung stark beeinträchtigen und psychologische Hilfe noch wichtiger wird. Durch Ungewissheit in Krisensituationen und Sorgen um die Familie nehmen psychische Erkrankungen, wie beispielsweise Angststörungen, Depressionen und Psychosen, häufig weiter zu. Von dem geplanten dynamischen und bedarfsgerechten Netzwerk sollen sowohl Patient:innen als auch Gesundheitsfachkräfte profitieren. Zunächst kooperierte die Charité mit sechs Institutionen von Lviv über Kiew bis Charkiw. Die Zusammenarbeit erfolgt sowohl virtuell als auch in Präsenz. Das zwölfköpfige Charité-Team sorgt dafür, dass notwendige Medikamente und medizinische Hilfsmittel dorthin kommen, wo sie gebraucht werden. Darüber hinaus haben die deutsch-ukrainischen Klinikpartner die Behandlung von Patient:innen mit psychiatrischen Erkrankungen noch einmal auf notfallmedizinische und traumatologische Fälle ausgeweitet. Mittlerweile engagieren sich im Projekt SOLOMIYA 34 Institutionen in Deutschland und der Ukraine. In rund einem Jahr konnten über das Netzwerk Medikamente und medizinische Hilfsgüter geliefert und damit seit Mai 2022 mehr als 20.000 Patient:innen versorgt werden. Über Online-Workshops und Apps wurde den Kolleg:innen Wissen zur psychologischen Ersthilfe, der Betreuung von Personal, zur Burnout-Prävention, zu Resilienztrainings von Gesundheitspersonal sowie der psychischen Gesundheit von Müttern weitergegeben. Zudem wurden eine Online-Sprechstunde etabliert und digitale Infrastruktur geschaffen; hierzu gehört u.a. der Chatbot „Friend“, der bisher mehr als 100.000 Nutzer:innen unterstützen konnte. Darüber hinaus entwickelt das Team spezifische Trainings für Führungskräfte im ukrainischen Gesundheitswesen und Apps für Patient:innen mit chronischen Stress- und Schlafstörungen. Prof. Bajbouj betont: „Menschen in Kriegsgebieten und auf der Flucht sind in einer psychischen Ausnahmesituation, sie sind äußerst gestresst und viele von ihnen sind traumatisiert. Wir helfen den Betroffenen, diese Situationen besser verarbeiten zu können und haben unter anderem eine telemedizinische Beratungsplattform gestartet, führen Trainings durch, haben Handbücher für Erste-Hilfe-Maßnahmen erstellt und entwickeln weitere digitale Unterstützungsangebote.“
4,6 Millionen Euro für neuartige CAR-T-Zelltherapie
- 26-05-2023Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des Max Delbrück Center In der Behandlung bestimmter Blut- und Lymphdrüsenkrebsformen haben sich CAR-T-Zellen, im Labor gentechnisch aufbereitete Immunzellen der Patient:innen, bewährt. Doch die Krebsimmuntherapie kann noch effektiver werden. Eine gemeinsame klinische Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center erhält dafür eine Förderung in Millionenhöhe vom Bundesforschungsministerium. CAR-T-Zelltherapien sind oft der letzte Ausweg für Patient:innen mit bestimmten Formen von Blut- oder Lymphdrüsenkrebs, die auf gängige Behandlungen nicht ansprechen. Dabei werden Immunzellen (T-Zellen) der Erkrankten im Labor mit einem sogenannten chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet – einem kleinen Fühler, der Körperzellen abtastet und nach spezifischen Eigenschaften von Krebszellen sucht. Zurück im Körper des Patienten oder der Patientin, spüren sie genau das Oberflächenmolekül auf, auf das sie ausgerichtet sind, und töten die Tumorzellen ab. Die Arbeitsgruppen von Privatdozentin Dr. Uta Höpken und Dr. Armin Rehm am Max Delbrück Center haben einen Ansatz für eine neuartige CAR-T-Zelltherapie gegen eine Form des Lymphdrüsenkrebses entwickelt, die von den B-Lymphozyten ausgeht: das B-Non-Hodgkin-Lymphom. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Keller und Prof. Dr. Lars Bullinger an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Campus Benjamin Franklin der Charité soll die neue Immuntherapie in einer Phase-I/IIa-Studie erstmals am Menschen getestet werden. Das gemeinsame Projekt der Charité und des Max Delbrück Center fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 4,6 Millionen Euro. Das Ministerium will Therapien gegen Erkrankungen auf den Weg bringen, die bisher nicht oder nur schwer behandelbar sind. Antigen CXCR5: Für einen CAR kaum zu verfehlen Die bislang zur Behandlung von Blut- und Lymphknotenkrebs zugelassenen CAR docken zumeist an das Antigen CD19 an, ein Oberflächenmolekül von B-Zellen, die sich bösartig verändern und zu Krebszellen werden können. Privatdozentin Dr. Höpken und Dr. Rehm haben ein Molekül identifiziert, das sich wahrscheinlich noch besser als Angriffspunkt für einen CAR zur Behandlung von Lymphdrüsenkrebs eignet: CXCR5. Anders als CD19, dessen Menge auf den Krebszellen von Patient:in zu Patient:in unterschiedlich hoch sein oder gar verloren gehen kann, kommt das Molekül CXCR5 gleichmäßig auf allen reifen Lymphdrüsenkrebszellen vor. Es befindet sich darüber hinaus nicht nur auf den Tumor-B-Zellen, sondern auch auf bestimmten T-Helferzellen, die das Tumorwachstum unterstützen. „Diese Eigenschaften machen CXCR5 zu einem einzigartigen Ziel für CAR-T-Zelltherapien“, sagt Privatdozentin Dr. Höpken. In Mausmodellen konnten die Forschenden zeigen, dass die entsprechenden CAR-T-Zellen das CXCR5 besonders zuverlässig finden und die Tumorzellen vernichten. Erste Anwendungen bei Patient:innen stehen bevor Ob die neue Immuntherapie sicher und auch bei Menschen wirksam ist, müssen klinische Studien zeigen. Charité-Klinikdirektor Prof. Keller bereitet mit seinem Team erste Untersuchungen mit wenigen ausgewählten Patient:innen vor: „Wir sind zuversichtlich, dass wir mit dieser Phase-I-Studie die Sicherheit der neuen CXCR5-CAR-T-Zelltherapie nachweisen und auch erste Hinweise auf deren Wirksamkeit finden werden. Sowohl die Tumorzelle als auch deren unterstützende Mikroumgebung therapeutisch zu adressieren, ist ein vielversprechender und hochinnovativer Ansatz.“ Sobald das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) die Herstellung des Zellprodukts und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel die klinische Studie genehmigt haben, beginnt die Rekrutierung von bis zu 24 Patient:innen. Die Wissenschaftler:innen rechnen damit, dass dies Anfang 2024 der Fall sein wird. Eingeschlossen werden zunächst nur Patient:innen, bei denen die Standardtherapie nicht angeschlagen hat.
Charité macht schlau: Medizinische Forschung zum Mitmachen
- 22-05-2023Mehr als 5.200 Forschende und Ärzt:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin ergründen tagtäglich die Geheimnisse des menschlichen Körpers und entwickeln die Medizin der Zukunft. Zur Langen Nacht der Wissenschaften am 17. Juni teilen sie mit großen und kleinen Lernbegierigen ihr Wissen: Zwischen 17 und 24 Uhr machen sie per Science Slam, Führungen und vielen interaktiven Formaten am Campus Charité Mitte neueste Ergebnisse der medizinischen Forschung greifbar. Ein Highlight in diesem Jahr: Das Berliner Medizinhistorische Museum eröffnet nach umfangreicher Modernisierung mit einer Sonderausstellung zum Gehirn in Wissenschaft und Kunst. Was bedeutet der Klimawandel für Pollenallergiker? Wie kann Physik gegen das „Trockene Auge“ helfen? Und was tun, wenn das Herz aus dem Takt gerät? Über diese und weitere Themen rund um das Immunsystem, das Herz und den Kopf informieren Wissenschaftler:innen der Charité im Rahmen des zentralen Bühnenprogramms – Nachfragen erwünscht! Auch beim Science Slam ist das Publikum gefragt: Wer hält den unterhaltsamsten Kurzvortrag zu seiner oder ihrer Forschung? Besucher:innen erfahren von dem Team des Simulations- und Trainingszentrum der Charité (BeST), wie Tumor-OPs am Kopf sicherer gemacht werden, oder können den Roboter-Anzug „Myosuit“ des Deutschen Herzzentrums der Charité (DHZC) für Menschen mit Herzschwäche selbst testen. Außerdem: Was sollte man gegen Vergiftungen zu Hause haben? Was machen all diese piependen Geräte auf der Intensivstation? Und wie blickt eigentlich die Kunst auf die medizinische Forschung? Geschichtsinteressierte führt das Team des Projekts „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ zu ausgewählten Orten auf dem historischen Campus der Berliner Universitätsmedizin. Und kleine Nachwuchsforschende lernen spielerisch, warum Knochen hart und das Gehirn weich ist, werfen einen mikroskopischen Blick auf das Wunder Blut und dürfen sogar Leben retten. Diese und mehr spannende Veranstaltungen der Charité und weitere Details sind im Charité-Programmheft übersichtlich zusammengefasst. Servicehinweise Standort: Campus Charité Mitte im und am CharitéCrossOver-Gebäude, Eingang Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin, Geländeadresse: Virchowweg 6 Tickets für die Lange Nacht der Wissenschaften kosten 14 Euro (ermäßigt 9 Euro), zusätzlich gibt es Angebote für Familien und Gruppen. Kinder unter 6 Jahren haben freien Eintritt. Tickets sind über Ticketmaster erhältlich.
Bilanz: Aufsichtsrat der Charité stellt Jahresabschluss 2022 fest
- 08-05-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat im Jahr 2022 dank der positiven Ergebnisse der Beteiligungsgesellschaften ein Konzernergebnis von 1,3 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Charité als Muttergesellschaft hat einen nur geringen Jahresfehlbetrag von knapp zwei Millionen Euro erzielt – bei gegenüber dem Vorjahr gesteigerten Gesamteinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro. In seiner heutigen Sitzung hat der Aufsichtsrat der Charité den Jahresabschluss festgestellt. Im Berichtsjahr 2022 ist es den Charité-weit rund 18.200 und konzernweit rund 21.600 Beschäftigten gelungen, ein nahezu ausgeglichenes Jahresergebnis zu erwirtschaften. Dieses Ergebnis ist zudem der erneuten Unterstützung des Landes Berlin zu verdanken, das die coronabedingten Verluste in Höhe von rund 46,8 Millionen Euro fast vollständig ausgeglichen hat. Auch im dritten Jahr der Pandemie waren die Charité-Mitarbeiter:innen stark beansprucht, wobei insbesondere die Mitarbeitenden in den klinischen Bereichen weiterhin extrem gefordert waren. Wie auch schon in den Jahren zuvor hat die Charité eine führende Rolle bei der Versorgung von schweren COVID-Fällen eingenommen. Insgesamt wurden in den drei Jahren der Pandemie mehr als 9.600 Patient:innen mit COVID-19 stationär versorgt, von denen fast 4.000 auf den Intensivstationen behandelt werden mussten. Dr. Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité, erklärt: „Eine gut ausgestattete und damit leistungsstarke Hochschulmedizin ist unverzichtbar – das ist nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie deutlich geworden. In Berlin haben wir es der Expertise und dem in einer außergewöhnlichen Situation bemerkenswerten Engagement der Beschäftigten der Charité zu verdanken, dass wir diese Krise bewältigt haben. Dafür gilt ihnen damals wie heute große Anerkennung. Mit dem finanziellen Ausgleich der unvermeidbaren Corona-bedingten Verluste der Charité hat das Land Berlin in dieser Phase Verantwortung übernommen.“ Die Charité konnte 2022 mit rund 736.900 ambulanten sowie mehr als 126.000 voll- und teilstationären Fällen wieder mehr Patient:innen als im Vorjahr versorgen. Insgesamt konnten Umsatzerlöse in Höhe von 1,6 Milliarden Euro erzielt werden. Mit 1,1 Milliarden Euro wurde ein Großteil der Umsatzerlöse in den stationären Bereichen generiert. Astrid Lurati, Vorstandsmitglied für Finanzen und Infrastruktur der Charité, erklärt: „Wir haben erneut ein schwieriges Jahr hinter uns, in dem sich abermals alle Beschäftigten der Charité gemeinsam für ein Ganzes stark gemacht haben. Das ist großartig und verdient höchste Anerkennung! Ebenso ist die Charité dankbar für den fast vollständigen Ausgleich der coronabedingten Verluste durch unseren Eigentümer, das Land Berlin. Der verbleibende kleine Fehlbetrag der Charité ist angesichts der Rahmenbedingungen als positiv zu bewerten, genauso wie unser Konzernergebnis mit rund 1,3 Millionen Euro.“ Sie ergänzt: „Ein wichtiger Meilenstein war der im letzten Jahr abgeschlossene Tarifvertrag Gesundheitsfachberufe Charité, der eine fest definierte Mindestpersonalbemessung für bettenführende Stationen und Funktionsbereiche vorsieht sowie das CHEP-Punktesystem, das die Beschäftigten gezielt entlasten soll. Damit haben wir eine gute und sozialverträgliche Arbeitsgrundlage für unsere Beschäftigten, um auch die Herausforderungen im laufenden Jahr zu meistern.“ Die Medizinische Fakultät konnte im Berichtsjahr insgesamt rund 284 Millionen Euro an Drittmitteln einwerben und erreicht damit erneut einen Rekordwert. Dies dokumentiert die Exzellenz der Forschung und leistet einen erheblichen Beitrag zur wissenschaftlichen Entwicklung Berlins. Die herausragende Forschungsstärke der Berliner Universitätsmedizin spiegelt sich beispielsweise auf nationaler Ebene in der Beteiligung an 31 DFG-Sonderforschungsbereichen und international in 50 EU-Projekten wider. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, erklärt: „Wir haben erhebliche Anstrengungen unternommen, die Charité entlang unserer strategischen Planung durch die schwierige Pandemiezeit zu führen. Und auch dieses Jahr kommen neue Aufgaben und Herausforderungen auf uns zu, die Vorstand und Mitarbeiterschaft der Charité partnerschaftlich angehen.“ Er fügt hinzu: „Ein wegweisender strategischer Schritt waren die Vorbereitungen zur Gründung des Deutschen Herzzentrums der Charité zum 1. Januar 2023. Diese Zusammenführung mit dem Deutschen Herzzentrum Berlin ist ein einmaliges Projekt mit enormem Potenzial und der Prozess des Zusammenwachsens begleitet uns auch in diesem Jahr.“ Mit Blick auf weitere Themen im aktuellen Jahr beschäftigen Prof. Kroemer vor allem der Fachkräftemangel in der Pflege und die notwendige Digitalisierung, die prioritär bleiben: „Allerdings werden Lösungsnotwendigkeiten in beiden Bereichen immer drängender. Auch hier sind wir optimistisch, unsere Ziele zu erreichen.“
Vorreiter in Deutschland – Berliner Kliniken tauschen Patientendaten digital aus
- 05-05-2023Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und Vivantes Vor einem Jahr haben Charité – Universitätsmedizin Berlin und Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH eine gemeinsame Infrastruktur zum digitalen Austausch strukturierter Behandlungsdaten in Betrieb genommen. Dieses Konzept der digitalen Vernetzung wird jetzt mit weiteren Kliniken in Berlin ausgebaut. Zehn weitere Krankenhausträger mit zusammen 34 Klinikstandorten wollen sich an der Kooperation beteiligen. Mit Charité und Vivantes betreiben damit zwölf Klinikunternehmen plattformbasierten Datenaustausch. Sie repräsentieren mehr als drei Viertel der Klinikbetten in der Stadt – eine deutschlandweit einzigartige Zusammenarbeit. Bereits seit dem vergangenen Jahr können Mitarbeitende von Charité und Vivantes gemeinsam auf medizinisch relevante Patientendaten wie etwa aktuelle Laborwerte, Vitalzeichen oder schon früher erfasste allgemeine Gesundheitsdaten zugreifen. Das erleichtert die Arbeit, verringert Fehler und verbessert die Behandlungsqualität. Diese Vernetzung soll nicht exklusiv bleiben, denn sie lebt von der Beteiligung möglichst vieler Kliniken. Daher fand auf Initiative von Charité und Vivantes am 29. März dieses Jahres ein Symposium zur digitalen Vernetzung der Berliner Kliniken unter Schirmherrschaft der damaligen Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung (SenWGPG) und der Berliner Krankenhausgesellschaft e.V. (BKG) statt. Bei dem Symposium wurden konkrete Anwendungsfälle besprochen sowie technische und rechtliche Fragen geklärt. Im nächsten Schritt verpflichten sich zehn beteiligte Klinikträger mit zusammen 34 Klinikstandorten in einem Letter of Intent (LOI) den Datenaustausch nach gemeinsamen Standards in den Bereichen Notaufnahme, Fallkonferenzen und Geriatrie voranzutreiben. So entsteht schrittweise eine gemeinsame, digitale Infrastruktur in der Gesundheitsregion, die allen Kliniken offensteht und auch auf Brandenburg ausgedehnt werden kann. Hierbei steht stets die optimale, standortübergreifende Versorgung der Patient:innen im Fokus: Relevante Informationen beispielsweise zu Vorerkrankungen, Vitaldaten und Medikation, die in einem anderen Krankenhaus zuvor erfasst wurden, können zur Fortsetzung der Behandlung sofort verwendet, also wertvolle Zeit gespart und Mehrfach-Untersuchungen sowie wiederholte Anamnesegespräche vermieden werden. Die Kooperationspartner zum Projektstart sind: Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin Berliner Kliniken der Johannesstift Diakonie BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin DRK Kliniken Berlin Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe Jüdisches Krankenhaus Berlin Park-Kliniken Berlin Sankt Gertrauden-Krankenhaus Vitanas Klinik für Geriatrie Berlin Dazu erklärt die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege Dr. Ina Czyborra: „Information ist ein Stoff, der sich vermehrt, wenn man ihn teilt. Das gilt für die Wissenschafts- und Gesundheitsstadt Berlin ganz besonders. Ich freue mich daher sehr, dass die Pionierarbeit von Charité und Vivantes nun von weiteren Krankenhausträgern genutzt wird. Der digitale Austausch von Patientendaten, der hier angestoßen wird, ist deutschlandweit wegweisend. Ich hoffe, dass sich in naher Zukunft noch mehr Kliniken anschließen und wir die digitale Vernetzung auch auf Brandenburg ausdehnen können.“
Wie sich Krebsgene selbständig machen
- 05-05-2023Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des Max Delbrück Centers Tumore verhalten sich manchmal eigenartig: Sie wachsen außergewöhnlich stark oder werden plötzlich gegen ein Krebsmedikament resistent. Dieses Verhalten lässt sich häufig darauf zurückführen, dass sich Krebsgene aus den Chromosomen der Zelle herauslösen und in Ringform „selbständig machen“. Wenig ist bisher darüber bekannt, wie genau diese DNA-Ringe entstehen und wie sie sich im Verlauf des Tumorwachstums weiterentwickeln. Mit einer neuen Methode hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers diesen Weg jetzt bei dem Neuroblastom nachgezeichnet. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Nature Genetics* veröffentlicht. Sie gelten als eine der größten Herausforderungen in der Krebsforschung: DNA-Ringe – also kleine Erbgut-Schlaufen, die zu Hunderten abseits der Chromosomen im Zellkern schwimmen. Bereits seit 1965 bekannt, stellen sie Forschende noch immer vor viele Fragen. Wo kommen all diese Ringe her? Welche Funktion haben sie? Wie wirken sie sich auf die Zelle und den Organismus aus? Klar ist: Nahezu ein Drittel aller Tumore bei Kindern und Erwachsenen tragen in ihren Zellen DNA-Ringe – und diese sind fast immer besonders aggressiv. Auch wenn ein Tumor gegen ein zuvor wirksames Medikament resistent wird, ist das oft auf ringförmige DNA zurückzuführen. Mit der Erforschung dieser speziellen Form der Erbinformation verbinden Wissenschaftler:innen weltweit deshalb die Hoffnung auf neue Therapieansätze gegen Krebs. Allerdings: Nicht immer wirkt sich die „extrachromosomale zirkuläre DNA“ negativ auf das Krebswachstum aus. Manche Ringe scheinen auch harmlos zu sein. „Um die gefährlichen von den harmlosen DNA-Ringen zu unterscheiden und ihre Evolution innerhalb des Tumors nachvollziehen zu können, muss man sich das Gewebe Zelle für Zelle anschauen“, erklärt der Leiter der Studie Prof. Dr. Anton Henssen. Der Mediziner ist an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité tätig und forscht am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des Max Delbrück Centers. Zusammen mit seinem Team hat er jetzt eine Technologie entwickelt, die für jede einzelne Zelle den genetischen Code der vorhandenen DNA-Ringe auslesen kann. Sie gibt gleichzeitig Auskunft darüber, welche Gene darauf aktiv sind. „So können wir einfach auszählen, wie viele Zellen des Tumors einen spezifischen Ring beherbergen“, sagt Prof. Henssen. „Sind es wenige, ist der Ring nicht besonders relevant für das Krebswachstum. Sind es viele, verleiht er einer Tumorzelle offenbar einen Selektionsvorteil.“ Welche DNA-Ringe treiben das Tumorwachstum an? Die neue Methode nutzten die Wissenschaftler:innen zunächst, um eine Bestandsaufnahme aller DNA-Ringe bei kultivierten Neuroblastomzellen zu machen. Das Neuroblastom ist eine Krebserkrankung, die vor allem sehr junge Kinder betrifft und als besonders bösartig gilt. Das Ergebnis der Untersuchungen: Keine Krebszelle ist wie die andere – während in einer 100 DNA-Ringe schwimmen, können es in der nächsten 2.000 sein. Auch sind die Ringe sehr unterschiedlich groß: Die Winzlinge unter ihnen bestehen nur aus 30, die Riesen aus über einer Million genetischen Bausteinen. „Die großen DNA-Ringe sind beladen mit Krebsgenen, die ursprünglich aus den Chromosomen der Zelle stammen“, erklärt Rocío Chamorro González. Sie ist die Erstautorin der Studie und forscht ebenfalls an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité sowie am ECRC. „Durch die Ringform umgehen sie die klassischen Gesetze der Genetik – und werden ein Stück weit autonom. Diese Krebsgene haben sich sozusagen selbständig gemacht. Welche Konsequenzen das hat, beginnen wir gerade erst zu verstehen. In unserer Studie haben wir die großen DNA-Ringe in vielen Neuroblastomzellen gefunden, sie treiben das Zellwachstum also offenbar an. Die kleinen Ringe haben wir nur vereinzelt entdeckt, sie haben für die Krebszellen wohl keine große Relevanz.“ Die Evolution eines unabhängigen Krebsgens Um nachzuvollziehen, wie ein „autonomes Krebsgen“ eigentlich entsteht und sich innerhalb eines Tumors weiterentwickelt, analysierte die Forschungsgruppe im zweiten Schritt beispielhaft das Neuroblastom in jungen Patient:innen – und zwar Zelle für Zelle. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich zu Beginn des Tumorwachstums in diesem Fall zunächst das bekannte Krebsgen MYCN aus seinem Heimat-Chromosom herauslöste und einen Ring bildete. Anschließend verschmolzen zwei dieser Ringe zu einem größeren, der wiederum einen kürzeren und dann einen längeren Abschnitt verlor. „Erst der letzte Ring scheint einen Wachstumsvorteil mit sich gebracht zu haben, weil nur er in vielen Zellen des Neuroblastoms zu finden ist“, sagt Prof. Henssen. „Das zeigt, dass sich das Krebsgen durch diese Vorgänge nicht nur selbständig gemacht, sondern auch immer weiter ‚verbessert‘ hat.“ Ein solcher Einblick in die Evolution von DNA-Ringen innerhalb eines Tumors wäre ohne die neu entwickelte Methode nicht möglich gewesen. Das Forschungsteam wird sie nun nutzen, um bei weiteren Krebsfällen die Entwicklungsschritte zu rekonstruieren. So wollen die Wissenschaftler:innen künftig noch besser in der Lage sein, die gefährlichen von den harmlosen DNA-Ringen zu unterscheiden. „Unsere Hoffnung ist, dass wir in Zukunft durch einen Blick auf die DNA-Ringe im individuellen Fall erkennen können, ob der Tumor besonders aggressiv ist oder nicht“, sagt Prof. Henssen. „Dann könnten wir die Therapie daran anpassen. Die Vorhersagekraft von spezifischen DNA-Ringen zu testen, ist deshalb unser nächstes Forschungsziel.“
Sonntagsvorlesung zur Leber: Was schützt sie und was schadet ihr?
- 04-05-2023Die Leber spielt für den Stoffwechsel des Körpers eine zentrale Rolle: Sie entgiftet den Körper und steuert die Bereitstellung von Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten. Doch wie gefährlich sind Fett, Zucker und Alkohol für unser größtes inneres Organ? Und wie kann die Lebergesundheit gestärkt werden? Diese und weitere Fragen beantworten die Charité-Expert:innen in der kommenden Sonntagsvorlesung am 14. Mai. Prof. Dr. Frank Tacke, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie, spricht über erhöhte Leberwerte und ihre Ursachen. Zudem informiert er über akute und chronische Erkrankungsformen sowie über neue Therapiekonzepte. Von der Regenerationsfähigkeit der Leber berichtet Privatdozentin Dr. Münevver Demir. Zudem gibt sie praktische Empfehlungen für die Gesunderhaltung unseres zentralen Entgiftungsorgans, insbesondere für die Ernährung und den Lebensstil. Darüber hinaus stellen beide ihre aktuellen Forschungsprojekte vor. Im Anschluss an den Vortragsteil beantworten Prof. Tacke und Privatdozentin Dr. Demir die Fragen des Publikums. Die Sonntagsvorlesung „Die Leber: Was sie schützt und was ihr schadet“ findet am 14. Mai um 14 Uhr im Hörsaal Innere Medizin am Campus Charité Mitte, Charitéplatz 1 in 10117 Berlin statt. Geländeadresse: Sauerbruchweg 2, barrierefreier Zugang: Virchowweg 9. Der Eintritt ist frei.
Chronischen Entzündungen auf der Spur: Prof. Dr. Eicke Latz startet an Charité und Deutschem Rheuma-Forschungszentrum
- 02-05-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat Prof. Dr. Eicke Latz zum 1. Mai auf die Professur für Experimentelle Rheumatologie berufen. Zugleich ist er der neue Wissenschaftliche Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin (DRFZ), einem Leibniz-Institut. An der Schnittstelle beider Häuser wird Prof. Latz chronisch-entzündliche und rheumatische Erkrankungen erforschen. Durch neue Erkenntnisse zu molekularen Entzündungsmechanismen möchte er innovative Ansätze für Therapien und Prävention entwickeln. Prof. Dr. Eicke Latz erforscht seit vielen Jahren, wie das angeborene Immunsystem die Gesundheit erhält und unter welchen Umständen es Krankheiten fördert. Dabei untersucht er insbesondere die molekularen Mechanismen, die zu einer Aktivierung oder Hemmung des Immunsystems führen und wie diese die Entzündungsreaktionen bei verschiedenen Erkrankungen – wie etwa Rheuma, Arteriosklerose oder Alzheimer – beeinflussen. „Mir geht es aber nicht allein um den Erkenntnisgewinn, sondern auch darum, diesen erfolgreich in neue Behandlungsmethoden zu überführen sowie Maßnahmen der Prävention ableiten zu können“, erklärt Prof. Latz. Seine translationale Perspektive wurde durch mehr als eine Dekade akademischer Forschung in Boston, einem Zentrum der Pharma- und Biotechindustrie, geschärft. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland hat der Immunologe bereits mehrere Biotech-Unternehmen gegründet, die seine Forschungserkenntnisse erfolgreich in neue Therapie- und Präventionsansätze für verschiedene inflammatorische Erkrankungen überführen. Bis zu seinem Wechsel an die Charité war er am Institut für Angeborene Immunität am Universitätsklinikum Bonn tätig, das er 2010 gegründet hat. An der Charité und dem DRFZ möchte Prof. Latz vorhandene Synergien nutzen, um die molekularen Grundlagen von chronisch-entzündlichen und rheumatologischen Erkrankungen weiter zu entschlüsseln und auch den Einfluss von Umweltfaktoren und des Lebensstils auf diese zu untersuchen. Solche Arbeiten sollen sowohl zu einem besseren Verständnis der Erkrankungen beitragen als auch eine Grundlage für präventive Maßnahmen darstellen. Prof. Latz plant den Aufbau einer Plattform für Präzisions-Immundiagnostik. Mit diesen Verfahren soll das immunologische Geschehen in großen Gruppen von Patient:innen besonders genau charakterisiert werden. Die patientenorientierte Forschung soll ebenfalls das Wissen um die molekularen Mechanismen von entzündlichen Erkrankungen erweitern. Das Ziel: spezifischere Therapien ableiten zu können. „Die enge Verzahnung der Arbeitsgruppen von Charité und DRFZ und vor allem der Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie eröffnet viele Möglichkeiten für eine vielversprechende Zusammenarbeit sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der klinisch-translationalen Forschung. Ich freue mich auf diese Synergien und die neuen Aufgaben“, sagt Prof. Latz.
Bisher unbekannte Funktionen von Genen aufgedeckt
- 27-04-2023Das Proteom beschreibt die Gesamtheit aller aktiven Eiweißmoleküle in einem Organismus, einem Gewebe oder einer Zelle unter festgelegten Bedingungen und zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftler:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Francis Crick Institute in London, der Universitäten Zürich und Edinburgh hat jetzt die umfassendste zelluläre Proteom-Landkarte auf der Basis von Hefen als Modellorganismen erstellt. Sie gibt Einblick in bislang unerforschte Gene und die Art und Weise, wie Proteine entsprechend ihrer Bauanleitung hergestellt und reguliert werden. Die Studie ist im aktuellen Fachjournal Cell* erschienen. Trotz jahrzehntelanger Forschung ist die Funktion vieler Gene immer noch unbekannt. Das schränkt unser Verständnis bestimmter, mitunter seltener Krankheiten ein und erschwert die Entwicklung neuer Therapien. Auch im Fall von Hefe- und Bakterienzellen fehlt grundlegendes Wissen, um neue Antimykotika oder Antibiotika zu entwickeln, die wegen zunehmender Arzneimitteltoleranzen und -resistenzen dringend benötigt werden. Die aktuelle Studie zählt zu den weltweit umfassendsten Proteomstudien. Um die Aufgabe von Genen, denen bisher noch keine genaue Funktion zugeordnet werden konnte, genauer zu umreißen, hat das Forschungsteam Hefezellen eingehender untersucht. Ziel war es, entscheidende Informationen zu gewinnen, die Rückschlüsse auf Auswirkungen genetischer Mutationen zulassen und dazu beitragen, diagnostische Lücken zu schließen. Die Forschenden wollten offenlegen, wie bestimmte Eiweiße im Einzelnen hergestellt und reguliert werden, um nicht zuletzt einen Grundstein für die Entwicklung neuer Medikamente zu legen. Forschungsleiter Prof. Dr. Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie und Einstein-Professor für Biochemie an der Charité, erklärt: „Wir haben eine Sammlung von Hefestämmen genutzt, die von einem internationalen Konsortium generiert wurde und in der alle nicht essenziellen Gene in mindestens einem Stamm fehlten. Wir haben dazu die Massenspektrometrie genutzt, eine Technologie, die Tausende von Proteinen parallel bestimmen kann, um jeden dieser Stämme zu charakterisieren. Das hat schlussendlich zu dieser bisher größten Proteomstudie geführt." Dabei konnten die Forschenden allgemeine Prinzipien ausfindig machen, die der Produktion von Proteinen zugrunde liegen. So konnte die Studie für eine große Anzahl an Proteinen bestimmen, inwieweit deren Funktion oder auch deren biophysikalischen Eigenschaften für die Produktion von Bedeutung sind. Im Zuge der Untersuchungen entstanden umfangreiche Daten über zuvor wenig erforschte Eiweißmoleküle. Gleichzeitig konnte das Team neue Methoden zur Zuweisung von Genfunktionen entwickeln. Mittels Massenspektrometrie, insbesondere speziellen Proteomtechniken, die die Forschenden um Prof. Ralser in den vergangenen Jahren entwickelt haben, sind die Mengen der jeweiligen Eiweiße in den einzelnen Hefestämmen, in Abwesenheit aller nicht essenziellen Gene ermittelt worden. „Die dabei gewonnenen Erkenntnisse haben das Potenzial, das Verständnis der Zellbiologie grundlegend zu verbessern und neue Einblicke in die Genfunktion bei Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern besitzen, sogenannten Eukaryoten, zu geben", sagt Dr. Georg Kustatscher, der mit seiner Forschungsgruppe an der Universität Edinburgh die riesigen Datenmengen der Studie analysiert hat und resümiert: „Die Proteome, die wir in der Studie abbilden konnten, enthalten wichtige Informationen für Angriffspunkte potenzieller neuer Medikamente, die Hoffnung auf zukünftige Behandlungsoptionen geben.“ Eine Kooperation zwischen Forschungsteams an der Charité, dem Londoner Francis Crick Institute und der Universität Edinburgh hat die umfassende Studie erst möglich gemacht. Ebenso beigetragen haben Labore in Cambridge und an der Universität Toronto. Hier wurden neuartige Proteomtechnologien und Methoden der funktionellen Genomik entwickelt, die in der Studie zum Einsatz kamen. Prof. Dr. Christoph Messner, jetzt Gruppenleiter an der Universität Zürich, hat die Arbeiten am Francis-Crick-Institute in London verantwortet und betont: „Zu unserer Überraschung ergab die Studie, dass die Reaktion eines Proteins auf jede Mutation stärker von seinen biophysikalischen Eigenschaften abhängt als von seiner Funktion. Das eröffnet einen neuen Blick bei der Analyse von großen biologischen Daten, die mit modernen Sequenzier- oder massenspektrometrischen Techniken bereits häufig erhoben werden, aber oft noch schwer zu interpretieren sind." Aus diesem Grund vermuten die Forschenden, dass die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit weitreichende Auswirkungen auf dem Gebiet der Biowissenschaften haben werden. Die Untersuchung stellt wesentliche Informationen über die Funktion von Genen und das Zustandekommen von Proteinen bereit. Sie ebnet den Weg für zukünftige Durchbrüche im Bereich der Mikrobiologie. Derzeit bereitet das Team eine ähnliche Studie an menschlichen Zellen vor mit dem Ziel, weitere Informationen über noch unbekannte Gene zu generieren. Auch wollen die Forschenden die an Hefen erstellten Proteom-Landkarten mit anderen molekularen Daten verknüpfen, um dazu beizutragen, dass bessere Therapien für Pilzerkrankungen gefunden werden können.
Internationaler Tag des Versuchstiers: Charité veröffentlicht Zahlen für 2022
- 24-04-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin veröffentlicht anlässlich des heutigen Internationalen Tages des Versuchstiers ihre aktuellen Versuchstierzahlen. Diese werden von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Charité jährlich bis zum 31. März an die zuständige Behörde, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), übermittelt. Für das Jahr 2022 meldeten die Forschenden insgesamt 51.338 Tiere, die im Kontext biomedizinischer Forschungsfragen zum Einsatz kamen. Der weitaus größte Teil dieser Tiere waren Mäuse (92,8 Prozent) und Ratten (5,5 Prozent). „Tierversuche sind für die Weiterentwicklung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten derzeit noch unersetzbar. Deshalb ist es umso wichtiger, gezielt an Alternativen zu forschen, diese zu entwickeln und in Forschung, Diagnostik und Therapie zunehmend zu nutzen“, betont Prof. Dr. Stefan Hippenstiel, Professor für Infektiologie und Pneumologie an der Charité und Sprecher von Charité 3R. Er ergänzt: „Denn wer mit Tieren forscht, ist gleichzeitig verpflichtet, nach Alternativen zu suchen und alles dafür zu tun, die Belastung für Versuchstiere so weit wie möglich zu reduzieren.“ Um diese Entwicklung an der Charité voranzutreiben, wurde 2018 mit Charité 3R eine Einrichtung zur aktiven Förderung des 3R-Prinzips in der biomedizinischen Forschung gegründet. Ziel des 3R-Prinzips ist es, Tierversuche zu ersetzen (Replace), die Anzahl der Versuchstiere zu reduzieren (Reduce) und die Belastung für Versuchstiere zu mindern (Refine). Über Charité 3R werden innerhalb der Universitätsmedizin vielfältige Aktivitäten in jedem der drei Bereiche Replace, Reduce und Refine in Forschung und Lehre gezielt gefördert. Forschende und Tierschutzbeauftragte arbeiten gemeinsam an Wegen, die Zahl der Versuchstiere insgesamt zu reduzieren, die nicht ersetzbaren Versuche möglichst effektiv zu gestalten und die angewandten Methoden stets neu zu überdenken. Für das Jahr 2022 wurden mit insgesamt 51.338 Tieren rund 4.000 Versuchstiere weniger gemeldet als für das Jahr 2021. Die Zahlen liegen damit in der Größenordnung der vergangenen Jahre. Der Rückgang ist unter anderem auf übliche Schwankungen zurückzuführen, beispielsweise, wenn Arbeitsgruppen neu hinzukommen, größere Projekte starten oder beendet werden. Die sachliche und faktenbasierte Kommunikation zum Thema Tierversuche und Alternativmethoden ist ein zentrales Anliegen der Charité. Seit dem Jahr 2020 ist die Berliner Universitätsmedizin Teil der bundesweiten „Initiative Transparente Tierversuche“. Die Unterzeichnenden der Initiative informieren proaktiv über Tierversuche in der eigenen Einrichtung und bekennen sich dazu, den öffentlichen Dialog über tierexperimentelle Forschung mitzugestalten. Ausführlichere Informationen zur tierexperimentellen Forschung an der Charité mit allen Zahlen und Fakten zu den Versuchstieren sowie den verschiedenen Aktivitäten in Forschung und Lehre rund um das Thema 3R finden Sie auf der Webseite von Charité 3R.
„Der gesunde Mensch“: Berlin Centre for the Biology of Health
- 21-04-2023Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und FU Berlin Krankheiten zuvorkommen. Mechanismen der Gesundheit verstehen. Menschen lange gesund erhalten. So soll eine Medizin der Zukunft aussehen. Spitzenforschende von Charité – Universitätsmedizin Berlin und Freier Universität Berlin wollen schon bald disziplinübergreifend an diesen gesellschaftlich drängenden Fragen arbeiten. Der Ort für die Zukunftsvision der Gesundheitsforschung: ein denkmalgeschützter Bau im Südwesten Berlins. Saniert und erneuert soll das einstige Institut für Hygiene und Mikrobiologie das Berlin Centre for the Biology of Health (BC-BH) beherbergen. Der Wissenschaftsrat des Bundes und der Länder hat heute den Antrag zum gemeinsamen Forschungsbau in Höhe von rund 54 Millionen Euro zur Förderung empfohlen*. Es geht um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Das gegenwärtige Konzept von Medizin wurde Ende des 18. Jahrhunderts vom Gelehrten und Mediziner Rudolf Virchow (1821-1902) entscheidend geprägt. Es basiert auf der Vorstellung, der Ursprung von Krankheiten liege in Störungen der normalen Funktionen der Zelle. Seither stehen Mechanismen, die Krankheiten verursachen, im Mittelpunkt der Medizin. Das Unterbrechen solcher krankheitsfördernden Signalnetzwerke als therapeutischer Zugang hat sich weithin als erfolgreich erwiesen. „Dieser Konzeption von Medizin wohnt allerdings ein Paradoxon inne, nämlich, dass unser molekulares Verständnis von Gesundheit fast ausschließlich auf der Erforschung von Krankheiten beruht“, sagt der Grundlagenwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Diefenbach, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité. Gemeinsam mit der Klinikdirektorin für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité Prof. Dr. Britta Siegmund und Forschungskolleg:innen der Freien Universität Berlin hat er den Antrag für einen gemeinsamen Forschungsbau, einen Ort des Austauschs und der Innovation von überregionaler Bedeutung, finanziert durch Bund und Land gemäß Artikel 91b des Grundgesetzes, auf den Weg gebracht. Statt der Erforschung von Krankheitsmechanismen sollen die Mechanismen der Gesundheit und molekulare Strategien der Gesunderhaltung im Mittelpunkt stehen. Erforschen, was Menschen gesund erhält „Wir befinden uns mitten in einem grundlegenden gesellschaftlichen und ökologischen Wandel, der eine neue Konzeption von Medizin benötigt“, so Prof. Diefenbach, der auch eine Einstein-Professur der gleichnamigen Stiftung innehat. „Eine älter werdende Bevölkerung, veränderte Lebensgewohnheiten und sich rapide verändernde Umweltbedingungen führen zu einer Zunahme von Krankheiten, die schon jetzt einen großen Teil der Krankheitslast in Europa ausmachen. Dazu gehören vor allem chronisch-entzündliche, rheumatologische und neurodegenerative Erkrankungen, aber auch Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Ein Ausweg aus dieser Situation: neuartige Strategien in der Medizin, die molekulare Mechanismen der Gesunderhaltung nutzen und dem frühzeitigen Erkennen von Erkrankungen dienen. Ein solches Umdenken in den Lebenswissenschaften vollzieht sich derzeit weltweit. Gesundheit wird zunehmend als ein Prozess betrachtet, der auf stets aktiven molekularen und zellulären Mechanismen beruht, sogenannten Hallmarks of Health. Diese gesundheitswahrenden Netzwerke unterscheiden sich grundlegend von jenen, die Krankheiten fördern. Sie stellen eine Gruppe kommunizierender Mechanismen dar, die die Widerstandsfähigkeit und Toleranz des Organismus gegenüber Krankheiten stärken und damit den Zustand Gesundheit stabilisieren. „Genau diese gesundheitserhaltenden Mechanismen wollen wir für die Prävention und Therapie von Krankheiten zugänglich machen, damit Menschen eine möglichst lange gesunde Lebensspanne haben“, beschreibt Prof. Siegmund das Anliegen des BC-BH. Der gemeinsame und auf interdisziplinäres Arbeiten ausgerichtete Forschungsbau auf dem Charité Campus Benjamin Franklin soll dazu beitragen, solche Mechanismen ausfindig zu machen und deren Störung bei entzündlichen Systemerkrankungen langfristig zu erforschen. Hierzulande wie auch international ist dieses Herangehen bislang einzigartig. Hochinteraktiver gemeinsamer Forschungsraum Heute hat sich der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium, für eine Förderung des Vorhabens ausgesprochen. Auf Basis dieser Empfehlung entscheidet im Frühsommer die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder (GWK) über eine Finanzierung des Forschungsbaus, dessen Kosten zur Hälfte vom Bund und vom Land Berlin getragen werden. „In diesem wichtigen Forschungsbau werden Wissenschaftler:innen der Freien Universität und der Charité die molekularen Grundlagen und Mechanismen von Gesundheit erforschen. Es ist eine neue und visionäre Zielstellung, gesunde Körperfunktionen in den Mittelpunkt der Forschung zu stellen“, betont Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité. „Dieser innovative Ansatz der Berliner Forscher:innen zeigt, in welcher internationalen Liga die Berliner Gesundheitsforschung spielt. Auch für die Krankenversorgung und damit für die Gesundheitsstadt Berlin ist das ein wichtiger neuer Blickwinkel. Daher freue ich mich, dass der Wissenschaftsrat einen weiteren Forschungsbau für Berlin zur Förderung empfohlen hat, diesmal angesiedelt auf dem Campus Benjamin Franklin der Charité und damit im Südwesten der Stadt. Besonders freue ich mich darüber, dass erstmalig im Forschungsbauförderprogramm auf einen Neubau verzichtet und ein denkmalgeschütztes Gebäude nachhaltig und klimaschutzgerecht saniert wird.“ Forschende von Charité und Freier Universität Berlin werden das BC-BH gemeinsam nutzen. Einziehen soll es in das Gebäude des einstigen Instituts für Hygiene und Mikrobiologie der Freien Universität, ein bedeutsamer und heute unter Denkmalschutz stehender Bau der Nachkriegsmoderne. Auf rund 3.170 Quadratmetern sollen nach Sanierung und Umbau Labor- und Denkflächen für etwa 150 Mitarbeitende und Wissenschaftler:innen, die 17 Arbeitsgruppen und acht Nachwuchsgruppen angehören, bereitstehen. Die bereits organisch angelegte Architektur und offene Laborstrukturen sollen dazu beitragen, die beteiligten Disziplinen zusammenzuführen und einen Austausch auf allen Ebenen zu ermöglichen. Wissenschaftliche Fächer wie Klinische Medizin, Mikrobiologie, Immunologie, Biologie, Biochemie oder Biophysik kommen mit modernsten Technologien wie der Einzelzellanalyse oder der Metabolomik und mit analytischen Disziplinen wie Systembiologie, Bioinformatik, Modellierung und Maschinelles Lernen in dem Gebäude zusammen. „Wir setzen auf diesen hoch interaktiven Forschungsraum, denn das Zusammentreffen an den Schnittstellen der Disziplinen wird Synergieeffekte erzeugen, die völlig neue Erkenntnisse möglich machen“, sagt Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin. „Wir freuen uns, dass der in den 70er Jahren konzipierte Forschungsbau erneut ein Ort modernster biomedizinischer Forschung werden kann.“ Internationale Spitzenforschung und Translation In vier Forschungsschwerpunkten wollen sich die Wissenschaftler:innen von Charité und Freier Universität Berlin ab 2028 in den neuen Räumen dem Zustand der Gesundheit annähern. Zunächst gilt es, Mechanismen zu analysieren, die zu einer gelungenen Anpassung des Organismus an Veränderungen in der Umwelt führen. Dies ist klinisch hoch relevant, da die im Mittelpunkt stehenden Krankheitsbilder im wesentlichen Fehlanpassungen an eine sich in den letzten 150 Jahren rasch verändernde Umwelt darstellen. Ein weiterer Schwerpunkt widmet sich den Veränderungen in diesen Signalnetzwerken bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Aufbauend auf den Ergebnissen vorklinischer und klinischer Untersuchungen sollen erste innovative Präventions- und Therapieansätze erprobt werden, die auf der Stärkung gesundheitswahrender Mechanismen beruhen. Und schlussendlich werden Forschungsergebnisse nicht nur den Weg aus dem Labor zu den Menschen finden, sondern Daten aus der Anwendung, aus Therapieansprechen oder -versagen, wiederum Rückschlüsse auf Mechanismen der Gesundheit zulassen. Das BC-BH ist ein wesentliches Projekt der Berliner University Alliance (BUA), dem Verbund der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité, mit dem Ziel einer gemeinsamen Entwicklung der Wissenschaft in Berlin. Die unmittelbare Anbindung des BC-BH an die klinischen Einrichtungen am Campus Benjamin Franklin und an das biowissenschaftliche Umfeld im Berliner Süden sind ideal für die translationale Ausrichtung, also die Idee, Forschungsergebnisse zügig in die Krankenversorgung zu bringen und Beobachtungen von dort zurück ins Labor. „Die geplante bauliche Infrastruktur und Geräteausstattung wird den beteiligten Wissenschaftler:innen ein exzellentes Umfeld bieten, um wichtige gesundheitserhaltende Mechanismen zu identifizieren und diese Erkenntnisse für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Das BC-BH wird Schnittstellen und Synergien zwischen Charité und Freier Universität Berlin nochmals verbessern. Zusammen wollen wir das relevante Feld der Gesunderhaltung und Prävention sowie das Fachgebiet der Immunologie weiter ausbauen und entwickeln“, sagt Prof. Dr. Joachim Spranger, Dekan der Charité. Um die wissenschaftlichen Fragestellungen auf internationalem Niveau bearbeiten zu können, soll das BC-BH eine moderne Großgeräteausstattung erhalten. So sind unter anderem Technologie-Einheiten zur Einzelzellanalyse und Bildgebung vorgesehen, die wesentlich zum interdisziplinären Arbeiten beitragen werden.
Team Charité: Die Zukunft mitgestalten
- 17-04-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin startet heute eine stadtweite Kampagne zur Gewinnung von Fachkräften für die Krankenversorgung, Forschung und Lehre sowie die Verwaltung und den Servicebereich. Ziel ist es, die Menschen auf die zahlreichen Karrieremöglichkeiten in der Berliner Universitätsmedizin aufmerksam zu machen und sie für die multiprofessionelle Zusammenarbeit im Team zu begeistern. Besonders im Pflegebereich ist der Mangel an Fachkräften auch an der Charité spürbar. Allein hier werden mehr als 700 Pflegefachpersonen benötigt, deutschlandweit sind es mehr als 370.000. Um dem Anspruch der Spitzenmedizin kontinuierlich gerecht zu werden, braucht es zudem Mitarbeitende aus vielen anderen Bereichen, wie zum Beispiel Beschäftigte in der Verwaltung oder der IT. Sie alle tragen zur Besonderheit der Charité bei und stärken das Miteinander. Denn: Erst im Team werden herausragende Leistungen für die Gesundheit der Menschen möglich. „Wir sind seit Langem sehr bemüht, Fachkräfte zu gewinnen. Doch die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und der demographische Wandel stellen uns zunehmend vor die Herausforderung, das benötigte Personal zu finden”, sagt Carla Eysel, Vorstandsmitglied für Personal und Pflege der Charité. Sie ergänzt: „Darüber hinaus sind strukturelle Veränderungen notwendig, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. So hat sich beispielsweise deutlich gezeigt, dass sich die Arbeitsbedingungen für alle verbessern lassen, wenn wir uns multiprofessionell aufstellen und auch die Diversität in der großen Charité aufnehmen und fördern.“ Die Kampagne „Charité. Zukunft gestalten. Jede:r zählt.“ ist sowohl berlinweit auf großen Plakaten als auch digital sichtbar. Auf den ersten Motiven sind Mitarbeiter:innen aus den Gesundheitsfachberufen, der Forschung und der Klinik sowie der Verwaltung und der Lehre zu sehen. Diese sind in den jeweiligen Arbeitssituationen der Mitarbeitenden entstanden und das „Charité-C“ umrahmt ihre Köpfe. Prägnante Slogans sollen einen schnell erfassbaren Kontext ermöglichen und Interesse wecken. Im Laufe des Jahres werden weitere Motive folgen und die Kampagne zudem bundesweit auch in anderen deutschen Städten zu sehen sein. „Wir wollten mit echten Kolleg:innen bebildern, dass alle, die an der Charité arbeiten, die Medizin der Zukunft mitgestalten. Ganz egal, ob auf den Stationen, am PC oder im Labor. Jede und jeder hat einen Job mit Sinn”, betont Susanne Nitzsche, Leiterin der Stabsstelle Personalmarketing und HR Digitalisierung. Über die Fotokampagne hinaus gibt es einen virtuellen Rundgang, der exklusive Einblicke in den OP und weitere Bereiche gibt. Die virtuelle 360° Umgebung erlaubt interaktive Einblicke in die Charité. Dort können unter anderem 13 Schlüsselbereiche erkundet werden und so ist auch ein Blick in den OP-Saal während einer Operation möglich. Aber auch Behandlungen auf einer Intensivstation, eine Lehrsituation oder ein Labor können entdeckt werden. Weitere Informationen rund um das Arbeitsleben in der Charité – auch abseits der Krankenversorgung – vermitteln die aktuell mehr als 20 Videos.
Impfung gegen RSV in der Schwangerschaft könnte Kinder künftig schützen
- 06-04-2023Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist ein weltweit verbreiteter Erreger, der schwere Atemwegserkrankungen hervorrufen kann. Insbesondere für Neugeborene und Säuglinge kann eine Infektion mit RSV gefährlich werden. In einer groß angelegten internationalen Impfstudie unter Beteiligung von Charité – Universitätsmedizin Berlin und London School of Hygiene and Tropical Medicine ist nun die Wirksamkeit eines ersten Impfstoffkandidaten untersucht worden. Teilnehmerinnen erhielten diesen während der Schwangerschaft. Wie die Forschenden im Fachmagazin The New England Journal of Medicine* beschreiben, waren bis zu 81 Prozent der Kinder in ihren ersten sechs Lebensmonaten zuverlässig vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt. In Deutschland stecken sich Schätzungen zufolge etwa 50 bis 70 Prozent der Kinder während ihres ersten Lebensjahres mit RSV an. Bis zum zweiten Geburtstag hat fast jedes Kind eine RSV-Infektion durchgemacht. Die Erkrankung beginnt meist mit einem leichten Schnupfen, greift dann auf die unteren Atemwege und die Lunge über und kann zu akuten Atembeschwerden und Atemnot führen. Weltweit starben im Jahr 2019 etwa 100.000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen einer RSV-Infektion – rund 97 Prozent davon in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. „Eine RSV-Erkrankung kann bislang nur symptomatisch behandelt werden. Bei schweren Verläufen ist eine Sauerstoffgabe überlebenswichtig, was in ärmeren Ländern häufig nicht rechtzeitig oder in ausreichendem Maße realisiert werden kann“, sagt Prof. Dr. Beate Kampmann, Leiterin des Instituts für Internationale Gesundheit der Charité und Einstein-Professorin für Global Health. „Wir benötigen daher dringend eine Impfung, um die vulnerabelste Gruppe, nämlich Kinder unter sechs Monaten, wirksam vor schweren Krankheitsverläufen nach einer RSV-Infektion schützen zu können.“ Eine effektive Möglichkeit stellt eine Impfung während der Schwangerschaft dar, wie sie etwa gegen Grippe, Keuchhusten oder COVID-19 bereits empfohlen wird. Die werdende Mutter bildet nach der Impfung Antikörper, die sie über die Plazenta an das ungeborene Kind weitergibt. Es verfügt dann über einen effektiven Immunschutz, der über die ersten Lebensmonate anhält. Umfangreiche Impfstudie in 18 Ländern Einen solchen Impfstoff, der während der Schwangerschaft verabreicht wird, hat ein Pharmaunternehmen nun gegen RSV entwickelt. In einer umfangreichen internationalen Studie, die zwischen 2020 und 2022 in 18 Ländern durchgeführt wurde, ist der Impfstoff namens RSV-preF jetzt auf Verträglichkeit und Wirksamkeit geprüft worden. Prof. Kampmann hat im Rahmen ihrer langjährigen Forschungsarbeit in der Abteilung für Impfstoff- und Immunitätsforschung des Medical Research Council (MRC) in Gambia, Teil der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM), maßgeblich an der Untersuchung mitgewirkt. In der nun vorliegenden Phase III-Studie wurde der Impfstoff 3.682 zufällig ausgewählten Studienteilnehmerinnen während des zweiten oder dritten Schwangerschaftsdrittels als Spritze in den Oberarm verabreicht. Eine ähnlich große Vergleichsgruppe erhielt ein Placebo, also eine Spritze ohne Impfstoff. Weder die Studienteilnehmerinnen, noch die Leitenden der Studie wussten bis zum Abschluss des Studienzeitraums, wer den Impfstoff und wer das Placebo erhalten hat. Es handelt sich also um eine Placebo-kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudie, die höchsten Qualitätsstandards entspricht. Nach der Geburt wurden die Kinder über ein bis zwei Jahre regelmäßig sowie bei Anzeichen von Atemwegserkrankungen untersucht. Dabei wurde auf das RS-Virus getestet und die Schwere der Erkrankung nach einem vorab festgelegten Studienprotokoll bewertet. Zulassung für RSV-Impfstoff beantragt „Die Ergebnisse der Impfstudie sind ausgesprochen positiv“, sagt Prof. Kampmann. „Bei über 80 Prozent der Kinder konnte durch die Impfung der Mutter während der Schwangerschaft ein schwerer Verlauf einer RSV-Erkrankung in den ersten drei Lebensmonaten verhindert werden, über zwei Drittel waren auch noch im Alter von sechs Monaten geschützt. Auch wurde die Impfung von den Frauen sehr gut vertragen.“ Die Zulassung des Impfstoffs ist bei den europäischen und US-amerikanischen Arzneimittelbehörden beantragt. Die Ergebnisse der Prüfung sollen voraussichtlich noch in diesem Jahr vorliegen. Die Teilnehmerinnen der Studie kamen zu knapp der Hälfte aus den USA, 30 Prozent von ihnen sind in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen beheimatet. In Gambia beispielsweise hat das Team um Prof. Kampmann rund 200 Teilnehmerinnen rekrutiert. „Unsere Plattform für Impfstudien mit schwangeren Frauen, die wir in Gambia bereits etabliert hatten, konnten wir für die RSV-Impfstudie erfolgreich nutzen“, sagt Prof. Kampmann. Die ausgewiesene Expertin für Kinderinfektiologie ist seit über einem Jahrzehnt in dem westafrikanischen Land aktiv. Hier hat sie unter anderem für die Bekämpfung von Keuchhusten im Kindesalter ein Programm zur Immunisierung während der Schwangerschaft ins Leben gerufen. Erkrankungen wie diese sollen auf diese Weise verhindert und die Säuglingssterblichkeit gesenkt werden. „Es ist wichtig, Impfstudien in den Ländern durchzuführen, in denen die Impfstoffe später auch genutzt werden sollen“, sagt Prof. Kampmann. „Gerade in sozio-ökonomisch benachteiligten Ländern leiden die Menschen aufgrund schlechter Hygienebedingungen häufig an chronischen Darmentzündungen. Das kann – wie etwa im Fall der Rotavirus-Impfung – zu einer geringeren Effektivität der Impfung führen. Und es gibt Co-Erkrankungen wie Malaria oder HIV, die den Antikörper-Transport über die Plazenta beeinträchtigen. All das beeinflusst, wie gut ein Impfstoff letztlich wirkt.“ Für nationale Impfgremien ist es darüber hinaus wichtig, dass sich ein Impfstoff auch innerhalb der eigenen Region als wirksam erwiesen hat, um ihn später empfehlen zu können. „Die Verträglichkeit des RSV-Impfstoffs war bei den Studienteilnehmerinnen insgesamt ganz hervorragend und die Effektivität bei der Prävention von schweren RSV-Erkrankungen der Säuglinge überzeugend. Wir danken den Frauen für ihre Teilnahme und hoffen, dass der Impfstoff bald eingesetzt werden und viele junge Leben retten kann.“ Junge Leben in Gambia und in der ganzen Welt, denn gerade die zurückliegende Saison 2022/23 hat die Folgen von RSV-Infektionen deutlich vor Augen geführt: Allein in Deutschland waren die Aufnahmen von Säuglingen und Kleinkindern auf Intensivstationen laut Robert Koch-Institut auf bis zu 350 Prozent angestiegen. Eine Situation, in der die Gesundheitsversorgung zeitweise an ihr Limit gelangte.
Prof. Dr. Kai Kappert ist Charité-Professor für Laboratoriumsmedizin
- 04-04-2023Prof. Dr. Kai Kappert hat zum 1. April die Professur für Laboratoriumsmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin übernommen. Damit geht die Leitung des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Pathobiochemie der Charité sowie die des Fachbereichs Laboratoriumsmedizin und Toxikologie der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH einher. Der Labormediziner und Pharmakologe war in diesen Funktionen bereits seit zwei Jahren kommissarisch tätig. Die Laboratoriumsmedizin – das medizinische Fachgebiet für Labordiagnostik – stellt ein interdisziplinäres Querschnittsfach dar. Klinisch tätige Ärztinnen und Ärzte sind regelmäßig damit befasst, Patient:innen Proben zu entnehmen und diese labordiagnostisch untersuchen zu lassen. „Nur aufgrund einer genauen Diagnose können wirksame Therapien eingeleitet werden. Ebenso beruht die Verlaufs- und Therapiekontrolle oft auf Untersuchungen der Laboratoriumsmedizin. Deshalb kommt unserem Fachgebiet eine große Bedeutung zu“, erklärt Prof. Kappert. „Es ist mir ein wichtiges Anliegen, auch Studierenden das Faszinierende der Laboratoriumsdiagnostik näher zu bringen, ihr Interesse zu wecken und ihre Weiterentwicklung in diesem spannenden Tätigkeitsfeld zu fördern. Im Zuge dessen möchte ich dafür sorgen, dass wir die praxisnahen Lehrveranstaltungen weiterentwickeln“, betont der gebürtige Marburger. Am Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Pathobiochemie der Charité stehen die Ausbildung von Studierenden der Human- und Zahnmedizin sowie die labordiagnostische Forschung im Mittelpunkt. Die Arbeitsgruppe von Prof. Kappert beschäftigt sich insbesondere mit Erkrankungen der Blutgefäße und des Stoffwechsels sowie mit der biochemischen Weiterleitung von Signalen. „Um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden, spielt Forschung, beispielsweise auch die Identifizierung neuer diagnostischer Biomarker, eine ganz wichtige Rolle“, sagt Prof. Kappert. Die Labordiagnostik für die Krankenversorgung von Charité, Vivantes und weiteren regionalen und überregionalen Krankenhäusern erbringt seit 2011 die Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH. Hier ist Prof. Kappert Direktor des Fachbereichs Laboratoriumsmedizin und Toxikologie. Dieser stellt labormedizinische Diagnostik rund um die Uhr sicher. In seiner neuen Funktion möchte Prof. Kappert an der Charité die Zusammenarbeit in den Bereichen klinische Versorgung und translationale Forschung intensivieren und die Einführung neuer Ansätze für die Präzisionsdiagnostik vorantreiben. Außerdem ist ihm wichtig, die Digitalisierung der Labordiagnostik unter anderem bei der Auswertung von Langzeit- und Querschnittsdaten weiterzuentwickeln. „Hierfür ist eine interdisziplinäre und durch Vertrauen geprägte Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen unserer Kliniken und Institute sowie denen des Berlin Institute of Health in der Charité essentiell. Auch, um an der Umsetzung der Strategie Charité 2030, etwa der digitalisierten Universitätsmedizin als zukunftsweisender Aufgabe, mitzuwirken“, erklärt Prof. Kappert.
Nasenimpfstoff gegen Corona erfolgreich getestet
- 03-04-2023Gemeinsame Pressemitteilung von Charité, Max Delbrück Center und FU Berlin Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten Forschende an Schleimhautimpfstoffen, die über die Nase verabreicht werden. Nun haben Berliner Wissenschaftler:innen, unter ihnen Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, eine abgeschwächte Lebendimpfung für die Nase entwickelt und erprobt. In der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Nature Microbiology* beschreibt das interdisziplinäre Team den besonderen Immunschutz, den sie auslöst. Coronaviren verbreiten sich vor allem durch die Luft. Wenn eine infizierte Person spricht, hustet, niest oder lacht, scheidet sie mit ihrer Atemluft Tröpfchen mit Viren aus. So können die Erreger in die Atemwege anderer Menschen gelangen und sie anstecken. Ein Berliner Forschungsteam will das Virus genau dort bekämpfen, wo es zuerst angreift: an den Schleimhäuten von Nase, Mund, Rachen und Lunge. Zu diesem Zweck haben die Wissenschaftler:innen einen nasal zu verabreichenden, abgeschwächten Lebendimpfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt und konnten zeigen, wie dieser im Vergleich zu herkömmlichen Impfstoffen eine noch bessere Immunität vermittelt. Bereits im Herbst vergangenen Jahres wurden zwei Präparate zur Impfung über die Nase in Indien und China zugelassen. Sie beruhen auf abgeschwächten Adenoviren, also Viren, die unter anderem Atemwegs- oder Magen-Darm-Erkrankungen auslösen, sich selbst aber nicht mehr oder nur noch schlecht vermehren und somit keine Krankheit verursachen. Weitere nasale Lebendimpfstoffe befinden sich weltweit in der Entwicklung und Erprobung. Schützt dort, wo der Infekt beginnt und darüber hinaus Die Vorteile eines Impfstoffs in Form eines Nasensprays gehen weit darüber hinaus, als dass Menschen mit Angst vor einer Spritze aufatmen können. Wird ein Impfstoff gespritzt, baut sich die Immunität vor allem im Blut und über den ganzen Körper verteilt auf. Das bedeutet aber, dass das Immunsystem Coronaviren im Ernstfall erst verhältnismäßig spät entdeckt und bekämpft – denn diese dringen über die Schleimhäute der oberen Atemwege in den Körper ein. „Genau dort benötigen wir eine lokale Immunität, wenn wir ein Atemwegsvirus frühzeitig abfangen wollen“, sagt Co-Letztautor der Studie Dr. Jakob Trimpert, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. „Nasale Impfstoffe bekommen das wesentlich besser hin als Vakzine, die injiziert werden und die Schleimhäute nur schwer oder gar nicht erreichen“, sagt Dr. Emanuel Wyler, ebenfalls Co-Letztautor. Er erforscht das Coronavirus seit Ausbruch der Pandemie in der Arbeitsgruppe RNA-Biologie und Posttranskriptionale Regulation unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Landthaler am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (BIMSB-MDC). Im Idealfall regt ein nasaler Lebendimpfstoff direkt vor Ort die Bildung von Antikörpern, Immunglobulinen A (IgA), an und lässt damit eine Infektion gar nicht erst zu. IgA ist das am häufigsten vorkommende Immunglobulin in den Schleimhäuten der Atemwege. Es besitzt die Fähigkeit, Krankheitserreger zu neutralisieren, indem es sich an sie bindet und sie so daran hindert, Atemwegszellen zu infizieren. Gleichzeitig stimuliert die Impfung auch systemische Immunreaktionen, was insgesamt zu einem wirksamen Schutz vor einer Infektion beiträgt. „Ähnlich wie Antikörper in der Schleimhaut, so sind auch im Lungengewebe ansässige T-Gedächtniszellen von Nutzen. Diese weißen Blutkörperchen können sich an Krankheitserreger erinnern und verbleiben nach einer Infektion im jeweiligen Gewebe. Ihre Positionierung in der Lunge ermöglicht es ihnen, schnell auf Krankheitserreger zu reagieren, die über die Atemwege eindringen“, sagt Dr. Geraldine Nouailles, Immunologin und Arbeitsgruppenleiterin an der Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Intensivmedizin der Charité. Die Co-Erstautorin verweist auf eine Beobachtung, die das Team im Rahmen der Studie machen konnte: „Wir konnten nachweisen, dass es bei vorangegangener intranasaler Impfung auch zu einer verstärkten Reaktivierung dieser lokalen Gedächtniszellen im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion kommt. Darüber haben wir uns natürlich besonders gefreut.“ Lokale Immunität verhindert Virusbefall Die Wirkung des neu entwickelten nasalen COVID-19-Impfstoffs testeten die Wissenschaftler:innen an Hamstermodellen, die Dr. Trimpert und sein Team bereits zu Beginn der Pandemie an der Freien Universität Berlin etabliert haben. Die Tiere sind derzeit der wichtigste nichttransgene Modellorganismus für COVID-19, da sie sich mit denselben Virusvarianten wie Menschen infizieren und ähnliche Krankheitssymptome entwickeln. Nach einer zweimaligen Gabe des Impfstoffes konnte sich das Virus im Modellorganismus nicht mehr vermehren. „Das Immungedächtnis wurde sehr gut angeregt, und die Schleimhäute waren aufgrund der hohen Antikörperkonzentration sehr gut geschützt“, konstatiert Dr. Trimpert. Auch könnte die Übertragbarkeit des Virus auf diese Weise deutlich reduziert werden. Darüber hinaus verglichen die Wissenschaftler:innen die Wirksamkeit des abgeschwächten Lebendimpfstoffes mit der von intramuskulär injizierten Impfstoffen. Dafür impften sie die Hamster entweder zweimal mit dem Lebendimpfstoff, einmal mit einem mRNA- und danach mit dem Lebendimpfstoff, oder zweimal mit einem mRNA- oder Adenovirus-basiertem Impfstoff. An Gewebeproben der Nasenschleimhaut und Lunge überprüften sie, wie stark bei einer anschließenden Infektion mit SARS-CoV-2 die Viren die Schleimhautzellen noch angreifen konnten. Außerdem bestimmten sie das Ausmaß der Entzündungsreaktion mithilfe der Einzelzellsequenzierung. „Der abgeschwächte Lebendimpfstoff schnitt in allen Parametern besser ab als die Vergleichsimpfstoffe“, fasst Dr. Wyler zusammen. Ausschlaggebend dafür dürfte sein, dass der nasal verabreichte Impfstoff eine Immunität direkt an der Eintrittspforte des Virus aufbaut. Außerdem enthält der Lebendimpfstoff alle Virusbestandteile und nicht nur das Spike-Protein, wie es beim mRNA-Impfstoff der Fall ist. Spike ist zwar das wichtigste Antigen des Virus – doch das Immunsystem kann das Virus darüber hinaus an ungefähr 20 weiteren Proteinen erkennen. Schützt besser als herkömmliche Impfstoffe Den besten Schutz vor dem SARS-Coronavirus 2 konnte eine zweifache Impfung über die Nase erzielen, gefolgt von der Kombination aus einer Injektion des mRNA-Impfstoffes in den Muskel und dem anschließend nasal verabreichten Lebendimpfstoff. „Das könnte den Lebendimpfstoff besonders als Booster interessant machen“, sagt Co-Erstautorin der Studie Julia Adler, Tierärztin und Doktorandin am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. Das Prinzip der abgeschwächten Lebendimpfstoffe ist alt und kommt etwa bei der Masern- oder Röteln-Impfung zum Einsatz. Früher allerdings erzeugten Wissenschaftler:innen die Abschwächung zufällig, indem sie mitunter jahrelang auf Mutationen gewartet haben, die ein abgeschwächtes Virus hervorbrachten. Die Berliner Forschenden hingegen haben den genetischen Code der Coronaviren gezielt verändert. „So wollen wir verhindern, dass die abgeschwächten Viren zu einer aggressiveren Variante zurückmutieren“, erklärt Dr. Dusan Kunec, Wissenschaftler am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin und ebenfalls Co-Letztautor. Der maßgebliche Mitentwickler des Impfstoffes betont: „Unser Lebendimpfstoff ist also sicher und kann auf neue Virusvarianten zugeschnitten werden.“ Als nächstes stehen Sicherheitsprüfungen an: Die Forschenden arbeiten dafür mit der RocketVax AG zusammen, einem Schweizer Start-up mit Sitz in Basel. Das Biotech-Unternehmen entwickelt den abgeschwächten Lebendimpfstoff gegen SARS-CoV-2 weiter und bereitet eine klinische Phase-1-Studie im Menschen vor. „Wir freuen uns sehr, dass wir eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Herstellung des attenuierten SARS-CoV-2-Lebendimpfstoffs in Form eines Nasensprays haben. Unser Ziel ist es, die Produktion schnell zu skalieren und die klinische Prüfung für den Marktzugang voranzutreiben, um allen Menschen Schutz vor COVID-Symptomen zu bieten. Wir sehen auf dem Markt ein großes Potenzial für saisonale nasale Impfstoffe“, sagt Dr. Vladimir Cmiljanovic, CEO von RocketVax. Welche nasale Impfung am Ende am besten schützt, wird die Zukunft zeigen. Die Hersteller der in Indien und China entwickelten intranasalen Adenovirus-Impfstoffe haben in Europa bislang keine Zulassung beantragt. Fest steht nach Ansicht der Forschenden allerdings: Da sie als Nasenspray oder -tropfen verabreicht werden, sind nasale Impfstoffe grundsätzlich gut geeignet für einen Einsatz bei begrenztem Zugang zu geschultem medizinischem Personal. Auch sind sie kostengünstig in der Herstellung, einfach zu lagern und zu transportieren. Nicht zuletzt können Lebendimpfstoffe wie der hier eingesetzte nachweislich einen Kreuzschutz gegen verwandte Virenstämme bieten.
Neu an der Charité: Prof. Gerhard Krönke ist Direktor der Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie
- 03-04-2023Prof. Dr. Gerhard Krönke hat zum 1. April die Professur für Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin übernommen. Damit verbunden sind die Direktion der gleichnamigen Klinik am Campus Charité Mitte sowie die Leitung des Bereichs Autoimmundiagnostik der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH. Prof. Krönke wechselt aus Bayern an die Spree und folgt auf Prof. Dr. Gerd-Rüdiger Burmester, der die Professur seit 1993 innehatte und der Charité als Seniorprofessor verbunden bleibt. Prof. Krönke ist Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie und war zuletzt Professor für Translationale Immunologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin 3, Rheumatologie und Klinische Immunologie, am Universitätsklinikum Erlangen. Der 45-Jährige freut sich auf den Wechsel an die Berliner Universitätsmedizin: „Die Charité ist eine der renommiertesten Kliniken Deutschlands und bietet ein großartiges wissenschaftliches Umfeld. Darüber hinaus ist natürlich Berlin auch eine sehr spannende Stadt.“ Der gebürtige Österreicher ergänzt: „Meine klinischen Schwerpunkte sind vor allem die systemischen Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise die Rheumatoide Arthritis oder der Systemische Lupus Erythematodes. In der wissenschaftlichen Arbeit beschäftige ich mich insbesondere mit den molekularen Grundlagen der Entzündungs- und Immunantwort sowie den kurativen Therapieansätzen bei Autoimmunerkrankungen. Dazu gehört unter anderem die Wiederherstellung der immunologischen Toleranz, beispielsweise durch CAR-T-Zell-Therapien.“ Ein besonderes Anliegen ist Prof. Krönke zudem die Lehre und Förderung junger Mediziner:innen: „Ich möchte die Studierenden und medizinischen Nachwuchstalente für die Fächer Immunologie und Rheumatologie begeistern und ihnen auch die Wichtigkeit der Verknüpfung von klinischer Arbeit und der Forschung vermitteln.“
Charité Campus Virchow-Klinikum wird G-BA-Traumazentrum
- 30-03-2023Auf Antrag der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat das Land Berlin den Campus Virchow-Klinikum als erstes Traumazentrum ausgewiesen. Dazu gehört auch die Versorgung schwerverletzter junger Patient:innen in einem kindertraumatologischen Referenzzentrum. Grundlage sind die Zentrums-Regelungen des Gemeinsamen Bundessausschusses (G-BA). Mit dem Traumazentrum verfügt die Charité nun mit dem Berliner Centrum für Seltene Erkrankungen (BCSE), dem Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC) sowie dem Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) über insgesamt vier G-BA-Zentren. Prof. Dr. Martin E. Kreis, Vorstandsmitglied Krankenversorgung, ordnet den Schritt ein: „Die Traumatologie am Campus Virchow-Klinikum hat bereits jetzt eine herausragende Bedeutung für die Gesundheitsregion. Mit der Ernennung zum G-BA Zentrum wird diese besondere Stellung anerkannt und sichtbar gemacht. Zukünftig werden somit noch mehr Patientinnen und Patienten von der Expertise und der Vorhaltung bestimmter Leistungen der Charité profitieren. Daneben wird auch der Austausch und die Vernetzung zu anderen Leistungserbringern gefördert. Dies birgt viele Vorteile, wie beispielsweise eine verbesserte und bedarfsgerechte Krankenversorgung sowie den Forschungs- und Wissenstransfer.“ Die Ausweisung als G-BA-Traumazentrum ermöglicht es, die digitalen Strukturen auf Landesebene auszubauen, telemedizinische Leistungen für externe Kliniken zu erbringen sowie interdisziplinäre Fallkonferenzen mit anderen Häusern durchzuführen. Zudem tragen zentrumsbezogene Fortbildungsangebote und übergreifende qualitätssichernde Maßnahmen dazu bei, eine hochqualitative Versorgung von Patient:innen mit Verletzungen aller Schweregrade zu sichern und auszubauen. Darüber hinaus werden bestimmte technische Angebote permanent am Campus Virchow-Klinikum vorgehalten, die eine besonders hohe Qualität bei der Versorgung von traumatologischen Einzelfällen sowie bei Großschadensereignissen ermöglichen. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, betont: „Die G-BA-Zentren sind im deutschen Gesundheitswesen bemerkenswerte Strukturen, die im Grunde vieles von dem, was in den Reformvorschlägen der Regierungskommission zur Krankenhausfinanzierung speziell der Universitätsmedizin zugedacht wird, bereits heute realisieren. Ganz konkret ist das die Unterstützung anderer Krankenhäuser über die Zentren selbst oder via telemedizinische Infrastruktur sowie die Koordination der regionalen Versorgung. Insofern ist die Zuweisung dieser neuen Aufgaben für die Charité sehr erfreulich und auch eine gute, zukunftsgerichtete Entwicklung für die Versorgung in Berlin.“
SUDEP-Präventionsprogramm für Kinder mit Epilepsie
- 03-03-2023Das Deutsche Epilepsiezentrum für Kinder- und Jugendliche der Charité – Universitätsmedizin Berlin startet jetzt das SUDEP-Präventionsprogramm. Das Programm ist bundesweit einzigartig und zielt darauf ab, den sogenannten plötzlichen Epilepsietod zu vermeiden. Derzeit sterben jährlich weltweit rund 50.000 Menschen an SUDEP, allein in Deutschland sind es etwa 700 Menschen. Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, die im Laufe des Lebens etwa 3 von 100 Menschen betrifft. Die Ursachen für SUDEP, den anfallsbedingten Herz-Kreislauf-Stillstand, sind im Einzelnen noch nicht hinreichend erforscht. Dabei können plötzliche Todesfälle bei Epilepsie auch bei einem weitgehend stabilen Gesundheitszustand auftreten. Ziel des Präventionsprogramms ist es daher, die Eltern ab der Diagnose Epilepsie bei ihrem Kind ausführlich über die Möglichkeiten der Behandlung zu informieren. Dazu gehören Medikamente, Diäten und chirurgische Möglichkeiten ebenso wie bestimmte Verfahren zur Stimulation und der automatisierten Erkennung von Anfällen. Zudem werden potenzielle Risiken und ihre Vermeidung sowie konkrete Möglichkeiten der Ersten Hilfe und der Reanimation besprochen. So können Gefahren im Alltag reduziert und das Auftreten eines plötzlichen Epilepsietodes verringert werden. „Insbesondere Kinder und Jugendliche mit therapieschweren Epilepsien haben ein hohes Risiko, Komplikationen zu erfahren,“ betont Prof. Dr. Angela M. Kaindl, Initiatorin des Projekts und Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie sowie Ärztliche Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ). Sie ergänzt: „Dabei möchten wir unsere Patient:innen nicht in Panik versetzen, vielmehr soll die Aufklärung über die Risiken den betroffenen Familien wieder ein selbstbestimmtes und geschütztes Leben ermöglichen.“ Prävention in der Praxis verankern „Das SUDEP-Präventionsprogramm wird dringend gebraucht“, sagt Dr. Iris-Maria Killinger, die ihren vierzehnjährigen Sohn Oskar 2019 an SUDEP verloren hat. Gemeinsam mit Oskars Vater hat sie die stopSUDEP-Initiative der Oskar Killinger Stiftung ins Leben gerufen: „Zu viele Eltern wissen nichts über das SUDEP-Risiko und was man dagegen tun kann. Das muss sich ändern.“ Die Mehrheit der SUDEP-Todesfälle tritt nachts bei allein schlafenden Personen auf. Dementsprechend müssen Patient:innen auch über die Möglichkeit der automatisierten Erkennung von Anfällen und das Erlernen von Basiskenntnissen in der Reanimation von Kindern und Jugendlichen informiert werden. „Mit diesem Programm schaffen wir erstmalig einen geschützten Raum, der es uns ermöglicht, alle Präventionsfaktoren umfassend zu behandeln und jede Familie dort abzuholen, wo sie steht“, schließt Prof. Kaindl. Kontakt für betroffene Familien Weitere Informationen finden Sie unter https://epilepsie.charite.de. Einen Termin können Sie per E-Mail an kinderepilepsie(at)charite.de oder telefonisch unter +49 30 450 616 304 bzw. per Fax +49 30 450 566 953 vereinbaren.
Europäische Gesundheitssysteme neu denken
- 02-03-20232030 werden in Deutschland voraussichtlich sechs Millionen Menschen über 80 Jahre alt sein. 2050 werden es Schätzungen zufolge fast zehn Millionen sein. Gleichzeitig fehlen dann voraussichtlich bis zu 7.000 Ärzt:innen und etwa 500.000 Pflegende. So wie Deutschland blicken nahezu alle europäischen Länder auf eine große Herausforderung: eine alternde Bevölkerung, die mehr medizinischer Betreuung bedarf, bei gleichzeitigem Fachkräftemangel und steigenden Kosten durch medizinischen Fortschritt. An der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben heute führende europäische Universitätsklinika, zusammengeschlossen in der EUHA, und Vertreter:innen internationaler Institutionen einen Prozess angestoßen, der Lösungen für die Zukunft der Gesundheitssysteme finden soll. „Rethinking European Healthcare Systems“ – europäische Gesundheitssysteme neu denken – lautet die Überschrift eines Expertenworkshops an der Charité. Mit nicht weniger als diesem Ziel sind führende Köpfe von zehn europäischen Universitätsklinika, seit 2017 verbunden in der European University Hospital Alliance (EUHA), mit internationalen Akteuren des Gesundheitssektors zusammengekommen – unter ihnen Verantwortliche der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit in Europa (OECD) und Gesundheitsexpert:innen der Europäischen Kommission. Gemeinsam wollen sie nachhaltige Lösungen für die stetig steigenden Anforderungen in der Gesundheitsversorgung finden und erörtern, welche Rolle die Universitätsmedizin im Zuge des gesellschaftlichen Wandels dabei einnehmen kann. Zwar unterscheiden sich die europäischen Gesundheitssysteme im Einzelnen, dennoch stehen die Mitglieder der EUHA beim Blick in die Zukunft vor ähnlichen Herausforderungen. Darunter sind der Umgang mit einem erheblichen Mangel an Fachpersonal und die Frage, wie künftig Mediziner:innen und Personal in Gesundheitsberufen bestmöglich ausgebildet werden. Innovation und neue Arbeitsweisen Alternde Gesellschaften, kulturelle Veränderungen und komplexe, wenig flexible Finanzierungsmodelle gelten als wesentliche Ursachen des derzeitigen Arbeitskräftemangels im Gesundheitssektor. Die Pandemie und die darauffolgende Energie- und Finanzkrise haben die Situation für Fachkräfte zusätzlich verschlechtert. Wie sich europäische Gesundheitssysteme neu aufstellen können, welche Instrumente bereits gut funktionieren und welche Rolle Universitätsklinika bei der Bewältigung des Arbeitskräftemangels übernehmen können, dazu kamen die Fachexpert:innen der EUHA und weiterer internationaler Organisationen heute erstmalig zusammen. Ihr Fazit: Die bisherigen Strategien genügen nicht, ein grundlegendes Umdenken ist notwendig. „Steigende Anforderungen an die Gesundheitsversorgung, verschärft durch einen zunehmenden Fachkräftemangel, können nicht allein durch Anwerbungs- und Bindungsstrategien bewältigt werden“, sagt Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité. In seinen Augen bedarf es eines strukturelleren Ansatzes, der darauf ausgerichtet ist, das europäische Gesundheitsmodell neu zu denken. „Ganz essenziell wird dabei das Vermeiden von Krankheiten sein, mit einem neuen gesamtgesellschaftlichen Fokus auf Prävention und Gesunderhaltung der Menschen in allen Bereichen. Gleichzeitig müssen wir technologische und digitale Innovationen gezielt zur Entwicklung neuer Arbeitsweisen im Gesundheitswesen und innovativer Ausbildungsprogramme für zukünftige Gesundheitsfachkräfte nutzen. Auch angepasste Vergütungssysteme, neue Versorgungsnetze für Stadt und Land, telemedizinische Ansätze und der Zugang und Austausch von medizinischen Daten im europäischen Gesundheitsraum sind wichtige Instrumente, die wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern voranbringen müssen.“ Gemeinsame Ansätze für Prävention und Ausbildung Die Gesundheitssysteme in Europa müssen sich auf lange Sicht anpassen, um zu bestehen. Schon jetzt stellen Universitätsklinika die Weichen dafür. In gemeinsamen Forschungsprojekten und Arbeitsgruppen entwickeln die EUHA-Partner beispielsweise neue Ansätze für Zell- und Gentherapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs) zur Behandlung von Krebspatient:innen. Auch erarbeiten sie gemeinsame Strategien und Programme für die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften und sind aktiv an der Entwicklung des European Health Data Spaces beteiligt. „Die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit in Gesundheitsthemen hat sich in der Hochphase der Pandemie besonders deutlich gezeigt. Der direkte, unkomplizierte und vertrauensvolle Austausch mit unseren europäischen Kolleginnen und Kollegen war essenziell zur Bewältigung der Krise. Diese Erfahrung müssen wir nutzen und die Zusammenarbeit weiter ausbauen, denn der Fachkräftemangel, die Auswirkungen des Klimawandels oder Arzneimittelresistenzen sind Herausforderungen, die wir nur gemeinsam meistern können“, fasst Dr. Claire Mallinson, Bildungsdirektorin von King's Health Partners, die Relevanz des Expertenworkshops in Berlin zusammen, wo sie die Londoner Universitätsmedizin vertritt. Auf die heutige Zusammenkunft werden weitere Treffen folgen. Während der diesjährigen EUHA-Präsidentschaft der Charité von Juni bis November werden Themen wie die Entwicklung gemeinsamer Präventions- und Innovationsansätze sowie die Ausgestaltung neuer Berufsbilder im Gesundheitswesen und die Weiterentwicklung der medizinischen Ausbildung in Europa weiter im Fokus stehen.
Die weitreichenden Folgen von Kindesmissbrauch
- 24-02-2023Belastende Kindheitserfahrungen einer Mutter können Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit ihrer Kinder haben. Das berichten Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin jetzt in der Fachzeitschrift The Lancet Public Health*. Misshandlungen in der Kindheit der Mütter gehen demnach mit einem höheren Risiko für Krankheiten wie etwa Asthma, Autismus oder Depressionen für die nachfolgende Generation einher. Eine frühzeitige Unterstützung der betroffenen Mütter könnte helfen, dem entgegenzuwirken. Misshandlungen in der Kindheit sind ein besonders gravierender Risikofaktor für Gesundheitsprobleme, da sie eine Vielzahl von Folgen für das gesamte Leben eines Menschen mit sich bringen. Dazu zählen körperliche, psychische, verhaltensbezogene und auch soziale Auswirkungen, die sich bis in die Zeit der Schwangerschaft und Elternschaft fortsetzen können. So können kritische Erfahrungen in der Kindheit der Eltern die Entwicklung und Gesundheit ihrer Kinder beeinflussen. Höheres Risiko für Asthma, ADHS, Autismus und Depressionen In der jetzt veröffentlichten Studie belegt ein Forschungsteam um Prof. Dr. Claudia Buß vom Institut für Medizinische Psychologie der Charité, dass bei Kindern von Müttern, die als Kind Misshandlung erfahren haben, häufiger Gesundheitsprobleme auftreten. Als Misshandlung verstehen die Wissenschaftler:innen körperliche, emotionale und sexuelle Misshandlungen oder Vernachlässigung durch einen Elternteil oder eine Betreuungsperson, die zu einer körperlichen oder emotionalen Schädigung beziehungsweise einer drohenden Schädigung eines Kindes führen. Sie haben Daten von über 4.300 amerikanischen Müttern und ihren Kindern aus 21 Langzeitkohorten ausgewertet. Mütter berichteten darin über die Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit gemacht haben. Zudem wurden Diagnosen ihrer biologischen Kinder bis zum Alter von 18 Jahren angegeben oder bei Studienterminen festgestellt. Diese wertvolle Datengrundlage von zwei miteinander verbundenen Generationen ermöglichte es den Forschenden, aussagekräftige Zusammenhänge aufzuzeigen. Demnach haben Kinder von Müttern, die negative Erlebnisse berichteten, ein höheres Risiko, an Asthma, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus zu erkranken. Diese Kinder weisen auch häufiger Symptome und Verhaltensweisen auf, die mit Depressionen und Angststörungen in Verbindung stehen, sogenannte internalisierende Störungen. Zudem haben Töchter dieser Mütter ein höheres Risiko, an Fettleibigkeit zu erkranken, als deren Söhne. „All diese Zusammenhänge sind unabhängig davon, ob die Mutter dieselbe jeweilige Diagnose erhalten hat“, erklärt Prof. Buß, leitende Autorin der Studie. „Das spricht gegen eine genetische Übertragung des jeweiligen Krankheitsrisikos.“ Erste Studie, die mehrere Krankheiten untersucht Die Mechanismen, wie genau das Risiko auf die nachfolgende Generation übertragen wird, sind noch nicht hinreichend entschlüsselt. Es gibt Hinweise darauf, dass negative Erfahrungen in der Kindheit die mütterliche Biologie während der Schwangerschaft beeinflussen können, zum Beispiel durch Stresshormone. Das kann sich auf die Entwicklung des Fötus auswirken. Solche biologischen Veränderungen sind stärker ausgeprägt, wenn die Mutter in Folge der traumatischen Erfahrungen eine psychische Erkrankung entwickelt hat, beispielsweise eine Depression. Eine beeinträchtigte psychische Gesundheit der Mutter kann sich auch nach der Geburt auf den Umgang mit ihrem Kind auswirken, was wahrscheinlich ebenso für die generationsübergreifenden Effekte von Bedeutung ist. „Unseres Wissens nach ist dies die erste Studie, bei der mehrere Krankheiten gleichzeitig in Bezug auf frühe Traumata der Mutter in einer großen soziodemografischen und ethnisch vielfältigen Stichprobe untersucht wurden. Bislang ist das vor allem für einzelne Erkrankungen geschehen“, erläutert Dr. Nora Moog, ebenfalls vom Institut für Medizinische Psychologie der Charité und Erstautorin der Publikation. Entsprechend konnten die Forschenden zeigen, dass betroffene Kinder mit einer größeren Wahrscheinlichkeit mehrere körperliche und psychische Leiden entwickelten. Auch ist das Risiko umso höher, je schwerwiegender die mütterlichen Erfahrungen in der Kindheit waren. „Gleichzeitig möchte ich betonen, dass unsere Ergebnisse nicht bedeuten, dass alle Kinder von Müttern mit negativen Kindheitserfahrungen automatisch gesundheitliche Probleme bekommen“, ordnet Prof. Buß die Befunde ein. „Das Risiko ist zwar erhöht, es muss aber nicht zwangsläufig in einer Erkrankung münden.“ Betroffene frühzeitig identifizieren und unterstützen „Ich gehe davon aus, dass eine angemessene Unterstützung der belasteten Mütter ihre Gesundheit sowie die ihrer Kinder positiv beeinflussen kann. Dafür ist es sehr wichtig, dass wir betroffene Mütter und Kinder frühzeitig identifizieren“, sagt Prof. Buß. So könnten etwa Ärztinnen und Ärzte im Rahmen von pränatalen oder kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen auch die Kindheitserfahrungen der Eltern thematisieren und Kontakt zu verschiedenen Unterstützungsprogrammen oder Beratungsstellen herstellen. Von einer frühen Hilfe würden dann gegebenenfalls zwei Generationen profitieren: der Elternteil, der Misshandlung erfahren hat und möglicherweise an gesundheitlichen Folgen leidet, und das Kind, bei dem Krankheiten verhindert werden könnten. Um neue, zielgerichtete therapeutische Maßnahmen zu entwickeln, ist ein besseres Verständnis darüber nötig, wie genau das höhere Krankheitsrisiko auf die nachfolgende Generation übertragen wird. Daran arbeitet das Forschungsteam aktuell. Zudem möchte es durch Folgestudien ergründen, welche Kinder widerstandsfähig bleiben, also keine Folgen über eine Generation hinweg erleiden: Was zeichnet sie und ihre Mütter sowie ihr soziales Umfeld aus? Darüber hinaus finden bislang die Kindheitserfahrungen des Vaters verhältnismäßig wenig Beachtung. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass diese ebenfalls an die nächste Generation weitergegeben werden können, wobei sich die Übertragungsmechanismen teilweise von denen der Mütter unterscheiden. Auch diesen Forschungsfragen möchten die Wissenschaftler:innen künftig detaillierter nachgehen.
Warum Migräne häufig während der Menstruation auftritt
- 23-02-2023Werden Frauen von Migräneattacken heimgesucht, passiert das häufig kurz vor oder während der Monatsblutung. Ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat jetzt eine mögliche Erklärung dafür gefunden. Der im Fachmagazin Neurology* veröffentlichten Studie zufolge bilden betroffene Frauen während der Menstruation besonders große Mengen an CGRP. Der Botenstoff trägt bekanntermaßen entscheidend zur Entstehung einer Migräne bei. Frauen sind dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer. Besonders zahlreiche und heftige Attacken erleben sie rund um die Regelblutung, aber auch bei Eintritt in die Wechseljahre. Dagegen verbessern sich die Symptome in vielen Fällen während der Schwangerschaft, und auch mit Abschluss der Menopause werden die Migräneattacken seltener. Dass Hormonschwankungen mit Migräne in Zusammenhang stehen, ist also seit Langem bekannt. Wie genau sie das tun, ist dagegen noch immer größtenteils unklar. „Aus dem Tiermodell haben wir Hinweise, dass Schwankungen von weiblichen Hormonen – insbesondere von Östrogen – zu einer verstärkten Freisetzung des Entzündungsbotenstoffs CGRP im Gehirn führen“, erklärt Dr. Bianca Raffaelli vom Kopfschmerzzentrum der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte, die die Studie geleitet hat. „CGRP steht für ‚Calcitonin Gene-Related Peptide‘ und ist eine körpereigene Substanz, die bei Migräne vermehrt ausgeschüttet wird und die Blutgefäße im Gehirn stark erweitert. Dadurch entsteht eine Entzündungsreaktion, die einer der Gründe für die starken Kopfschmerzen bei Migräne sein könnte.“ Erhöhter CGRP-Spiegel während der Menstruation Anhand von insgesamt 180 Frauen prüfte die Charité-Forschungsgruppe nun, ob der Zusammenhang zwischen weiblichen Hormonen und der Ausschüttung von CGRP auch beim Menschen besteht. Dazu bestimmten die Forschenden bei Migränepatientinnen zweimal im Verlauf des Zyklus den CGRP-Spiegel, und zwar während der Monatsblutung und zum Zeitpunkt des Eisprungs. Ein Vergleich mit Frauen ohne Migräne belegte: Während der Menstruation ist die Konzentration an CGRP bei Migräne-Betroffenen deutlich höher als bei den gesunden Probandinnen. „Wenn also der Östrogenspiegel zur Einleitung der Periode sinkt, schütten die Migränepatientinnen vermehrt CGRP aus“, sagt Dr. Raffaelli, die auch Fellow des Clinician Scientist Programms ist, das die Charité zusammen mit dem Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) unterhält. „Das könnte erklären, warum die betroffenen Frauen kurz vor und während der Monatsblutung häufiger Migräneattacken erleben.“ Bei Frauen, die die Pille einnehmen, gibt es kaum Schwankungen des Östrogenspiegels. Wie die Forschenden in der aktuellen Studie nachwiesen, verändert sich auch die CGRP-Konzentration im Verlauf des „künstlichen Zyklus“ nicht und ist bei Migränepatientinnen vergleichbar mit der gesunder Frauen. Ähnliches beobachteten die Wissenschaftler:innen bei Frauen, die die Wechseljahre abgeschlossen hatten. „Auch wenn diese Daten noch durch größere Studien bestätigt werden müssen: Sie deuten darauf hin, dass beim Menschen die Freisetzung von CGRP abhängig vom hormonellen Zustand ist“, resümiert Dr. Raffaelli. „Tatsächlich kann die Einnahme der Pille und das Ende der Wechseljahre manchen Migränepatientinnen Linderung verschaffen. Wie aber aus unserer Studie ersichtlich wird, gibt es Frauen, die auch ohne Hormonschwankungen Migräne bekommen. Wir vermuten, dass bei ihnen andere Prozesse im Körper eine Rolle bei der Entstehung einer Attacke spielen. Denn CGRP ist nicht das einzige entzündliche Peptid, das Migräne auslösen kann.“ Mögliche Relevanz für Migräne-Medikamente Aufgrund der zentralen Funktion von CGRP in der Migräneentstehung sind in den letzten Jahren neue Medikamente entwickelt worden, die sich gegen den Botenstoff richten – sogenannte CGRP-Inhibitoren. Dr. Raffaelli: „Auf Basis unserer Studie stellt sich nun die Frage: Haben CGRP-Inhibitoren bei verschiedenen hormonellen Zuständen eine unterschiedliche Wirkung? Wäre es also zum Beispiel sinnvoll, diese Medikamente zyklusabhängig zu verabreichen? Das müssen jetzt weitere Studien zeigen.“ Künftig wird das Forschungsteam untersuchen, welche weiteren körperlichen Prozesse durch den Menstruationszyklus beeinflusst werden und zur Entstehung von Migräneattacken beitragen könnten – zum Beispiel die Funktion der Blutgefäße oder die Erregbarkeit des Gehirns. Außerdem planen die Forschenden, auch den CGRP-Spiegel bei Männern unterschiedlicher Altersgruppen genauer in den Blick zu nehmen.
1,3 Millionen Euro für zehn neue Forschungsvorhaben im 3R-Bereich
- 21-02-2023Krankheiten werden oft mithilfe von Tierversuchen erforscht. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin fördert jetzt zehn neue Projekte, die mittels menschlichem Gewebe alternative Modelle entwickeln, die Zahl der Versuchstiere reduzieren oder die Tierhaltung verbessern. Angewendet wird dabei das sogenannte 3R-Prinzip, dessen Ziel es ist, Tierversuche zu ersetzen (Replace), die Anzahl der Versuchstiere zu reduzieren (Reduce) oder die Belastung für Versuchstiere zu mindern (Refine). Die Vorhaben werden mit insgesamt 1,3 Millionen Euro über einen Zeitraum von in der Regel zwei Jahren unterstützt. „Tierversuche sind weiterhin ein wichtiger Baustein im Methodenmix der biomedizinischen Forschung an der Charité“, sagt Prof. Dr. Joachim Spranger, Dekan der Charité. „Aus diesem Grund, aber auch aus ganz grundsätzlichen Erwägungen im Hinblick auf die mangelnde Reproduzierbarkeit mancher tierexperimenteller Studien im Menschen, sehen wir an der Charité eine besondere Verpflichtung, die Suche nach neuen experimentellen Methoden und Modellen stetig voranzutreiben und alles dafür zu tun, notwendige Tierversuche zu verbessern, ihre Zahl zu verringern und sie wo immer möglich zu ersetzen. Die jetzt gestarteten Forschungsprojekte bilden sehr anschaulich einen Querschnitt durch die heterogene Forschungslandschaft der Berliner Universitätsmedizin und zeigen die vielfältigen Möglichkeiten und Bedarfe für eine Weiterentwicklung der 3R-Prinzipien an der Charité.“ „Für die Entwicklung von neuen Forschungsmethoden, die einerseits zu besseren Therapien für den Menschen führen sollen und die gleichzeitig potenziell die Zahl der Tierversuche reduzieren, braucht es sehr breit angelegte Förderinitiativen und einen langen Atem“, sagt Prof. Dr. Stefan Hippenstiel, Sprecher von Charité 3R. „Daher freut es uns sehr, dass wir einige der vielen Forschungsprojekte nun nachhaltig unterstützen und diese Entwicklung weiter verstärken können.“ Die zehn geförderten Vorhaben wurden aus vielen Bewerbungen in einem unabhängigen wissenschaftlichen Begutachtungsprozess ausgewählt. Koordiniert wurden die Förderausschreibungen und der Begutachtungsprozess von Charité 3R. Charité 3R ist eine Einrichtung, die die Umsetzung des 3R-Prinzips an der Charité über das gesetzlich geforderte Maß hinaus intensiv unterstützt. Die 3R-Forschung an der Charité widmet sich nicht allein der Stärkung des Tierwohls, sondern gleichzeitig einer Verbesserung der Translation – also der Übertragung von Ergebnissen aus der biomedizinischen Forschung auf den Menschen –, verbunden mit einem Maximum an Tierwohl. Drei Projekte im Detail Eines der neuen Forschungsprojekte im Bereich „Reduction“ forscht beispielsweise mit sogenannten Wildling-Mäusen. Denn herkömmliche Labormäuse werden zumeist unter keimarmen Bedingungen gehalten, während Menschen und Tiere „in freier Wildbahn“ von einer wesentlich komplexeren Gruppe von Mikroorganismen besiedelt sind. Dieses sogenannte Mikrobiom spielt eine wichtige Rolle für die Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten. Im Wildling-Projekt wollen die Forschenden deshalb untersuchen, ob Labormäuse mit einem natürlichen Mikrobiom im Vergleich zu herkömmlichen Labormäusen besser für die Untersuchung von Krankheitsmechanismen und die Entwicklung neuer Therapien geeignet sind. Dazu wird eine große Bandbreite von relevanten Krankheiten wie Virusinfektionen, Alzheimer, Krebs und Schlaganfall untersucht. Die Wissenschaftler:innen erwarten, dass Forschung mit Wildling-Mäusen effektiv zu neuen Therapien und daher langfristig zu einer Reduzierung von Tierversuchen führen wird. Im Bereich „Replacement“ wollen Forschende in einem neuen Projekt ein auf menschlichen Zellen basierendes Modell etablieren, das die Entwicklung von Medikamenten für das sogenannte SynGAP-Syndrom unterstützt. Bei diesem Syndrom handelt es sich um eine seltene genetische Erkrankung, der eine Mutation auf einem speziellen Gen, dem SynGAP1-Gen, zugrunde liegt. Diese Mutation führt zu einer schweren neurologischen Entwicklungsstörung mit geistiger Behinderung, autistischen Zügen und Krampfanfällen. Das Forschungsteam will Mini-Gehirn-Organoide aus menschlichen Stammzellen entwickeln und an ihnen die Effekte der durch die Mutation gestörten Signalübertragung zwischen Nervenzellen untersuchen. Ziel ist es, ein System für die Erprobung möglicher Medikamente für das SynGAP-Syndrom bereitzustellen und gleichzeitig die Anzahl der für das Verständnis der Krankheitsmechanismen erforderlichen Tiere zu reduzieren. Ein Projekt im Bereich des „Refinement“ startet mit dem Ziel, neue Konzepte für die Haltung von Ratten zu entwickeln. Die Bedingungen in der Tierhaltung haben einen großen Einfluss auf das Wohlergehen von Versuchstieren. Ratten stellen nicht nur aufgrund ihrer Körpergröße besondere Anforderungen an Haltungssysteme. Sie besitzen zudem ein ausgeprägtes Spiel- und Erkundungsverhalten und interagieren intensiv mit ihren Sozialpartnern und mit Menschen. Gleichzeitig besteht in der Forschung der Bedarf an Tieren, die über einen längeren Zeitraum gehalten werden, da mit der demografischen Alterung der Gesellschaft auch die altersbedingten Erkrankungen zunehmen. Um diesem besser begegnen zu können, braucht es ausgewachsene und ältere Versuchstiere. Die Antragstellenden wollen verschiedene Konzepte für Käfigumbauten erproben, um den Tieren abwechslungsreiche und individuelle Optionen für Aktivität und Ruhe zu ermöglichen. Weitere Informationen zu allen geförderten Forschungsprojekten und Förderlinien finden sich auf der Charité 3R-Webseite.
Nature-Studie entdeckt Entstehungsmechanismus für seltene Erbkrankheiten
- 08-02-2023Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik (MPIMG) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) haben im Detail aufgeklärt, wie das äußerst seltene erbliche BPTA-Syndrom entsteht: Die Ladungsänderung eines Proteins bringt die zelluläre Selbstorganisation durcheinander, eine Entwicklungsstörung ist die Folge. Das Team identifizierte außerdem hunderte vergleichbare genetische Veränderungen, die unter anderem mit Störungen der Hirnentwicklung oder einer Krebs-Veranlagung in Zusammenhang stehen. Der jetzt im Fachmagazin Nature* beschriebene Mechanismus könnte damit die Ursache für zahlreiche unaufgeklärte Erkrankungen sein. Tausende genetische Veränderungen stehen in Verbindung mit verschiedenen Erkrankungen. Wie genau diese Mutationen zu Krankheiten führen, ist meistens jedoch unklar. Das liegt daran, dass sie Abschnitte von Proteinen betreffen, deren dreidimensionale Struktur ungeordnet ist und über deren Funktion in der Zelle man bisher wenig weiß. „Die Aufgaben solcher Proteinabschnitte sind schwer zu erforschen, weil sie häufig erst zusammen mit anderen Molekülen ihre Wirkung entfalten“, sagt Dr. Martin Mensah vom Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité. Er ist einer der beiden Erstautoren der Studie und Fellow des Digital Clinician Scientist Programms, das die Charité zusammen mit dem Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) betreibt. „Am Beispiel des BPTA-Syndroms haben wir nun im Detail beschrieben, wie Veränderungen in ungeordneten Proteinbereichen eine genetisch bedingte Krankheit verursachen können.“ Damit hat das Forschungsteam einen neuen Entstehungsmechanismus von Erbkrankheiten entdeckt – der der Studie zufolge überraschenderweise gar nicht so selten ist. BPTA steht für „Brachyphalangie-Polydaktylie und tibiale Aplasie/Hypoplasie“. Die Betroffenen haben schwerwiegende Fehlbildungen an den Gliedmaßen, dem Gesicht, dem Nerven- und Knochensystem und anderen Organen. Mit weniger als zehn dokumentierten Fällen weltweit ist die Krankheit extrem selten. Um der Ursache für das BPTA-Syndrom auf die Spur zu kommen, entschlüsselten die Forschenden die Erbinformation von fünf Betroffenen und stellten fest, dass bei allen das Protein HMGB1 verändert ist: Das letzte Drittel seiner Struktur ist durch eine sogenannte Rasterschub-Mutation nicht länger negativ, sondern positiv geladen. Das Kernkörperchen verfestigt sich Durch die Ladungsänderung ähnelt HMGB1 nun Proteinen, die sich vorzugsweise im sogenannten Kernkörperchen aufhalten. Das Kernkörperchen ist ein kleiner Bereich im Zellkern, in dem Teile der Proteinfabriken zusammengebaut werden. Es ist daher fundamental wichtig für die Lebensfähigkeit einer Zelle. Wie das Forschungsteam anhand von Versuchen mit isolierten Proteinen und Zellkulturen belegte, wird das mutierte HMGB1-Protein mit seinem nun positiv geladenen Endstück fälschlicherweise zum Kernkörperchen hingezogen. Weil der Proteinfortsatz zum Teil auch zäher geworden ist, verklumpt das HMGB1-Protein außerdem. „Im Mikroskop konnten wir nachvollziehen, dass das Kernkörperchen dadurch seine eigentlich flüssigkeitsähnlichen Eigenschaften verliert und zunehmend erstarrt“, erklärt Dr. Henri Niskanen, Wissenschaftler am MPIMG und ebenfalls Erstautor der Studie. Die Verfestigung des Kernkörperchens beeinträchtigt die Lebensfunktion der Zellen: Mit dem mutierten Protein starben mehr Zellen in der Kultur als ohne die Mutation. Prof. Dr. Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik des UKSH und einer der drei leitenden Autoren der Studie, resümiert: „Wir haben also gezeigt, wie Mutationen in ungeordneten Proteinabschnitten eine Krankheit verursachen können: Durch eine Ladungsänderung sammelt sich das Protein fälschlicherweise im Kernkörperchen an und beeinträchtigt so dessen lebenswichtige Funktion. In der Folge ist die Entwicklung des Organismus gestört.“ Existierende Krankheiten neu erklärt Anschließend durchsuchte das Forschungsteam in Datenbanken die DNA-Sequenzen von tausenden Personen auf der Suche nach ähnlichen Fällen. Tatsächlich konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als 600 Mutationen in 66 Proteinen identifizieren, die dem Protein-Endstück sowohl eine positive Ladung als auch zähere Eigenschaften verliehen. 101 davon waren bereits zuvor mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht worden, darunter neuronale Entwicklungsstörungen und eine erhöhte Anfälligkeit für Krebs. Für 13 ausgewählte Proteine prüfte das Team in der Zellkultur, ob sie durch die Mutationen eine Affinität für das Kernkörperchen erhielten. Das traf in zwölf Fällen zu. Etwa die Hälfte der getesteten Proteine beeinträchtigten die Funktion des Kernkörperchens und ähnelten damit dem Krankheitsmechanismus des BPTA-Syndroms. „Der Entstehungsmechanismus, den wir beim BPTA-Syndrom entdeckt haben, könnte also bei vielen weiteren Krankheiten zum Tragen kommen“, sagt Prof. Dr. Denise Horn, leitende Studienautorin vom Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité. „Wir stoßen damit eine Tür auf, die zur Aufklärung zahlreicher weiterer Erkrankungen führen könnte. Die eigentliche Arbeit beginnt deshalb erst jetzt.“ Zumindest für einige Erkrankungen könnte der jetzt bekannte Mechanismus außerdem einen neuen Therapieansatz liefern. „Tumorleiden sind auf genetische Veränderungen in den betroffenen Zellen zurückzuführen“, erklärt Dr. Denes Hnisz, Forschungsgruppenleiter am MPIMG und dritter leitender Autor der Studie. „Möglicherweise können wir in Zukunft also die Krebsentwicklung unterbinden, indem wir in die Selbstorganisation der Zelle eingreifen, die über ungeordnete Proteinabschnitte vermittelt wird.“
Mit vereinten Kräften gegen Krebs
- 02-02-2023Gemeinsame Pressemitteilung von Charité, BIH und Max Delbrück Center Insgesamt sechs Standorte kooperieren von nun an im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Am Berliner Standort ist ein zentraler Partner die Charité – Universitätsmedizin Berlin in enger Zusammenarbeit mit Forschenden des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und des Max Delbrück Center. Das gemeinsame Ziel: modernste klinische Krebsforschung in Deutschland nachhaltig voranbringen und damit die Behandlung und Lebensqualität von Krebspatient:innen immer weiter verbessern. Das NCT ist eine langfristig angelegte Kooperation zwischen dem DKFZ in Heidelberg und exzellenten Partnern in der Universitätsmedizin sowie weiteren herausragenden Forschungseinrichtungen an verschiedenen Standorten in Deutschland. Seit 2019 unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Nationalen Dekade gegen Krebs das Ziel, Ergebnisse aus der Krebsforschung schneller für Erkrankte zugänglich zu machen. Jetzt hat das Ministerium die Erweiterung des NCT um vier neue Standorte bestätigt, somit umfasst das translationale Konsortium nun sechs Standorte bundesweit. Im NCT arbeiten Ärzt:innen eng mit Forschenden zusammen, um Patient:innen eine auf die eigene Erkrankung zugeschnittene Krebstherapie zu ermöglichen. Mit der weiteren Förderung können die neuen Standorte ausgebaut werden. Neben Berlin gingen die Standorte Köln/Essen, Tübingen/Ulm/Stuttgart und Würzburg/Erlangen/Regensburg erfolgreich aus dem kompetitiven Bewerbungsverfahren hervor. Diese vier neuen NCT-Standorte sollen zukünftig noch mehr onkologischen Patient:innen frühzeitig Zugang zu Innovationen der personalisierten Medizin ermöglichen. Drei leistungsfähige Kooperationspartner haben den NCT-Standort Berlin entwickelt: die Charité, das BIH und das Max Delbrück Center. Prof. Dr. Ulrich Keilholz, Leiter des Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC) und Koordinator des Berliner NCT-Antrags, freut sich über diesen Schritt: „Die Charité gewährleistet bereits heute mit seinem CCCC die umfassende Versorgung von Patientinnen und Patienten und führt klinische und translationale Krebsforschung durch. Jeder Patient und jede Patientin erhält einen individuellen Behandlungsplan, der in einem interdisziplinären Team optimiert entwickelt wird. Zusätzlich ermöglichen wir die Teilnahme an klinischen Studien. Als künftiger NCT-Standort Berlin werden wir noch erfolgreicher forschen und behandeln können und unsere Expertise weiter ausbauen.“ Mitkoordinatorin Prof. Dr. Angelika Eggert leitet die Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité und ist Berliner Standortsprecherin im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Sie erforscht mit ihrem Team neue molekular gezielte Therapien und Immuntherapien speziell für krebskranke Kinder. „Das körpereigene Immunsystem spielt eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Krebs. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort in Berlin konnten wir entscheidende Fortschritte erzielen. Gerade bei den doch eher seltenen Krebsfällen im Kindesalter werden wir sehr von der deutschlandweiten Zusammenarbeit mit den anderen NCT-Standorten profitieren." Ebenfalls federführend beteiligt ist Prof. Dr. Lars Bullinger, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Campus Virchow-Klinikum. „Wir freuen uns über die Möglichkeit, zukünftig in einem neuen NCT-Gebäude Spitzenforschung, modernste Patientenversorgung und direkte Kontakte mit Patientenvertretern unter ein Dach zu bringen.“ BIH-Chair für Klinisch Translationale Medizin Prof. Dr. Christof von Kalle leitet das Klinische Studienzentrum von BIH und Charité. Bevor er nach Berlin wechselte, hatte er in Heidelberg das dortige NCT mitgegründet und über zehn Jahre geleitet. Auch er hat das Konzept für den NCT-Standort Berlin mitentwickelt. „Aus meiner langjährigen NCT-Erfahrung in Heidelberg weiß ich, wie entscheidend die enge Verzahnung von Forschung und Klinik, aber auch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen im Kampf gegen den Krebs sind. Gleichzeitig müssen wir auch die Digitalisierung noch weiter vorantreiben, damit die vielen Daten, die in der Forschung und bei der Behandlung von tausenden Krebspatienten anfallen, den größtmöglichen Nutzen entfalten können. Als NCT-Standort Berlin können wir diese Herausforderungen meistern.“ Das Max Delbrück Center gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Seine Wissenschaftler:innen untersuchen mit neuesten Technologien die molekularen Grundlagen von Krankheit und Gesundheit, um so der Medizin der Zukunft den Weg zu bereiten. In der Krebsmedizin entwickeln sie unter anderem neue Immuntherapien: Die CAR-T-Zelltherapien von PD Dr. Uta Höpken und ihren Kolleg:innen werden bereits an der Charité klinisch erprobt, hinzu kommt umfassende Expertise zu T-Zell-Therapien gegen solide Tumoren. Zudem werden innovative Schlüsseltechnologien wie die 3D-Einzelzell-Analyse, Proteomik und Metabolomik mit Hilfe künstlicher Intelligenz in neue medizinische Konzepte umgesetzt. Prof. Dr. Maike Sander, Wissenschaftliche Vorständin des Max Delbrück Center, freut sich ebenfalls sehr über die Förderung. „Berlin wird ein exzellenter Standort für das erweiterte Nationale Centrum für Tumorerkrankungen: Hier kommt alles perfekt zusammen. Für uns am Max Delbrück Center bedeutet das, dass wir unsere Forschung und Expertise auf dem Gebiet der Immuntherapie, der Krebsentstehung und der zellbasierten Krebsmedizin weiter vorantreiben können. Und durch die enge Zusammenarbeit mit der Charité und dem BIH möchten wir unsere Erkenntnisse möglichst schnell zu den Patientinnen und Patienten bringen. Es geht um die personalisierte Onkologie der Zukunft.“ Die einzigartige Expertise der drei Kooperationspartner macht Berlin vor allem zu einem international herausragenden Standort für Systemmedizin und klinisch angewandte Einzelzell-Technologien. Auf der Basis dieser Erfolge hat Prof. Dr. Nikolaus Rajewsky, Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB), gemeinsam mit dem klinischen NCT-Team ein wegweisendes zukünftiges Konzept zellbasierter Krebsmedizin entwickelt. Die Innovationen am NCT umfassen dabei neben den klinischen Programmen drei wesentliche Themen: Präzisionsonkologie, zelluläre Immuntherapie und digitale Medizin. Das CCCC koordiniert den Aufbau des NCT-Partnerstandortes Berlin. Alle relevanten Fachgebiete der Krebsmedizin und Patientensprecher:innen sind dabei im Lenkungsausschuss des NCT Berlin vertreten. Ein eigenes Gebäude ist auf dem zukünftigen klinischen Forschungscampus am Charité Campus Virchow-Klinikum geplant. Hier sollen modernste Forschungslabore, eine Ambulanz sowie ein Informationszentrum für Krebspatientinnen und -patienten entstehen. Das BIH Charité Clinician Scientist Programm sowie zahlreiche andere Weiterbildungsmöglichkeiten machen Berlin zu einem attraktiven Standort für die Rekrutierung junger Talente in der Krebsforschung. Neben der Hauptstadt wird sich der Einzugsbereich des NCT Berlin mit der Bevölkerung Berlins, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts von insgesamt 8,6 Millionen Einwohnern auf etwa ein Zehntel Deutschlands erstrecken, mit erwartet mehr als 55.000 neu diagnostizierten Krebsfällen pro Jahr. Das nun erweiterte NCT wird nachhaltige gemeinsame Forschungs- und Kooperationsstrukturen aufbauen. Es bündelt die vorhandenen nationalen Potenziale und schafft dadurch Synergien, die die Übertragung von Innovationen in die Patientenversorgung, das Gesundheitssystem, die Wirtschaft und die Gesellschaft vorantreiben. Nur durch die bedeutende Investition des BMBF ist es möglich, dieses „one NCT“-Vorhaben zu realisieren. Im Endausbau wird das erweiterte NCT mit insgesamt rund 100 Millionen Euro pro Jahr vom BMBF und vom jeweiligen Bundesland im Verhältnis 90 zu 10 finanziert. Darüber hinaus ermöglichen es die Sitzländer durch ihre Finanzierung, an jedem der vier neuen Standorte ein patientenorientiertes NCT-Gebäude zu errichten.
Wie treffen wir lebensnotwendige Entscheidungen?
- 31-01-2023Sind wir hungrig, sollten wir wach bleiben und essen. Sind wir müde, sollten wir schlafen und keine Nahrung zu uns nehmen. Es ist offenkundig: Die Verhaltensprogramme für Essen und Schlafen schließen sich gegenseitig aus. Nur wie legt das Gehirn fest, welches Programm im jeweiligen Augenblick das richtige ist? An der Charité – Universitätsmedizin Berlin geht der Neurophysiologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. David Owald dieser Frage jetzt eingehend nach, beispielhaft am winzigen Gehirn der Fruchtfliege. Das Projekt „Simple Minds“ wird in den kommenden fünf Jahren mit rund zweieinhalb Millionen Euro durch einen ERC Consolidator Grant gefördert. Was lässt uns Entscheidungen treffen? Wie werden wir gesteuert? Und wie entscheiden wir, welches Verhalten zu einem bestimmten Moment das sinnvollste ist? Jahrhunderte alte Fragen, die Forschende immer wieder aufs Neue zu beantworten suchen. „Noch immer ist wenig darüber bekannt, wie genau Netzwerke von Nervenzellen und Filtermechanismen im Gehirn zu gewissen Verhaltensmustern beitragen“, sagt Prof. Owald. „Uns interessieren vor allem die Zusammenhänge von Aktivitätsmustern, Gedächtnisspuren und neuronalen Filtern, wie sie beispielsweise den lebensnotwendigen Bedürfnissen zugrunde liegen. Ziel ist es, die physiologischen Grundlagen dieser Vorgänge besser zu verstehen, denn sie könnten einen Zugang zu unseren Entscheidungsgrundlagen, aber auch zu Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen ermöglichen.“ Prof. Dr. David Owald arbeitet mit einem internationalen interdisziplinären Team am Institut für Neurophysiologie der Charité und ist Mitglied des Exzellenzclusters NeuroCure. Schon während der Promotion galt sein Interesse molekularen Einflüssen, die die Stärke der Verbindungen zwischen Nervenzellen ändern können. Später erforschte er unter anderem in Oxford, wie Belohnungsgedächtnisse im Gehirn von Fruchtfliegen gespeichert werden. Heute gehören zu den Forschungsschwerpunkten des Neurobiologen Grundlagen für Lernprozesse, Suchtverhalten und Gedächtnisveränderungen wie auch die neuronale Steuerung von Motivation. Der nun gewährte ERC Consolidator Grant folgt im Anschluss an eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe, finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Simple Minds: Die Taufliege als Modell Die Taufliege Drosophila melanogaster, weithin als Fruchtfliege bekannt, hat sehr grundlegende Bedürfnisse. Und sie besitzt mit etwa 200.000 Nervenzellen ein recht übersichtliches Gehirn. Einige Verhaltensweisen, die sich in dieser kleinen Fliege beobachten lassen, und die dazugehörigen Prozesse im Gehirn sind in leicht veränderter Form auf den Menschen übertragbar. Mit genetischen Techniken, die in jüngster Zeit weltweit stark entwickelt wurden, lassen sich gezielt die Aktivität einzelner Nervenzellen oder auch die Aktivität von Nervenzellverbünden beobachten und verschiedene Formen der Steuerung messen – von Molekülen bis hin zu ganzen Netzwerkensembles. „Basierend auf unseren Vorarbeiten gehen wir im Projekt ‚Simple Minds‘ der Hypothese nach, dass sensorische Informationen gezielt gefiltert werden, um ein Verhalten wie beispielsweise Schlaf oder auch Ein- und Durchschlafen zu ermöglichen. Grundlage dessen sind rhythmische Netzwerkaktivität und Veränderungen in der Verbindungsstärke von Nervenzellen. Wie das genau geschieht, wollen wir im Gehirn der Taufliege beobachten“, erklärt Prof. Owald. Und was passiert, wenn das Tier nicht erreichen kann, was das Gehirn ihm nahelegt? Wenn es wie Sisyphos trotz aufgebrachter Mühe nicht zum Ziel gelangt? Der Neurowissenschaftler vermutet, dass ein solcher Zustand zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führen kann, ähnlich wie es Patientinnen und Patienten mit Depressionen mitunter erleben.
Charité startet Podcast zur Gesundheitsforschung
- 26-01-2023Wie findet man heraus, wie viel Schlaf man wirklich benötigt? Hilft warme Milch beim Einschlafen? Und ist Mittagsschlaf gesund? Fragen wie diesen geht die Charité – Universitätsmedizin Berlin ab heute mit „Better Ask Charité“ nach und startet ihren gleichnamigen Unternehmenspodcast. Mediziner:innen und Wissenschaftler:innen beantworten Fragen zu ihrem Fachthema in der Gesundheitsforschung sowie zu ihrem Arbeitsalltag, die Fragen stellt die Social-Media-Community. Der Gast der jeweiligen Folge wird auf dem Instagram-Kanal der Charité angekündigt, wo Follower ihre Fragen einreichen können. Aus einer Vielzahl von Fragen werden dann die spannendsten ausgewählt. „Better Ask Charité“ wird nicht nur als Podcast, sondern auch als Video auf YouTube veröffentlicht. Podcasts sind fester Bestandteil des alltäglichen Medienkonsums. Insbesondere die Themen Gesundheit und Medizin stoßen auf ein großes Interesse. Vor diesem Hintergrund hat die Charité den Podcast „Better Ask Charité“ konzipiert, dessen erste Episode heute veröffentlicht wurde. Zu Gast ist Prof. Dr. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité. Der Podcast ist auf allen gängigen Audio-Plattformen abrufbar. Einen Überblick hierzu findet sich auf der Webseite der Charité. „Better Ask Charité“ erscheint alle vier Wochen. „Podcasts sind ein wertvolles Instrument in der Gesundheitskommunikation, da sie die Möglichkeit bieten, komplexe medizinische Themen auf eine einfache und zugängliche Art zu präsentieren. Gerade in Zeiten, in denen schnelle und präzise Gesundheitsinformationen von entscheidender Bedeutung sind, ermöglicht unser neues Format eine unkomplizierte Verbreitung und erreicht dadurch eine breite Zielgruppe, die immer wieder Antworten auf konkrete, individuelle Fragen sucht", sagt die Leiterin des Geschäftsbereichs Unternehmenskommunikation Manuela Zingl.
Neue Versorgungsform: Anfallsleiden ambulant diagnostizieren
- 26-01-2023Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat bundesweit 16 weitere Vorhaben zur Entwicklung neuer Versorgungsansätze auf den Weg gebracht. Das Ziel: die Regelversorgung von Patientinnen und Patienten in Deutschland innovativ weiterzuentwickeln. Eines der neuen Projekte leiten Medizinerinnen und Mediziner der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Menschen mit unklaren Anfallsleiden soll künftig eine Diagnostik zu Hause ermöglicht werden, anstelle eines mehrtägigen Krankenhausaufenthaltes. An zwei weiteren neuen Vorhaben sind Teams der Charité als Partner beteiligt. Der G-BA fördert Forschungsprojekte zur Erprobung von Ansätzen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen und neue Wege in der Versorgung erschließen. Nach erfolgreicher Evaluation und Empfehlung durch den Innovationsausschuss können diese in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. „Die Themen der aktuellen Förderwelle zeigen einmal mehr, dass Projekte, die zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung beitragen und der Verlagerung von bisher stationären Leistungen in den ambulanten Sektor – in interdisziplinären und sektorenübergreifenden Versorgungsnetzwerken – dienen, weiterhin an Bedeutung gewinnen“, sagt Prof. Dr. Elke Schäffner, Sprecherin der Plattform – Charité Versorgungsforschung. Eines der neu geförderten Projekte nutzt computationale Ansätze in der Neurologie und wird an der Charité koordiniert: Ambulantes Langzeit-Video-EEG-EKG für Menschen mit Anfallserkrankungen (ALVEEG) Rund 5,5 Millionen Menschen deutschlandweit leiden unter Anfällen unbekannter Ursache, es kann sich dabei beispielsweise um Epilepsien, Synkopen oder Krämpfe handeln. Innovative, tragbare Video-EEG-Monitoring-Systeme, sogenannte Wearables, und eine Datenauswertung mittels Künstlicher Intelligenz soll Betroffenen, insbesondere in ländlichen Regionen, zukünftig einen schnellen, effizienten und sektorenübergreifenden Zugang zu der bisher stationär durchgeführten Diagnostik im häuslichen Umfeld ermöglichen – bei bestbewährten Standards. Ausgestattet mit einem mobilen EEG-Gerät und einer Kamera wird ein mehrtägiges Video-EEG erstellt, während Patient:innen ihrem Tagesablauf weiter folgen, im Homeoffice arbeiten oder Kinder betreuen können. Das Team an der Charité plant eine prospektive, multizentrische, randomisiert kontrollierte Interventionsstudie an fünf Epilepsiezentren, die die niedergelassenen mitbehandelnden Ärztinnen und Ärzte einbezieht. Projektleitung: Privatdozent Dr. Christian Meisel, Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Campus Charité Mitte und Berliner Institut für Gesundheitsforschung in der Charité (BIH) An zwei weiteren Projekten ist die Charité als Konsortialpartnerin beteiligt: EVA-RADIUS Evaluation eines interaktiven sektorenübergreifenden „Blended-Treatment“-Ansatzes bei Alkoholkonsumstörungen nach Entzug – ein kombinierter Ansatz von klassischer Psychotherapie und Online-Tools. Konsortialführung: Evangelisches Klinikum Bethel gGmbH Projektleitung an der Charité: Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz und Privatdozent Dr. Christian Müller, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte PeriOP-CARE HF Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche haben vor, während und nach Operationen ein erhöhtes Komplikationsrisiko. Das Projekt erprobt daher eine perioperative interdisziplinäre, intersektorale Prozess-Optimierung bei Herzinsuffizienz. Konsortialführung: Justus-Liebig-Universität Gießen Projektleitung an der Charité: Prof. Dr. Sascha Treskatsch, Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Campus Benjamin Franklin
Mit Diamant-Sensoren neurale Exoskelette präziser steuern
- 25-01-2023Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und Fraunhofer IAF Gehirn-Computer-Schnittstellen können gelähmten Menschen durch die Steuerung von Exoskeletten einen Teil ihrer Bewegungsfähigkeit zurückgeben. Von der Kopfoberfläche lassen sich komplexere Steuersignale bislang jedoch nicht auslesen, da herkömmliche Sensoren hierfür nicht sensitiv genug sind. Dieser Herausforderung hat sich ein Verbund aus Fraunhofer IAF, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Universität Stuttgart und Industriepartnern angenommen: Im kürzlich gestarteten BMBF-Leuchtturmprojekt »NeuroQ« entwickeln die Partner hochsensitive diamantbasierte Quantensensoren, die es Gelähmten ermöglichen sollen, neurale Exoskelette präziser zu steuern. Für Menschen, die beispielsweise aufgrund einer Rückenmarksverletzung, eines Schlaganfalls oder einer anderen Krankheit ihre Hände oder Beine nicht bewegen können, stellen sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCIs) eine große Hoffnung dar: Diese Gehirn-Computer-Schnittstellen ermöglichen die Steuerung eines Gerätes allein mittels Hirnaktivität – so kann etwa ein Exoskelett nur durch die Vorstellung von einer Bewegung gesteuert werden. Damit bieten BCIs gelähmten Menschen die Chance, die Kontrolle über einen Teil ihrer Bewegungsfähigkeit wiederzuerlangen. BCIs, die Hirnaktivität von der Kopfoberfläche messen, haben den Vorteil, dass sie Patientinnen und Patienten einen aufwendigen und risikobehafteten chirurgischen Eingriff am Gehirn ersparen. »Wir haben bereits ein nicht-invasives BCI-System entwickelt, das es Menschen mit hoher Querschnittslähmung ermöglicht, mittels willkürlicher Veränderung ihrer Hirnströme, Alltagsgegenstände zu greifen«, berichtet Prof. Dr. Surjo R. Soekadar, Einstein-Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité, und fügt hinzu: »Trotz der beachtlichen Fortschritte ist es bislang jedoch nicht gelungen, komplexe Handbewegungen mit einem solchen nicht-invasiven System zu steuern.« So lässt sich zwar die Bewegungsabsicht erkennen, aber nicht, welche Bewegung genau ausgeführt werden soll. Um dies zu erreichen, müsste die Sensitivität der Sensoren erheblich gesteigert werden. Quantensensoren messen Hirnströme Dieser Aufgabe haben sich nun neun Partner angenommen und das Projekt »Laserschwellen-Magnetometer für neuronale Kommunikationsschnittstellen«, kurz »NeuroQ«, gestartet. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Vorhaben entwickeln die Projektpartner Quantensensoren, die so sensitiv sind, dass sie kleinste Magnetfelder, die durch Hirnströme entstehen, messen können. Diese Quantenmagnetometer sollen in ein BCI-System integriert werden und es damit Gelähmten ermöglichen, ein Hand-Exoskelett deutlich präziser zu steuern als es bislang der Fall ist. Magnetfelder liefern deutlichere Signale Bei nicht-invasiven BCIs erfolgt die Messung der neuronalen Aktivität bislang hauptsächlich über elektrische Felder. Dabei bringt die Messung von Magnetfeldern erhebliche Vorteile mit sich: »Magnetfelder durchdringen Haut und Schädel unverzerrt und liefern damit wesentlich deutlichere Signale als elektrische Felder, da diese auf dem Weg von der Quelle zum Sensor stark abgeschwächt werden. So hat die Magneto-Enzephalographie (MEG) signifikante Vorteile gegenüber der Elektro-Enzephalographie (EEG), wird jedoch aufgrund technischer Hürden nur selten angewendet«, erklärt Dr. Jan Jeske, Projektleiter von »NeuroQ« und Forscher am Fraunhofer IAF. Die technischen Hürden von MEGs liegen an den eingesetzten Sensortechnologien: SQUID-Sensoren (Superconducting Quantum Interference Devices) sind hochpräzise, benötigen allerdings eine Tieftemperaturkühlung, was ihren Einsatz extrem teuer und aufwendig macht. Optisch gepumpte Magnetometer (OPMs) auf der Basis von Dampfzellen übertreffen sogar die Sensitivität von SQUIDs, funktionieren jedoch nur im absoluten Nullfeld – das bedeutet, dass für ihren Betrieb jedes Hintergrundmagnetfeld (inklusive Erdmagnetfeld) vollständig abgeschirmt werden muss, was ebenfalls einen enormen bautechnischen Aufwand mit sich bringt. »Bislang sind keine Magnetometer realisiert worden, die unter Umgebungsbedingungen – also in nicht abgeschirmten Umgebungen – eine Empfindlichkeit erreichen, die für den Nachweis neuromagnetischer Felder geeignet wäre. Das Vorhaben von ›NeuroQ‹ übertrifft den Stand der Technik erheblich«, fasst Prof. Dr. Jörg Wrachtrup, Leiter des 3. Physikalischen Instituts an der Universität Stuttgart, zusammen. Diamantbasierter Sensor erlaubt Einsatz in Alltagsumgebung Das Besondere an den im Projekt »NeuroQ« zu entwickelnden Quantenmagnetometer ist ihr Ausgangsmaterial: Sie basieren auf NV-Zentren (nitrogen-vacancy center) in Diamant und verfügen damit über einzigartige Eigenschaften: Diamant-Quantenmagnetometer sind die einzigen hochsensitiven Magnetometer, die bei Raum- bzw. Körpertemperatur funktionieren. Sie messen auch in Anwesenheit eines Hintergrundmagnetfelds und können die genaue Richtung eines Magnetfeldes (d. h. alle drei Komponenten des Vektors) bestimmen. Zudem sind sie biokompatibel und können nah an die Quelle herangebracht werden, was wiederum stärkere Signale ermöglicht. Das alles führt dazu, dass Diamant-Quantenmagnetometer perspektivisch in Kliniken, Praxen, einer Reha-Umgebung, aber auch zu Hause und im Alltag eingesetzt werden könnten, um die Lebensqualität gelähmter Menschen wesentlich zu verbessern und einen wichtigen Beitrag zu ihrer gesellschaftlichen Inklusion zu leisten. Multidisziplinäres Verbundprojekt Da die bislang entwickelten Diamant-Magnetometer die geforderte Empfindlichkeit noch nicht erreichen, sollen im Rahmen von »NeuroQ« zunächst neue hochsensitive Quantenmagnetometer auf Basis eines neuartigen NV-Diamant-Lasers realisiert werden. Das Messystem wird anschließend mit der benötigten Kommunikationsschnittstelle zu einem BCI-System entwickelt und zur Demonstration, Auswertung und Weiterentwicklung im klinischen Umfeld an der Charité in Berlin eingesetzt. Die beteiligten Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) leisten nicht nur einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung, sondern auch zur anschließenden Verwertung der Technologie und fördern damit den Transfer der Ergebnisse in marktfähige Produkte und Anwendungen. Das BMBF fördert das fünfjährige Verbundvorhaben im Rahmen der Maßnahme »Leuchtturmprojekte der quantenbasierten Messtechnik zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderung« mit insgesamt knapp 9 Millionen Euro.
Angeborene Immunschwäche entdeckt – und aufgeklärt
- 23-01-2023Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des Max Delbrück Centers Wie der Austausch eines einzelnen Bausteins im Erbgut einen bisher unbekannten Immundefekt beim Menschen auslöst, berichtet jetzt ein internationales Forschungsteam im Fachmagazin Science Immunology*. Maßgeblich beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers. Sie haben eine spezifische Mutation im Genregulator IRF4 entdeckt. Bei sieben Kindern mit ausgeprägter Immunschwäche entdeckte ein internationales Konsortium von Forschenden eine übereinstimmende Mutation im Gen für den Interferon-Regulations-Faktor 4 (IRF4). IRF4 ist ein sogenannter Transkriptionsfaktor, er reguliert also die Aktivität bestimmter Gene. Er ist aber auch wichtig während der Entwicklung und Aktivierung von Immunzellen. Die Patient:innen stammen aus sechs nicht verwandten Familien, die auf vier unterschiedlichen Kontinenten leben. Wie das Team, zu dem die Gruppe von Prof. Dr. Stephan Mathas und Privatdozent Dr. Martin Janz vom ECRC gehört, belegen konnte, ist bei den Betroffenen im IRF4-Gen ein einzelner Baustein ausgetauscht. Bezeichnet wird diese spezifische genetische Veränderung als T95R-Mutation. Die Forschenden konnten außerdem aufklären, wie sich die Mutation auf das Immunsystem auswirkt: Ein bisher unbeschriebener Mechanismus führt zu einem angeborenen Immundefekt. Angeborene Immundefekte sind selten und oft unterschiedlich stark ausgeprägt. „Immundefiziente Kinder leiden immer wieder an Infekten der oberen Atemwege“, erklärt Prof. Mathas. Es sind häufig Infektionen mit dem Epstein-Barr- oder Zytomegalie-Virus oder mit Pneumocystis jirovecii, einem Erreger, der Lungenentzündungen auslöst; allesamt Infektionen, die Mediziner:innen gut von Menschen mit Immunschwäche kennen. Auch die sieben Patient:innen leiden unter diesen Infektionen. Bei genauer Untersuchung hat darüber hinaus ihr Immunsystem Gemeinsamkeiten: „Es fiel auf, dass alle Kinder zu wenig Antikörper im Blut haben und sehr wenig B-Zellen, die normalerweise diese Antikörper produzieren. Zudem ist die Zahl ihrer T-Zellen und deren Funktion im Vergleich zu Gesunden reduziert“, sagt Prof. Mathas. T-Zellen sind neben den B-Zellen und Antikörpern ein wichtiger Arm des Immunsystems. Bei vielen Kindern mit angeborener Immunschwäche ist die Ursache des Defekts unbekannt, kann aber heutzutage durch Entschlüsselung der Erbinformation ermittelt werden. Auf diese Weise kam auch die IRF4-Mutation T95R zutage. Durch engen Austausch unter Kollegen in internationalen Netzwerken wurde klar, dass es sich bei der genetischen Ursache der Erkrankung dieser Kinder, deren Familien nicht verwandt sind, um die gleiche Mutation handelt. Sie sind die Indexpatient:innen, bei denen der Defekt nun erstmals beschrieben wird. Dem internationalen Konsortium ist es zudem gelungen, das gleiche Krankheitsbild auch durch gezielte Mutation von IRF4 bei der Maus zu erzeugen, wodurch es gelang, die durch IRF4 ausgelösten Fehlfunktionen im Immunsystem im Detail besser zu verstehen. Die Mutation T95R liegt immer nur auf einer der beiden Kopien des Erbguts. Und obwohl die Patient:innen auch immer die gesunde Form von IRF4 bilden, entwickeln alle Betroffenen diese Immunschwäche. „Die Biologie der Mutation schlägt quasi die der gesunden Form“, sagt Prof. Mathas. Wie Erbgutanalysen der Familien ergaben, erbten die Indexpatient:innen die Genveränderung nicht von ihren Eltern, sondern sie trat spontan in der Keimbahn oder der frühen embryonalen Entwicklung auf. Die Mutation liegt genau an der Stelle von IRF4, mit der der Genregulator an die DNA bindet. „Durch die Mutation verändert sich im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren die Affinität von IRF4 für die DNA“, erklärt Prof. Mathas. Das mutierte IRF4-Protein bindet deshalb nicht nur an bekannte DNA-Bindungsstellen je nach Kontext stärker oder schwächer, sondern zudem auch an Stellen des Erbguts, wo es gar nicht binden sollte; also Stellen, an denen die normale Variante des Proteins nie haften würde. Durch bioinformatische Analysen gelang es den Forschenden, diese neuen Bindungsstellen zu identifizieren. Die Forschenden beschreiben die Mutation in ihrer Publikation deshalb als „multimorph“, weil nicht nur bestimmte Gene blockiert, sondern andere und sogar neue aktiviert werden. Je nach Art und Ausprägung einer angeborenen Immunschwäche erhalten Betroffene beispielsweise Stammzelltransplantationen oder lebenslange, regelmäßige Injektionen mit Antikörpern. „Die nun publizierte Arbeit lässt vermuten, dass man die Bindungsstellen von mutierten Transkriptionsfaktoren verändern könnte, ohne dabei die gesunde Variante zu beeinflussen“, sagt Prof. Mathas. Die IRF4-Mutation T95R wird nun jedenfalls in den Katalog der Gene kommen, die zur Diagnostik der angeborenen Immunschwäche gehören. Interessanterweise spielt IRF4 auch bei der Entstehung von bestimmten Blutkrebsarten, an denen Prof. Mathas mit seinem Team forscht, eine wichtige Rolle.
Einweihung der modernisierten Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
- 18-01-2023Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat heute die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte nach aufwändiger Sanierung eingeweiht. Zu den Baumaßnahmen gehörten die Rekonstruktion des kompletten Daches sowie die vollständige Erneuerung der technischen Infrastruktur. Ein besonderer Fokus lag zudem auf den Stationen und Patientenzimmern, die modern, komfortabel und im Sinne einer heilenden Architektur gestaltet wurden. Für die Landesbaumaßnahme wurde eine Gesamtsumme von über 25 Millionen Euro investiert. Der Ensembleteil der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie von 1905 benötigte dringend eine Erneuerung, um den Ansprüchen einer zeitgemäßen Patientenversorgung sowie den gebäudetechnischen Anforderungen zu genügen. Im Rahmen des Bauprojekts wurde der Gebäudeteil in mehreren Abschnitten umfassend und gemäß den denkmalpflegerischen Vorgaben modernisiert. Ebenso wurden die heilungsfördernden Qualitäten des historischen Klinikgebäudes architektonisch und durch die Gestaltung hoher, lichter Räume sowie mit einem durchgängigen Bezug zu den umgebenden Gartenanlagen unterstrichen. Ziel war es, die Aufenthaltsqualität und die Funktionalität gleichermaßen zu verbessern. Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité, erklärte dazu: „Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie – ein Ort mit langer Geschichte – steht für medizinischen und gesundheitspolitischen Fortschritt, damals wie heute. Dass dieses bedeutende Haus im Herzen von Berlin heute saniert ist, ist vor allem Klinikdirektor Professor Andreas Heinz zu verdanken, der den Bedürfnissen der Patient:innen eine Stimme gegeben und auf die seinerzeit unhaltbaren baulichen Zustände aufmerksam gemacht hat. Die Modernisierung war ein Kraftakt, der nur durch eine Baudienststelle zu stemmen war, die trotz vieler Widrigkeiten an dem Ziel festhielt, einen Ort zu schaffen, an dem sich Patient:innen wohlfühlen können. Nicht zuletzt gilt den Mitarbeiter:innen der Klinik großer Dank. Denn sie sorgten dafür, dass Klinikbetrieb, Forschung und Lehre auch während der Sanierung aufrechterhalten werden konnten.“ Astrid Lurati, Vorstandsmitglied Finanzen und Infrastruktur der Charité, skizzierte die vielfältigen Anforderungen und baulichen Gegebenheiten: „Sanieren im denkmalgeschützten Bestand ist immer eine besondere Herausforderung, insbesondere, wenn zugleich die Anforderungen an eine moderne klinische Infrastruktur erfüllt werden sollen. Hierzu gehört in der Charité selbstverständlich auch die gesundheitsfördernde Gestaltung von Klinikräumen durch Farb- und Lichtkonzepte sowie die Verwendung von nachhaltigen Materialien im Sinne der ‚Healing Architecture‘.“ Die ganzheitliche Gestaltung der Stationen und Patientenzimmer orientiert sich an dem Gedanken, dass sich die Patient:innen dort wohlfühlen und die Gestaltung der Umgebung den Genesungsprozess unterstützen kann. Eine angenehme Atmosphäre und die leitliniengerechte medizinische Versorgung gehören im Konzept der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zusammen. Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte, sagte: „Wir bedanken uns ganz besonders bei unserem Klinikrat aus Angehörigen und Betroffenen, die sich für die Modernisierung der Klinik und der Gärten eingesetzt haben. Gerade der vielfältige Zugang zu den großen Gärten mit einem sehr alten Baumbestand ist für das Wohlbefinden der Patienten und Patienten besonders wichtig.“ *© Charité | Sabine Gudath
Erkrankungen des Alters besser verstehen – Stoffwechselexperte kommt an die Charité
- 11-01-2023Prof. Dr. Michael Ristow hat zum Jahresbeginn die Professur auf Lebenszeit für Experimentelle Endokrinologie und Diabetologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin angetreten. Sein Forschungsschwerpunkt: das Entstehen altersbedingter Erkrankungen. Welche Rolle spielen dabei die molekularen Mechanismen unseres Stoffwechsels? Und wie beeinflussen sie die Lebenserwartung des Menschen? Diesen Fragen wird Prof. Ristow an der Charité weiter auf den Grund gehen. Das Ziel: die Gesundheit von Menschen möglichst lange zu erhalten. Verbunden mit der Professur ist die Leitung des Instituts für Experimentelle Endokrinologie der Charité. Prof. Ristow wechselt von Zürich nach Berlin und folgt auf Prof. Dr. Josef Köhrle, der im Ruhestand ist. Prof. Ristow war in den vergangenen zehn Jahren als Professor für Energiestoffwechsel am Department Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich in der Schweiz tätig. Sein Forschungsschwerpunkt, den er nun mit an die Charité bringt, liegt im Bereich der Stoffwechselregulation, insbesondere im Hinblick auf das Entstehen altersbedingter Erkrankungen und die Lebenserwartung des Menschen. „Fettleibigkeit, Diabetes, Neurodegeneration und viele Krebsarten beruhen auf einem gestörten Stoffwechsel“, sagt Prof. Ristow. „Mein Ziel ist es, die dahinterstehenden molekularen Mechanismen besser zu verstehen. Neu entwickelte Therapieansätze und Maßnahmen zur Gesundheitsprävention könnten dann ganz gezielt an den entsprechenden Stoffwechselstellschrauben drehen und so der Entstehung von Krankheiten entgegenwirken.“ Um den hochkomplexen Stoffwechselwegen auf den Grund gehen zu können, wird Prof. Ristow neben Zellkulturen mit Versuchsmodellen des in der Forschung häufig genutzten Fadenwurms Caenorhabditis elegans arbeiten. Darüber hinaus wird er mit seinem Forschungsteam klinisches Probenmaterial untersuchen und anonymisierte Patientendaten mithilfe moderner computergestützter Methoden auswerten, um etwa herauszufinden, ob die Einnahme bestimmter Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel dazu führt, dass Patient:innen länger gesund bleiben als diejenigen, die andere oder gar keine Medikamente einnehmen. „Ich freue mich, dass ich nach vielen Jahren forschender Tätigkeit nun zusätzlich wieder klinisch tätig sein werde“, sagt der gebürtige Lübecker. „Viele spannende Forschungsfragen, die mir schon lange unter den Nägeln brennen, werde ich nun im klinischen Umfeld der Berliner Universitätsmedizin angehen und translational umsetzen können.“ Seine Motivation verbindet er insbesondere mit den Veränderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt: „Wir haben heute eine enorm hohe Lebenserwartung. Doch häufig beginnt schon mit etwa 60 Jahren eine lange Lebensphase, die bei vielen Menschen von Krankheit geprägt ist. Wichtig wäre aus meiner Sicht – für den Einzelnen und das Gesundheitssystem –, die gesunde Lebenszeit zu verlängern. Dazu möchte ich mit meiner Forschung und im Rahmen der Professur gerne beitragen.“
Prof. Dr. Joachim Spranger ist neuer Dekan der Charité
- 10-01-2023Zum 1. Januar 2023 hat Prof. Dr. Joachim Spranger das Amt des Dekans an der Charité – Universitätsmedizin Berlin übernommen. Damit ist er als Mitglied des Vorstandes für Wissenschaft an der Charité zuständig. Er folgt auf Prof. Dr. Axel Radlach Pries, der die Geschicke der Fakultät acht Jahre lang geleitet hat. Heute fand die feierliche Amtsübergabe statt. Prof. Spranger wurde 2008 als Heisenberg-Professor an die Charité berufen und leitet seit 2011 die Medizinische Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Charité und den Fachbereich Endokrinologie und Stoffwechsel der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH. Der Fakultätsrat wählte ihn am 4. Juli 2022 als neuen Dekan der Medizinischen Fakultät für eine Amtszeit von fünf Jahren. Damit löst er Prof. Pries ab, der das Amt von Januar 2015 bis Dezember 2022 ausgeübt und zum Jahresende aus persönlichen Gründen niedergelegt hatte. Der Dekan der Charité ist verantwortlich für alle Angelegenheiten in Forschung und Lehre. Er ist Mitglied des Vorstandes, leitet den Fakultätsrat und steht zugleich an der Spitze der Fakultätsleitung. Diese vertritt die Medizinische Fakultät der Charité in akademischen Fragen nach innen und außen. Sie prägt Ausrichtung und Schwerpunkte von Forschung und Lehre und sichert ihre Qualität. Prof. Spranger war bereits von 2017 bis 2022 als Prodekan für Studium und Lehre in der Fakultätsleitung tätig. Ulrike Gote, Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité: „Prof. Dr. Axel Radlach Pries hat in den vergangenen acht Jahren als Dekan der Charité einzigartig gewirkt und vieles erreicht. Er hat Menschen zusammengeführt, Partner:innen für die Charité gewonnen und Strategien entwickelt und umgesetzt. Für seine Erfolge für die Wissenschaft ist ihm Berlin dankbar. Ich wünsche Herrn Pries alles Gute für seine weiteren Aufgaben, zum Beispiel als Präsident des World Health Summit. Genauso viel Erfolg und gutes Gelingen wünsche ich nun Prof. Dr. Joachim Spranger im neuen Amt. Ich bin voll und ganz überzeugt, dass er ein würdiger Nachfolger sein wird. Seine Wahl im Fakultätsrat mit überwältigender Mehrheit ist Ausdruck des Vertrauens, das die Vertreterinnen und Vertreter von Forschung und Lehre der Charité in ihn setzen. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit.“ Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, würdigt die Verdienste von Prof. Pries als Dekan: „Prof. Pries hat in den zurückliegenden Jahren die wissenschaftliche Stärke der Berliner Universitätsmedizin konsequent ausgebaut. Im Namen des gesamten Vorstandes danke ich Prof. Pries für seine beeindruckenden Leistungen und sein langjähriges Engagement für unsere Fakultät, das Berlin Institute of Health und die Charité als Ganzes.“ Prof. Kroemer erklärt weiter: „Mit Prof. Spranger beginnt jetzt ein profilierter Klinikdirektor und exzellenter Wissenschaftler als neuer Dekan der Charité. Ich bin mir sicher, dass er die herausragende Forschung, den Bereich Studium und Lehre sowie die Kooperationen der Charité weiter vorantreiben wird. Der Vorstand wünscht ihm einen guten Start und viel Erfolg bei den anstehenden Aufgaben!“ Prof. Spranger sagt: „Die Charité ist eine beeindruckende Institution mit einer Vielzahl großartiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ich freue mich auf die anstehende Tätigkeit als Dekan und werde mich neben vielen anderen Themen schwerpunktmäßig der Weiterentwicklung unserer Studiengänge, der Nachwuchsarbeit und der Verbesserung der Forschungsinfrastruktur widmen. Zudem ist mir wichtig, die Zusammenarbeit mit universitären sowie außeruniversitären Partnern in Berlin, aber auch auf nationaler und internationaler Ebene, weiter auszubauen.“
Prof. Dr. Il-Kang Na wird neue Direktorin des BIH Charité Clinician Scientist Programms
- 09-01-2023Prof. Dr. Il-Kang Na wird zum 1. Januar 2023 neue Direktorin des BIH Charité Clinician Scientist Programms (CSP). Die BIH Johanna-Quandt-Professorin folgt auf Prof. Dr. Duška Dragun, die das Programm bis zu ihrem viel zu frühen Tod Ende 2020 als Programmdirektorin geleitet hatte. 2021 und 2022 hatten Prof. Dr. Britta Siegmund und Prof. Dr. Dominik N. Müller das Programmdirektorat übergangsweise ehrenamtlich übernommen. Das Clinician Scientist Programm des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin bietet Ärzt:innen in der Weiterbildung während verschiedener Phasen ihrer Karriere die Möglichkeit, neben ihrer klinischen Tätigkeit zu forschen. Im Laufe der letzten elf Jahre hat sich das BIH Charité Clinician Scientist Programm (CSP) stetig weiterentwickelt: So gibt es heute neben dem etablierten CSP auch das Junior, Digital und Advanced CSP und somit für jede Karrierestufe während und nach der Facharztweiterbildung ein maßgeschneidertes strukturiertes Förderprogramm. Aktuell sind die Berliner Programme mit rund 150 aktiven Fellows und rund 200 Alumni nicht nur der mit Abstand größte Clinician-Scientist-Standort in Deutschland, sondern sie setzen laut Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) auch bundesweit „best practice“-Standards – insbesondere auch durch Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Die neue Programmdirektorin ist Inhaberin einer BIH Johanna Quandt Professur und Leiterin der Forschungsgruppe „Defekte und Dysfunktionen des Immunsystems in Tumorpatienten“ am BIH. Gleichzeitig ist sie Oberärztin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Charité Campus Virchow-Klinikum und hat zudem als langjähriges Mitglied des BIH Charité Clinician Scientist Boards und als Sprecherin der Berlin School of Integrative Oncology (BSIO) vielfältige Erfahrungen im Bereich der Nachwuchsförderung gesammelt. Sie möchte das CSP längerfristig weiterentwickeln und die Nachwuchsförderung von Mediziner:innen in der Universitätsmedizin der aktuellen Situation anpassen. „Die digitale Transformation und der medizinische Fortschritt einerseits, der akute Fachkräftemangel und die Pandemie andererseits, stellen die jungen Ärztinnen und Ärzte in der Universitätsmedizin heute vor besondere Herausforderungen“, sagt Prof. Na. „Wer neben der klinischen Tätigkeit ernsthaft Forschung betreiben möchte, braucht Unterstützung, insbesondere in dieser Situation. Die wollen wir bieten.“ Prof. Dr. Christopher Baum, Vorstand des Translationsforschungsbereichs der Charité und Vorsitzender des BIH Direktoriums, gratuliert der neuen Programmdirektorin. „Prof. Il-Kang Na erfüllt das Profil der CSP Programmdirektorin wie maßgeschneidert: Als Ärztin und Wissenschaftlerin ist sie selbst das Role Model für Clinician Scientists. In der medizinischen Translation geht es darum, medizinische Probleme zu erkennen, in einen Forschungsansatz zu überführen und die Ergebnisse wieder aus dem Labor in die Klinik zu übertragen. Aus diesem Grund sind die Clinician Scientists so wichtig für uns: Sie wissen, was den Patienten fehlt, und verstehen gleichzeitig, wie man das Problem erforschen kann. Und machen so aus Forschung Gesundheit.“ Prof. Dr. Joachim Spranger, Dekan der Charité, sprach zunächst Prof. Siegmund und Prof. Müller seinen großen Dank aus. „Die beiden haben das Programm zwei Jahre lang mit großem Engagement und hohem zusätzlichen Zeitaufwand neben ihren vielfältigen anderen Aufgaben ehrenamtlich geleitet. Damit war es uns ohne Unterbrechung möglich, unseren angehenden Ärztinnen und Ärzten in den verschiedenen Fachdisziplinen zu ermöglichen, Forschung auf höchstem Niveau zu betreiben und gleichzeitig die Weiterbildung zum Facharzt zu verfolgen. Mit Prof. Na übernimmt nun eine exzellent qualifizierte Kollegin die Leitung dieses wichtigen und gemeinsamen BIH-Charité-Programms. Ich gratuliere Prof. Na ganz herzlich zu ihrer neuen Aufgabe und wünsche ihr viel Erfolg bei der kommenden Tätigkeit. Ich bin überzeugt, dass sie einen wichtigen Beitrag leisten wird, um die klinisch tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Charité weiterhin mit geschützter Forschungszeit in ihren wissenschaftlichen Aktivitäten zu unterstützen.“ Anders als unter Prof. Dragun, die auch als Direktorin der BIH Biomedical Innovation Academy (BIA) fungierte, sind das CSP Programmdirektorat und die Leitung der BIA nun voneinander getrennt. Dr. Nathalie Huber und Dr. Iwan Meij leiten gemeinsam die BIA und setzen die Arbeit von Prof. Dragun rund um die akademische Personalentwicklung fort. Auch die Clinician Scientist Geschäftsstelle mit deren Leiterin Dr. Huber bleibt an der BIA verortet. Prof. Dr. Igor M. Sauer, stellvertretender Direktor der Chirurgischen Klinik und Leiter der Experimentellen Chirurgie an der Charité, sowie sein Stellvertreter Prof. Dr. Robert Gütig, Leiter der BIH Arbeitsgruppe Mathematische Modellierung des Neuronalen Lernens, leiten das Digital Clinician Scientist Programm. Gemeinsam mit Prof. Na, ihrer noch zu bestimmenden Stellvertretung sowie der BIA-Leitung bilden sie das Führungsteam, das die enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen CS Programmen und der BIA sicherstellt.
Win-win-Situation im Zellverbund: Kooperierende Zellen leben länger
- 06-01-2023Tauschen Zellen Stoffwechselprodukte miteinander aus, beschert ihnen dies ein längeres Leben. Das konnte ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin nun erstmals in einer Studie am Beispiel von Hefezellen zeigen. Dass der Stoffaustausch einen direkten Einfluss auf die Lebensdauer von Zellen hat, könnte für die Erforschung von Alterungsprozessen und altersbedingten Erkrankungen von Menschen künftig eine wichtige Rolle spielen. Die Studie ist im aktuellen Fachmagazin Cell* erschienen. Stoffwechsel und Altern gehören untrennbar zusammen: Stoffwechselprozesse tragen zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen bei, sorgen für Wachstum oder stoßen Reparaturmaßnahmen in Zellen an. Doch es werden auch Stoffe produziert, die schädlich für die Zelle sind und den Alterungsprozess vorantreiben. „Die Stoffwechselprozesse, die innerhalb von Zellen ablaufen, sind hochkomplex“, sagt Prof. Dr. Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie an der Charité und Einstein-Professor für Biochemie. „Eine zentrale Rolle spielt dabei unter anderem der Stoffaustausch zwischen Zellen einer Zellgemeinschaft, denn er beeinflusst den internen Zellstoffwechsel maßgeblich mit.“ Zellen stehen mit benachbarten Zellen – etwa in Körpergeweben – in stetigem Austausch: Sie schleusen nicht benötigte Stoffe aus ihrem Zellinneren aus und nehmen Substanzen aus ihrer Umgebung auf. In einer aktuellen Studie ging das Team um den Stoffwechselexperten Prof. Ralser der Frage nach, ob der Austausch von Stoffwechselprodukten, sogenannten Metaboliten, einen Einfluss auf die Lebensdauer von Zellen hat. Für ihre Untersuchungen arbeiteten die Forschenden mit Hefezellen und führten Experimente zur Bestimmung der Lebensdauer durch. Hefezellen sind ein wichtiges Modell der Grundlagenforschung, ein dominierender Mikroorganismus in der Biotechnologie und auch in der Medizin wichtig, da sie Pilzinfektionen auslösen können. „Wir konnten zeigen, dass sich die Lebensspanne der Zellen um rund 25 Prozent verlängerte, wenn sie Metaboliten miteinander austauschen konnten“, sagt Dr. Clara Correia-Melo, ebenfalls vom Institut für Biochemie der Charité und Erstautorin der Studie. „Nun wollten wir natürlich wissen, welche Stoffe und Austauschprozesse hinter dieser lebensverlängernden Wirkung stehen.“ Um das herauszufinden, nutzten die Forschenden ein spezielles, durch Massenspektrometrie gestütztes Untersuchungssystem, mit dem sich der Stoffaustausch zwischen den Zellen genau nachverfolgen lässt. Sie stellten fest, dass junge Zellen, die sich noch gut und oft teilten, Aminosäuren ausschieden, und dass diese von den älteren Zellen aufgenommen wurden. Aminosäuren sind die Bausteine, aus denen Proteine zusammengesetzt sind. Das Forschungsteam fand heraus, dass der Austausch der Aminosäure Methionin das Leben der beteiligten Zellen verlängert. Die Aminosäure kommt in allen Organismen vor und spielt für die Proteinherstellung und auch in vielen zellulären Prozessen eine wichtige Rolle. „Das Interessante ist, dass für die Lebensverlängerung der alten Zellen der Stoffwechsel der jungen Zellen verantwortlich war“, sagt Prof. Ralser. Einige junge Zellen gaben Methionin ab, das andere junge Zellen aufnahmen. Dadurch wurde deren Zellstoffwechsel so verändert, dass sie Stoffwechselprodukte ausschieden, von denen die Methionin produzierenden Zellen profitierten. Dabei handelt es sich etwa um Glycerol, das für den Aufbau von Zellmembranen benötigt wird und zellschützende Eigenschaften hat. „Geben langlebige, Methionin aufnehmende Zellen Glycerol ab, verlängern sie dadurch auch das Leben der Methionin produzierenden Zellen – eine Win-win-Situation“, erklärt Dr. Correia-Melo. „Und durch diesen kooperativen Stoffaustausch zwischen den Zellen verlängert sich die Lebensdauer der gesamten Zellgemeinschaft.“ Mit ihrer Studie konnten die Forschenden anhand von Hefezellgemeinschaften erstmalig zeigen, dass der Stoffaustausch einen direkten Einfluss auf die Lebensdauer und den Alterungsprozess von Zellen hat. Sie vermuten, dass dies auch für andere Zelltypen, etwa menschliche Körperzellen, zutrifft und wollen dies in weiterführenden Studien prüfen. „Um die Entstehung altersbedingter Erkrankungen wie etwa Diabetes, Krebs oder neurodegenerative Erkrankungen zu erforschen, müssen die komplexen Stoffwechselwege innerhalb, aber eben auch zwischen den Zellen besser verstanden werden“, sagt Prof. Ralser. „Der Stoffaustausch zwischen Zellen ist ein bislang übersehener, aber ganz offensichtlich maßgeblicher Faktor für den zellulären Alterungsprozess. Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie dazu beitragen können, dass künftig der Austausch von Stoffwechselprodukten zwischen Zellen verstärkt in den Blick genommen wird.“ In folgenden Forschungsprojekten möchte Prof. Ralser die genauen Mechanismen der zellschützenden und lebensverlängernden Wirkung von Glycerol genauer untersuchen.
Gesundheit und Chancen auf Gesundheit weltweit voranbringen
- 03-01-2023Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und der Einstein Stiftung Berlin An der Berliner Universitätsmedizin entsteht mit dem Charité Centrum Global Health (CCGH) eine neue Plattform für Globale Gesundheit. Im Zentrum: Das Institut für Internationale Gesundheit der Charité – Universitätsmedizin Berlin, zuvor Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit, geleitet mit Jahresbeginn von der Einstein-Professorin für Global Health Prof. Dr. Beate Kampmann. Die ausgewiesene Expertin für internationale Kindergesundheit wird zusammen mit Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, das CCGH leiten, seine wissenschaftliche Ausrichtung schärfen und Potenziale in Berlin und darüber hinaus zusammenführen. Unterstützt wird dies durch den Bereich Global Engagement im CCGH, der ein Kristallisationspunkt für Global-Health-Aktivitäten an der Charité sein wird und in Kooperation mit dem World Health Summit (WHS) sowie nationalen und internationalen Partnern strategische Initiativen für die globale Gesundheit bahnen und vorantreiben soll. Das Programm der Einstein-Profil-Professur erlaubt es den Berliner Universitäten, international führende Wissenschaftler:innen zu berufen. Es wird ermöglicht durch die Einstein Stiftung Berlin mit großzügiger finanzieller Unterstützung der Damp Stiftung. Gesundheit muss zunehmend global verstanden werden. Infektionserreger machen vor Landesgrenzen nicht halt. Pandemie, Epidemie, Krieg oder Klimafolgen – aktuellen wie auch neuen Herausforderungen für die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen lässt sich nur durch internationale Kooperation, mit neuen Ideen und weltweiter Gesundheitsforschung begegnen. Schon vor der COVID-19-Pandemie haben viele Akteure in Deutschland begonnen, sich stärker für Fragen der globalen Gesundheit zu engagieren. Der Berliner Universitätsverbund, die Berlin University Alliance (BUA), hat Global Health als eine besondere globale Herausforderung und somit als eine seiner Grand Challenges definiert. An den über einhundert Kliniken und Instituten der Charité bestehen vielfältige Erfahrungen auf dem Gebiet globaler Gesundheitsforschung und -praxis. Internationale Foren für Vernetzung und Austausch sind auf Anregung oder im Umfeld der Charité entstanden, darunter der World Health Summit (WHS), die German Alliance for Global Health Research (GLOHRA) und der WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence. „Es ist an der Zeit, das Puzzle der zahlreichen Initiativen und die einzelnen Disziplinen in Berlin zusammenzubringen“, findet Prof. Kampmann, die in den vergangenen viereinhalb Jahren an der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) als Professorin für pädiatrische Infektionen und Immunität gelehrt und geforscht hat. Auch war die Expertin für internationale Gesundheit Direktorin des dortigen Zentrums für Vakzineforschung, das sich mit Impfschutz und der Evaluation von Impfstoffen befasst. Nun kehrt die Medizinerin nach Deutschland zurück, um das Institut für Internationale Gesundheit an der Charité (vormalig Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit) wie auch das Fachgebiet Global Health in Berlin neu aufzustellen und die globale Vernetzung von dieser Basis aus voranzubringen. „Es gibt hier bereits eine starke Forschung, internationale Klinikpartnerschaften und viele gute Ansätze, die wir versammeln und intensivieren wollen. An der Charité werden wir künftig ein Dach für alle bieten, die mit Global-Health-Themen befasst sind. Auch affiliierte Forschende und assoziierte Institutionen, Mitglieder der Berlin University Alliance oder außeruniversitäre Einrichtungen können sich beteiligen“, sagt Prof. Kampmann. „Vorrangig beschäftigen werden uns neben Vernetzung und strukturellem Aufbau unter anderem das Bewältigen und Beobachten von Infektionskrankheiten weltweit, auch der Beitrag von Impfstoffen hierzu, und das Feld der Pandemic Preparedness – Themen, die wir multidisziplinär und jenseits von Institutsgrenzen angehen werden.“ Neben ihrer Tätigkeit an der Charité wird Prof. Kampmann auch der LSHTM anteilig verbunden bleiben. Sie wird Forschungsprojekte in Afrika und Großbritannien weiterführen und eine Partnerschaft zwischen Charité und London School, einer der einflussreichsten Institutionen auf dem Gebiet Public Health und Infektionskrankheiten, auf den Weg bringen. Klinische Leistungen des Instituts für Internationale Gesundheit der Charité wie die Reisemedizin und die Ambulanz für Reiserückkehrer:innen bleiben unter der neuen Leitung und mit dem bewährten Team bestehen. Prof. Kampmann gehört zu den international führenden Expert:innen für die Erforschung von Tuberkulose im Kindesalter und von Impfstoffen zur Verbesserung der globalen Gesundheit. Sie konnte nachweisen, dass der Tuberkuloseimpfstoff Bacille Calmette-Guérin (BCG), ein Lebendimpfstoff, nicht nur vor Erkrankung, sondern auch vor Infektionen schützt. Seit mehr als zwölf Jahren leitet sie in Gambia die Impfstoff- und Immunitätsforschung einer Einheit des Medical Research Council (MRC-Unit The Gambia, ab 2018 integriert in die LSHTM) und ist zuständig für alle Forschungsaktivitäten zur Immunologie von Kleinkindern, Tuberkulose im Kindesalter sowie molekulare Diagnostik. Neben Grundlagenforschung zu Immunreaktionen auf Infektionen und Impfungen bei Schwangeren und Säuglingen brachte die Ärztin in den vergangenen Jahren zahlreiche klinische Studien zu neuartigen Impfstoffen, Wirkverstärkern und Verabreichungsmodalitäten auf den Weg. Die Resultate ihrer Forschung und ihres internationalen Engagements sind weitreichend. So haben sie unter anderem dazu geführt, dass in Gambia rund 50 Prozent mehr Tuberkulosefälle im Kindesalter entdeckt werden konnten. Auch hat die Impfexpertin in dem westafrikanischen Land ein Programm zur Immunisierung während der Schwangerschaft ins Leben gerufen, um Erkrankungen zu verhindern und die Säuglingssterblichkeit zu senken. Nur ein Beispiel, das zeigt, wie Impfungen als eines der wirksamsten medizinischen Instrumente zu einer besseren globalen Gesundheit beitragen können. „Die Charité gewinnt mit Prof. Kampmann eine herausragende Expertin für internationale Gesundheit mit weitreichender Erfahrung in translationaler Forschung, in Ausbildung und Lehre, in Interdisziplinarität und interkulturellem Austausch“, sagt Prof. Dr. Axel Radlach Pries, Präsident des WHS und Dekan der Charité bis zum 31. Dezember 2022. „Das neu geschaffene Charité Centrum Global Health wird die Rolle der Charité in diesem bedeutenden Handlungsfeld stärken und sichtbar machen. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Kampmann und Prof. Drosten wird die Charité gemeinsam mit Partnereinrichtungen weltweit neue Initiativen starten und Akzente setzen. Ziel ist es, zunehmend Verantwortung zu übernehmen, starke Partnerschaften im Bereich Global Health zu entwickeln und die Zusammenarbeit der Wissenschaft mit Politik und allen Stakeholdern voranzutreiben.“ Partnerschaften auf Augenhöhe, ergänzt Prof. Kampmann, besonders im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen des Globalen Südens. Auch in Zukunft wird Prof. Kampmann ihre Forschung an der MRC-Einheit Gambia fortführen. Sie plant, die Kooperation mit dem Partnerstandort in die Arbeiten an der Charité einzubringen und neue Studienpartnerschaften zu ermöglichen. Mehr als 80 Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Hilfskräfte sind derzeit Teil ihres globalen Forschungsprogramms, das sich mit Fragen des Impfschutzes befasst, unter anderem in klinischen Studien oder mittels modernster systemvakzinologischer Ansätze. Welche Immunisierung zu welchem Zeitpunkt ist sinnvoll? Wie ist die Akzeptanz in der Bevölkerung? Was können wir aus Impfstudien über das sich entwickelnde Immunsystem lernen? Welche Einflüsse haben Impfungen in der Schwangerschaft? Diese Fragen sind der Forscherin wichtig, um Kindern in aller Welt eine evidenzbasierte Versorgung zu ermöglichen. Daneben bildet die international tätige Expertin regelmäßig junge, vor allem afrikanische Kliniker:innen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus und betreut sie auf ihrer klinisch-wissenschaftlichen Laufbahn. Um den internationalen Austausch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Doktorand:innen und Forschungsideen zu erleichtern, hat sie in Gambia einen „Open lab“-Ansatz eingeführt, der auch an der Charité in Lehre und Forschung weitergeführt werden soll. Das Ermöglichen von bilateralem Austausch und internationaler Kooperation liegt Prof. Kampmann am Herzen: „In Deutschland basieren die verfügbaren Programme zum Aufbau von Partnerschaften meist auf kleinteiliger Projektförderung, bis heute gibt es nur wenige Partnerstandorte außerhalb des Landes – eine strukturelle Schwäche, die wir Stück für Stück angehen wollen, um in der Global-Health-Forschung international wettbewerbsfähiger zu werden.“ Mit der Berufung von Prof. Kampmann eröffnet sich an der Charité und berlinweit eine besondere Chance: die Chance, Global Health als akademisches Fachgebiet an diesem Wissenschaftsstandort neu zu etablieren. Ein Fachgebiet, das in Zeiten internationaler Mobilität notwendiger ist denn je, sich historisch bedingt in Deutschland aber kaum entwickelt hat. Das Institut für Internationale Gesundheit im neuen Charité Centrum Global Health möchte nun ein offenes Haus sein, das es einzurichten gilt, sagt Prof. Kampmann: „Ich habe das Gefühl, dass die Dynamik stimmt. Hierzulande und auch innerhalb Europas wird derzeit ein neuer Schwerpunkt gesetzt, wie an den bereits veröffentlichten Global-Health-Strategien Deutschlands und der Europäischen Union zu erkennen ist. Gleichberechtigte Partnerschaften und Nachwuchsförderung im internationalen Gesundheitswesen sind dabei deutlich ins Zentrum gerückt.“ Prof. Martin Rennert, Vorstandsvorsitzender der Einstein Stiftung Berlin, fügt hinzu: „Wir freuen uns, dass es der Charité mit Unterstützung der Einstein Stiftung gelungen ist, eine der renommiertesten Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet Global Health für Berlin zu gewinnen, um dieses wichtige Feld in Deutschland und in Berlin weiter zu etablieren und noch stärker zu verankern.“ Gemeinsam mit nationalen und internationalen Akteur:innen, mit Einrichtungen wie dem Robert Koch-Institut (RKI), der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), mit verschiedenen Ministerien, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem WHS, der Bill & Melinda Gates Foundation, der Nachwuchsschmiede GLOHRA oder auch dem europäischen Zusammenschluss von Forschungsförderorganisationen GloPID-R, soll ein neuer Anlauf im Sinne der globalen Gesundheit gelingen. Nachhaltige Kooperationen für eine weltweite Gesundheitsforschung, beispielsweise zwischen klinischer Forschung, Grundlagenforschung und Systembiologie, aber auch mit nichtmedizinischen Disziplinen wie den Berliner Sozialwissenschaften, werden dazu beitragen.
DHZC: Start für eines der größten Herzzentren Deutschlands
- 29-12-2022Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und DHZB Am 1. Januar 2023 schließen die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Deutsche Herzzentrum Berlin – Stiftung des bürgerlichen Rechts (DHZB) ihre herzmedizinischen Einrichtungen zum Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) zusammen. Das DHZC ist an den drei klinischen Campi der Charité am Campus Virchow-Klinikum, am Campus Charité Mitte sowie am Campus Benjamin Franklin verortet. Es umfasst insgesamt acht Kliniken und Institute mit rund 2.500 Mitarbeiter:innen und verfügt über rund 470 Betten. Damit entsteht eines der größten Herzzentren Deutschlands zur Behandlung sämtlicher kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patient:innen jeden Alters. Strategische und operative Eigenständigkeit Als Gemeinsames Zentrum der Charité und der Stiftung DHZB entsteht das DHZC als eine Organisationseinheit der Charité, die in Bezug auf die Krankenversorgung weitgehende strategische und operative Eigenständigkeit besitzt und im Bereich Forschung und Lehre integraler Bestandteil der Fakultät der Charité ist. Das DHZC erhält einen DHZC-Bereichsvorstand und einen DHZC-Verwaltungsrat. Der Bereichsvorstand leitet das DHZC. Mitglieder sind der Ärztliche Direktor Prof. Dr. Volkmar Falk (Vorsitz), der Stellvertretende Ärztliche Direktor Prof. Dr. Ulf Landmesser, der Kaufmännische Direktor Dr. Rolf Zettl und der Pflegedirektor Sebastian Dienst. Der paritätisch besetzte Verwaltungsrat überwacht die Geschäftsführung des Bereichsvorstands. Ihm gehören der Vorstandsvorsitzende der Charité Prof. Dr. Heyo K. Kroemer (Vorsitz) und der Vorstandsvorsitzende der DHZB-Stiftung Prof. Dr. Hans Maier sowie je zwei weitere Vertreter beider Institutionen an. Neubau auf dem Campus Virchow-Klinikum Bis 2028 soll der Neubau für das DHZC auf dem Campus Virchow-Klinikum entstehen. Er wird auf rund 30.000 Quadratmetern Nutzfläche über 20 Operationssäle, Herzkatheter-Labore und Hybrid-Operationssäle sowie rund 320 Betten verfügen. Darüber hinaus werden in dem Neubau auch die Notaufnahme und die Sterilgutversorgung für den gesamten Campus zu finden sein. Die übrigen Kliniken werden auch nach der Fertigstellung des Neubaus als große kardiologische Kliniken des DHZC am Campus Benjamin Franklin und am Campus Charité Mitte weiter betrieben werden. Perspektiven für die medizinische Versorgung, Forschung und Wissenschaft Mit dem DHZC wird ein international führendes Herzzentrum etabliert, das neue Maßstäbe in der Versorgung der Patient:innen, Forschung und Lehre, Infrastruktur sowie Logistik setzen, ein attraktives Arbeitsumfeld schaffen und moderne Entwicklungsperspektiven bieten wird. Schwerpunkte der Forschung werden in der Prävention, der bildgestützten Therapie, der Präzisionsmedizin und dem Einsatz von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz liegen. Die Weiterentwicklung innovativer und minimalinvasiver Therapieansätze in der operativen und interventionellen Therapie unterstreichen den stark translationalen Ansatz der klinischen Forschung am DHZC. Stiftung DHZB besteht weiter Die Stiftung Deutsches Herzzentrum Berlin überträgt den Krankenhausbetrieb des bisherigen DHZB auf die Charité, besteht als Stiftung aber fort und wird das DHZC über die Mitbestimmung im DHZC-Verwaltungsrat strategisch und operativ weiter mitgestalten. Die Stiftung wird ihren Fokus darüber hinaus auf die Aus- und Weiterbildung und die Förderung von Forschung und Entwicklung im Gebiet der Herzerkrankungen legen. Zu diesem Zwecke werden sämtliche kardiovaskuläre Bildungsangebote unter dem Dach der künftigen DHZB Akademie gebündelt. Im Bereich der Innovationsförderung wird sich die Stiftung insbesondere in der Förderung und Begleitung von Spin-offs und Start-ups im Umfeld des DHZC engagieren.
Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga erhält Bundesverdienstkreuz
- 21-12-2022Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga, Sprecher des Zentrums für Weltraummedizin und Extreme Umwelten Berlin (ZWMB) und früherer stellvertretender Direktor des Instituts für Physiologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, hat heute das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Mit der Auszeichnung wird der Mediziner und Geologe für seine Forschungsleistung zu Auswirkungen von extremen Umweltbedingungen auf den Menschen geehrt, mit der er sich herausragend um die Wissenschaft und den Wissenschaftsstandort Berlin verdient gemacht hat. Überreicht wurde der Verdienstorden von der Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, gratuliert zu dieser herausragenden Auszeichnung: „Prof. Gunga hat in den mehr als drei Jahrzehnten, die er der Freien Universität Berlin und der Charité verbunden ist, das Wissen um die Physiologie des Menschen entscheidend vorangebracht. Er ist einer der wenigen integrativen Humanphysiologen, der Menschen in ihrer Gesamtheit und Interaktion mit der Umwelt betrachtet. Sein langjähriges Schaffen hat maßgeblich zur internationalen Sichtbarkeit der Charité im Bereich Weltraummedizin beigetragen. Es freut mich sehr, dass dieses besondere Engagement nun gewürdigt wird.“ Prof. Gunga hat das Zentrum für Weltraummedizin und Extreme Umwelten Berlin an der Charité in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) seit dem Jahr 2000 auf- und ausgebaut. Dort erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sich der menschliche Körper an außergewöhnliche Umweltbedingungen wie die Schwerelosigkeit, starke Hitze oder Kälte, große Höhen oder lange Isolation anpasst. Sie konzipieren Messgeräte zur Untersuchung der bemannten Raumfahrt, die beispielsweise während der Weltraummission des deutschen Astronauten Matthias Maurer auf der Internationalen Raumstation ISS zum Einsatz gekommen sind. Prof. Gunga selbst beschäftigt sich in seiner Arbeit insbesondere mit der Inneren Uhr und der Regulierung der Körpertemperatur, sowohl in der Schwerelosigkeit als auch – im Rahmen der Initiative „Heat & Health“ – in Anpassung an den Klimawandel. Er ist Vorsitzender der Programmkommission Raumfahrt des DLR und Mitglied verschiedener Beratungsgremien für die Europäischen Weltraumbehörde ESA. Er berät darüber hinaus das Verteidigungsministerium sowie die NATO und ist Autor mehrerer Fach- und populärwissenschaftlicher Bücher. Hanns-Christian Gunga studierte Geologie, Paläontologie und Medizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Freien Universität Berlin. Der Facharzt für Physiologie spezialisierte sich früh auf die Bereiche Weltraummedizin und Extreme Umwelten und wurde 2004 als Professor an das Institut für Physiologie der Charité berufen. Er war bis September stellvertretender Direktor des Instituts und bleibt der Charité nun als Seniorprofessor verbunden.
Tiefe Hirnstimulation bei Parkinson: Neue Software zur Einstellung entwickelt
- 21-12-2022Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist ein Therapieverfahren, das zur Behandlung von Parkinson-Erkrankten eingesetzt wird. Zwei im Gehirn implantierte Elektroden stimulieren dabei dauerhaft bestimmte Hirnregionen. Die Einstellung der Stimulationsparameter ist allerdings ein aufwendiger Prozess. Ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat nun eine Software entwickelt, die die Einstellung effizienter machen könnte. In ihrer im Fachmagazin The Lancet Digital Health* erschienenen Studie konnten die Forschenden zeigen, dass die softwarebasierte Einstellung im Vergleich zur Stimulationseinstellung des herkömmlichen Verfahrens zu gleichwertigen Ergebnissen in der Verbesserung der motorischen Symptome führt. Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. In Deutschland sind etwa 400.000 Menschen betroffen – aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft mit steigender Tendenz. Neben dem als Tremor bezeichneten unwillkürlichen Zittern der Gliedmaßen leiden die Betroffenen insbesondere an Unterbeweglichkeit. „Sie fühlen sich steif, können Bewegungen schlechter starten und beenden, bewegen sich langsamer und haben einen unsicheren Gang, was zu Stürzen führen kann“, sagt Prof. Dr. Andrea Kühn, Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. „Parkinson ist bislang noch nicht heilbar, doch viele Symptome, insbesondere die schlechte Beweglichkeit, können mit Hilfe der Tiefen Hirnstimulation deutlich verbessert werden.“ Für die Therapieform der Tiefen Hirnstimulation (THS) werden den Patient:innen während eines operativen Eingriffs zwei feine Elektroden ins Gehirn implantiert. Sie geben schwache, kurze elektrische Impulse ab und stimulieren so gezielt und stetig die jeweiligen Hirnregionen. Dafür sind sie über Kabel, die unter der Haut verlaufen, an einen Schrittmacher im Brustraum angeschlossen, über den eine Vielzahl unterschiedlicher Stimulationsparameter eingestellt und individuell an die Symptomatik der Parkinson-Erkrankten angepasst werden können. Drei Monate nach der Operation wird bei den Patient:innen während eines mehrtägigen Klinikaufenthaltes in einem THS-Zentrum die für sie bestmögliche Einstellung ausgetestet. „Die Anpassung der Stimulation erfolgt auf unserer Spezialstation für Bewegungsstörungen durch systematische Testung der Effekte und Nebenwirkungen bei Stimulation der verschiedenen Elektrodenkontakte“, sagt Prof. Kühn. „Um diesen Prozess künftig effizienter und letztlich auch für die Patientinnen und Patienten angenehmer gestalten zu können, haben wir die Software StimFit entwickelt“, sagt Jan Roediger, ebenfalls von der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie und Erstautor der Studie. Die Software berechnet auf Basis radiologischer Bilddaten des Gehirns der Patient:innen Vorschläge für eine individuelle Stimulationseinstellung, die zu einer Verbesserung der Symptome führen soll. Zu den wichtigsten Parametern, die dabei berücksichtigt werden, gehört die Stromstärke sowie die genaue Positionierung der stimuliabgebenden Bereiche der Elektroden. „Um die genaue Lage der Elektroden im Gehirn anhand von Bilddaten bestimmen und in den Algorithmus einbeziehen zu können, haben wir die Open-Source-Software Lead-DBS genutzt, die ebenfalls an der Charité entwickelt wurde“, sagt Jan Roediger. „Unser Algorithmus wurde dann mit einem Datensatz aus über 600 Stimulationseinstellungen, den dazugehörigen Bilddaten und Wirkungen auf die Symptomatik trainiert.“ Um zu prüfen, ob die softwarebasierten Einstellungen von StimFit mit denen durch klinisches Austesten gefundenen Einstellungen qualitativ mithalten können, hat das Forschungsteam eine Studie mit 35 Parkinson-Patient:innen durchgeführt. Beide Stimulationseinstellungen – die jeweils individuelle, die durch die herkömmliche klinische Testung erstellt wurde, sowie die softwarebasierte Einstellung – wurden nacheinander getestet. Dabei wussten weder die Studienteilnehmenden noch das Fachpersonal, in welcher Reihenfolge die jeweilige Stimulationseinstellung erfolgte. Im Anschluss wurden die motorischen Symptome nach den beiden Einstellungen beurteilt und miteinander verglichen. „Die allgemeine Beweglichkeit und insbesondere auch das Laufen der Patient:innen verbesserte sich bei beiden Stimulationseinstellungen gleich gut“, sagt Prof. Kühn. „Das ist ein wirklich vielversprechendes Ergebnis. Bildgebungsbasierte Algorithmen könnten die klinische Praxis der THS bei Parkinson und anderen Bewegungsstörungen künftig deutlich vereinfachen und es so ermöglichen, die neuesten technischen Fortschritte – wie etwa Mehrkontaktelektroden zur direktionalen Stimulation – besser zu nutzen.“ Da die Ausprägung der Parkinson-Symptome wie Unterbeweglichkeit, Gangstörungen oder unwillkürliches Zittern (Tremor) bei den Erkrankten individuell unterschiedlich ist und bei der Einstellung der Hirnstimulatoren berücksichtigt werden muss, möchten die Forschenden dies in weiteren Schritten der technischen Optimierung der Software einbeziehen. Sie arbeiten zudem an der Entwicklung von Modellen, die die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen genauer vorhersagen können – um die softwarebasierte Stimulationseinstellung und damit den gewünschten künftigen Therapieerfolg zu verbessern und den Weg für weitere klinische Studien zu ebnen.
Studie zum Omikron-Ursprung zurückgezogen
- 20-12-2022Am 1. Dezember hat die Charité – Universitätsmedizin Berlin über neue Erkenntnisse zur Entstehung der SARS-CoV-2-Variante Omikron informiert. Das Team um Studienleiter Prof. Dr. Jan Felix Drexler hat die im Fachmagazin Science* publizierte Publikation nun zurückgezogen. Nach neuesten Erkenntnissen sind Teile der in der Studie gemachten Aussagen wegen Verunreinigungen in Untersuchungsproben nicht mehr ohne begründete Zweifel belegbar. Die Forschenden kommen damit ihrer Verantwortung für die gute wissenschaftliche Praxis nach, der sich die Charité und das internationale Autorenteam verpflichtet fühlen. In der Publikation Gradual emergence followed by exponential spread of the SARS-CoV-2 Omicron variant in Africa* wurde das Aufkommen der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 in Westafrika, einige Monate vor der späteren Entdeckung in Südafrika, nachgewiesen. Kurz nach der Veröffentlichung wurde durch andere Wissenschaftler:innen die Plausibilität der analysierten Genomsequenzen in Frage gestellt. In einer daraufhin durchgeführten Nachanalyse von Restproben wurden Verunreinigungen festgestellt, deren Ursprung und Auswirkungen auf einen Teil der durchgeführten Analysen nicht mehr zu klären sind. Die weiter bestehende Aussage der Publikation, dass Viren mit Omikron-Sequenzmerkmalen bereits vor dem offiziellen Nachweis in Südafrika existierten, beruht auf übereinstimmenden PCR-Nachweisen aus Laboren aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Allerdings ist die detaillierte Rekonstruktion der einzelnen Evolutionsstufen des Virus durch die aufgetretenen Verunreinigungen in Zweifel gezogen oder zumindest nicht mehr eindeutig darstellbar. Die vorliegenden Verunreinigungen machen auch eine zeitnahe Korrektur unmöglich, denn hierzu müssten mehrere Tausend Rückstellproben aus ganz Afrika nachanalysiert werden. Aus diesem Grund wurde die gesamte Publikation jetzt im Einvernehmen mit allen Koautor:innen zurückgezogen. Die mit dem Projekt befasste Arbeitsgruppe hat die Aufarbeitung und Überprüfung aufgenommen. Andere Arbeitsgruppen und Projekte in der Charité oder im Autorenkonsortium sind nicht betroffen. Das Team um Prof. Drexler bedauert den Vorfall und dankt den internationalen Kolleginnen und Kollegen, die im Anschluss an die Veröffentlichung auf die möglichen Mängel aufmerksam gemacht haben.
Mukoviszidose-Medikament könnte bei Lungenentzündungen helfen
- 16-12-2022Erreger wie SARS-CoV-2 oder Pneumokokken können schwere Lungenentzündungen auslösen. Füllen sich in der Folge die Atemwege mit Flüssigkeit, besteht die Gefahr eines akuten Lungenversagens. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun die molekularen Zusammenhänge aufgeklärt, die zu den Wasseransammlungen in der Lunge führen. Dabei haben sie einen neuen möglichen Therapieansatz entdeckt, mit dem Lungenentzündungen künftig erregerunabhängig behandelt werden könnten. Ein Wirkstoff, der bei Mukoviszidose eingesetzt wird, zeigte sich in Laborversuchen als wirksam. Die Studie ist im Fachmagazin Science Translational Medicine* erschienen. Lungenentzündungen sind die häufigste Ursache für „Wasser in der Lunge“. Fachleute sprechen von einem Lungenödem. Dabei sind Teile der Atemwege nicht mehr mit Luft, sondern mit Flüssigkeit gefüllt und können ihrer eigentlichen Aufgabe – dem Gasaustausch – nicht mehr nachkommen. Die Betroffenen haben Luftnot und ihr Körper wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Diagnose lautet dann: akutes Lungenversagen. „Trotz modernster medizinischer Methoden versterben auf den Intensivstationen leider mehr als 40 Prozent der Patientinnen und Patienten mit akutem Lungenversagen. Das Problem ist, dass antibiotische, antivirale oder auch immunmodulatorische Therapien häufig nicht hinreichend anschlagen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang Kübler, Direktor des Instituts für Physiologie an der Charité. „Unsere Studie verfolgt daher einen gänzlich anderen, erregerunabhängigen Ansatz: Die Barrierefunktion der Blutgefäße in der Lunge stärken.“ Denn von dort kommt ursächlich die Flüssigkeit eines Lungenödems. Die Lungengefäße werden durchlässig, flüssige Anteile des Blutes strömen in das umliegende Gewebe hinein – und fluten so die Atemwege. Doch wie kommt es überhaupt dazu? Welche molekularen Mechanismen stehen dahinter? Diesen Fragen ist das Charité-Forschungsteam um Prof. Kübler nachgegangen. Dafür haben die Wissenschaftler:innen Versuche mit Zellen, Lungengewebe und isolierten Lungen durchgeführt. Im Zentrum der Untersuchungen stand der Chloridkanal CFTR. Bekannt ist, dass dieser Zellkanal vor allem in den Schleimhautzellen unserer Atemwege vorkommt. Dort ist er maßgeblich daran beteiligt, den Schleim flüssig zu halten, damit er gut abfließen kann. Die Forschenden konnten nun aber erstmals zeigen, dass auch die Zellen der Blutgefäße der Lunge mit CFTR ausgestattet sind und dass sich bei Lungenentzündungen sein Vorkommen drastisch reduziert. Um herauszufinden, welche Rolle CFTR in den Lungengefäßen spielt und was auf molekularer Ebene passiert, wenn es zum Verlust des Chloridkanals kommt, blockierten die Forschenden ihn mit einem Hemmstoff und bestimmten die Menge an Chlorid-Ionen innerhalb der Zelle. Dazu nutzten sie unter anderem ein spezielles bildgebendes Verfahren, das Immunfluoreszenz-Imaging. „Wir konnten beobachten, dass durch die Hemmung von CFTR eine molekulare Kaskade in Gang gesetzt wird, die letztlich dazu führt, dass die Blutgefäße der Lunge undicht werden“, sagt Dr. Lasti Erfinanda, ebenfalls vom Institut für Physiologie und Erstautorin der Studie. „CFTR spielt bei der Entstehung von Lungenödemen also tatsächlich eine ganz zentrale Rolle.“ Den Studienergebnissen zufolge sammelt sich durch den Verlust von CFTR in den Zellen Chlorid an, da es nicht mehr hinaustransportiert wird. Durch das Zuviel an Chlorid wird eine Signalabfolge angestoßen, an deren Ende durch einen Kalziumkanal unkontrolliert Kalzium in die Zellen einströmt. „Die erhöhte Kalziumkonzentration führt dann wiederum dazu, dass sich die Gefäßzellen zusammenziehen – ganz ähnlich wie auch Muskelzellen dies unter Kalziumeinwirkung tun“, erklärt Prof. Kübler. „Dadurch entstehen zwischen den Zellen aber Lücken – die Blutgefäße werden undicht und es strömt Flüssigkeit aus. Die Chloridkanäle sind also für die Aufrechterhaltung der Barrierefunktion der Lungengefäße ganz entscheidend.“ Das Forschungsteam ging anschließend einer weiteren Frage nach: Wie könnte der durch Lungenentzündungen ausgelöste Verlust der Chloridkanäle in den Lungengefäßen abgeschwächt oder verhindert werden? Für ihren Untersuchungsansatz haben die Forschenden einen Wirkstoff genutzt, der zu den sogenannten CFTR-Modulatoren gehört und aus der Mukoviszidose-Behandlung bekannt ist. Bei Mukoviszidose-Patient:innen funktioniert der Chloridkanal CFTR in den Schleimhautzellen der Atemwege aufgrund einer Genmutation nicht ausreichend. Das führt dazu, dass der Schleim sehr zäh ist. „Der Wirkstoff Ivacaftor erhöht die Öffnungswahrscheinlichkeit des Chloridkanals und fördert so den Sekretfluss in den Atemwegen“, erklärt Dr. Erfinanda. „Wir wollten schauen, ob wir damit vielleicht auch in den Zellen der Blutgefäße der Lunge eine positive Wirkung erzielen können.“ Tatsächlich nahm durch den Wirkstoff die Stabilität der Chloridkanäle in den Gefäßzellen zu, sie wurden durch die Entzündungsprozesse in der Lunge nicht mehr so stark abgebaut. Und das zeigte sich auch in Untersuchungen im Tiermodell: Die Behandlung mit Ivacaftor erhöhte die Überlebenswahrscheinlichkeit bei schweren Lungenentzündungen, es gab weniger Lungenschäden und die Symptome sowie der Allgemeinzustand waren deutlich besser als ohne Medikation. „Dass es so gut funktioniert, damit haben wir tatsächlich nicht gerechnet!“, sagt Prof. Kübler. „Wir hoffen, dass wir mit unseren Forschungsergebnissen den Weg für nachfolgende klinische Studien bereiten, in denen die Wirksamkeit von CFTR-Modulatoren bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Lungenentzündung geprüft wird. Sollte dieser vielversprechende und erregerunabhängige Therapieansatz den Weg in die klinische Praxis finden, könnte er einer großen Patientenzahl zugutekommen und schwere Krankheitsverläufe bei Lungenentzündungen verhindern – auch bei unbekannten Erregern.“ In folgenden Forschungsprojekten möchten Prof. Kübler und sein Team auf Basis des nun bekannten CFTR-Signalwegs weitere mögliche therapeutische Ansätze entwickeln. Sie werden außerdem erforschen, welche Patientinnen und Patienten ein erhöhtes Risiko haben, ein akutes Lungenversagen zu entwickeln, um sie präventiv und personalisiert therapieren zu können.
Anke Jentzsch wird neue Pflegedirektorin der Charité
- 16-12-2022Der Aufsichtsrat der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat in seiner heutigen Sitzung Anke Jentzsch als Pflegedirektorin bestellt. Sie wird damit zugleich Mitglied der Klinikumsleitung. Anke Jentzsch folgt auf Nagi Salaz, der die Aufgaben kommissarisch übernommen hatte. Insbesondere die Pflegefachberufe stehen durch die bereits spürbaren Auswirkungen des demografischen Wandels vor besonderen Herausforderungen. Die 38-jährige Anke Jentzsch ist bislang Pflegedirektorin und Mitglied des Krankenhausdirektoriums der zur Agaplesion Gruppe gehörenden Zeisigwaldkliniken Bethanien Chemnitz. Sie ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat zudem ein Studium in Pflegepädagogik sowie in Management im Sozial- und Gesundheitswesen (MBA) abgeschlossen. Aktuell schließt die gebürtige Sächsin ihr Promotionsstudium an der Technischen Universität Dresden zum Thema patientenorientierter Versorgungsprozess ab. „Mit Anke Jentzsch konnten wir für die Charité eine Expertin aus der Pflege gewinnen, die mit ihrem kooperativen Führungsstil und ihrem Anspruch nachhaltig zur Qualität der Patientenversorgung beiträgt und unser Leitungsteam bereichert. Sie zeichnet sich durch langjährige Branchenkenntnisse und Führungserfahrung aus und bringt sowohl internationale Erfahrung aus einem Stipendiumsaufenthalt in Kanada als auch Erfahrungen aus Consulting und Lehrtätigkeit in der Pflege mit“, sagt Carla Eysel, Vorstandsmitglied für Personal und Pflege. Anke Jentzsch betont: „Die Charité hat einen sehr guten Ruf, zu dem die Mitarbeitenden der Pflege wesentlich beitragen. Als Pflegedirektorin bin ich hochmotiviert, die Pflege an den Herausforderungen Fachkräftemangel, Akademisierung und technische Weiterentwicklung – um nur die drängendsten zu nennen – auszurichten und uns in die interprofessionellen Teams einzubringen. Für die Mitarbeitenden möchten wir Karriere- und Kompetenzmodelle und lebensphasenorientiertes Arbeiten ermöglichen und gute Arbeitsbedingungen schaffen, um die Qualität der Patient:innenversorgung auch in Zukunft sicher stellen und uns an Marktbedingungen adaptieren zu können.“ Die Aufgaben der Stellvertretenden Pflegedirektorin wird weiterhin Franziska Landgraf übernehmen, die die Position bislang kommissarisch innehatte. Sie ist seit 1993 an der Charité und war zuletzt Pflegerische Centrumsleitung der Zentralen Notaufnahmen und Ambulanzkoordination. Carla Eysel heißt die zukünftige Pflegedirektorin der Charité willkommen: „Wir begrüßen Anke Jentzsch herzlich in unserem Team, wünschen ihr einen guten Start und freuen uns auf die Zusammenarbeit. Sie wird dazu beitragen, die Charité als attraktiven und innovativen Ort für den Pflegeberuf weiter zu profilieren und im Sinne unserer Strategie 2030 Maßstäbe für die Gesundheitsfachberufe setzen.“
Hirnschrittmacher könnte Alzheimer-Erkrankung besser behandelbar machen
- 14-12-2022Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache von Demenzerkrankungen, bislang aber nicht gut behandelbar. Eine mögliche zukünftige Therapieform könnte die sogenannte Tiefe Hirnstimulation sein, die auch als Hirnschrittmacher bekannt ist. Ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat in einer im Fachmagazin Nature Communications* veröffentlichten Studie ein spezifisches Netzwerk im Gehirn von Alzheimer-Patient:innen ausgemacht, dessen Stimulation mit einer Linderung der Symptome einherging. Die Forschenden hoffen, dass die Studie den Weg für weiterführende Untersuchungen ebnet. Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist ein therapeutisches Verfahren, das in Deutschland bereits zur Behandlung von neurologischen Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Erkrankung und der Dystonie sowie für neuropsychiatrische Erkrankungen wie etwa die Zwangsstörung zugelassen ist. Im Gehirn der Betroffenen werden dafür feinste Elektroden implantiert, die fortwährend schwache, kurze elektrische Impulse an die jeweiligen Hirnregionen abgeben. Die Elektroden verbleiben dauerhaft im Gehirn und sind über Kabel, die unter der Haut verlaufen, an einen Schrittmacher im Brustraum angeschlossen. Über ihn können Stromstärke und Frequenz angepasst werden. „Obgleich die THS schon seit gut 20 Jahren für die Behandlung von Parkinson etabliert ist und die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, ist diese Therapieform allgemein doch noch relativ unbekannt“, sagt Prof. Dr. Andreas Horn, Leiter einer Forschungsgruppe zu netzwerkbasierter Hirnstimulation, die sowohl an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte als auch am Brigham & Women’s Hospital und Massachusetts General Hospital innerhalb der Harvard Medical School in Boston, USA, angesiedelt ist. „Die THS wirkt bei Parkinson sehr gut, und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert sich signifikant.“ Alzheimer gehört wie Parkinson zu den neurodegenerativen Erkrankungen, eine mögliche therapeutische Anwendung der THS wäre daher naheliegend. Doch für eine sichere und wirksame Behandlung müssen die zu stimulierenden Zielregionen im Gehirn ganz genau bekannt sein. Ausgangspunkt der aktuellen Studie, die neben anderen Kooperationspartnern in enger Zusammenarbeit mit der Universität Toronto, Kanada, entstand, war eine Zufallsbeobachtung im Rahmen einer kanadischen Untersuchung. „Die Tiefe Hirnstimulation löste bei einem Patienten, der aufgrund einer Adipositas behandelt wurde, Flashbacks – also plötzliche Erinnerungen aus Kindheit und Jugend – aus“, sagt Dr. Ana Sofía Ríos von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte und Erstautorin der Studie. „Da lag die Vermutung nahe, dass sich die stimulierte Hirnregion, die sich im Bereich des sogenannten Fornix befand, womöglich auch für eine Behandlung von Alzheimer eignen könnte.“ Um dem nachzugehen, implantierten Forschende an sieben internationalen Zentren im Rahmen einer weiteren multizentrischen Studie bei an leichtem Alzheimer erkrankten Teilnehmenden Elektroden in diesem Bereich des Fornix. „Bei den meisten Patientinnen und Patienten zeigte sich leider keine Verbesserung der Alzheimer-Symptomatik. Doch einige wenige Studienteilnehmende profitierten deutlich von der Behandlung“, sagt Dr. Ríos. „Wir wollten herausfinden, wie dieser Unterschied zustande kam und verglichen dafür die genaue Position der Elektroden zwischen den Studienteilnehmenden.“ Die Forschungsgruppe um Prof. Horn hat sich darauf spezialisiert, hochaufgelöste Bilder des Gehirns, die mithilfe der Kernspintomographie aufgenommen werden, zu analysieren und in Kombination mit Computermodellen die optimalen Stimulationspunkte für eine THS im Gehirn hochpräzise aufzuspüren. „Eine besondere Herausforderung dabei ist: Jedes Gehirn ist anders. Und das spielt bei der Implantierung der Elektroden eine große Rolle“, sagt Prof. Horn. „Liegt man nur wenige Millimeter daneben, bleibt der erwartete Effekt unter Umständen aus.“ Auch bei dem Großteil der Studienteilnehmenden war das der Fall. Das Forschungsteam um Prof. Horn konnte aber bei denjenigen Alzheimer-Patient:innen, bei denen die THS anschlug, die genaue Position der Elektroden anhand der Bilddaten im Nachgang exakt bestimmen. „Sie liegt an einer Zweigstelle zwischen zwei Nervenfaserbündeln – dem Fornix und der Stria terminalis –, die tiefgelegene Hirnregionen miteinander verbinden. Beide Strukturen werden mit der Gedächtnisfunktion in Verbindung gebracht“, erklärt der Neurowissenschaftler. Bis die THS für die Behandlung von Alzheimer zugelassen und eingesetzt werden kann, sind noch weiterführende klinische Studien nötig. Die Ergebnisse des Forschungsteams um Prof. Horn stellen dafür eine wichtige Grundlage dar. „Wenn unsere Daten dabei helfen, dass die Elektroden im Rahmen neurochirurgischer Studien zur Erprobung der THS bei Alzheimer zielgenauer platziert werden können, wäre das großartig“, sagt Prof. Horn. „Denn für Alzheimer benötigen wir dringend eine wirksame und symptomlindernde Therapie, um den Patientinnen und Patienten helfen zu können – die THS ist dafür ein vielversprechender Ansatz.“ In künftigen Forschungsarbeiten wird das Team um Prof. Horn weitere Netzwerke von Nervenzellen im Gehirn untersuchen und präzisieren, die für mögliche Therapien von Demenzerkrankungen relevant sein könnten. Dabei werden sich die Forschenden unter anderem Bereiche mit Hirnschädigungen genauer anschauen und neben Zielorten für die THS auch solche für andere Verfahren der Neurostimulation in ihre Untersuchungen einbeziehen.
Die Schwelle zur Krankheit verstehen
- 13-12-2022Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des Max Delbrück Centers Was wäre, wenn Krankheiten gar nicht erst entstünden? Wie genau verläuft der Übergang von Gesundheit zu Krankheit? Was sagen uns entzündliche Vorboten von Erkrankungen? Und wie beeinflussen Ernährung und Darmmikrobiom zusammen das Immunsystem? Unter der Leitung von Forschenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers suchen Teams in Deutschland und mehreren europäischen Ländern nach Strategien der Gesunderhaltung sowie nach Möglichkeiten, Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Die Europäische Union fördert das Projekt IMMEDIATE in den kommenden vier Jahren mit mehr als sieben Millionen Euro. Am Anfang vieler organischer Krankheiten steht eine chronische Entzündung. Was bei diesem Übergang von gesund zu krank auf molekularer Ebene im Körper passiert, ist jedoch weitgehend unbekannt. Mit dem Vorhaben namens IMMEDIATE wollen europäische und israelische Forschende das im Verborgenen ablaufende Geschehen nun näher beleuchten und herausfinden, inwieweit es sich durch die Ernährung und das Mikrobiom des Darms so verändern lässt, dass sich Erkrankungen gar nicht erst entwickeln. Die Bezeichnung IMMEDIATE steht für „Imminent Disease Prediction and Prevention at the Environment Host Interface“, übersetzt „Unmittelbare Krankheitsvorhersage und -prävention an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Wirt“. Um individuelle Krankheitsrisiken abschätzen und rechtzeitig eingreifen zu können, sollen im Zuge der Arbeiten messbare Indikatoren, sogenannte Biomarker, gefunden werden, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Friedemann Paul, Direktor des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), eine gemeinsame Einrichtung von Charité und Max Delbrück Center: „Wir möchten zunächst die entzündlichen Prozesse, die der Fehlfunktion oder Schädigung eines Organs vorausgehen, besser verstehen. Außerdem wollen wir Biomarker identifizieren, anhand derer wir Prozesse nachweisen können, noch ehe es zu Krankheitssymptomen kommt.“ Hierfür werden die Forschenden unter anderem modernste Omics-Technologien anwenden und klinische Daten sowie Bioproben aus drei laufenden Beobachtungsstudien nutzen. „Dabei handelt es sich um die deutsche NAKO Gesundheitsstudie und um eine Kohorte von Patientinnen und Patienten der multizentrischen KTx360°-Studie an Transplantationszentren, denen eine Niere transplantiert und somit die Nierenfunktion neu gestartet wurde. Hinzu kommt eine spezifische israelische Kohorte“, so Privatdozentin Dr. Chotima Böttcher vom ECRC, die das Projekt mitkoordiniert. Mit umfangreichen Proteom-Analysen wird eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Tobias Pischon am Max Delbrück Center zu dem Vorhaben beitragen. Eine Vielzahl von Entzündungsmarkern will das Team bestimmen und Signaturen identifizieren, die mit Änderungen der Herz-Kreislauf- und Nierenfunktion sowie des Stoffwechsels in Zusammenhang stehen. Anschließend werden die Forschenden prüfen, ob sich diese Signaturen bei verschiedenen Erkrankungen ähneln oder voneinander unterscheiden. Parallel dazu wird sich unter der Leitung von Dr. Sofia Forslund eine Arbeitsgruppe am Max Delbrück Center und ECRC mit der Frage beschäftigen, ob ein bestimmter Darmkeim Entzündungen lindern kann. „Unser Ziel ist es, zu verstehen, wie und warum Interventionen wie eine bestimmte Ernährung oder die Gabe spezieller Mikrobiotika die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändern – und wie Stoffwechselprodukte der Mikroben das Immunsystem beeinflussen“, sagt Dr. Forslund. Dieses Wissen soll es zukünftig ermöglichen, Krankheiten zu verhindern und Gesundheit gezielt zu fördern. Das Team um Dr. Forslund wird die erforderlichen Infrastrukturen und Analysemethoden entwickeln, um die riesigen Mengen an Daten, die mit Omics-Technologien generiert werden, zu sammeln und mithilfe künstlicher Intelligenz auszuwerten. Weitere Forschende der Charité und Arbeitsgruppen am Campus Berlin-Buch sind an dem umfangreichen Analysevorhaben beteiligt, darunter die Gruppen „Proteomics“ um Dr. Philipp Mertins, „Metabolomik“ um Dr. Jennifer Kirwan, „Immun-mikrobielle Dynamiken bei kardiorenalen Erkrankungen“ um Dr. Nicola Wilck und die Clinical Research Unit von Dr. Anja Mähler. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in einem weiteren Schritt in der Praxis erprobt werden. Dazu plant das IMMEDIATE-Konsortium eigene Interventionsstudien – etwa eine Untersuchung mit rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die in einem Krankenhaus arbeiten. „Da unsere Probandinnen und Probanden aufgrund ihres Jobs häufig viel Stress haben sowie meist unregelmäßig und eher ungesund essen, gehen wir davon aus, dass ihre Entzündungswerte erhöht sind“, vermutet Privatdozentin Böttcher. Die Forschenden wollen unter anderem herausfinden, ob sich durch die Gabe der entzündungshemmenden Mikrobe Akkermansia muciniphila sowohl die Biomarker als auch das Wohlbefinden der Probandinnen und Probanden zum Positiven verändern lassen. Helfen sollen dabei mobile Apps, die das IMMEDIATE-Team in Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen entwickelt hat. Diese geben Feedback und liefern Anleitungen, um erprobte gesundheitsfördernde Maßnahmen leichter ins eigene Leben zu integrieren – auf dass ihre Nutzerinnen und Nutzer bereits vor der Schwelle zur Krankheit stehenbleiben und umkehren.
Woher kam Omikron?
- 01-12-2022++++ Diese Studie wurde am 20.12.2022 zurückgezogen. Einzelheiten in der Pressemitteilung. ++++ Studie in Science entschlüsselt die Entstehung der SARS-CoV-2-Variante Vor einem Jahr wurde sie erstmals in Südafrika entdeckt: eine neue Variante von SARS-CoV-2, die später als Omikron bekannt wurde und sich in kürzester Zeit über den ganzen Erdball verbreitete. Bis heute ist unklar, wo und wann dieses Virus genau aufkam. Eine jetzt im Fachmagazin Science* veröffentlichte Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit afrikanischen Kooperationspartnern zeigt: Omikron-Vorläufer gab es auf dem afrikanischen Kontinent schon deutlich vor dem ersten Nachweis von Omikron. Demnach ist die Virusvariante schrittweise über mehrere Monate in verschiedenen Ländern Afrikas entstanden. Seit Beginn der Pandemie verändert sich das Coronavirus. Den bisher größten Sprung in der Evolution von SARS-CoV-2 konnten Forschende vor einem Jahr beobachten, als eine Variante entdeckt wurde, die sich durch mehr als 50 Mutationen vom Erbgut des ursprünglichen Virus unterschied. Erstmals Mitte November 2021 bei einem Patienten in Südafrika nachgewiesen, erreichte die später als Omikron BA.1 bezeichnete Variante innerhalb weniger Wochen 87 Länder der Erde. Bis Ende Dezember 2021 hatte sie das zuvor dominierende Delta-Virus weltweit verdrängt. Seither wird über den Ursprung dieser sich so rasant ausbreitenden Variante spekuliert. Diskutiert werden vorrangig zwei Hypothesen: Entweder sei das Coronavirus vom Menschen auf ein Tier übergesprungen und habe sich dort weiterentwickelt, bevor es als Omikron wieder einen Menschen infizierte. Oder das Virus habe in einem Menschen mit unterdrücktem Immunsystem für längere Zeit überdauert und sich dort verändert. Eine neue Auswertung von COVID-19-Proben, die schon vor der Omikron-Entdeckung in Südafrika gesammelt worden waren, widerspricht nun beiden Annahmen. Durchgeführt wurde die Analyse von einem internationalen Forschungsteam um Prof. Dr. Jan Felix Drexler, Wissenschaftler am Institut für Virologie der Charité und am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). Innerhalb des europäischen und panafrikanischen Netzwerks maßgeblich beteiligt waren die Universität Stellenbosch in Südafrika und das Referenzlabor für hämorrhagische Fieber in Benin. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten zunächst einen speziellen PCR-Test, um die Omikron-Variante BA.1 spezifisch nachweisen zu können. Diesen wandten sie dann bei mehr als 13.000 Proben aus 22 Ländern Afrikas an, die zwischen Mitte 2021 und Anfang 2022 abgestrichen worden waren. Dabei fand das Forschungsteam Viren mit Omikron-spezifischen Mutationen bei 25 Menschen aus sechs verschiedenen Ländern, die bereits im August und September 2021 an COVID-19 erkrankt waren – also zwei Monate vor dem ersten Nachweis der Variante in Südafrika. Um mehr über die Entstehung von Omikron herauszufinden, entschlüsselten die Forschenden zusätzlich bei rund 670 Proben das virale Erbgut. Durch eine solche Sequenzierung ist es möglich, neue Mutationen zu erkennen und auch unbekannte Viruslinien nachzuweisen. So entdeckte das Team mehrere Viren, die unterschiedlich starke Ähnlichkeiten mit Omikron aufwiesen, aber eben nicht identisch waren. „Unsere Daten zeigen, dass Omikron verschiedene Vorläufer hatte, die sich miteinander mischten und zur selben Zeit und über Monate hinweg in Afrika zirkulierten“, erklärt Prof. Drexler. „Das deutet auf eine graduelle Evolution der BA.1-Omikron-Variante hin, während der sich das Virus immer besser an die vorhandene Immunität der Menschen angepasst hat.“ Aus den PCR-Daten folgern die Forschenden darüber hinaus, dass Omikron zwar nicht allein in Südafrika entstand, dort aber als erstes das Infektionsgeschehen dominierte und sich dann innerhalb weniger Wochen von Süd nach Nord über den afrikanischen Kontinent ausbreitete. „Das plötzliche Auftreten von Omikron ist also nicht auf einen Übertritt aus dem Tierreich oder die Entstehung in einem immunsupprimierten Menschen zurückzuführen, auch wenn das zusätzlich zur Virusentwicklung beigetragen haben könnte“, sagt Prof. Drexler. „Dass wir von Omikron überrascht wurden, liegt stattdessen am diagnostischen blinden Fleck in großen Teilen Afrikas, wo vermutlich nur ein Bruchteil der SARS-CoV-2-Infektionen überhaupt registriert wird. Die Entwicklung von Omikron wurde also einfach übersehen. Deshalb ist es wichtig, diagnostische Überwachungssysteme auf dem afrikanischen Kontinent und in vergleichbaren Regionen des Globalen Südens jetzt deutlich zu stärken und den Datenaustausch weltweit zu erleichtern. Nur eine gute Datenlage kann verhindern, dass potenziell wirksame Eindämmungsmaßnahmen wie Reisebeschränkungen zum falschen Zeitpunkt ergriffen werden und damit mehr wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden anrichten als Gutes zu tun.“
Charité und Marburger Bund einigen sich auf Tarifvertrag
- 30-11-2022Die Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Landesverband Berlin des Marburger Bunds haben nach intensiven Verhandlungen bis in die Morgenstunden des heutigen Tages eine Tarifeinigung erreichen können. Das Papier wird dem gemeinsamen Anspruch gerecht, bessere Arbeitsbedingungen und eine deutliche Lohnsteigerung für die Mitarbeitenden zu erreichen. Der Vorstand der Charité freut sich über die Einigung, da diese, insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Zahl von Patientinnen und Patienten in den Wintermonaten, einer stabilen und sicheren Krankenversorgung zugutekommen wird sowie qualitativ hochwertige Forschung und Lehre gewährleistet. Carla Eysel, Vorstand Personal und Pflege der Charité, freut sich über die Einigung: "Insbesondere bei der Arbeitszeitdokumentation können wir jetzt einen Paradigmenwechsel einleiten. Wir setzen in Zukunft im Geltungsbereich des Tarifvertrages auf Vertrauensarbeitszeit. Neben dieser für Universitätsklinika neuen Regelung der Vertrauensarbeitszeit, die dem Ansatz transformationaler Führung Rechnung trägt, ist es auch ein Schritt zum Bürokratieabbau, den wir gemeinsam anstreben." Die Einigung sieht vor, dass die Mitarbeitenden ab dem 1. Juli 2023 ihre Arbeitszeiten eigenständig und ohne zusätzliche Freigabe über das elektronische Zeiterfassungssystem dokumentieren werden. Für die Entlastung der Mitarbeitenden ist zudem wichtig, die Anzahl der Bereitschaftsdienste so zu verteilen, dass die Belastung der Einzelnen gemindert wird und für die Charité ein deutlicher Anreiz gesetzt wird, die Anzahl der Bereitschaftsdienste zu begrenzen. Um dies zu erreichen, konnte eine sachgerechte Lösung gefunden werden, die in gestaffelter Form für Bereitschaftsdienste, die über vier Bereitschaftsdienste im Monat hinausgehen, Zuschläge entstehen lässt. Im Fokus der Verhandlungen standen auch die Teilzeitbeschäftigten, um lebensphasenorientiertes Arbeiten zu ermöglichen. "Das ist ein ganz wesentlicher Punkt der Einigung, um Mitarbeitenden in Zukunft ein attraktives Angebot machen zu können. Die Arbeitswelt ist auf vielen Ebenen im Umbruch. Gut ausgebildete und zufriedene Ärztinnen und Ärzte sind wesentlich für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Gesundheitsversorgern. Hier gehen wir einen wichtigen Schritt voran", betont Carla Eysel. Für die Teilzeitbeschäftigten wurden zwei neue Regelungen gefunden. Zum einen können zukünftig Bereitschaftsdienste von Teilzeitbeschäftigten nur noch im Verhältnis zu ihrer individuellen Arbeitszeit geleistet werden. Zum anderen bekommen auch Teilzeitbeschäftigte bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit ab dem 1. Januar 2024 Überstundenzuschläge. Für die besonderen Belastungen im Jahr 2022 wurde eine Einmalzahlung von 3.800 Euro bei Vollzeitbeschäftigung und anteilig bei Teilzeitbeschäftigung vereinbart. Diese Einmalzahlung kann unter den Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen zum Belastungsausgleich im Jahr 2022 steuer- und sozialversicherungsfrei zur Auszahlung kommen. Weiter erhöhen sich die Tabellenvergütungen ab dem 1. Januar 2023 linear um 3,5 Prozent und ab dem 1. Juli 2023 um weitere 2,2 Prozent, also insgesamt um 5,7 Prozent bei einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2023. Darüber hinaus wurden verschiedenste Zuschlagsregelungen vereinbart. Beide Parteien haben Zeit zur Annahme dieser Vereinbarung bis zum 5. Dezember 2022, so dass noch in diesem Jahr die Umsetzung beginnen kann.
Nasenhöhlenkrebs: KI ermöglicht Durchbruch in der Diagnostik
- 28-11-2022Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und der LMU München Tumoren der Nase und der Nasennebenhöhle lassen sich nur schwer aufspüren und schwer diagnostizieren. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität München haben nun eine Methode entwickelt, um diese Tumoren einer von vier Gruppen, mit jeweils unterschiedlicher Prognose, zuzuordnen. Hierzu werden chemische Modifikationen im Erbgut der Tumoren mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) analysiert, wie das Team im Fachmagazin Nature Communications* beschreibt. Tumoren in der Nasenhöhle und der Nasennebenhöhle beschränken sich zwar auf einen kleinen Raum, umfassen aber ein sehr breites Spektrum mit vielen Tumorarten. Sie sind schwer zu diagnostizieren, da sie oft kein spezifisches Muster oder Erscheinungsbild aufweisen. Besonders gilt dies für die sogenannten sinonasalen undifferenzierten Karzinome oder kurz SNUCs. Nun ist es einem Team um Prof. Dr. David Capper, Oberarzt und Wissenschaftler am Institut für Neuropathologie der Charité, sowie Dr. Philipp Jurmeister und Prof. Dr. Frederick Klauschen vom Pathologischen Institut der LMU gelungen, die Diagnostik entscheidend zu verbessern: Sie haben ein KI-Tool entwickelt, das auf der Basis chemischer DNA-Modifikationen Tumoren zuverlässig erkennt und die mit den bislang verfügbaren Methoden nicht unterscheidbaren SNUCs vier deutlich abgegrenzten Gruppen zuordnet. Dies könnte zu neuen Möglichkeiten für zielgerichtete Therapien führen. Chemische Modifikationen der DNA spielen bei der Regulation der Genaktivität eine entscheidende Rolle. Dazu gehört auch die DNA-Methylierung, bei der DNA-Bausteine mit einer zusätzlichen Methylgruppe versehen werden. Bereits in früheren Studien konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass das Methylierungsmuster des Erbguts für verschiedene Tumorarten charakteristisch ist, weil es auf die Ursprungszelle des Tumors zurückgeführt werden kann. „Darauf basierend haben wir nun die DNA-Methylierungsmuster von fast 400 Tumoren in Nasen- und Nasennebenhöhle erfasst“, sagt Prof. Capper, der auch Wissenschaftler im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), Partnerstandort Berlin, ist. Dank einer umfangreichen internationalen Kooperation gelang es dem Forschungsteam, eine so große Probenzahl zusammenzutragen, obwohl diese Tumore selten sind und insgesamt nur etwa vier Prozent aller bösartigen Tumoren im Hals-Nasen-Bereich ausmachen. Für die Analyse der Methylierungsdaten entwickelten die Forschenden in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Machine Learning von Prof. Dr. Klaus-Robert Müller an der Technischen Universität Berlin und dem Berlin Institute for the Foundation of Learning and Data (BIFOLD) ein KI-Modell, das die Tumore verschiedenen Klassen zuordnet. „Methoden des maschinellen Lernens sind dabei aufgrund der großen Datenmenge unerlässlich“, sagt Dr. Jurmeister, Erstautor der Arbeit und ebenfalls DKTK-Wissenschaftler. „Um tatsächlich Muster zu erkennen, mussten wir in unserer Studie mehrere Tausend Methylierungspositionen auswerten.“ Dabei hat sich gezeigt, dass SNUCs in vier Gruppen eingeteilt werden können, die sich auch im Hinblick auf weitere molekulare Eigenschaften unterscheiden. Diese Ergebnisse sind klinisch relevant, da die unterschiedlichen Gruppen zu verschiedenen Prognosen führen. „Der Krankheitsverlauf bei einer Gruppe beispielsweise ist überraschend gut, obwohl die Tumoren unter dem Mikroskop sehr aggressiv aussehen“, sagt DKTK-Forscher Prof. Klauschen. „Eine andere Gruppe dagegen hat eine eher schlechte Prognose.“ Auf der Basis der molekularen Eigenschaften der einzelnen Gruppen könnten Forschende möglicherweise in Zukunft gezielte neue Therapieansätze entwickeln.
Wer wagt, gewinnt: ERC Starting Grants für Charité-Forschende
- 22-11-2022ERC Starting Grants gehören zu den höchsten europäischen Auszeichnungen. Erneut konnten sechs aufstrebende Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, darunter Forschende mit Gruppen an Charité, Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), Max Delbrück Center und Deutschem Rheumaforschungszentrum (DRFZ), den Europäischen Wissenschaftsrat überzeugen. Ihre zukunftsgerichteten Vorhaben beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, wie sich Krankheiten verhindern oder aber möglichst frühzeitig erkennen lassen. Auch wollen sie bestehende Therapieansätze, beispielsweise für Krebserkrankungen oder Herzschwäche, weiter voranbringen. Für den Aufbau der neuen Arbeitsgruppen stehen in den kommenden fünf Jahren jeweils rund 1,5 Millionen Euro des European Research Council (ERC) bereit. Es sind visionäre und grundlagenorientierte Ideen, die die ausgewählten Nachwuchsforscher verfolgen. Ihre Projekte sind mit Wagnis verbunden, zugleich bergen sie das Potenzial wissenschaftlich bedeutsamer Neuerungen in ihrem jeweiligen Feld. „Mit insgesamt drei Advanced Grants, zwei Consolidator Grants und sieben Starting Grants blickt die Charité auf ein herausragendes Jahr 2022 in den Förderlinien des ERC zurück“, sagt Prof. Dr. Christian Hagemeier, Prodekan für Forschung mit präklinischem Schwerpunkt an der Charité. „Das ist eine großartige Leistung der einzelnen Forschenden und eine Auszeichnung für die Charité als ein Standort, an dem bahnbrechende Forschung umgesetzt wird.“ Die neuen ERC Starting Grants im Einzelnen: Wie sich Leukämiezellen und Immunzellen begegnen – InteractOmics Leukämie oder auch Blutkrebs entsteht aus unreifen Immunzellen, die sich nicht mehr weiterentwickeln, sondern nur noch immerfort teilen und das Blut überschwemmen. Dort treffen sie auf reife und aktive Immunzellen, die sie entweder erkennen und abtöten oder aber entkommen lassen. Der Molekularbiologe Dr. Simon Haas leitet eine Nachwuchsgruppe im gemeinsamen Forschungsfokus Single-Cell-Ansätze für die personalisierte Medizin des BIH, der Charité und des Max Delbrück Centers. Er ist spezialisiert auf Einzelzellanalysen und möchte herausfinden, wovon es abhängt, wer in diesem Kampf gewinnt und warum die Immuntherapie mal gut funktioniert und mal nicht. „Wir können extrem gute Momentaufnahmen machen“, erklärt Dr. Haas. „Dabei sehen wir, welche Zellen in einem Gewebe vorhanden sind, welche Zellen zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv sind, wie sie sich verändern oder welche Proteine sie produzieren. Das ist nützlich, wenn man wie wir wissen möchte, wie viele aktive Immunzellen im Blut auf wie viele Leukämiezellen treffen.“ Um die Interaktion zwischen diesen Zellen besser zu verstehen, will Dr. Haas mit seinem Team die Methodik der Single-Cell-Analyse weiterentwickeln und statt einzelner Zelltypen Millionen von Zellpaaren untersuchen. Grundlage hierfür sollen Proben von Leukämiepatient:innen sein, denn das Fernziel ist es, die Immuntherapie weiterzuentwickeln, damit mehr Erkrankten geholfen werden kann. Weitere Informationen zur AG Haas Gefäßfehlbildungen erkennen und individuell behandeln – PREVENT Angeborene Fehlbildungen der Blut- und Lymphgefäße, sogenannte Gefäßmalformationen, zählen zu den Seltenen Erkrankungen. Sie können in allen Körperregionen vorkommen und Haut, Muskeln oder Organe betreffen. Mal sind es kleinere Blutgefäßerweiterungen, mal können ganze Extremitäten oder Organe in Mitleidenschaft gezogen sein. Einige der Betroffenen haben keine bis leichte Beschwerden, in anderen Fällen können die Fehlbildungen zu lebensgefährlichen Erkrankungen führen. Dr. Dr. René Hägerling ist Arzt und Wissenschaftler am Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité. Er leitet die Abteilung Lymphovaskuläre Medizin und Translationale 3D-Histopathologie im BIH und ist Fellow des BIH Charité Clinician Scientist Programms. „Das Wissen über Gefäßmalformationen ist sehr begrenzt, sodass Betroffenen trotz der Schwere und Voranschreiten des Krankheitsbildes oft keine eindeutige Diagnose gegeben oder Heilung ermöglicht werden kann“, sagt der Mediziner. „Inspiriert durch die Präzisionsmedizin in der Onkologie haben wir ein Versorgungskonzept entworfen, das auf Basis personalisierter Medizin eine bessere Behandlung bietet.“ Neuartige 3D-histologische und molekulargenetische Verfahren sollen künftig zur Aufklärung der Krankheitsursache beitragen. Zusätzliche Screenings ermitteln individuell, welche pharmakologischen Therapien sinnvoll sind. Das Team um Dr. Hägerling ist davon überzeugt, dass ein solches Konzept auch auf andere Seltene Erkrankungen übertragbar ist und die Versorgung insgesamt verbessert. Weitere Informationen zur AG Hägerling Der Dialog zwischen Stroma- und Immunzellen im Darm – iMOTIONS Intestinale Fibrose, eine Verhärtung von Gewebeteilen des Darms, ausgelöst durch eine krankhafte Vermehrung des Bindegewebes, ist eine häufige und schwerwiegende Komplikation bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Bisher gibt es kein spezifisches Medikament, das die Vernarbung verhindern oder rückgängig machen könnte. Stromazellen, Zellen, die ein Organ wie den Darm stützen und versorgen, haben eine zentrale Rolle beim Entstehen von Fibrose. Wie Signale des Immunsystems aber die Bildung des faserigen Bindegewebes steuern, darüber ist bis heute nur wenig bekannt. Lichtenberg-Professor Dr. Dr. Ahmed N. Hegazy arbeitet an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie am Charité Campus Benjamin Franklin. Daneben leitet er eine Liaison-Arbeitsgruppe an der Charité und am Leibniz-Institut Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ), die sich intensiv mit Entzündungsmechanismen auseinandersetzt. Mit seinem Team möchte Prof. Hegazy nun den Ursachen der gestörten Gewebereparatur auf die Spur kommen. „Derartige Gewebeveränderungen sind bei chronischen Darmentzündungen weit verbreitet, gleichzeitig haben die verfügbaren entzündungshemmenden Therapien nur wenig Einfluss auf eine Fibrose“, erklärt Prof. Hegazy. „Wir wollen neue Biomarker finden, die helfen, Patient:innen mit dem Risiko einer Darmfibrose zu erkennen und basierend auf unseren Erkenntnissen Behandlungen finden, die fibrotische Erkrankungen verhindern oder helfen, sie zu therapieren.“ Zytokine, Botenstoffe, die bei einer Reaktion des Immunsystems gebildet werden, sollen im Zentrum der aktuellen Forschung stehen. Es gilt nun den Dialog, den Austausch zwischen Stroma- und Immunzellen in der Darmschleimhaut zu verstehen – unter gesunden Bedingungen, bei Entzündungen und einer abnormalen Gewebereparatur. Weitere Informationen zur AG Hegazy Der Botenstoff Dopamin und die menschliche Bewegung – ReinforceBG Mehr als sechs Millionen Menschen weltweit leiden unter den Symptomen des Parkinson Syndroms. Verlangsamte Bewegung, Zittern, steife Muskeln, unsichere Haltung, das sind nur einige von ihnen. Der Neurowissenschafter Prof. Dr. Wolf-Julian Neumann will die Behandlung der irreversiblen Erkrankung und anderer neurologischer Bewegungsstörungen voranbringen. Dabei setzt er auf die Schlüsselrolle von Dopamin, einem zentralen Botenstoff im Gehirn. Dieser ist entscheidend an der Steuerung von tierischem und menschlichem Verhalten beteiligt. „Wir wollen ein neues, ganzheitliches Verständnis der Rolle von Dopamin für Bewegung und Koordination schaffen“, erklärt Prof. Neumann, Projektleiter an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. „Vor allem aber für die Behandlung des Parkinson Syndroms hat unser Vorhaben klinische Bedeutung. Denn die Erkrankung löst eine Degeneration genau der Nervenzellen aus, die das Dopamin im Gehirn freisetzen.“ Hirnaktivitätsmessungen und modernste neurotechnologische Ansätze sollen dabei helfen, den Botenstoff und sein Wirken besser zu verstehen. Das gewonnene Wissen kann zur Entwicklung spezieller Implantate zur Hirnstimulation beitragen und zu einer neuen Generation von Brain-Computer-Interfaces führen. Diese könnten in der Zukunft die Funktion von verlorenen Nervenzellen ersetzen und so die Beschwerden bei Patient:innen lindern. In enger Zusammenarbeit mit den Kliniken für Neurologie und Neurochirurgie der Charité ergründet die Gruppe um Prof. Neumann, wie die typischen Krankheitszeichen entstehen. Weitere Informationen zur Arbeit von Prof. Neumann Den Herzstoffwechsel neu starten – KetoCardio Eine besondere Form der Herzschwäche, die Herzinsuffizienz mit konservierter Auswurfleistung – kurz HFpEF (kurz für: heart failure with preserved ejection fraction), wird voraussichtlich in den kommenden Jahren zur häufigsten Form der Herzschwäche. Die Pumpkraft des Herzens ist nicht wesentlich beeinträchtigt, dafür aber seine Dehnbarkeit. So kann der Herzmuskel nicht genug Blut aufnehmen, um den Körper ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Betroffene sind weniger belastbar, lagern Wasser in Lunge und übrigem Körper ein, werden kurzatmig. Über die molekularen Mechanismen der Krankheit ist wenig bekannt, Medikamente dagegen gibt es kaum. Dr. Gabriele G. Schiattarella leitet eine Arbeitsgruppe an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie der Charité und die vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) geförderte Gastgruppe Translationale Ansätze bei Herzinsuffizienz und kardiometabolischen Erkrankungen am Max Delbrück Center. Mit seinem Team hat er herausgefunden, dass bei dieser Form der Herzschwäche der Keton-Spiegel erhöht ist. Ketone sind Abbauprodukte des Fettstoffwechsels. Sie entstehen, wenn Körperzellen nicht ausreichend Glukose erhalten – etwa beim Fasten oder beim Sport – und der Körper Fett statt Glukose verbrennt. Ihren Energiebedarf decken die Zellen dann mit Ketonen. Dr. Schiattarella möchte herausfinden, was den Keton-Stoffwechsel bei HFpEF ankurbelt und warum. Außerdem will er klären, ob und wie Ketone, insbesondere das häufigste Keton namens β-Hydroxybutyrat (β-OHB), Prozesse in den Herzmuskelzellen regulieren und so beispielsweise ihre Elastizität beeinflussen. Das Ziel sind therapeutische Strategien, um den Keton-Spiegel bei HFpEF weiter zu erhöhen – sei es durch eine besondere Ernährung, ein spezielles Training oder Medikamente. Weitere Informationen zur AG Schiattarella Erkrankungen des Darms verhindern, bevor sie entstehen – REVERT Magen und Darm sind einer Vielzahl äußerer Einflüsse ausgesetzt. Daher sind sie mit einer schützenden Innenwand ausgekleidet, die sich fortwährend regeneriert, dem Epithel. Prof. Dr. Michael Sigal ist Arzt und Wissenschaftler an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie der Charité und am Max Delbrück Center. Ihn beschäftigen insbesondere Stammzellen, die für die kontinuierliche Erneuerung eben jener Barriere zwischen Körper und Umwelt verantwortlich sind. Eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe unter seiner Leitung erforscht, wodurch diese Stammzellen möglicherweise geschädigt werden, und wie die Schäden zum Entstehen infektiöser und entzündlicher Erkrankungen oder auch Krebs beitragen. Das Team konnte bereits zeigen, dass eine Verletzung der Darmschleimhaut zu einer neuen Aufgabenteilung führt. Stammzellen, die sich geschützt, tief im Inneren der Schleimhaut befinden, sterben ab und werden von ausdifferenzierten Zellen der Oberfläche ersetzt. Diese werden zu Stammzellen reprogrammiert und beginnen sich zu teilen, um so die Schleimhaut neu aufzubauen. Zwar verhindert dieser Regenerationsprozess, dass nach einer Verletzung Bakterien aus dem Darm in die Blutbahn gelangen. Jedoch vermutet Prof. Sigal, dass darin auch der erste Schritt für das Entstehen von Darmkrebs liegt: „Zellen an der Oberfläche des Epithels kommen mit dem Mikrobiom, also den im Darm lebenden Bakterien, und ihren Stoffwechselprodukten in Berührung, die mitunter DNA-Schäden auslösen können. Werden sie zu Stammzellen, können sich Mutationen im Epithel festsetzen und die komplexen Prozesse, die normalerweise für ein Gleichgewicht zwischen Zellteilung und Ausdifferenzierung sorgen, durcheinanderbringen – ein Vorstadium der Krebsentwicklung.“ In den kommenden fünf Jahren will er nun aufklären, wie sich das Gewebe des Magen-Darm-Trakts nach einer Schädigung verändert. Wissen, das als Grundstein für die Entwicklung ursachengerichteter Therapien entzündlicher Darmkrankheiten dient und zur Prävention von Darmkrebs beitragen soll. Weitere Informationen zu Prof. Sigal
Charité startet erste klinische Studien bei Post COVID und Chronischem Fatigue-Syndrom
- 10-11-2022Das Post-COVID-Syndrom (PCS) kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, geht aber meist mit schwerer Erschöpfung einher. Ein Teil der Betroffenen leidet an der myalgischen Enzephalomyelitis/dem Chronischen Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS. Das Wissen über gezielte Therapien zu beiden Krankheitsbildern steckt noch in den Kinderschuhen. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben jetzt eine Nationale Klinische Studiengruppe gegründet, um erste klinische Studien mit Arzneimitteln zur Behandlung von PCS und ME/CFS durchzuführen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund zehn Millionen Euro gefördert. Etwa jeder Zehnte leidet nach einer leichten bis mittelschweren COVID-19-Erkrankung unter anhaltenden Beschwerden, darunter häufig schwere Erschöpfung und Belastungsintoleranz. Halten diese Symptome mehr als vier Wochen an, spricht man von Long COVID. Als Post-COVID-Syndrom hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Symptome definiert, die das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen und mehr als drei Monate andauern. Am häufigsten sind junge, bis dahin gesunde Frauen betroffen. Wie eine aktuelle Studie der Charité zeigt, entwickelt ein Teil der PCS-Patient:innen ME/CFS – eine komplexe Erkrankung mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen und geistigen Symptomen, darunter Schwäche und Erschöpfung (Fatigue), Belastungsintoleranz, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen sowie Muskel- und Kopfschmerzen. ME/CFS wird in vielen Fällen durch eine Infektionskrankheit ausgelöst. Bereits vor der Coronapandemie litten in Deutschland schätzungsweise 250.000 Menschen darunter. „Bislang wissen wir leider noch zu wenig über die genauen Krankheitsmechanismen von ME/CFS und dem Post-COVID-Syndrom. Deshalb existieren auch keine gezielten medizinischen Behandlungen. Entsprechend sind viele Betroffene fortwährend krank und nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben oder ihre Familie zu versorgen. Die Schwerstkranken sind bettlägerig“, sagt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité. Unter ihrer Leitung haben sich Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachrichtungen und mehrerer Universitäten in einer Nationalen Klinischen Studiengruppe (NKSG) zusammengeschlossen. Diese möchte erste klinische Studien mit Arzneimitteln und medizinischen Verfahren für PCS und ME/CFS anstoßen und durchführen. Ziel ist es, wirksame Therapieansätze zur Zulassung zu bringen, damit sie allen Patient:innen zur Verfügung stehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Verwendung von Arzneimitteln, die bereits für andere Krankheiten verfügbar sind, um einen schnellen Fortschritt in der Behandlung zu erreichen. Prof. Scheibenbogen erklärt: „Klinische Studien vorzubereiten und durchzuführen, ist inzwischen sehr aufwendig und teuer. Mit dem Charité-BIH Clinical Study Center unter Leitung von Dr. Susen Burock haben wir einen großartigen Partner mit viel Expertise an unserer Seite.“ Die Studiengruppe wird zunächst drei Gruppen von Medikamenten untersuchen. Sie richten sich gegen Entzündungen, Durchblutungsstörungen und Autoantikörper – das sind Antikörper, die bestimmte körpereigene Proteine angreifen. Außerdem werden alle klinischen Studien von einem umfassenden Biomarker- und Diagnostik-Programm begleitet, denn bislang gibt es noch keine spezifischen diagnostischen Tests für ME/CFS oder PCS. So möchten die Forschenden die Prozesse der Krankheiten noch besser verstehen und herausfinden, welche Faktoren für die Wirksamkeit der Medikamente relevant sind. „Zunächst werden wir nur Patientinnen und Patienten in unsere Studie aufnehmen können, die an unseren Beobachtungsstudien teilnehmen oder die wir bereits aus unserer Hochschulambulanz kennen“, beschreibt Prof. Scheibenbogen den konkreten Ablauf. „In einem nächsten Schritt möchten wir dann größere Studien an verschiedenen Kliniken in Deutschland durchführen und dafür mit der pharmazeutischen Industrie zusammenarbeiten, natürlich auch für die Prüfung weiterer aussichtsreicher Medikamente.“
Bessere Mukoviszidose-Behandlung ist Science Breakthrough of the Year
- 07-11-2022Die Falling Walls Foundation hat die Forschungsleistung von Prof. Dr. Marcus Mall von der Charité – Universitätsmedizin Berlin als Science Breakthrough of the Year 2022 im Bereich Lebenswissenschaften ausgezeichnet. Dem Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin ist es zusammen mit seinem Team und internationalen Partnern gelungen, die Behandlung der noch immer unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose durch einen neuen, ursächlich wirkenden Therapieansatz erheblich zu verbessern. Diesen wissenschaftlichen Durchbruch stellt Prof. Mall am 9. November im Rahmen des Falling Walls Science Summit in Berlin vor. Mukoviszidose ist eine der häufigsten tödlich verlaufenden Erbkrankheiten weltweit. Das Leiden wird in der europäischstämmigen Bevölkerung bei etwa einem von 2.500 bis 3.000 Kindern diagnostiziert. Ein Gendefekt führt bei den Betroffenen zu einem fortschreitenden Verlust der Lungenfunktion und Atemnot, was ihre Lebenserwartung trotz verbesserter Behandlung der Symptome noch immer deutlich senkt. Prof. Mall hat mit seiner Arbeit maßgeblich dazu beigetragen, den Krankheitsmechanismus der Mukoviszidose zu entschlüsseln und die erste hochwirksame, ursächlich wirkende Therapie zu entwickeln: Seit August 2020 ist in Europa eine Kombination aus drei sogenannten CFTR-Modulatoren erhältlich, die die Lungenfunktion und Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit dem häufigsten Gendefekt F508del spürbar verbessert. Die Therapie kommt damit für knapp 90 Prozent der Mukoviszidose-Betroffenen infrage. Seit Anfang 2022 kann die Dreifachtherapie schon bei Kindern ab 6 Jahren eingesetzt werden. „Dass wir Mukoviszidose-Betroffene nun nicht mehr nur symptomatisch behandeln, sondern die zugrundeliegende Fehlfunktion therapieren können, ist ein Meilenstein in der Behandlung dieser schwerwiegenden Erbkrankheit. Ich freue mich sehr, dass die Jury der Falling Walls Foundation diesen großartigen Fortschritt anerkennt“, betont Prof. Mall. Der Lungenexperte leitet auch das Christiane Herzog Mukoviszidose-Zentrum der Charité. „Mein Ziel ist es, Mukoviszidose von einer tödlichen zu einer behandelbaren Krankheit zu machen. Aktuell arbeiten wir darauf hin, die Wirkstoffkombination so früh wie möglich im Kindesalter einsetzen zu können, um so in Zukunft hoffentlich selbst frühe Schäden der Lunge und anderer Organe zu verhindern.“ Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, beglückwünscht den Preisträger: „Ich gratuliere Prof. Mall zu dieser Auszeichnung. Seine Forschung hat in der Tat zu einem beispiellosen Durchbruch für Mukoviszidose-Patienten geführt und ich freue mich, dass dies von der Jury gewürdigt wurde. Die Arbeit von Prof. Mall ist ein hervorragendes Beispiel für erfolgreiche Translation aus dem Labor bis hin zum Krankenbett.“ Prof. Mall wird die Fortschritte in der Behandlung der Mukoviszidose am Mittwoch, den 9. November, auf dem Falling Walls Science Summit vorstellen, der als hybride Veranstaltung im Rahmen der Berlin Science Week stattfindet. Interessierte können von 12:30 bis 12:55 Uhr in dem interaktiven Format „Breakthrough Conversations“ direkt mit dem Preisträger in Gespräch kommen und von 15:05 bis 15:20 Uhr dem auf Englisch gehaltenen Vortrag von Prof. Mall online beiwohnen. Die Online-Veranstaltung ist kostenfrei, Voraussetzung ist eine Registrierung. Die Falling Walls Foundation verleiht den Titel „Science Breakthrough of the Year“ jährlich an je ein Forschungsprojekt in den zehn Kategorien Lebenswissenschaften, Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Technologie, Sozial- und Geisteswissenschaften, Kunst und Wissenschaft, Lernen der Zukunft, Wissenschaft und Innovationsmanagement, Science Start-ups, Science Engagement und Emerging Talents. Im Bereich Lebenswissenschaften werden international anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgezeichnet, die in ihrem Fachgebiet führend sind und mit ihrer bahnbrechenden Arbeit zur Lösung der größten Herausforderungen der Welt beitragen – also im übertragenen Sinn eine Mauer in Wissenschaft und Gesellschaft zum Fallen bringen. In diesem Jahr kürte die Jury die Gewinner aus mehr als 1.000 Projekten, die aus 105 Ländern eingereicht wurden.
Charité und Sheba Medical Center unterzeichnen Kooperationsvertrag
- 03-11-2022Die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Sheba Medical Center in Israel haben in dieser Woche in Ramat Gan in der Nähe von Tel Aviv ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Beide Institutionen vereinbaren darin eine strategische wissenschaftliche und akademische Zusammenarbeit. Im Mittelpunkt steht die Förderung von medizinischen Innovationen durch den Austausch von Informationen und die Kooperation mit Start-ups sowie gemeinsame Forschung. Dazu gehören unter anderem der Austausch im Bereich der Neurowissenschaften und der Radiologie sowie die gegenseitige Unterstützung bei der Erforschung von Long COVID. Darüber hinaus wird die telemedizinische Versorgung ein Schwerpunktthema sein. Anlässlich der Unterzeichnung erklärt Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité: „Die Charité freut sich sehr, eine enge Partnerin des Sheba Medical Centers zu werden. Unsere Delegationsreise im Juni 2022 war der Auftakt für den beidseitigen Wunsch, enger zusammenzuarbeiten. Das Sheba Hospital hat insbesondere während der Pandemie viele gute Beispiele geliefert, wie neue Technologien und die Zusammenarbeit mit Industriepartnern für die Verbesserung der Krankenversorgung genutzt werden können.“ Prof. Yitshak Kreiss, Vorstandsvorsitzender des Sheba Medical Center, ergänzt: „Unsere strategische Vereinbarung mit der Charité ist wichtig, weil wir sowohl Exzellenz als auch Professionalität betonen und schätzen. Der Wunsch von Sheba, mit führenden europäischen Institutionen zusammenzuarbeiten, ist auch wichtig, um die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zu stärken, insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens. Wir alle wissen, dass wir alle vor den gleichen Herausforderungen stehen und in der Charité haben wir einen echten Partner gefunden, damit wir gemeinsam an innovativen Lösungen arbeiten können, um die Zukunft der Patientenversorgung zu verbessern."
Forschungsteam entdeckt zentrale Funktionen von Zellen des angeborenen Immunsystems
- 02-11-2022Entzündungen und vermehrte Schleimproduktion sind typische Symptome bei Wurmerkrankungen und Allergien. An dieser Immunantwort sind angeborene Immunzellen beteiligt, deren genaue Funktionen noch nicht vollständig verstanden sind. Welche zentralen Aufgaben sie erfüllen, hat ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin nun aufgedeckt. In der im Fachmagazin Nature* veröffentlichten Studie zeigen die Forschenden zudem mögliche Therapieansätze für die Behandlung von Allergien auf. Das menschliche Immunsystem besteht aus zwei miteinander verzahnten Teilen. Es gibt zum einen das erworbene Immunsystem, das mit jeder Infektion etwas hinzulernt und sich im Laufe des Lebens stetig weiterentwickelt. Und zum anderen das angeborene Immunsystem, das zwar weniger spezialisiert ist, dafür aber besonders schnell und effektiv reagiert. Die Zellen des angeborenen Immunsystems sind in den Schleimhäuten der Atemwege und des Darms verortet und bilden so bereits an der Eintrittspforte für Erreger das erste wirksame Abwehrschild. Dazu gehören unter anderem die sogenannten angeborenen Lymphozyten der Gruppe 2 (kurz: ILC2), die etwa bei Parasitenerkrankungen im Darm oder bei Allergien in den Atemwegen aktiv sind. „Die angeborenen Lymphozyten wurden vor rund zehn Jahren entdeckt. Man hat schon viel über sie herausfinden können, doch ihre genaue Funktion im Getriebe des Immunsystems ist noch nicht in Gänze verstanden“, sagt Dr. Christoph Klose, der am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Regulation von Typ-2-Immunantworten durch Neuropeptide und Neurotransmitter“ leitet. „Da eine Gruppe von Immunzellen des erworbenen Immunsystems – und zwar die T-Zellen – im Rahmen der Typ-2-Immunantwort teilweise ähnliche Funktionen übernehmen, dachte man bislang, dass die Rolle der ILC2 womöglich redundant und durch die T-Zellen problemlos ersetzbar wäre.“ Das konnte das Forschungsteam um Dr. Klose in der nun veröffentlichten Studie aber widerlegen. Mit einem Tiermodell sowie modernen molekularen Methoden wie etwa der Einzelzell-Sequenzierung, mit deren Hilfe in einzelne Zellen hineingezoomt und ihr molekularer Zustand analysiert werden kann, haben die Wissenschaftler:innen zentrale Funktionen von ILC2 aufgedeckt. „Eine bestimmte Gruppe von Immunzellen – sie heißen Eosinophile – konnte sich in Abwesenheit von ILC2 nicht entwickeln. Dieser Zusammenhang war bislang unbekannt und hat uns wirklich überrascht“, sagt Dr. Klose. Eosinophile sind Zellen, die Entzündungsprozesse in Geweben steuern. Neben ihrer Bedeutung für Eosinophile haben ILC2 eine entscheidende Wirkung auf Epithelzellen, um die Schleimproduktion zu fördern und Parasiten wie etwa Würmer aus dem Körper auszuschwemmen. „Das Fehlen von ILC2 machte sich in unseren Untersuchungen zur Immunantwort bei Wurminfektionen deutlich bemerkbar. Die Schleimproduktion im Gewebe fand nur noch eingeschränkt statt, und die Parasiten konnten nicht mehr effektiv bekämpft werden“, resümiert Dr. Klose die Studienergebnisse. In weiteren Versuchsansätzen, in denen die Forschenden die Symptome von allergischem Asthma untersuchten, besserten sich diese in Abwesenheit von ILC2. „Hier könnten zukünftige Studien ansetzen, um mögliche Therapien zur Behandlung von Allergien zu entwickeln“, sagt Dr. Klose. „Mit unserer Studie konnten wir zeigen, dass die angeborenen Lymphozyten der Gruppe 2 essenzielle Zahnräder im Getriebe des Immunsystems und im Sinne einer effektiven Immunantwort nicht zu ersetzen sind.“ In künftigen Forschungsprojekten möchte Dr. Klose mit seinem Team untersuchen, ob die angeborenen Lymphozyten womöglich noch weitere Bereiche der Immunantwort regulieren.
Tarifverhandlungen von Charité und Marburger Bund fortgesetzt
- 24-10-2022Die Charité – Universitätsmedizin Berlin und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund haben nach dem Warnstreik am 5. Oktober erneut Gespräche aufgenommen und die Forderungen der Tarifkommission des Marburger Bundes in mehreren Terminen intensiv diskutiert. Der Vorstand der Charité hat ein großes Interesse daran, die Arbeitsbedingungen für die Ärztinnen und Ärzte der Universitätsmedizin zukunftsfest zu machen. Die Forderungen zur Entgelterhöhung sowie zu Zuschlägen für Nachtarbeit und Bereitschaftsdienste werden weitgehend akzeptiert. Darüber hinaus hat die Charité ein zusätzliches Paket mit Angeboten zu Arbeitszeit und Entlastung, Fort- und Weiterbildung, Entbürokratisierung und Gleichstellung vorgelegt, das über die vom Marburger Bund gekündigten Inhalte des Tarifvertrages sogar noch hinausgeht. Die wichtigsten Punkte im Überblick: 1. Entgelterhöhung Die Charité bietet eine Entgelterhöhung um 4,5 Prozent in drei Stufen rückwirkend ab dem 1. April 2022. Der Marburger Bund fordert eine lineare Erhöhung um 6,9 Prozent rückwirkend ab dem 1. April 2022. 2. Zuschläge für Nachtarbeit und Bereitschaftsdienste Die Charité kommt der Forderung nach Erhöhung auf 25 Prozent Zuschlag für Nachtarbeit nach. Weiterhin akzeptiert die Charité die geforderte Erhöhung der Zuschläge auf 25 Prozent für Bereitschaftsdienste in den Nachtstunden sowie an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen. Bei mehr als neun Bereitschaftsdiensten in zwei Kalendermonaten bietet die Charité für jeden Bereitschaftsdienst, der darüber hinaus geleistet wird, 25 Prozent Zuschlag. 3. Verlässliche Dienstplanung Um eine zuverlässige und familienfreundliche Dienstplanung zu ermöglichen, bietet die Charité eine Reihe von zusätzlichen Regelungen für die Ärztinnen und Ärzte der Universitätsmedizin. Dazu gehören beispielsweise: keine Dienste nach 21.00 Uhr vor einem freien Wochenende Lebensphasenorientierte Schichtmodelle sollen in Kliniken erprobt, begleitet und ausgewertet werden. Im Geschäftsbereich Personal und Organisationsentwicklung sollen Vertrauenspersonen zum Thema Arbeitszeit für die Ärztinnen und Ärzte eingeführt werden. Die Charité setzt weiterhin auf konstruktive Gespräche mit dem Marburger Bund und auf eine baldige Einigung für verbesserte Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte an der Universitätsmedizin.
World Health Summit gemeinsam mit der WHO
- 11-10-2022Der World Health Summit und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) laden erstmals gemeinsam zum weltweit führenden Treffen für globale Gesundheit in Berlin ein. Vom 16. bis 18. Oktober diskutieren internationale Expertinnen und Experten, darunter auch aus der Charité – Universitätsmedizin Berlin, über Themen der globalen Gesundheitsversorgung. Die digitale Teilnahme am gesamten Programm ist frei. Prof. Dr. Axel Radlach Pries, Präsident des World Health Summit und Dekan der Charité, erklärt: „Der diesjährige World Health Summit gemeinsam mit der WHO erzeugt eine neue Sichtbarkeit für die Themen der globalen Gesundheit und die Chance, innovative Ansätze, die für die Versorgung der Menschen weltweit von großer Bedeutung sind, auf den Weg zu bringen. Der World Health Summit bietet uns eine wichtige Gelegenheit zum internationalen Austausch. An der Charité beschäftigt sich eine Vielzahl von Mitarbeitenden mit dem Thema Global Health. Dieses Engagement möchten wir weiter ausbauen.“ Auf der Agenda des World Health Summit 2022 stehen Themen wie Klimawandel und Gesundheit, Pandemievorsorge, Ernährungssicherheit, digitale Transformation, nachhaltige Gesundheitssysteme für die Welt und die Rolle Deutschlands, der G7 und G20 in der globalen Gesundheit. Zu dem dreitägigen Treffen werden über 300 Sprecher:innen aus allen Regionen der Welt erwartet, darunter Regierungsverantwortliche und Minister:innen, Vertreter:innen der WHO, Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und von internationalen Organisationen sowie Expert:innen der Charité. Für die feierliche Eröffnungsfeier am Sonntag, den 16. Oktober ab 18 Uhr haben Bundeskanzler Olaf Scholz, WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus sowie per Video UNO-Generalsektretär António Guterres und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihre Teilnahme angekündigt. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, und Prof. Pries werden die Tagung offiziell eröffnen. Sprecherinnen und Sprecher beim World Health Summit 2022 sind (unter anderem): Olaf Scholz, Bundeskanzler Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich Dr. Tedros A. Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen Prof. Dr. Karl Lauterbach, Bundesminister für Gesundheit Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité Prof. Dr. Axel R. Pries, Dekan der Charité und Präsident des World Health Summit Prof. Dr. Petra Gastmeier, Direktorin des Institutes für Hygiene und Umweltmedizin Prof. Dr. Petra Ritter, BIH Johanna Quandt Professorin für Gehirnsimulation und Direktorin der Sektion Gehirnsimulation am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) Prof. Dr. Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie der Charité Dr. Andreas Ullrich, Klinik für Gynäkologie der Charité Prof. Dr. Marcus Friedrich, Visiting Professor an der Charité und dem Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) Teilnahme am World Health Summit 2022 Der World Health Summit findet vom 16. bis 18. Oktober im Hotel Berlin Central District, Stauffenbergstraße 26 in 10785 Berlin, statt. Mehr zur Teilnahme und Registrierung. Die digitale Teilnahme ist frei und ohne vorherige Registrierung möglich. Die Zoom-Links finden Sie während der Konferenz auf der Website des World Health Summit. Im Online Programm finden Sie Details zu den einzelnen Sessions, Themen und Sprecher:innen. Der gesamte World Health Summit 2022 ist presseöffentlich. Die Akkreditierung für die Teilnahme vor Ort kann bis Mittwoch, den 12. Oktober, 18 Uhr erfolgen.
Unermüdlicher Einsatz für Erforschung und Behandlung von ME/CFS
- 30-09-2022ME/CFS, auch Chronisches Fatigue-Syndrom genannt, ist eine neuroimmunologische Erkrankung, die die Lebensqualität von Betroffenen besonders stark beeinträchtigt. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, engagiert sich seit vielen Jahren, um diesen Menschen zu helfen. Sie ist eine von nur wenigen Expertinnen und Experten in Deutschland, die auf die Erforschung und Behandlung des Krankheitsbildes spezialisiert sind. Heute hat die Medizinerin für ihren Einsatz das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland im Schloss Bellevue erhalten. Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige hatten sie für die Ehrung vorgeschlagen. In diesem Jahr stehen die Auszeichnungen des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit unter dem Motto „Brücken bauen“. Die Internistin und Hämatoonkologin Prof. Scheibenbogen setzt sich seit mehr als einem Jahrzehnt für die Belange von Menschen ein, die unter der Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) leiden. Ein schwerwiegendes, vielgestaltiges Krankheitsbild, das meist nach einer Infektionserkrankung auftritt. Charakteristisch ist eine Verschlechterung der Symptome selbst nach geringfügiger Belastung. Prof. Scheibenbogen ist eine Brückenbauerin. Sie forscht und vermittelt Wissen über eine Erkrankung, die, wie sie selbst sagt, „bislang wenig bekannt und für viele Ärztinnen und Ärzte daher schwierig einzuordnen ist. Deswegen kümmere ich mich darum.“ Ein besonderes Anliegen der Medizinerin ist es, mehr über ME/CFS herauszufinden, klinische Studien auf den Weg zu bringen und spezifische Versorgungsstrukturen für Erkrankte ins Leben zu rufen. Denn diese sind bislang nahezu nicht vorhanden. Auf das Krankheitsbild aufmerksam geworden ist Prof. Scheibenbogen als Leiterin der Immundefekt-Ambulanz am Institut für Medizinische Immunologie der Charité. Hier hatte sie vor 15 Jahren eine Sprechstunde für ME/CFS übernommen. Gemeinsam mit ihrem Team initiiert sie Forschungsprojekte und erste Therapiestudien, auch startet sie Fortbildungen für Mediziner:innen und für Betroffene. 2018 gründet Prof. Scheibenbogen in Kooperation mit Neurologinnen und Neurologen der Charité sowie mit Unterstützung der Weidenhammer-Zöbele-Stiftung das Charité Fatigue Centrum, eine Ambulanz, in der Erkrankte in einem interdisziplinären Umfeld besser betreut werden können. Sie bringt weitere Forschungsprojekte auf den Weg, darunter die vom Innovationsfonds geförderte Versorgungsstudie CFS_CARE oder das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützte Verbundforschungsprojekt IMMME zur Aufklärung von Krankheitsmechanismen, die ME/CFS zugrunde liegen. Der Austausch zwischen Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen und Einrichtungen ermöglicht es, diese facettenreiche, wenig erforschte Erkrankung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und neue Behandlungsansätze zu finden. „Zu den herausragenden Leistungen von Prof. Scheibenbogen zählen ihr Engagement und der Aufbau einer Behandlungsambulanz für Patientinnen und Patienten mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom“, hebt Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, hervor. „Gerade durch die COVID-19-Pandemie sind wir mit diesem Krankheitsbild, im Sinne eines Long-COVID-Syndroms, zunehmend konfrontiert. Prof. Scheibenbogen hat sich als eine der weltweiten Expertinnen und Experten für ME/CFS etabliert. Als eine der Ersten in Deutschland hat sie damit begonnen, wegweisende Strukturen für die Versorgung dieser Menschen zu schaffen.“ Damit gibt sich Prof. Scheibenbogen nicht zufrieden. Für die Zukunft sieht sie einen großen Bedarf und sie hat neue Ziele: „Was dringend bundesweit gebraucht wird, sind Spezialambulanzen als Anlaufstelle für die vielen Betroffenen und Versorgungsstrukturen für die häusliche Pflege, wie es sie beispielsweise für Menschen mit Multipler Sklerose, einer vergleichbaren Erkrankung, gibt.“ Bereits 2016 konnte Prof. Scheibenbogen eine Förderung der Europäischen Union (EU) mit einwerben, um einen europäischen Verbund für die komplexe Erkrankung ME/CFS aufzubauen. Mit ihrem Team hat sie Forschungseinrichtungen innerhalb Europas vernetzt und die europäische Leitlinie zur Behandlung Betroffener mitgestaltet. Die COVID-19-Pandemie hat mit dem Auftreten von Long-COVID und dem Post-COVID-Syndrom zu einem verstärkten Handlungsbedarf und einer ganz neuen Wahrnehmung des Krankheitsbildes in der Gesellschaft geführt. 2021 wurde an der Charité das Post-COVID-Netzwerk gegründet, mit dem Ziel, fachbereichsübergreifend Ärztinnen und Ärzten einen Austausch zu ermöglichen, Patientinnen und Patienten zu beraten und zu behandeln. Zu den aktuellen Vorhaben von Prof. Scheibenbogen zählt der Aufbau einer Studienplattform für ME/CFS nach COVID-19 und das Post-COVID-Syndrom an der Charité. Therapiestudien und klinische Studien sollen dazu beitragen, die Spät- und Langzeitfolgen von COVID-19 behandelbar zu machen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat für diesen Zweck erste Fördermittel in Aussicht gestellt.
Blick in einzelne Zellen: Prozesse der akuten Nierenschädigung aufgedeckt
- 26-09-2022Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des Max Delbrück Center Die akute Nierenschädigung ist eine häufige Komplikation bei unterschiedlichen Erkrankungen. Insbesondere Intensivpatient:innen sind betroffen. Die dazu führenden Mechanismen waren allerdings bislang nur wenig verstanden. Jetzt konnte ein interdisziplinäres Forschungsteam die molekularen Prozesse mithilfe der Einzelzell-Sequenzierung näher beleuchten. In den Fachmagazinen Genome Medicine* und Kidney International** zeigen sie molekulare Muster der geschädigten Nierenzellen auf, die zu neuen Ansätzen für künftige Diagnostik und Behandlung von Nierenschädigungen führen können. Derzeit ist eine Therapie nur eingeschränkt möglich. Die Studien sind in enger Kooperation zwischen der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit dem Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des Max Delbrück Centers sowie mit dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin, ein Leibniz-Institut (DRFZ) und der Medizinischen Hochschule Hannover entstanden. Die Nieren gehören zu den zentralen Organen unseres Körpers. Sie filtrieren Abfallstoffe aus dem Blut, stabilisieren Wasserhaushalt und Blutdruck, beeinflussen den Energiestoffwechsel und stellen lebenswichtige Hormone her. Sind die Nieren funktionell eingeschränkt – wie etwa bei einer akuten Nierenschädigung – kann das schwerwiegende Folgen haben. „Die akute Nierenschädigung ist in der Klinik eine häufige und ernsthafte Komplikation bei schwerkranken Patient:innen, etwa die Hälfte der Intensivpatient:innen ist betroffen“, sagt Dr. Jan Klocke von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin der Charité. „Die Problematik wird häufig unterschätzt. Eine akute Nierenschädigung ist mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert, und Patientinnen und Patienten können bleibende Schäden davontragen bis hin zum kompletten Verlust der Nierenfunktion.“ Eine akute Nierenschädigung kann mit unterschiedlichsten Erkrankungen einhergehen. Sie tritt oftmals bei Herz-Kreislauferkrankungen oder schweren Infektionskrankheiten wie etwa COVID-19 auf, aber auch nach chirurgischen Eingriffen oder im Zusammenhang mit medikamentösen Therapien. Konkrete Behandlungsmöglichkeiten gibt es häufig nicht. „Wir versuchen betroffene Patient:innen zu stabilisieren, doch bislang ist es meist nicht möglich, die Schädigungsprozesse in der Niere medikamentös umzukehren“, sagt Dr. Hinze, der eine der Studien maßgeblich an der Charité und am Max Delbrück Center betreut hat und jetzt an der Medizinischen Hochschule Hannover tätig ist. „Welche Mechanismen in den Nierenzellen ablaufen, darüber war bislang kaum etwas bekannt. Ziel unserer Studien war es, hier etwas Licht ins Dunkel zu bringen, mit dem langfristigen Ziel, in der Klinik künftig besser behandeln zu können.“ Auslöser für eine akute Nierenschädigung ist häufig eine unzureichende Blutversorgung der Niere. Dann erhalten die Zellen dort nicht mehr genügend Sauerstoff und Nährstoffe – sie reagieren mit Stress. Die Zellen gehen in eine Art Alarmmodus über und produzieren Signalstoffe, die im umliegenden Gewebe zu Entzündungs- und Umbauprozessen (Fibrose) führen. Aus Untersuchungen in Tiermodellen weiß man, dass Epithelzellen – Zellen, die die feinen Nierenkanälchen auskleiden – an diesen entzündlichen und fibrotischen Prozessen beteiligt sind. Das zeigten Untersuchungen mit Hilfe der sogenannten Einzelzell-Sequenzierung. Mit dieser modernen Methode kann der molekulare Zustand einer einzelnen Zelle präzise erfasst werden. Doch was passiert bei einer akuten Nierenschädigung auf zellulärer Ebene beim Menschen? Dieser Frage sind die Teams um Dr. Hinze und Dr. Klocke in zwei nun veröffentlichten Studien nachgegangen. Sie gehören zu den ersten Arbeiten überhaupt, die die Prozesse der akuten Nierenschädigung mithilfe der Einzelzell-Sequenzierung in menschlichen Nierenzellen untersuchen. Am BIMSB haben die Forschenden dafür Zellen aus Gewebeproben und Urin von über 40 Patient:innen untersucht und die molekularen Muster von mehr als 140.000 Zellen computergestützt analysiert und miteinander verglichen. „Mit der Einzelzell-Sequenzierung können wir quasi in jede Zelle hineinzoomen und sehen, welche Gene zu diesem Zeitpunkt in der Zelle aktiv sind“, erklärt Dr. Hinze. „Daran können wir erkennen, ob die jeweilige Nierenzelle gerade normal funktioniert, unter Stress steht oder dabei ist, abzusterben. Mit dieser hochmodernen Technik erhalten wir über die akute Nierenschädigung ein Verständnis in nie dagewesener Detailschärfe.“ So konnte das Team auch zeigen, dass verschiedene Zelltypen der Niere ganz unterschiedlich auf die akute Nierenschädigung reagieren. Die stärksten Antworten beobachteten sie in den Epithelzellen der Nierenkanälchen. Das sind die kleinsten Funktionseinheiten der Niere, die aus mehreren Abschnitten bestehen. Aus Tiermodellen wusste man, dass hauptsächlich Epithelzellen eines bestimmten Abschnitts von den Auswirkungen der akuten Nierenschädigung betroffen waren. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien an menschlichen Nierenzellen ergaben nun aber, dass Epithelzellen nahezu aller Abschnitte der Nierenkanälchen in die Schädigungsprozesse involviert sind. „Das verdeutlicht noch einmal, wie wichtig es ist, dass wir humane Systeme untersuchen und besser verstehen lernen“, sagt Dr. Hinze. „In den verschiedenen Typen von Epithelzellen konnten wir bestimmte molekulare Muster identifizieren, die bei allen Patient:innen mit akuter Nierenschädigung vorkamen, jedoch mit individuell unterschiedlicher Häufigkeit. Diese Befunde könnten künftig dabei helfen, Risiken für schwere Krankheitsverläufe besser abschätzen zu können.“ Für die klinische Praxis wäre eine schnelle, nichtinvasive und präzise Untersuchungsmethode wünschenswert, die es ermöglicht, eine akute Nierenschädigung früh eindeutig zu diagnostizieren. Um dieser Zukunftsvision ein Stück näherzukommen, hat Dr. Klocke in Urinproben nach Epithelzellen gefahndet. Im Urin gesunder Menschen sind kaum Zellen zu finden. Doch bei einer akuten Nierenschädigung lösen sich Epithelzellen aus dem Gewebe der Nierenkanälchen und werden mit dem Urin ausgeschieden. Da aber Zellen im Urin nicht lange überleben, war zunächst unklar, ob die Zellen noch intakt sind und sich ihr molekularer Status quo mittels Einzelzell-Sequenzierung überhaupt messen lässt. „Wir haben die Urinproben binnen vier bis sechs Stunden verarbeitet, und es hat tatsächlich sehr gut funktioniert“, sagt Dr. Klocke. Die Forschenden konnten bestimmen, aus welchem Abschnitt der Nierenkanälchen die Zellen stammten und welche genetischen Programme sie als Antwort auf die Nierenschädigung aktiviert hatten. „Die Informationen, die die Zellen aus den Urinproben lieferten, stimmten mit denen der entsprechenden Zellen aus Gewebeproben gut überein“ sagt Dr. Klocke. „Somit verfügen wir mit dem Urin über eine unkomplizierte und nichtinvasive Methode, um an Probenmaterial für weiterführende Untersuchungen zu kommen – um Biomarker auszumachen und so auf lange Sicht vielleicht Nierenbiopsien reduzieren oder ganz ersetzen zu können.“ Mit den beiden aktuellen Studien lieferte das Forschungsteam gänzlich neue Einblicke in die zellulären Mechanismen bei akuter Nierenschädigung sowie vielversprechende Ansätze für künftige Diagnoseverfahren und personalisierte Therapien. In weiterführenden Studien wollen sie eine größere Zahl an Patient:innen aufnehmen, die Ausprägungen der Zellantworten bei unterschiedlichen Grunderkrankungen untersuchen sowie grundlegende molekulare Mechanismen bei akuter Nierenschädigung mit Hilfe von Zellkulturen weiter aufdecken.
Vorhersage aus dem Blut
- 22-09-2022Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des BIH Um Krankheiten vorzubeugen, ist es wichtig, dass Menschen, die ein besonders hohes Risiko tragen, möglichst früh entdeckt werden. Die derzeitigen Vorsorgeuntersuchungen sind jedoch oft aufwändig und auf einzelne Krankheiten beschränkt. Wissenschafter:innen vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), der Charité – Universitätsmedizin Berlin und vom University College London haben nun Blutwerte von 168 Stoffwechselprodukten (Metaboliten) sowie die Krankengeschichte von über 100.000 Menschen ausgewertet. So konnten sie mithilfe von künstlicher Intelligenz das Risiko für mehrere Krankheiten gleichzeitig berechnen und aufzeigen, wo sich eine frühzeitige Intervention lohnen könnte. Ihre Ergebnisse haben sie in der Zeitschrift Nature Medicine* veröffentlicht. Vorbeugen ist besser als heilen: Dieses Motto im Hinterkopf hatten die Forschenden vom BIH, von der Charité und vom University College London, als sie Einblick in den riesigen Datenschatz der UK Biobank erhielten. Die britische Studie verfolgt seit über 15 Jahren das Schicksal von mehr als 500.000 Teilnehmer:innen. Weil alle Briten seit den 90er Jahren eine elektronische Patientenakte besitzen, lässt sich hier – pseudonym – die Entwicklung von Krankheiten über lange Zeiträume beobachten. Kürzlich hatte die UK Biobank ein immenses Datenpaket veröffentlicht: Die zum Teil über 15 Jahre alten, tiefgekühlten Blutproben der Teilnehmenden waren mittels Kernspinspektroskopie auf ihren Gehalt von 168 Stoffwechselprodukten untersucht worden. Die Methode gilt als zuverlässig, einfach umzusetzen und relativ günstig. Gemessen werden Substanzen wie Cholesterin oder Blutzucker, aber auch Moleküle, die weniger bekannt sind und auch seltener bei Blutuntersuchungen bestimmt werden. „Jüngste Studien haben gezeigt, dass einzelne Stoffwechselprodukte – oder Metaboliten – für die Entwicklung einer Vielzahl von Krankheiten relevant sind. Wir haben vermutet, dass die Kombination mehrerer verschiedener Metaboliten Hinweise auf das Risiko für verschiedene Krankheiten gleichzeitig liefern könnte. Und das wollten wir untersuchen“, erklärt Jakob Steinfeldt, Assistenzarzt an der Medizinischen Klinik für Kardiologie am Charité Campus Benjamin Franklin. Die Wissenschaftler:innen untersuchten daraufhin gemeinsam mit Kolleg:innen vom Digital Health Center des BIH die Daten der Teilnehmer:innen auf 24 häufige Krankheiten, darunter Stoffwechselstörungen wie Diabetes, Herz-Kreislaufleiden wie Herzinfarkt und Herzmuskelschwäche, aber auch neurologische Krankheiten wie Parkinson, Muskelerkrankungen oder verschiedene Krebsleiden. Für jede der 24 Krankheiten ermittelten sie zunächst, welche Teilnehmenden im Verlauf der Studie daran erkrankt waren und kombinierten dies anschließend mit der Zusammensetzung der Metaboliten im Blutserum, dem Metabolom, das vor Ausbruch der Krankheit entnommen worden war. Daraus errechneten sie mithilfe von künstlicher Intelligenz ein Modell, das die Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Metaboliten-Kombination im Blut eine zukünftige Krankheit vorhersagt, berechnet. „Wir haben die Metaboliten-Profile auf ihre Vorhersagekraft geprüft und mit herkömmlichen Methoden zur Risikoberechnung verglichen“, berichtet Thore Bürgel, Doktorand im Digital Health Center des BIH und gemeinsam mit Jakob Steinfeldt Erstautor der Veröffentlichung. „Dabei hat sich gezeigt, dass die Profile die Risikovorhersage für die Mehrheit der untersuchten Krankheiten verbesserten, wenn wir sie mit der Information über das Alter und das biologische Geschlecht der Teilnehmenden kombinierten.“ So konnte die Kombination aus Alter, biologischem Geschlecht und Metabolom das Risiko für Diabetes oder eine Herzmuskelschwäche besser vorhersagen als etablierte Risikomodelle, die auf einer herkömmlichen Bestimmung des Blutzuckers oder des Cholesterins im Blut basieren. Mit Kosten von unter 20 Euro ist die Untersuchung des Metaboloms zudem relativ günstig. „Das ist deshalb interessant, weil wir mit dem Metabolom das Risiko für viele Krankheiten gleichzeitig abschätzen können“, erklärt Prof. Dr. Ulf Landmesser, Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie am Charité Campus Benjamin Franklin. „Natürlich würden wir nach einer ‚Risikowarnung‘ aufgrund von Auffälligkeiten im Blut den Patienten oder die Patientin weiter untersuchen, bevor wir eingreifen. Dennoch ist das genau die Richtung, in die wir auch mit dem neuen ‚Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center‘ gehen wollen: die Menschen motivieren, sich ab einem bestimmten Alter regelmäßig untersuchen zu lassen, um im Falle eines Falles rechtzeitig vorbeugen zu können.“ Die Wissenschaftler:innen gingen nun mit ihrem Modell noch einen Schritt weiter und berechneten, welche Grenzwerte sich für präventive Eingriffe eignen könnten. Konkret: Bei welchen Schwellenwerten könnten mit der neuen Methode am besten Menschen identifiziert werden, um sie beispielsweise durch den Einsatz von Medikamenten vor einer Herzmuskelschwäche zu bewahren? „Auch hier haben wir gesehen, dass die Metabolomanalyse kombiniert mit der Information über Alter und biologischem Geschlecht gleichwertig oder sogar besser als herkömmliche Analysen darin war, Menschen zu identifizieren, die von einem präventiven Eingreifen in Form von Medikamenten oder einer Änderung des Lebensstils profitieren könnten“, sagt Prof. Dr. Roland Eils, Gründungsdirektor des Digital Health Center des BIH in der Charité. Und er fügt hinzu: „Wir haben unser Modell anschließend in vier weiteren großen Bevölkerungsstudien aus den Niederlanden und Großbritannien erfolgreich validieren können, was darauf hinweist, dass unsere Modelle breit anwendbar sind.“ Ebenfalls eng eingebunden in die Arbeit war Prof. Dr. John Deanfield, Kardiologe vom University College London. Als Einstein BIH Visiting Fellow, finanziert von der Stiftung Charité, besucht er seinen Gastgeber Prof. Landmesser regelmäßig in Berlin, umgekehrt waren Prof. Landmesser und Prof. Eils bei ihm in London. Beide betonen: „Wissenschaft überwindet Grenzen zwischen Ländern und Fachdisziplinen. Die Verbindung nach London, gepaart mit der großen Offenheit der UK Biobank, ihre Daten weltweit für Studien zur Verfügung zu stellen, hat uns diese großartige Arbeit ermöglicht.“
Nach COVID-19: Chronische Erschöpfung und kognitive Einschränkungen
- 21-09-2022Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 leiden deutlich mehr Menschen an einem chronischen Erschöpfungssyndrom als Menschen, die nicht mit dem Virus in Kontakt waren. Auch kognitive Defizite wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen treten nach einer Infektion häufiger auf. Wie Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, in einer aktuellen Untersuchung zeigen, sind überwiegend junge Frauen von einem Erschöpfungssyndrom betroffen. Geistige Beeinträchtigungen wurden eher bei Männern ab 55 Jahren beobachtet, wie die Forschenden im Fachmagazin eClinicalMedicine* berichten. Den Erkenntnissen liegen umfangreiche Daten der COVIDOM-Studie zugrunde, einer Erhebung im Rahmen des Nationalen Pandemie Kohorten Netzwerks (NAPKON). Das postinfektiöse chronische Erschöpfungssyndrom, auch bekannt als Fatigue-Syndrom, zeigt sich durch eine langfristige und stark ausgeprägte körperliche Schwäche, die sich selbst durch Schlaf und Ruhepausen nicht bessert. Häufig tritt eine Verschlechterung auch nach geringfügigen Belastungen auf. Die chronische Erschöpfung gilt als Hauptgrund für eine verminderte Lebensqualität nach COVID-19. Geeignete Therapieoptionen fehlen. Bislang gab es keine zuverlässigen Zahlen für die Häufigkeit von Spät- und Langzeitfolgen wie dieser nach COVID-19. Auch schwanken die Angaben über die Verbreitung von Fatigue in der Bevölkerung in anderen Zusammenhängen. „Die Existenz und möglichen Auswirkungen von chronischer Erschöpfung nach COVID-19 werden derzeit kontrovers diskutiert. Unsere Untersuchung liefert nun auf Basis breiter Bevölkerungsstudien belastbare Daten, die von gesellschaftlicher Bedeutung sind“, sagt Prof. Dr. Carsten Finke, Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. „Langanhaltende chronische Erschöpfung nach einer SARS-CoV-2-Infektion ist durchaus ein häufiges und relevantes Problem. Die Erkrankung ist mit großem persönlichen Leidensdruck verbunden, führt zu Ausfällen am Arbeitsplatz und stellt eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar.“ Das Forschungsteam um Prof. Finke und Prof. Dr. Walter Maetzler, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie des UKSH, Campus Kiel, hat für die aktuelle Untersuchung Daten von rund 1.000 Patientinnen und Patienten ausgewertet, deren SARS-CoV-2-Infektion mindestens sechs Monate zurücklag. Die Vergleichsgruppe ohne vorangegangene Infektion bildeten rund 1.000 Menschen, deren Daten für eine Bevölkerungsstudie der Universität Leipzig vor der Pandemie zusammengetragen worden waren. Rund 19 Prozent der zuvor SARS-CoV-2-Infizierten wiesen demnach relevante Symptome für ein chronisches Erschöpfungssyndrom auf, im Gegensatz zu nur acht Prozent in der Vergleichsgruppe. Chronische Erschöpfung kommt damit auch Monate nach einer Infektion mit dem Coronavirus mehr als doppelt so häufig vor wie in der gesunden Allgemeinbevölkerung. Insbesondere trifft sie jüngere Frauen zwischen 18 und 24 Jahren infolge einer Infektion. „Wir hatten im direkten Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung keine so hohen Zahlen und keinen so deutlichen Unterschied erwartet“, so Prof. Finke. Neurologische Beschwerden während der akuten COVID-19-Erkrankung konnten als Risikofaktoren für das spätere Auftreten von Fatigue identifiziert werden. Kognitive Einschränkungen wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen sind laut der Studie eine weitere häufige Folge einer Coronavirus-Infektion: Sie zeigten sich bei 27 Prozent der Untersuchten. Symptome dieser Art traten vor allem bei älteren Männern auf. Nur wenige von ihnen beklagten jedoch gleichzeitig Symptome einer chronischen Erschöpfung, während bei Patientinnen und Patienten zwischen 25 und 54 Jahren etwa die Hälfte an Fatigue und kognitiven Einschränkungen litt. Das Forschungsteam schließt daraus, dass voneinander unabhängige Faktoren zum Auftreten dieser beiden verbreiteten Folgen führen. Welche der unterschiedlichen Lang- und Spätfolgen sich nach COVID-19 zeigen, ist sehr wahrscheinlich auf unterschiedliche Entstehungsmechanismen zurückzuführen. „Für uns ist nun interessant, ob die kognitiven Defizite dauerhaft bestehen bleiben, oder ob sie sich zurückbilden. Auch ist die Frage offen, ob durch eine SARS-CoV-2-Infektion Demenzen bei Älteren früher auftreten“, sagt Prof. Maetzler. „Die aktuellen Daten geben erste Hinweise darauf, dass das chronische Erschöpfungssyndrom weniger stark ausgeprägt ist, je länger die Erkrankung zurückliegt.“ Daher widmen sich die Forschenden derzeit insbesondere dem Verlauf dieser Beschwerden.
Wie visuelle Informationen von der Netzhaut ins Mittelhirn gelangen
- 12-09-2022Neurowissenschaftler:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz (in Gründung) zeigen erstmals, wie sensorische Nervenzellen in der Netzhaut präzise mit Nervenzellen der Colliculi superiores, einer Struktur im Mittelhirn, verbunden sind. Neuropixels-Sonden sind eine noch junge Elektrodengeneration mit besonders vielen Aufzeichnungspunkten für die elektrische Aktivität von Nervenzellen. Ihr Einsatz hat die neuen Einsichten in neuronale Schaltkreise möglich gemacht. Im Fachjournal Nature Communications* beschreiben die Forschenden nun ein Grundprinzip im Sehsystem von Säugetieren und Vögeln. Zwei Hirnstrukturen sind maßgeblich für die Verarbeitung von visuellen Reizen verantwortlich: die Sehrinde, der visuelle Cortex, im Großhirn und die Colliculi superiores, eine Region im Mittelhirn. Der Vorgang des Sehens und die Verarbeitung dieser Informationen sind äußerst komplex. Vereinfacht betrachtet, ist der visuelle Cortex für die generelle visuelle Wahrnehmung zuständig, die Strukturen im evolutionär älteren Mittelhirn eher für reflexartiges visuelles Verhalten. Die Mechanismen und zugrunde liegenden Prinzipien der visuellen Verarbeitung in der Sehrinde sind gut bekannt. Auch Arbeiten eines Forschungsteams um Dr. Jens Kremkow konnten dazu beitragen. Diese mündeten 2017 in der Gründung einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Neurowissenschaftlichen Forschungszentrum (NWFZ) der Charité, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Ein wesentliches Ziel der Neurowissenschaftler:innen: die neuronalen Verbindungen, die Verschaltungen, der Nervenzellen des Sehsystems noch besser zu verstehen. Beispielsweise sind noch viele Fragen dazu offen, wie im Einzelnen visuelle Informationen im Mittelhirn, in den Colliculi superiores, verarbeitet werden. Retinale Ganglienzellen, sensorische Nervenzellen in der Retina, der Netzhaut des Auges, reagieren auf optische Reize aus der Umwelt und senden die Informationen zum Gehirn. Auch das Mittelhirn erhält hierbei visuelle Informationen durch direkte Signaleingänge von retinalen Nervenzellen. „Wie dabei verschiedene Nervenzellen der Retina und Nervenzellen im Mittelhirn funktional verbunden sind, lag weitgehend im Dunklen. Ebenso wenig wusste man darüber, wie die Neurone, die Nervenzellen, in den Colliculi superiores die synaptischen Eingänge verarbeiten“, sagt Studienleiter Dr. Kremkow. „Um die Mechanismen der visuellen Verarbeitung im Mittelhirn zu verstehen, sind diese Informationen essenziell.“ Bisher war es schlichtweg nicht möglich, die Aktivität von synaptisch verbundenen Nervenzellen der Retina und Neuronen des Mittelhirns im lebenden Organismus zu messen. Für die aktuellen Untersuchungen hat das Forschungsteam daher eine Methode entwickelt, die auf Messungen neuartiger, hochdichter Elektroden, sogenannter Neuropixels-Sonden, basiert. Diese Elektroden, genauer Elektrodenarrays, sind winzig klein und versammeln rund eintausend Aufzeichnungsstellen auf einem dünnen Schaft. Sie erlauben es, die elektrische Aktivität zwischen Neuronen im Gehirn gleichzeitig mit 384 Elektroden zu messen und verändern das neurowissenschaftliche Forschungsfeld derzeit deutlich. Die Wissenschaftler:innen an der Charité und am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz haben die neue Technologie nun eingesetzt, um die elektrische Aktivität in den jeweiligen Mittelhirnstrukturen von Maus (Colliculi superiores) und Vogel (Optic tectum) zu ermitteln. Diese Hirnstrukturen haben einen gemeinsamen evolutionären Ursprung und spielen in beiden Arten eine wichtige Rolle bei der visuellen Verarbeitung von eingehenden Signalen aus der Retina. Während der Untersuchungen machen die Forschenden eine überraschende Entdeckung: „Für gewöhnlich werden bei diesen elektrophysiologischen Ableitungen elektrische Signale jener Aktionspotenziale gemessen, die am Soma, dem Zellkörper von Nervenzellen entstehen“, erklärt Dr. Kremkow. „Bei unseren Ableitungen sind uns allerdings Signale aufgefallen, die anders als die bekannten Aktionspotenziale aussahen. Wir sind der Ursache auf den Grund gegangen. Wie sich dabei herausgestellt hat, gehen diese im Mittelhirn eingehenden Signale auf Aktionspotenziale in den sogenannten axonalen Verzweigungen der retinalen Ganglienzellen zurück. Demnach ist es möglich, die elektrischen Signale von Axonen, den signalgebenden Fortsätzen der Nervenzellen, mittels der neuartigen Elektrodenarrays abzuleiten. Das ist eine völlig neue Erkenntnis.“ Dem Team um Dr. Kremkow ist es erstmalig gelungen, die Aktivität von Nervenzellen in der Retina und von Signalempfängern im Mittelhirn zeitgleich zu messen. Die genaue Verbindung der Nervenbahnen zwischen Auge und Mittelhirn war bislang eine Unbekannte. Jetzt konnten die Forschenden einzelzellgenau aufzeigen, dass die Anordnung der Eingänge von Signalen der retinalen Ganglienzellen im Mittelhirn exakt die Anordnung in der Retina widerspiegelt. „Die räumliche Anordnung der Retina wird quasi eins zu eins in den Strukturen des Mittelhirns übernommen“, so der Hirnforscher Dr. Kremkow. „Neu war für uns ebenfalls, dass die Neurone im Mittelhirn einen sehr starken und spezifischen synaptischen Eingang von den retinalen Ganglienzellen erhalten, allerdings nur von ein paar wenigen dieser sensorischen Nervenzellen. Diese Verschaltung ermöglicht eine sehr strukturierte und funktionale Verbindung zwischen der Netzhaut des Auges und den entsprechenden Regionen des Mittelhirns.“ Eine Erkenntnis, die unter anderem zu einem besseren Verständnis des sogenannten Blindsehens, auch Blindsight, beiträgt. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das beim Ausfall der primären Sehrinde, beispielsweise durch eine Hirnverletzung oder Tumoren, beobachtet wird. Während in diesem Fall eine bewusste visuelle Wahrnehmung nicht mehr möglich ist, verbleibt eine Restfunktion der visuellen Informationsverarbeitung, eine intuitive Wahrnehmung von Reizen, Umrissen, Bewegungen oder auch Farben, die offenbar auf das Mittelhirn zurückgeht. Um zu prüfen, ob die Prinzipien, die zunächst am Mausmodell beobachtet wurden, auch für andere Wirbeltiere gelten – und somit von genereller Natur sein könnten, hat die Gruppe um Dr. Kremkow mit einem Team am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz zusammengearbeitet. Dr. Daniela Vallentin leitet dort eine Lise-Meitner-Forschungsgruppe und ist maßgeblich mit neuronalen Schaltkreisen befasst, die für die Koordination präziser motorischer Bewegungen bei Vögeln verantwortlich sind. „Wir konnten mit den gleichen Messungen zeigen, dass die Nervenbahnen, die Netzhaut und Mittelhirn verbinden, bei Zebrafinken nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut sind“, sagt Dr. Vallentin. „Dies ist insofern überraschend, da die optische Auflösung bei Vögeln deutlich höher ist und in der Evolution zwischen Vögeln und Säugetieren viel Zeit vergangen ist.“ Die Anordnung und funktionale Verschaltung der retinalen Ganglienzellen ähneln sich den Beobachtungen zufolge im Optischen Tectum und in den Colliculi superiores. Die Forschenden schließen daraus, dass die gefundenen Prinzipien essenziel für die visuelle Verarbeitung im Mittelhirn von Wirbeltieren sind. Wahrscheinlich handelt es sich sogar um universelle Prinzipien im Aufbau des Wirbeltiergehirns, also auch des menschlichen Gehirns. „Nachdem wir die funktionale, mosaikartige Verschaltung zwischen den retinalen Ganglienzellen und den Neuronen der Colliculi superiores verstanden haben, werden wir nun weiter herausarbeiten, wie die sensorischen Signale im Sehsystem, speziell den Regionen im Mittelhirn, weiterverarbeitet werden und wie sie zu reflexartigem visuellen Verhalten beitragen“, blickt Dr. Kremkow in die Zukunft. Auch möchte das Team herausfinden, ob sich die neue Methode in anderen Gehirnstrukturen anwenden lässt und die Aktivität der Axone andernorts ebenfalls messbar ist. Sollte das der Fall sein, könnten sich zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnen, um den Mechanismen des Gehirns auf die Spur zu kommen.
Chronische Entzündungen: Welche Rolle spielen ein verbreiteter Rezeptor und die Ernährung?
- 02-09-2022Unter Federführung der Charité – Universitätsmedizin Berlin werden Forschende in den kommenden drei Jahren der Rolle des Arylhydrocarbon-Rezeptors bei chronischen Entzündungen im Zusammenhang mit Ernährung nachgehen. Zu dem interdisziplinären Verbundvorhaben TAhRget (Targeting AhR-dependent Inflammation for Organ Protection) tragen sechs Partnereinrichtungen bei. Die Projektleitung hat das Experimental and Clinical Research Center (ECRC) – ein gemeinsames klinisches Forschungszentrum der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Arbeiten mit rund drei Millionen Euro. Viele chronische Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen gehen mit andauernden oder schubweise auftretenden Entzündungen einher, die zu schweren Organschäden führen können. Mit solchen chronischen Entzündungsprozessen wird der Arylhydrocarbon-Rezeptor (AhR), der in einer Vielzahl unserer Körper- und Immunzellen vorkommt und dabei hilft, körperfremde Stoffe aus dem Körper zu schleusen, in Zusammenhang gebracht. Die dahinterstehenden Mechanismen sind allerdings bislang nicht hinreichend erforscht. Nun startet das BMBF-Verbundprojekt TAhRget, das die Rolle des Rezeptors AhR bei der Entstehung von Entzündungen und den Einfluss von Ernährung am Beispiel der chronischen Niereninsuffizienz (CKD) und der Multiplen Sklerose (MS) näher beleuchten soll. Vor dem Hintergrund dieser beiden sehr unterschiedlichen Erkrankungen erhoffen sich die Wissenschaftler:innen ein genaueres Bild über das Bindungs- und Wirkspektrum von AhR. „Wir möchten herausfinden, ob sich AhR als therapeutisches Ziel – im Englischen ‚target‘ – für Behandlungsstrategien eignet, mit denen Entzündungsprozesse in Schach gehalten und Organschäden minimiert oder gänzlich verhindert werden könnten“, sagt Dr. Nicola Wilck von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin der Charité, Gruppenleiter am ECRC und Koordinator des TAhRget-Verbundprojekts. Das interdisziplinäre Forschungsteam des Verbunds aus sechs überregionalen Partnern will in den kommenden drei Jahren mithilfe von Patientenkohorten, Tiermodellen, Zellkulturen, Einzelzellanalysen sowie Mikrobiom- und Ernährungsstudien herausfinden, ob und in welchem Maße der Rezeptor AhR zu Entzündungsprozessen bei CKD und MS beiträgt, die die Organe schädigen. Auch fahnden die Forschenden nach aussagekräftigen Biomarkern, die die Aktivität von AhR anzeigen können. Bekannt ist, dass der Rezeptor körperfremde Stoffe – etwa Nahrungsbestandteile oder Stoffwechselprodukte unserer Darmbakterien – bindet, um sie ausscheidungsfähig zu machen. Studienergebnisse zeigen außerdem, dass sich Ernährungsumstellungen auf Erkrankungen mit chronischen Entzündungen positiv auswirken können. „Wir vermuten, dass hier AhR-vermittelte Prozesse eine Rolle spielen. Ein Schwerpunkt unserer Untersuchungen wird daher insbesondere auf ernährungs- und mikrobiomvermittelten Prozessen liegen, die den AhR und damit einhergehende entzündliche Prozesse bei CKD und MS steuern“, sagt Dr. Anja Mähler, Leiterin der Clinical Research Unit am ECRC und Teilprojektleiterin von TAhRget mit dem Schwerpunkt Ernährung. Das Ziel ist herauszufinden, welche Nahrungsbestandteile, Stoffwechselprodukte und Ernährungsformen sich negativ und welche sich positiv auf AhR-vermittelte entzündliche Prozesse auswirken, um dies bei der Behandlung von Patient:innen künftig berücksichtigen zu können. „Unser interdisziplinärer Verbund vereint Kliniker:innen aus Nephrologie und Neurologie, Immunologinnen und Immunologen, Mikrobiom- und Metabolomik-Forschende sowie Ernährungswissenschaftler:innen“, sagt Dr. Wilck. „Mit diesem gemeinschaftlichen und fachübergreifenden Forschungsansatz erhoffen wir uns, grundlegend neue und zukunftsweisende Erkenntnisse über die Beteiligung des AhR an chronischen Entzündungen zu gewinnen und damit den Weg zu neuen Behandlungsformen zu bahnen.“
Charité-Netzwerk baut kinderonkologische Forschung aus
- 01-09-2022In Deutschland erkranken jährlich etwa 2.300 Kinder und Jugendliche neu an Krebs. Während bei einer erfolgreichen Ersttherapie die Heilungschancen bei rund 80 Prozent liegen, bleibt die Überlebensrate bei Kindern und Jugendlichen, die einen Rückfall erleiden oder auf die Behandlung nicht ansprechen, sehr schlecht. Durch den Aus- und Aufbau einer Infrastruktur in pädiatrisch-onkologischen Zentren und ihren regionalen Netzwerken sollen nun frühe klinische Studien ermöglicht und innovative Behandlungen weiterentwickelt werden. Das von der Kinderonkologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin geleitete Netzwerk „PECT-EAST“ ist dafür als Pilotzentrum ausgewählt worden. Die Deutsche Krebshilfe fördert das Zentrum ab dem 1. September 2022 über fünf Jahre mit insgesamt 2,5 Millionen Euro. „Wir freuen uns sehr, dass unser Netzwerk ‚PECT-EAST‘ als eines von zwei Pilotzentren vom internationalen Gutachtergremium zur Förderung empfohlen wurde“, sagt Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité. „In drei großen klinischen Programmen, die speziell auf Blutkrebs, solide Tumore und Hirntumore zugeschnitten sind, kann durch die Förderung der Deutschen Krebshilfe jetzt die Studienaktivität deutlich erhöht werden. Wir werden ein neues und dringend benötigtes Team aus Studienärztinnen und -ärzten, Study Nurses, Dokumentaren und Psychologinnen aufbauen, das möglichst allen Kindern und Jugendlichen mit Rückfall einer Krebserkrankung ein geeignetes Therapieangebot machen kann. Gleichzeitig werden wir die molekulare Untersuchung der Krebszellen im Gewebe und im Blut weiter optimieren.“ Die Onkologin ergänzt: „Wir erwarten, dass die Stärkung der bestehenden Infrastrukturen die Patientenrekrutierung und die klinischen Studienaktivitäten in den Netzwerken verbessern und zu einem erheblichen Nutzen für Erkrankte führen wird. Mehr Patientinnen und Patienten werden Zugang zu neuen Behandlungsformen haben, um ihre Heilungschancen mit hoffentlich weniger Nebenwirkungen und Spätfolgen der Krebsbehandlung zu verbessern.“
SARS-CoV-2 kann das Chronische Fatigue-Syndrom auslösen
- 31-08-2022Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und des MDC Es wird seit Beginn der Pandemie vermutet, dass SARS-CoV-2 das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS verursachen kann. Eine Forschungsgruppe der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) zeigt jetzt in einer gut kontrollierten Studie, dass ein Teil der COVID-19-Erkrankten auch nach mildem Verlauf tatsächlich das Vollbild einer ME/CFS-Erkrankung entwickelt. Zudem beschreiben die Forschenden eine zweite Gruppe von Post-COVID-Betroffenen mit ähnlichen Symptomen. Unterschiedliche Laborwerte weisen auf möglicherweise verschiedene Entstehungsmechanismen der beiden Krankheitsbilder hin. Die Studienergebnisse sind im Fachmagazin Nature Communications* veröffentlicht. „Bereits in der ersten Welle der Pandemie entstand der Verdacht, dass COVID-19 ein Trigger für ME/CFS sein könnte“, sagt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie am Charité Campus Virchow-Klinikum. Sie leitet das Charité Fatigue Centrum, das auf die Diagnostik von ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) spezialisiert ist – eine komplexe Erkrankung, die unter anderem von bleierner körperlicher Schwäche geprägt ist. Das Zentrum wurde bereits im Sommer 2020 von den ersten Patient:innen nach einer SARS-CoV-2-Infektion aufgesucht. Seither mehren sich die Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Erkrankung ME/CFS, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Beeinträchtigung führt. „Diese Annahme wissenschaftlich zu belegen, ist jedoch nicht trivial“, erklärt Prof. Scheibenbogen. „Das liegt auch daran, dass ME/CFS noch wenig erforscht ist und es keine einheitlichen Diagnosekriterien gibt. Durch eine sehr gründliche Diagnostik und einen umfassenden Vergleich mit ME/CFS-Betroffenen, die nach anderen Infektionen erkrankt waren, konnten wir jetzt aber nachweisen, dass ME/CFS durch COVID-19 ausgelöst werden kann.“ Für die Studie untersuchten Expert:innen des Post-COVID-Netzwerks der Charité 42 Personen, die sich mindestens 6 Monate nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion an das Charité Fatigue Centrum gewandt hatten, weil sie noch immer stark an Fatigue, also einer krankhaften Erschöpfung, und eingeschränkter Belastungsfähigkeit in ihrem Alltag litten. Die meisten von ihnen konnten lediglich zwei bis vier Stunden am Tag einer leichten Beschäftigung nachgehen, einige waren arbeitsunfähig und konnten sich kaum noch selbst versorgen. Während der akuten SARS-CoV-2-Infektion hatten nur drei der 42 Patient:innen ein Krankenhaus aufgesucht, aber keine Sauerstoffgabe benötigt. 32 von ihnen hatten einen nach der WHO-Klassifizierung milden COVID-19-Verlauf durchlebt, also keine Lungenentzündung entwickelt, in der Regel jedoch ein bis zwei Wochen lang starke Krankheitssymptome wie Fieber, Husten, Muskel- und Gliederschmerzen empfunden. Da die SARS-CoV-2-Infektion in der ersten Welle der Pandemie stattgefunden hatte, war keine der in die Studie eingeschlossenen Personen zuvor geimpft gewesen. An der Charité wurden alle Betroffenen von einem interdisziplinären Team aus den Fachbereichen Neurologie, Immunologie, Rheumatologie, Kardiologie, Endokrinologie und Pneumologie mit langjähriger Erfahrung in der Diagnose von ME/CFS untersucht. Zum Vergleich zogen die Forschenden 19 Personen mit ähnlichem Alters- und Geschlechtsprofil sowie einer vergleichbaren Krankheitsdauer heran, die ME/CFS nach einer anderen Infektion entwickelt hatten. Für die Diagnosestellung berücksichtigten die Forschenden die sogenannten kanadischen Konsensuskriterien. „Dieser Kriterienkatalog wurde wissenschaftlich entwickelt und hat sich im klinischen Alltag bewährt, um ein Chronisches Fatigue-Syndrom eindeutig zu diagnostizieren“, erklärt Dr. Judith Bellmann-Strobl, Leiterin der multidisziplinären Hochschulambulanz des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des MDC. Zusammen mit Prof. Scheibenbogen hat sie die Studie geleitet. Den Kriterien zufolge erfüllten knapp die Hälfte der untersuchten Patient:innen nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion das Vollbild einer ME/CFS-Erkrankung. Die andere Hälfte hatte vergleichbare Symptome, ihre Beschwerden nach körperlicher Anstrengung, die sogenannte Postexertionelle Malaise, waren jedoch meist nicht so stark ausgeprägt und hielten nur für einige Stunden an. Dagegen trat die Verschlimmerung der Symptome bei den ME/CFS-Patient:innen auch noch am nächsten Tag auf. „Wir können also zwei Gruppen von Post-COVID-Betroffenen mit stark reduzierter Belastbarkeit unterscheiden“, resümiert Dr. Bellmann-Strobl. Neben der Erfassung der Symptome ermittelten die Forschenden verschiedene Laborwerte und setzten sie in Beziehung zur Handkraft der Erkrankten, die bei den meisten vermindert war. „Bei den Menschen mit der weniger stark ausgeprägten Belastungsintoleranz stellten wir unter anderem fest, dass sie weniger Kraft in den Händen hatten, wenn sie einen erhöhten Spiegel des Immunbotenstoffs Interleukin-8 aufwiesen. Möglicherweise ist die reduzierte Kraft der Muskulatur in diesen Fällen auf eine anhaltende Entzündungsreaktion zurückzuführen“, sagt Prof. Scheibenbogen. „Bei den Betroffenen mit ME/CFS korrelierte die Handkraft dagegen mit dem Hormon NT-proBNP, das von Muskelzellen bei zu schlechter Sauerstoffversorgung ausgeschüttet werden kann. Das könnte darauf hinweisen, dass bei ihnen eine verminderte Durchblutung für die Muskelschwäche verantwortlich ist.“ Nach vorläufigen Beobachtungen der Wissenschaftler:innen könnte die Unterscheidung der beiden Gruppen sich auch im Krankheitsverlauf spiegeln. „Bei vielen Menschen, die ME/CFS-ähnliche Symptome haben, aber nicht das Vollbild der Erkrankung entwickeln, scheinen sich die Beschwerden langfristig zu verbessern“, erklärt Prof. Scheibenbogen. Die neuen Erkenntnisse könnten zur Entwicklung spezifischer Therapien für das Post-COVID-Syndrom und ME/CFS beitragen. „Unsere Daten liefern aber auch einen weiteren Beleg dafür, dass es sich bei ME/CFS nicht um eine psychosomatische, sondern um eine schwerwiegende körperliche Erkrankung handelt, die man mit objektiven Untersuchungsmethoden erfassen kann“, betont Prof. Scheibenbogen. „Leider können wir ME/CFS aktuell nur symptomatisch behandeln. Deshalb kann ich auch jungen Menschen nur ans Herz legen, sich mithilfe einer Impfung und dem Tragen von FFP2-Masken vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu schützen.“
Komplikation nach Infektionskrankheiten: Was steckt hinter ME/CFS?
- 26-08-2022Nach einer Infektionserkrankung genesen die meisten Menschen ohne weitere Folgen. Andere hingegen fühlen sich anhaltend erschöpft, selbst kleinste Anstrengungen wie das Umdrehen im Bett werden zum Kraftakt. Symptome wie dieses sind mit Long-COVID- und Post-COVID-Syndrom ins Rampenlicht gerückt. Bekannt sind Langzeitfolgen nach Infektionen bereits seit vielen Jahren. Erforscht sind sie kaum. Ein interdisziplinärer Zusammenschluss unter Leitung von Wissenschaftler:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin soll nun klären, was der komplexen neuroimmunologischen Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/ Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), auch postinfektiöses Erschöpfungssyndrom, auf molekularer Ebene zugrunde liegt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Arbeiten in den kommenden drei Jahren mit rund zwei Millionen Euro. Die langfristigen Folgen der durch das SARS-Coronavirus Typ 2 ausgelösten Erkrankung COVID-19 treten mit Voranschreiten der Pandemie immer stärker zutage. Die Zahl dauerhaft eingeschränkter und behandlungsbedürftiger Menschen steigt und damit der Bedarf an belastbarem Wissen über mögliche Spät- und Langzeitfolgen, wie sie im Zusammenhang mit COVID-19 und anderen Infektionskrankheiten beobachtet werden. ME/CFS ist eine schwerwiegende, meist lebenslang andauernde Erkrankung mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen und geistigen Symptomen. Am häufigsten beobachtet werden Schwäche und Erschöpfung (Fatigue), Muskel- und Kopfschmerzen, Darmbeschwerden, Schwindel, Stress- und Reizempfindlichkeit, Herzrasen oder Blutdruckschwankungen. Typischerweise tritt eine Verschlechterung auch infolge geringfügiger Belastungen ein, man spricht von Post-Exertional Malaise. Bei der Mehrzahl der Patient:innen beginnt die Krankheit nach einer Virusinfektion. Verschiedene Erreger sind mittlerweile als Auslöser bekannt, darunter Herpesviren wie das Epstein-Barr-Virus, Dengue- oder Influenza-Viren. Nach der SARS-Pandemie 2002 und 2003 entwickelte ein Teil der Erkrankten ME/CFS. In der aktuellen COVID-19-Pandemie zeigt sich, dass eine Untergruppe der Long-COVID-Betroffenen ebenfalls an ME/CFS erkrankt. Bereits vor Pandemiebeginn gingen Expertenschätzungen von etwa 300.000 Menschen alleine in Deutschland aus, darunter rund 40.000 unter 18 Jahren, die an der chronischen Erkrankung leiden. Etwa die Hälfte der überwiegend jüngeren und weiblichen Patienten ist so krank, dass sie nicht mehr arbeiten kann. Schwerstbetroffene sind bettlägerig und nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Während man lange Zeit davon ausging, es handele sich um eine psychosomatische Erkrankung, stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ME/CFS bereits 1969 als neurologische Krankheit ein. Die genauen Mechanismen, die zur Erkrankung führen, sind bis heute ungeklärt. Jüngste Studien weisen auf autoimmune Prozesse und eine Fehlregulation des vegetativen Nervensystems sowie des zellulären Energiestoffwechsels hin. Doch noch immer fehlen zugelassene und wirksame Behandlungsmöglichkeiten, ebenso verlässliche Biomarker, messbare Werte in Blut oder Serum, die zur Diagnose der Erkrankung eingesetzt werden können. Dies zu ändern, hat sich das aktuelle Vorhaben mit dem Namen IMMME – IMune Mechanism of ME zum Ziel gemacht. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie am Charité Campus Virchow-Klinikum, ist seit vielen Jahren mit dem Krankheitsbild des postinfektiösen Chronischen Fatigue Syndroms (ME/CFS) befasst. Sie leitet die Immundefekt-Ambulanz sowie das Fatigue Centrum an der Charité und nun auch das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk IMMME. „Ich freue mich sehr über die Förderung dieses Verbundprojekts und darüber, es mit einem Team von Expertinnen und Experten für ME/CFS, COVID-19 und Immunsystem bearbeiten zu dürfen. Es kommt zur richtigen Zeit, denn das Thema postinfektiöse Erkrankungen hat in Folge der Pandemie eine neue Dimension bekommen“, sagt Prof. Scheibenbogen. „Es ist das erste Mal, dass nun ein Forschungsnetzwerk zu ME/CFS in Deutschland gefördert wird.“ Was also führt zu der neuroimmunologischen Langzeiterkrankung, bei der bislang nur einzelne Symptome behandelt werden können, nicht aber die eigentliche Ursache? Das Epstein-Barr-Virus, das das Pfeiffersche Drüsenfieber hervorruft, ist bereits nachweislich als Auslöser von Autoimmunreaktionen bekannt. Ein ähnliches Risiko für Autoimmunität besteht nach COVID-19, vermutet das Forschungsteam. Während im gesunden Menschen Autoantikörper zur Steuerung von wichtigen Vorgängen beitragen, können sie sich nach Infektionen in ihrer Funktion ändern und zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen führen. Im Fall von ME/CFS konnten Wissenschaftler:innen um Prof. Scheibenbogen und andere Gruppen Autoantikörper gegen sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, Schlüsselproteine in der Signalvermittlung, nachweisen, die mit der Schwere von Symptomen in Zusammenhang stehen. Unter ihnen sind solche, die sich gegen Stressrezeptoren richten und mit Hauptsymptomen wie Erschöpfung und Muskelschmerzen verknüpft sind, und auch solche, die mit verminderten kognitiven Fähigkeiten in Verbindung stehen. Welche Rolle dabei einzelne Autoantikörper und kreuzreagierende Virus-Antikörper spielen, und auf welche Weise Signalwege von möglichen Kreuzreaktionen betroffen sind, dem geht das neue Forschungsnetzwerk in fünf Teilprojekten nach. Grundlage der umfassenden Analysen sind gut charakterisierte biologische Proben aus einer gemeinsamen ME/CFS-Biobank. Unterschiedliche Parameter werden innerhalb der einzelnen Projekte gesammelt und zusammen in einer Datenbank ausgewertet. Ziel der Arbeiten ist es, erstmals eine systematische, umfassende Grundlage für diagnostische Marker zu schaffen. Insbesondere hoffen die Forschenden, dass es gelingt, Strukturen zu identifizieren, die als Grundlage für gezielte Therapieansätze der Autoimmunerkrankung dienen. Die Hypothese des Teams um Prof. Scheibenbogen: einige der Autoantikörper sind in ihrer Struktur verändert und binden so an bestimmte Rezeptoren, dass Fehlinformationen in den Zellen zu Fehlfunktionen bei immunologischen, regulativen oder Stoffwechselprozessen führen. Ein Fokus der Arbeiten liegt daher auf Details im Bindungsverhalten von Autoantikörpern und den entsprechenden Rezeptoren. Dabei tragen Rheumatologie und klinische Immunologie am Universitätsklinikum Lübeck mit molekularen Analysen zu den Studien bei. Expert:innen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Bonn, untersuchen in enger Kooperation mit Prof. Dr. Leif E. Sander, Direktor Infektiologie der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, mittels RNA-Sequenzierung auf Einzelzellebene unterschiedliche Immunzelltypen, um mögliche Veränderungen in deren Signalwegen und potenzielle Biomarker zu identifizieren. Ein Team am Universitätsklinikum Würzburg widmet sich den Ursachen des veränderten Energiestoffwechsels innerhalb der Zelle bei ME/CFS, während ein Team an Charité und Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus und Kreuzreaktionen mit körpereigenen Strukturen zum Vergleich untersucht. Die Datenerfassung und Analyse von Daten aus Kontrollgruppen von Erkrankten mit Multipler Sklerose und anderen Autoimmunerkrankungen leistet ein Team an Charité.
Mukoviszidose: Betroffene können schon im Kindesalter ursächlich behandelt werden
- 08-08-2022Mukoviszidose ist eine noch immer unheilbare Erbkrankheit, die vor allem die Lungenfunktion beeinträchtigt und die Lebenserwartung stark senkt. Ein vielversprechender neuer Behandlungsansatz ist eine Wirkstoffkombination, die den zugrunde liegenden Defekt korrigiert. Sie konnte jedoch bisher nur bei Jugendlichen und Erwachsenen eingesetzt werden. Eine nach höchsten klinischen Standards angelegte Studie unter Co-Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin belegt jetzt, dass auch Kinder im Grundschulalter von der Therapie profitieren. Weil Betroffene nun früher behandelt werden können, ist eine deutliche Abmilderung ihres Krankheitsverlaufs wahrscheinlich. Veröffentlicht sind die Ergebnisse im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine*. Der Begriff Mukoviszidose bedeutet „zäher Schleim“ – und beschreibt das zugrunde liegende Problem der in Deutschland häufigsten tödlich verlaufenden Erbkrankheit: Ein Defekt im sogenannten CFTR-Ionenkanal auf der Oberfläche von Schleimhautzellen stört deren Salz- und Wassertransport, sie produzieren dadurch zu zähflüssige Sekrete. Das beeinträchtigt vor allem die Lunge, die von dem zähen Schleim verstopft wird und Erreger schlechter abtransportieren kann. Die Folge sind eine chronische Infektion und Entzündung der Atemwege, die zu einem fortschreitenden Verlust der Lungenfunktion und Atemnot führen – im schlimmsten Fall macht das eine Lungentransplantation nötig. Während Betroffene früher noch vor Erreichen des Erwachsenenalters verstarben, beträgt die Lebenserwartung heute etwa 55 Jahre. Dieser Erfolg ist vor allem auf eine bessere Behandlung der Symptome zurückzuführen. Erst seit wenigen Jahren gibt es mit CFTR-Modulatoren Medikamente, die nicht nur die Symptome, sondern den ursächlichen Defekt angreifen, indem sie die Funktion des Ionenkanals verbessern. Bei knapp 90 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose wird der Kanal-Defekt durch einen bestimmten Fehler im CFTR-Gen ausgelöst, die sogenannte F508del-Mutation. Seit August 2020 ist in Europa eine Kombination aus drei CFTR-Modulatoren (Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor) erhältlich, die die Funktion des Ionenkanals bei Erkrankten mit einer Kopie dieser Mutation auf etwa 50 Prozent des normalen Wertes anheben kann und so deren Lungenfunktion und Lebensqualität spürbar verbessert. „Das war ein Meilenstein in der Behandlung der Mukoviszidose“, erklärt Prof. Dr. Marcus Mall, Erstautor der nun veröffentlichten Studie und Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin sowie des Christiane Herzog Mukoviszidose-Zentrums an der Charité. „Allerdings konnten bisher nur Betroffene ab 12 Jahren behandelt werden, weil neue Medikamente traditionell erst bei Erwachsenen getestet und zugelassen werden. Wir wollen die ursächlich wirkende Therapie aber so früh wie möglich im Krankheitsverlauf verabreichen, um irreversible Schäden in der Lunge gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu müssen wir die Patientinnen und Patienten schon im Kindesalter behandeln. Dass das bei Grundschulkindern sicher möglich und sehr effektiv ist, konnten wir jetzt zeigen.“ Dazu untersuchte Prof. Mall zusammen mit internationalen Partnern die Effekte der Dreifachtherapie an 121 Kindern zwischen 6 und 11 Jahren, die in ihrem Erbgut mindestens eine Kopie der F508del-Mutation aufwiesen. Über etwa ein halbes Jahr hinweg erhielt rund die Hälfte der Betroffenen die Wirkstoffkombination, die andere Hälfte ein Scheinpräparat. Die in zehn Ländern durchgeführte Untersuchung war damit als sogenannte randomisierte Placebo-kontrollierte Studie angelegt, die als Goldstandard in der klinischen Forschung gilt. „Diese Art der klinischen Studien sind in der Entwicklung von Medikamenten für Kinder leider noch viel zu selten“, sagt Einstein-Professor Mall, der auch die Mukoviszidose-Forschung im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) leitet. „Häufig werden bei Kindern keine Kontrollgruppen untersucht, sondern von Studien mit Erwachsenen auf die Effekte bei Kindern geschlossen. Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen, deshalb sind hochqualitative Studien für die Entwicklung sicherer und wirksamer Medikamente sehr wichtig.“ In der aktuellen Studie zeigte sich, dass die Behandlung die Funktionsfähigkeit des CFTR-Ionenkanals signifikant erhöhte und so die Lungenfunktion und auch die Lebensqualität der Kinder verbesserte. Die Therapie zeigte insgesamt ein gutes Sicherheitsprofil und wurde von den Kindern gut vertragen. Die Nebenwirkungen entsprachen denen, die bereits bei älteren Erkrankten beobachtet worden waren. „Es hat mich überrascht und sehr erfreut zu sehen, dass die Kinder trotz des frühen Krankheitsstadiums und der kurzen Behandlungsdauer schon einen positiven Effekt bemerkten“, sagt Prof. Mall. „Diese Ergebnisse haben dazu beigetragen, dass die Europäische Arzneimittelagentur die Dreifachtherapie Anfang des Jahres auch für Kinder ab 6 Jahren zugelassen hat, sodass wir sie bereits jetzt ab diesem Alter einsetzen können. Ich erwarte, dass die nun mögliche frühere Behandlung des Basisdefekts den Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose langfristig erheblich verbessert.“ Im nächsten Schritt will das Forschungsteam prüfen, ob sich die Wirkstoffkombination für noch jüngere Kinder eignet. Denn die Mukoviszidose kann mittlerweile im Rahmen des Neugeborenenscreenings innerhalb der ersten Lebenswochen diagnostiziert werden. „Dadurch könnten wir Mukoviszidose-Betroffene heute schon im Neugeborenenalter ursächlich behandeln und so hoffentlich selbst frühe Schäden der Lunge und möglicherweise anderer betroffener Organe wie der Bauchspeicheldrüse verhindern. An dieses Alter tasten wir uns langsam heran. Aktuell prüfen wir die Sicherheit und Wirksamkeit der Dreifachtherapie bei Kindern zwischen 2 und 5 Jahren“, erklärt Prof. Mall.
Städtebauliche Zukunftsvision: Campus Benjamin Franklin als „Healing Campus“
- 06-07-2022Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat das wettbewerbliche Dialogverfahren für die Entwicklung einer städtebaulichen Vision des Campus Benjamin Franklin (CBF) abgeschlossen. Ziel war es, den Charakter des Ortes zu erhalten, die nutzbare Fläche wesentlich zu erhöhen und dabei die Anforderungen an Landschaftsplanung, Denkmalpflege und Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Das überzeugendste Konzept für die stadtplanerische Zukunft hat das interdisziplinäre Schweizer Planungsteam Gmür | Schifferli vorgelegt. Der ausgewählte Entwurf stärkt die Einzigartigkeit des CBF und schafft mit der Erweiterung der Campusstruktur die bauliche Grundlage für die Medizin der Zukunft und ihre komplexen Anforderungen. Darüber hinaus bleibt die Sichtbarkeit des historisch bedeutsamen Hauptgebäudes, das 1968 als modernstes Großklinikum Europas eröffnet wurde, erhalten. So sieht der ausgewählte Entwurf beispielsweise einen 16-geschossigen Neubau am Hindenburgdamm vor, der einen neuen städtebaulichen Akzent setzt. Insgesamt werden die Gebäude kompakt im Norden angeordnet und mit dem Hauptgebäude verbunden. Es gibt einen hohen Anteil an natürlich belichteten Räumen und eine hohe Flexibilität in den einzelnen Gebäudestrukturen. Das städtebauliche Konzept thematisiert zudem Nachhaltigkeit, Flexibilität sowie Mobilität und die verkehrstechnische Entflechtung der verschiedenen Zugänge. Gleichzeitig geht das Konzept behutsam mit den wertvollen Grünflächen um. Astrid Lurati, Vorstandsmitglied für Finanzen und Infrastruktur, betont: „Mit der zukünftigen Campusentwicklung wird ein visionärer Ort für die Ansprüche einer Medizin der Zukunft geschaffen und der Mensch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Der Entwurf bietet ein starkes, aber gleichzeitig sehr respektvolles vis-à-vis zum dominanten Hauptgebäude.“ Jochen Brinkmann, Leiter des Geschäftsbereichs Bau der Charité, fügt hinzu: „Insgesamt stellt sich die Campusvision wie eine selbstverständliche und zukunftsweisende Erweiterung des historischen Bestands dar, die als städtebauliches, architektonisches und auch freiräumliches Ganzes überzeugt.“ Durch die kompakte Anordnung der Baufelder im Norden kann im Süden eine großzügige Parklandschaft entstehen. Diese bildet das Herzstück des grünen Campus, der zu einem „Healing Campus“ – einem lebenswerten gesundheitsfördernden Stadtraum – modifiziert werden soll. Dies korrespondiert zudem mit dem Anspruch der Charité, bis 2050 klimaneutral zu sein. Im Anschluss an das wettbewerbliche Dialogverfahren wird nun mit der Vertiefung des städtebaulichen Gesamtkonzeptes begonnen. Ziel ist es, eine neue Bauleitplanung für das Campusgelände mit Bezirk und Senat zu erarbeiten, das sich als Grundlage für zukünftige Bauaktivitäten eignet. Parallel dazu führt das Landesdenkmalamt in diesem Jahr ein Modellverfahren für den weiteren Umgang mit dem „Mäusebunker“ durch.
Prof. Dr. Joachim Spranger zum neuen Dekan der Charité gewählt
- 05-07-2022Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat einen neuen Dekan gewählt. Der amtierende Dekan, Prof. Dr. Axel R. Pries, legt sein Amt zum Jahresende 2022 nieder. Als zukünftigen Dekan wählte der Fakultätsrat am 4. Juli Prof. Dr. Joachim Spranger. Zuvor war Prof. Spranger bereits als Prodekan für Studium und Lehre Teil der Fakultätsleitung. Seit 2015 leitet Prof. Pries als Dekan die Fakultät und ist als Mitglied des Vorstands für Forschung und Lehre an der Charité zuständig. Zum Jahresende legt er sein Amt aus persönlichen Gründen nieder. Prof. Pries bleibt Präsident des World Health Summit – einer der weltweit wichtigsten Konferenzen für globale Gesundheit, der er seit Januar 2021 vorsteht. Prof. Spranger wird ab dem kommenden Jahr die Geschicke der Fakultät leiten. Er setzte sich bei der Neuwahl des Dekans gegen einen externen Kandidaten durch. Zuvor war er bis zum April 2022 an der Charité Prodekan für Studium und Lehre mit klinischem Schwerpunkt. Bei der turnusgemäßen Neuwahl der Prodekan:innen durch den Fakultätsrat trat Prof. Spranger nicht erneut an. Für die Neuwahl des Dekans oder der Dekanin hatte der Fakultätsrat eine Findungskommission eingesetzt, die eine Liste vorgelegt hat, welche vom Aufsichtsrat der Charité bestätigt wurde. Prof. Dr. Joachim Spranger, der zukünftige Dekan, erklärt: „Ich freue mich über das Vertrauen des Fakultätsrats und sehe den zukünftigen Herausforderungen mit einer gehörigen Portion Respekt entgegen. Wir müssen als Fakultät eine Wissenschaftsstrategie entwickeln und die Zielsetzungen und Prioritäten für zukünftige Forschungsaktivitäten festlegen. Wichtig ist mir, die künftige Wissenschaftsstrategie mit den Bereichen Krankenversorgung, Personalentwicklung und Infrastruktur gut abzustimmen. Gerade die Nachwuchsförderung ist aus meiner Sicht ein Thema, dem wir noch mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Der Bereich Studium und Lehre liegt mir als ehemaligem Prodekan für Studium und Lehre natürlich besonders am Herzen, und mir ist wichtig, dass wir die Ausbildung näher an die tatsächlichen Anforderungen im späteren Arbeitsleben heranführen. Es wird erhebliche Anstrengungen erfordern, um interprofessionelle Lehrformate zwischen den unterschiedlichen Studiengängen und Ausbildungsberufen der Charité gut abzustimmen.“ Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, beglückwünscht den neu gewählten Dekan: „Es freut uns sehr, dass mit Prof. Spranger ein bereits in Leitungsfunktionen sehr erfahrener Kollege zum Dekan der Charité gewählt wurde. Er konnte bereits als Prodekan Studium und Lehre an der Charité entscheidend weiterentwickeln, neue Studiengänge erfolgreich etablieren und den Lehrbetrieb in der herausfordernden Zeit der Pandemie neu aufstellen. Prof. Spranger wird neue Impulse setzen und die erfolgreiche Arbeit fortsetzen, um vor seinem Hintergrund als langjähriger Klinikdirektor und exzellenter Wissenschaftler auch die herausragende Forschung und die Kooperationen der Charité auf nationaler und internationaler Ebene weiter voranzutreiben. Der Vorstand wünscht ihm dabei viel Erfolg und gutes Gelingen! Außerdem möchte ich mich ausdrücklich bei unserem amtierenden Dekan, Prof. Pries, für seine beeindruckenden, vielfältigen Leistungen und das langjährige Engagement für die Fakultät, das Berlin Institute of Health und die Charité als Ganzes bedanken.“ Prof. Dr. Axel R. Pries, Dekan der Charité, wünscht seinem Nachfolger ebenfalls viel Erfolg: „Mit Prof. Spranger – zusammen mit dem im April neu angetretenen Duo aus Prodekanin und Prodekan für Studium und Lehre, den erneut gewählten Prodekanen für Forschung und der weiter amtierenden Kaufmännischen Direktorin – formiert sich ein neues Team in der Fakultätsleitung, das frische Ideen und neue eigene Akzente mit Kontinuität und Erfahrungen im Amt verbindet. Mit dem Modellstudiengang Medizin (MSM) und den neuen Studiengängen in der Pflege und den Hebammenwissenschaften hat die Charité eine Vorreiterrolle in der medizinischen Lehre inne. Auch die Wissenschaftsprofilierung und der Ausbau der herausragenden Forschung an der Charité gehen voran. Mit exzellenten Berufungen, neuen Höchstständen in der Drittmitteleinwerbung, hochrangigen Auszeichnungen und Forschungsförderungen – etwa bei EU-Verbundprojekten, Grants des European Research Council (ERC) oder neuen Sonderforschungsbereichen – und richtungsweisenden Forschungsbauten ist die internationale wissenschaftliche Bedeutung der Charité weiter gestiegen. Der neue Dekan Prof. Spranger, die Fakultätsleitung und die gesamte Fakultät der Charité werden diese erfolgreiche Entwicklung weiter vorantreiben!“
Neuer Leuchtturm bei Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland
- 29-06-2022Gemeinsame Pressemitteilung des Senats von Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind noch immer die häufigste Todesursache in Deutschland. In der Medizin spricht man auch von kardiovaskulären Erkrankungen. Sie treten vielfältig in Erscheinung und reichen von Bluthochdruck, Arteriosklerose und Herzrhythmusstörungen über Herzschwäche bis hin zu einem Herzinfarkt. Herz-Kreislauf-Krankheiten weiter erforschen, individuelle Risiken frühzeitig erkennen und präventiv darauf zu reagieren – das ist das Ziel des neuen Zentrums an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. In den kommenden zehn Jahren entsteht dort ein neues Forschungs- und Präventionszentrum: Friede Springer, Vorstandsvorsitzende der Friede Springer Stiftung, Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, und Prof. Dr. Axel R. Pries, Dekan der Charité, haben heute in Anwesenheit der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey, der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Ulrike Gote, dem Senator für Finanzen Daniel Wesener und Prof. Dr. Ulf Landmesser, Ärztlicher Leiter des CharitéCentrums für Herz-Kreislauf- und Gefäßmedizin, den Vertrag zum Aufbau des „Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center at Charité“ unterzeichnet. In den kommenden zehn Jahren wird die Friede Springer gGmbH den Aufbau des Zentrums mit bis zu 70 Millionen Euro fördern, um neue Wege in der Herz-Gesunderhaltung und individuellen Herz-Prävention zu gehen. Das Land Berlin unterstützt dieses Vorhaben mit weiteren 7 Millionen Euro. Friede Springer, Vorstandsvorsitzende der Friede Springer Stiftung: „Nach wie vor sind Herz- und Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nr. 1 in Deutschland. Mit meinem Engagement möchte ich ein beeindruckendes ganzheitliches Konzept zur Erforschung und Behandlung von Herz- und Kreislauf-Erkrankungen und deren Prävention unterstützen. Dass dies am Standort Berlin entwickelt wird, freut mich besonders.“ Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin: „Berlin ist ein herausragender Wissenschaftsstandort und das neue Präventions- und Forschungszentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen an der Charité wird ein weiterer wichtiger Baustein dieser Exzellenzentwicklung. Das Engagement von Friede Springer bei diesem Projekt ist außergewöhnlich. Ich danke ihr sehr dafür. Die wissenschaftliche Arbeit, die am Präventionszentrum stattfinden soll, sichert den medizinischen Fortschritt und hilft, Krankheiten vorzubeugen und Menschenleben zu retten.“ Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité: „Das Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center at Charité ist einer der wichtigen Meilensteine des Strategiebausteins Prävention in der Unternehmensstrategie der Charité. Wir wissen, dass ein frühes Eingreifen den Verlauf von Herz-Kreislauf-Erkrankungen maßgeblich verändern kann. Wir wissen auch, dass die Entstehung von Erkrankungen ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist. Leider ist uns wenig darüber bekannt, wie das Zusammenspiel dieser Faktoren sich auf den Ausbruch oder die Verhinderung einer Erkrankung auswirkt. Genau hier setzt das Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center an. Wir rücken die Gesundheitserhaltung in den Fokus und werden damit neue Wege in der Herz-Kreislauf-Medizin gehen. Wir sind Frau Springer für ihre Unterstützung sehr dankbar.“ Prof. Dr. Axel R. Pries, Dekan der Charité: „Das Zentrum wird Leuchtturmcharakter in der Präventionsforschung der Universitätsmedizin haben. Wissenschaftliche Fragen werden an den wichtigen interdisziplinären Schnittstellen zu Gen- und Proteinexpression, innovativer Bildgebung, personalisierter Ernährung, Digital Health, Intervention und psychosoziale Gesundheit bearbeitet. Das ‚human ecosystem‘ wird in den Mittelpunkt gerückt, um mehr und mehr individuelle Risikoprofile und sich daraus ableitende Maßnahmen zur Gesundheitserhaltung zur Verfügung zu stellen. Das Konzept des Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center at Charité wird nachhaltig durch den Aufbau eines Schulungs- und Bildungszentrum, in welchem die Ergebnisse der Präventionsforschung gezielt weitergegeben werden, wirksam werden.“ Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung: „Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind deutschlandweit die häufigste Todesursache. Die gute Nachricht: Frühe und vor allem personalisierte Präventionsmaßnahmen können die Krankheitslast von betroffenen Patientinnen und Patienten deutlich senken. Deshalb ist der Aufbau eines Zentrums der Charité für kardiovaskuläre Prävention nicht nur für die Wissenschafts- und Forschungsmetropole Berlin ein großartiges Unternehmen, sondern vor allem für die Betroffenen selbst. Mit einem innovativen Ansatz in der Herz-Kreislauf-Medizin wird die Friede Springer – Heart Health Kohorte hier vorangehen und die Exzellenz der Charité weiter stärken.“ Daniel Wesener, Senator für Finanzen: „Die Charité trägt als Europas größtes Universitätsklinikum maßgeblich dazu bei, dass Berlin als Wissenschaftsstandort weit über die Stadtgrenzen hinaus einen exzellenten Ruf hat. Diese Exzellenz ist aber kein Selbstläufer: Damit die medizinische Forschung und Versorgung in Berlin auf Spitzenniveau bleibt, sind gezielte Investitionen notwendig. Mit der Etablierung eines Forschungs- und Präventionszentrums für Herz-Kreislauf-Erkrankungen am Campus Benjamin Franklin wird dieser hohe Anspruch unterstrichen und zum innovativen Wachstum der Gesundheitsstadt Berlin beigetragen. Daher fördert das Land das Projekt und die erforderliche Baumaßnahme mit 7,13 Millionen Euro aus dem Innovationsförderfonds.“ Prof. Dr. Ulf Landmesser, Ärztlicher Leiter des CharitéCentrum für Herz-Kreislauf- und Gefäßmedizin: „Mit dem Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center at Charité möchten wir auf die Vision der Vermeidung von häufig leidbringenden oder tödlichen Volkskrankheiten wie dem Herzinfarkt oder der Herzschwäche durch eine rechtzeitige individualisierte und integrative Strategie zur Herz-Gesunderhaltung hinarbeiten. Dies soll dazu beitragen, den Fokus in der Zukunft wesentlich mehr auf die Herz-Gesunderhaltung zu legen – neben einer exzellenten Krankenversorgung.“ Das Zentrum wird sich in seiner Arbeit darauf fokussieren, Risiken und Resilienzen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen umfassender zu erforschen. Aus diesen Ergebnissen sollen neue Konzepte und Strategien zur Prävention abgeleitet werden. In der wissenschaftlichen Arbeit werden dabei wichtige interdisziplinäre Schnittstellen zu Gen- und Proteinforschung, innovativer Bildgebung, personalisierter Ernährung, Digital Health und psychosozialer Gesundheit eingebunden. Das Land Berlin sagt für dieses Vorhaben seine Unterstützung zu.
SARS-CoV-2-Studie zum Infektionsmechanismus in den Lungenbläschen
- 29-06-2022Einer Berliner Forschungsgruppe unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist es gelungen, die Infektion mit SARS-CoV-2 an menschlichen Lungen zu simulieren und somit zentrale Erkenntnisse zum Infektionsmechanismus zu generieren. Anhand von im Labor kultivierten, lebenden Lungenproben zeigt sie, dass der COVID-19-Erreger in nur sehr begrenztem Maß in der Lage ist, die Zellen der menschlichen Lungenbläschen direkt zu infizieren. Hingegen wird der überwiegende Teil der in die Lunge gelangten Viren von Makrophagen – Zellen der angeborenen Immunabwehr – direkt aufgenommen und löst in diesen eine gezielte Immunaktivierung aus. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachmagazin European Respiratory Journal* erschienen. Nach wie vor forschen Wissenschaftler:innen weltweit daran, den Mechanismus hinter einer COVID-19-Infektion und der damit manchmal einhergehenden Lungenentzündung und Lungenschädigung besser zu verstehen. Forschende der Charité, des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), des Robert Koch-Instituts und der Freien Universität Berlin haben jetzt die Vermehrung und Immunaktivierung von SARS-CoV-2-Viren in menschlichen Lungen analysiert. Spezifisch haben sie dafür die Zellen der menschlichen Lungenbläschen, auch Alveolen genannt, sowie die Alveolarmakrophagen in den Blick genommen. Diese Fresszellen unseres angeborenen Immunsystems vernichten fremde Partikel, darunter auch Infektionserreger wie Viren und Bakterien, und sorgen so für die Reinigung der Lunge. Unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Hocke von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité hat das Forschungsteam herausgefunden, dass SARS-CoV-2 nur sehr wenige Epithelzellen, die die Oberfläche der Lungenbläschen auskleiden, infiziert und damit auch nur einen sehr geringen, direkten Gewebeschaden verursacht. Das stellt einen entscheidenden Unterschied etwa zu MERS-Coronaviren oder Influenzaviren dar. Gleichzeitig konnten die Wissenschaftler:innen belegen, dass der für SARS-CoV-2 notwendige ACE2-Rezeptor, der als Einstiegspforte für die Viren dient, in nur sehr wenigen Alveolarepithelzellen nachweisbar ist. Das ergaben umfangreiche Analysen mittels spektraler Mikroskopie. „Wir konnten die direkte Abhängigkeit von SARS-CoV-2 zu seinem Rezeptor in menschlichen Lungen sowie in Lungenorganoiden – das sind Modelle menschlicher Lungenbläschen, die wir aus Stammzellen des Lungengewebes gewonnen haben – zeigen und damit andere, alternative Rezeptoren ausschließen“, erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Katja Hönzke von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie. Gelangen große Virusmengen aus dem oberen Atemweg in die Lungenbläschen, so vermehren sich diese demnach nicht in hohem Maß in den ansässigen Epithelzellen der Lunge, wie das bei anderen schweren Virusinfektionen oft der Fall ist, sondern werden direkt von den Fresszellen aufgenommen. „Wir haben mit detaillierten bioinformatischen Analysen sowie anhand von Autopsiegewebe von an COVID-19 verstorbenen Personen gesehen, dass sich die Fresszellen durch die Aufnahme der Coronaviren verändern“, sagt der zweite Erstautor der Studie Dr. Benedikt Obermayer-Wasserscheid vom BIH. Diese Wandlungen lösen wiederum unterschiedliche Reaktionen im Rahmen der Lungenentzündung aus: Die Fresszellen geben Entzündungsbotenstoffe ab und können zum Teil sehr starke Entzündungskaskaden anstoßen. Ebenso beobachteten die Forschenden, dass sich das Virus in den Immunzellen nicht vermehrt. Prof. Hocke ordnet die Ergebnisse ein: „Unsere Studie deutet darauf hin, dass schwere Lungenschäden bei COVID-19 eher auf eine durch Makrophagen ausgelöste Immunaktivierung als auf eine direkte Zerstörung der Lungenbläschen durch das Virus zurückzuführen sind. Damit trägt sie wesentlich zum Verständnis der Entstehung von COVID-19 in der Frühphase einer möglichen Lungenentzündung bei und zeigt, warum SARS-CoV-2, im Gegensatz zu MERS-Coronaviren, in der Mehrzahl der Fälle einen eher moderaten Verlauf aufweist.“ Es lässt sich also davon ausgehen, dass die lokalen Immunmechanismen im Atemgewebe die SARS-CoV-2-Viren in den allermeisten Fällen sehr effizient beseitigen und die Entzündungsreaktion begrenzen. Geschieht das nicht, was möglicherweise durch individuelle Risikofaktoren beeinflusst wird, können in seltenen Fällen schwere und tödliche Verläufe entstehen. Prof. Hocke führt weiterhin aus: „Unsere eingesetzten Lungenmodelle zeigen in hervorragender Weise, wie Alternativen zu Tiermodellen, die auf menschlichen Zellen basieren, insbesondere bei der Erforschung zoonotischer Erkrankungen eingesetzt werden können. Das ist uns in enger Zusammenarbeit mit Charité 3R, unserer Einrichtung zur Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen, gelungen.“ Im Zentrum nachfolgender Arbeiten sollen nun Untersuchungen an patientenindividuellen Organoidmodellen folgen, um so den Einfluss von allgemeinen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen und anderen Medikationen auf die Aktivierung der Entzündungsantwort vertiefend zu analysieren. Mit diesen Kenntnissen ließen sich dann mögliche Therapieansätze, die auf das Immunsystem abzielen, identifizieren.
Das „Selenosom“: Choreografie einer Umprogrammierung
- 27-06-2022Einem Team unter Leitung von Forschenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist es gelungen, einen grundlegenden Vorgang der Molekularbiologie aufzuklären: den Einbau der sogenannten 21. Aminosäure Selenocystein in sogenannte Selenoproteine. Diese besonderen Eiweiß-Konstrukte sind für Säugetiere, Menschen, aber auch einige Mikroorganismen lebensnotwendig. Wie sie im Körper entstehen und zusammengefügt werden, war bislang unbekannt. Im Fachmagazin Science* beschreiben die Autoren erstmals im Detail, wie eine spezielle Bindungstasche im Zusammenspiel mit verschiedenen weiteren Faktoren diesen Vorgang ermöglicht. Selenoproteine sind eine ungewöhnliche Gruppe von Proteinen, die noch gar nicht so lang bekannt ist. Man geht von bis zu 50 dieser Eiweiße aus, nur ein Teil von ihnen ist bisher erforscht. Sie alle sind komplex aufgebaut und enthalten im Zentrum mindestens einen Teil der namensgebenden Aminosäure Selenocystein (Sec). Selenoproteine übernehmen wichtige Schutz- und Abwehrfunktionen in der Zelle und im menschlichen Körper. Vor allem fungieren sie als sogenannte Oxidoreduktasen, also Vermittler zentraler chemischer Reaktionen, und als Schilddrüsenhormone. Es wird auch vermutet, dass Selenoproteine zum Schutz vor Tumoren beitragen, da sie das Element Selen tragen und oxidativem Stress schnell entgegenwirken können. Doch wie kommen diese besonderen Eiweiße zustande? Wie funktioniert die molekulare Choreografie beim Einbau von Selenocystein während des Zusammenfügens der Proteine, der Proteinbiosynthese? Und wie genau sieht die Struktur des „Selenosoms“ aus, jenem Komplex, der sich bildet, um Selenoproteine herzustellen? Das Team um Prof. Dr. Christian Spahn, Direktor des Instituts für Medizinische Physik und Biophysik, und Dr. Tarek Hilal, Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, konnte gemeinsam mit Partnern am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik, an der University of Illinois, Chicago und der Rutgers-Robert Wood Johnson Medical School, New Jersey, mittels hochauflösender, dreidimensionaler Kryo-Elektronenmikroskopie, diesen fundamentalen molekularbiologischen Vorgang strukturell und mechanistisch nachvollziehen. Ribosomen, die Proteinfabriken der Zelle, stellen Proteine normalerweise streng nach den von den messenger-RNAs (mRNAs) gelieferten Bauplänen her. Der universelle genetische Code definiert anhand bestimmter Sequenzen, bestehend aus jeweils drei variierenden Basen, den mRNA-Triplett-Codonen, welche Aminosäure an welcher Stelle eines Proteins eingebaut wird. Selenoproteine haben allerdings einen speziellen Aufbau, sodass die 20 Standardaminosäuren bei ihnen nicht ausreichen. Sie enthalten an bestimmten Stellen die sogenannte 21. Aminosäure, das Selenocystein (Sec). Da für den Einbau von Selenocystein kein eigenes Codon, also keine verschlüsselnde Basensequenz existiert, entsteht beim Bau von Selenoproteinen im ribosomalen Komplex eine grundlegende Besonderheit. Durch eine gesonderte Signalsequenz in der mRNA, das sogenannte SECIS-Element (SElenoCystein-Insertionssequenz), wird das Ribosom umprogrammiert und die genetische Information quasi überschrieben. Ein Codon, das normalerweise einen Kettenabbruch und damit die Fertigstellung des Proteins programmiert (UGA-Stopcodon), wird an den gewünschten Stellen zu einem neuen Codon, und zwar dem Codon zum Einbau von Selenocystein. Dieser Rekodierungsvorgang erfordert neben dem SECIS-Element zusätzlich eine besondere, mit Selenocystein beladene Transfer-RNA (tRNASec) und zusätzliche, spezialisierte Translationsfaktoren. „Zwar sind die beteiligten Player seit einigen Jahren bekannt, dennoch blieb bislang ein Rätsel, wie sie genau funktionieren und wie sie zusammenwirken“, so Prof. Spahn. „Vor allem, wie im Einzelnen das SECIS-Element wirkt, war mysteriös, denn es befindet sich in der linearen Sequenz der mRNA nicht in direkter Nachbarschaft zum umprogrammierten UGA-Stopcodon, sondern am Ende, viele hundert Nukleotid-Bausteine entfernt.“ Um den molekularen Mechanismus aufzuklären, hat das Forschungsteam den ribosomalen Komplex, der sich bildet, um das UGA-Stopcodon zu rekodieren, das „Selenosom“, im Labor nachempfunden. Das hochauflösende Bildgebungsverfahren der Kryo-Elektronenmikroskopie ermöglicht eine dreidimensionale Darstellung des winzigen Konstrukts und somit strukturelle Untersuchungen. „Anhand der abgebildeten Strukturen konnten wir aufklären, wie die beteiligten Faktoren mit dem Ribosom interagieren und wie sie genau zusammenwirken, um das Ribosom umzuprogrammieren“, erklärt Prof. Spahn. „Wir konnten insbesondere zeigen, dass die mRNA eine große Schleife bildet, so dass das UGA-Stopcodon und das SECIS-Element gleichzeitig am Ribosom gebunden sind. Das SECIS-Element wird dabei in einer bislang unbekannten Bindetasche am Ribosom verankert und kann dann, im Ribosomen-gebundenen Zustand, unterstützt durch Translationsfaktoren den Selenocystein-Einbau begünstigen.“ Diese Struktur und die Funktionsweise des „Selenosoms“ haben das Forschungsteam überrascht und waren so nicht vorherzusehen. Denn der Vorgang verläuft bei Säugetieren und beim Menschen deutlich anders als der Einbau von Selenocystein in Bakterien, der zuvor schon bekannt war. Der nun beschriebene Komplex zeigt beispielhaft, wie Signalstrukturen am hinteren Ende einer mRNA, also außerhalb des kodierenden Bereiches, mit dem Ribosom interagieren können, um dieses zu regulieren. Den ersten Schritt beim Einbau von Selenocystein konnten die Forschenden somit aufklären. Die nachfolgenden Schritte sind noch immer unklar und sollen in weiteren Arbeiten strukturell untersucht werden. Studien wie diese tragen dazu bei, Funktion und Bedeutung des lebenswichtigen Spurenelements Selen in der normalen Physiologie und beim Entstehen von Krankheiten wie Diabetes oder Krebs besser zu verstehen. Die Arbeiten wurden ermöglicht durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (SFB740 und FOR1805) sowie Zuwendungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Landes Berlin für Großgeräte, entsprechend Artikel 91b GG.
Erfolgreiche Versorgungsforschung an der Charité
- 23-06-2022Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) unterstützt insgesamt 50 neue Projekte im Bereich Versorgungsforschung und medizinische Leitlinien. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin koordiniert neun dieser Vorhaben. Drei Charité-Projekte befassen sich mit der Entwicklung medizinischer Leitlinien zur besseren Versorgung von Zielgruppen mit besonderen Bedürfnissen – wie Kindern, Jugendlichen, älteren und pflegebedürftigen Menschen. Bei sechs weiteren Projekten zur Versorgungsforschung geht es um die Evaluation digitaler Gesundheitsversorgung und um datengestützte Entscheidungsfindung. Darüber hinaus ist die Charité an drei weiteren Vorhaben im Bereich Versorgungsforschung als Partnerinstitution beteiligt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fördert mit den Mitteln des Innovationsfonds Projekte, die über die bisherige Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen hinausgehen. Mit den neuen Förderentscheidungen werden 32 themenoffene und themenspezifische Projekte der Versorgungsforschung gefördert sowie weitere 18 Projekte, die medizinische Leitlinien entwickeln oder weiterentwickeln werden. „Die an der Charité neu geförderten Projekte widmen sich den zukünftig immer bedeutsamer werdenden Themen der Versorgung aller Altersgruppen – etwa präventiven Ansätzen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit oder zur Reduzierung von Komplikationen“, erklärt Prof. Dr. Elke Schäffner, Sprecherin der Plattform – Charité Versorgungsforschung. „Personalisierte Behandlungspfade rücken dabei verstärkt in den Fokus. Um die dafür erforderliche Präzision zu erreichen und Entscheidungshilfen zu bieten, ist die Zusammenführung individueller medizinischer Informationen und die Berücksichtigung der Behandlungserfahrungen aller Gesundheitsprofessionen essenziell. Unterstützt durch digitale Technologien ergeben sich daraus zahlreiche Möglichkeiten, alle notwendigen Perspektiven – nicht zuletzt die der Patientinnen und Patienten – in den Prozess einzubeziehen und so Entscheidungen im Versorgungsalltag weiter zu optimieren.“ Folgende Projekte unter Federführung der Charité werden aus Mitteln des Innovationsfonds gefördert (in alphabetischer Reihenfolge): Medizinische Leitlinien FrailtyOP: Perioperative Versorgung von gebrechlichen Patientinnen und Patienten (Leitlinienentwicklung) Aufgrund der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung und des medizinischen Fortschritts erfolgen mehr und komplexere chirurgische Eingriffe bei älteren und gebrechlichen Patientinnen und Patienten. Bis zu 50 Prozent der Menschen über 65 Jahre auf chirurgischen Stationen leiden an dem sogenannten Frailty-Syndrom – also an Gebrechlichkeit. Die Betroffenen sind unter anderem in ihrer Beweglichkeit und Muskelkraft eingeschränkt. Zugleich haben sie ein deutlich höheres Risiko, nach einer Operation Komplikationen wie Infektionen oder langfristige geistige und körperliche Beeinträchtigungen zu entwickeln und pflegebedürftig zu werden. Das Risiko, im ersten Jahr nach einer Operation zu versterben, liegt für die Betroffenen zudem bis zu fünfmal höher als bei gesundheitlich robusten Patientinnen und Patienten. Im Projekt FrailtyOP soll erstmals eine Leitlinie zur Versorgung von Betroffenen mit Frailty-Syndrom entwickelt werden. Ziel ist es, einen Goldstandard zur Erfassung des Krankheitsbilds einzuführen, optimale Behandlungsinstrumente zu identifizieren und Standards für die perioperative Behandlung von Betroffenen – vor, während und nach einer Operation – festzulegen. Nach dem Einsatz und der Qualitätskontrolle der Leitlinie im klinischen Alltag wird diese schließlich in der Datenbank der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlicht. Projektleitung: Prof. Dr. Stefan Schaller, Stellvertretender Direktor der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Campus Virchow-Klinikum und Charité Campus Mitte S3 LL AA: Diagnostik und Therapie der Alopecia areata (S3-Leitlinie) Alopecia areata (Kreisrunder Haarausfall) ist eine lokal begrenzte, immunvermittelte Hauterkrankung, die schon im Kindes- und Jugendalter – akut oder auch chronisch – wiederkehrend auftritt und bis hin zu einem vollständigen Verlust der Kopf-, Gesichts- und Körperhaare führen kann. Der sichtbare Haarverlust ist bei den betroffenen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit enormen emotionalen und psychosozialen Belastungen verbunden. Bislang fehlen wissenschaftlich fundierte, diagnostische und therapeutische Empfehlungen für diese Altersgruppen. Abhilfe soll eine evidenzbasierte – durch wissenschaftliche Belege gestützte – S3-Leitlinie schaffen, die Behandelnden als Entscheidungshilfe zur Diagnostik und Therapie der verschiedenen Formen der Alopecia areata dienen kann. Die Entwicklung der Leitlinie folgt dem Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Regelmäßige Treffen einer fachlich hochrangig besetzten Leitliniengruppe verschiedener Arbeitsgebiete – wie Fachleute für die Gebiete Dermatologie, Pädiatrie und Psychosomatik, Sozialarbeiter:innen, Frisierende und Selbsthilfegruppen – werden erfolgen. Eine systematische Recherche, Auswahl und methodische Bewertung von Ergebnissen vorhandener Studien liefert dann die Grundlage der Empfehlungen, die nach einer externen Begutachtung verabschiedet und im Leitliniendokument zusammengefasst werden. Die neue Leitlinie soll dazu beitragen, sowohl Behandelnde als auch Patientinnen und Patienten in der individuellen Entscheidungsfindung zu unterstützen und so die Alopecia areata frühzeitig, altersgemäß und stadiengerecht optimal zu behandeln. Projektleitung: Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie und Direktorin des Clinical Research Center for Hair and Skin Science (CRC), Charité Campus Mitte TransitADI: Transition von jungen Menschen mit Adipositas von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin (S3-Leitlinie) Der Übergang in das Erwachsenenalter ist durch weitreichende körperliche und psychosoziale Veränderungen geprägt und fordert zunehmende Eigenverantwortung von den Heranwachsenden. Für junge Menschen mit Adipositas sind diese entwicklungsbedingten Veränderungen eine besondere Herausforderung. Häufig erleben sie durch ihre Erkrankung Stigmatisierung und Diskriminierung, und werden durch die krankheitsbedingten Besonderheiten eingeschränkt. Außerdem müssen die Heranwachsenden Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen und der medizinischen Versorgungssysteme wechseln. Die Entwicklung der S3-Leitlinie in dem Vorhaben TransitADI soll helfen, die Behandlung von jungen Menschen mit Adipositas und ihren Übergang von der pädiatrischen Versorgung in die Erwachsenenmedizin zu strukturieren und standardisieren. Auf diese Weise kann eine kontinuierliche multiprofessionelle Betreuung und Versorgung in der verwundbaren Lebensphase von der Adoleszenz bis hinein in das junge Erwachsenenalter sichergestellt werden. Da Adipositas mit vielfältigen Begleiterkrankungen einhergeht, wird die neue Leitlinie einerseits relevante Leitlinien vergleichend gegenüberstellen und andererseits Widersprüche in den Empfehlungen adressieren. Projektleitung: Privatdozentin Dr. Susanna Wiegand, Sozialpädiatrisches Zentrum, Campus Virchow-Klinikum; Privatdozentin Dr. Antje Tannen, Institut für Klinische Pflegewissenschaft, Charité Campus Mitte Versorgungsforschung Digi-POD: Digitalisierte klinische Entscheidungsunterstützung zur Prävention des postoperativen Delirs Ein postoperatives Delir ist eine schwere, akute Störung des Gehirns, die bei 15 Prozent aller Patientinnen und Patienten nach einer Operation auftritt. Dadurch sind Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Denkvermögen und somit auch die Lebensqualität oft langfristig eingeschränkt. Um solche Langzeitfolgen oder eine Pflegebedürftigkeit der Betroffenen zu verhindern, ist eine rechtzeitige und leitlinienbasierte Behandlung wichtig. Das Projekt Digi-POD ist ein sich selbst aktualisierendes, zeit- und personenunabhängiges Unterstützungssystem, das alle aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse in Abstimmung mit dem praktisch tätigen medizinischen Personal vereint. Damit kann aktuelles medizinisches Wissen nach neuestem Kenntnisstand der Medizin sofort bei Patientinnen und Patienten umgesetzt werden. Diese Entscheidungsunterstützung sorgt dafür, dass aktuelle Leitlinienempfehlungen direkt und in Echtzeit mit strukturierten Daten abgeglichen, bedarfsgerecht anwendbar und kontrolliert umgesetzt werden. Sie ermöglicht zudem durch künstliche Intelligenz erstmals eine automatisierte Auswertung medizinischer Daten individuell für jede Patientin und jeden Patienten nach deren Bedürfnissen. Projektleitung: Prof. Dr. Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Campus Virchow-Klinikum und Charité Campus Mitte FAIR4Rare: Begleitende Evaluation im Aufbauprozess eines offenen Nationalen Registers für Seltene Erkrankungen (NARSE) Medizinische Register sind ein wichtiges Werkzeug für die Erforschung, aber auch für die Versorgung seltener Erkrankungen. Gelingt die Auffindbarkeit, der Zugang, die Interoperabilität und die Wiederverwendbarkeit der Daten – kurz: die Umsetzung der FAIR-Prinzipien (findable, accessable, interoperable, reusable) – lässt sich die Translation neuer Erkenntnisse und Therapieoptionen beschleunigen. Das Nationale Register für Seltene Erkrankungen (NARSE) ist ein medizinisches Register, das sich derzeit in der Pilotphase befindet und Daten von Patientinnen und Patienten zu ausgewählten seltenen Erkrankungen erfasst, für die bereits eine Therapieoption auf dem Weg ist. Im begleitenden Projekt FAIR4Rare überprüfen die Projektpartner aus Versorgungsforschung, Klinik, Registerbetreibern und Patientenorganisationen, inwiefern das NARSE auf Akzeptanz bei den Nutzenden trifft und welche Weiterentwicklungen notwendig sind, um es so zu etablieren, dass Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen eine gerechtere Teilhabe in unserem Gesundheitssystem ermöglicht wird. Wichtig sind dabei neben der Befragung von Nutzenden des Registers auch der Vergleich mit Datenbeständen aus der Medizininformatik-Initiative (MII) sowie mit dem gut etablierten Deutschen Mukoviszidose Register. Projektleitung: Dr. Josef Schepers, Koordinator für Medizininformatik der Core Unit eHealth and Interoperability (CEI), Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) IntSim-Onko: Integration von klinischen und molekularen Daten in der Präzisionsonkologie zur Entwicklung eines auf Ähnlichkeitsmaßen basierenden Algorithmus für Therapieempfehlungen Die Präzisionsonkologie hat ein hohes Ziel: Für Krebspatientinnen und -patienten, bei denen die Standardverfahren nicht ausreichend wirksam sind, soll nach einer tiefgehenden Analyse des Tumors ein individualisierter Behandlungsplan entwickelt werden. Hierfür muss aus allen erhobenen Daten – von klinischen Verlaufsdaten, Laborinformationen, pathologischen Befundberichten bis hin zu molekularen Charakterisierungen des Tumorgewebes – ein Gesamtbild der Krebserkrankung entwickelt und in eine Therapieempfehlung umgesetzt werden. Dieses Gesamtbild wird dann mit Hintergrundwissen und ähnlichen Fällen aus der medizinischen Literatur verglichen. Die mathematische Beschreibung von Ähnlichkeiten wiederum ist abhängig von der Art der Daten. Hierbei spielen bioinformatische Werkzeuge und Analysen eine essentielle Rolle, die in der Medizin immer bedeutender werden und zur kontinuierlichen Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen. Im Projekt IntSim-Onko werden die komplexen Gesamtbilder in ihre Einzelfaktoren zerlegt, deren Einfluss auf Behandlungsergebnisse systematisch analysiert und mit Hilfe maschineller Lernverfahren individuell gewichtet. Die daraus entwickelten Algorithmen und die entsprechenden Suchfunktionen sollen die datengestützten Empfehlungen in der Präzisionsonkologie voranbringen und so die individualisierte Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten entscheidend unterstützen. Projektleitung: Dr. Manuela Benary, Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC), Charité Campus Mitte und Core Unit Bioinformatics (CUBI) des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH); Prof. Dr. Ulrich Keilholz, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC) KIDS: KI verbessert Diagnostik in der Seniorenpflege Verletzungen der Mundschleimhaut können sehr schmerzhaft sein und zur Entstehung von Mundhöhlenkarzinomen beitragen. Insbesondere bei pflegebedürftigen Senior:innen, bei denen solche Gewebsverletzungen häufig auftreten, ist eine korrekte Diagnostik die Basis für eine frühzeitige und angemessene Therapie. Ziel des Vorhabens KIDS ist es, die Diagnostik von oralen Erkrankungen bei Bewohnern stationärer Seniorenpflegeeinrichtungen durch den Einsatz eines durch künstliche Intelligenz (KI) gestützten Systems zur Entscheidungsunterstützung zu verbessern. Auf der Basis einer Datenbank und unter Anwendung genereller Qualitätsstandards werden die KI-Modelle bei der Feststellung und Einordnung von Mundschleimhautläsionen unterstützen. Die künstliche Intelligenz soll auf diese Weise die Überweisungs- und Wiederbegutachtungsrate verringern. Auf diese Weise könnte eine gezieltere Überweisung und Wiederbegutachtung der Pflegebedürftigen zugleich helfen, Transportaufwand und Belastungen zu reduzieren, den Therapiebedarf zu priorisieren und Kosten zu senken. Projektleitung: Prof. Dr. Falk Schwendicke, Direktor der Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung, Campus Benjamin Franklin REPAIR: Empfehlung zur präoperativen Repositions- und Osteosynthese-Planung komplexer Frakturen durch Einsatz künstlicher Intelligenz Infolge von Unfällen zuhause oder im Verkehr kommt es in Deutschland jedes Jahr hundertausendfach zu Knochenbrüchen. Eine besondere Herausforderung für die behandelnden Unfallchirurg:innen stellen dabei zum Teil auftretende komplexe Muster von Frakturen dar, bei denen auch Gelenke beteiligt sein können. Um während und nach der Operation Komplikationen zu verringern und den Heilungsverlauf bestmöglich zu gestalten, ist eine perfekte Planung von Operationen essentiell. Ziel des Vorhabens REPAIR ist es, Unfallchirurg:innen bei komplexen Frakturen der Extremitäten unter Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) durch Empfehlungen zu unterstützen – sowohl für das anatomische Zurückbringen (Reposition) in die Normalstellung als auch für die operative Verbindung von Knochenfragmenten (Osteosynthese). Durch eine Analyse von präoperativen computertomografischen (CT) Datensätzen soll KI-geleitet zunächst eine virtuelle und interaktive, anatomische Repositionsempfehlung gegeben werden. Durch eine KI-gestützte Analyse aktueller Leitlinien und evidenzbasierter Leitpublikationen soll dann ein geeignetes Verfahren zur Osteosynthese gefunden werden. Langfristig sollen dadurch Operationen beschleunigt, die Zahl von Komplikationen verringert und der Therapieerfolg verbessert werden. Projektleitung: PD Dr. David Back und PD Dr. Serafeim Tsitsilonis, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie (CMSC), Campus Virchow-Klinikum WEGE: Analysen von Versorgungsverläufen älterer AOK-Versicherter im Vorfeld einer Pflegebedürftigkeit Bisher fehlen systematische Verlaufsanalysen, die die Rolle von Versorgung bei der Entstehung oder Vermeidung von Pflegebedarf beleuchten. Das Projekt WEGE, das in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) durchgeführt wird, setzt hier an. Ziel ist es, im Vergleich unterschiedlicher Versorgungsverläufe – rückblickend über einen Zeitraum von fünf Jahren – die Konstellationen zu identifizieren, die besonders geeignet sein könnten, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verzögern. Die Datenbasis bilden Routinedaten von Kranken- und Pflegekassen sowie Pflegebegutachtungen des Medizinischen Dienstes. Das Projekt prüft die Hypothese, dass bestimmte Konstellationen in der Versorgung Vorhersagen über den Pflegebedarf erlauben und somit ein Ansatzpunkt für die Prävention sein können. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, eine Versorgungskontinuität älterer Versicherter aufzubauen und so den Pflegebedarf weitgehend zu vermeiden. Projektleitung: Dr. Stefan Blüher und Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Campus Charité Mitte Beteiligt ist die Charité als Konsortialpartnerin an drei weiteren Projekten in der Versorgungsforschung (in alphabetischer Reihenfolge): BENITA: Bewegungs- und Ernährungsintervention bei Ovarialkazinom – Entwicklung eines Versorgungskonzepts und Evaluation in der klinischen Routine Konsortialführung: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Projektleitung an der Charité: Prof. Dr. Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie, Campus Virchow-Klinikum IPS: Integrierte psychosoziale Versorgung in der Intensivmedizin – Partizipative Entwicklung und Pilotierung eines innovativen Versorgungsansatzes Konsortialführung: Universität Ulm Projektleitung an der Charité: Prof. Dr. Matthias Rose, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Campus Benjamin Franklin IRIS: IT-basiertes Rückfall-Monitoring für Schizophrenie Konsortialführung: Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Projektleitung an der Charité: Dr. Kerem Böge, Arbeitsgruppenleiter an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Benjamin Franklin
Endlich wieder in Präsenz: Die Lange Nacht der Wissenschaften in der Charité
- 22-06-2022Wie können wir einem Fisch beim Hören zuschauen? Welche sozialen und psychologischen Herausforderungen hat die COVID-19-Pandemie mit sich gebracht? Wie sieht ein künstliches neuronales Netzwerk eigentlich die Welt? Verstehen Kinder Emojis? Antworten auf diese und viele weitere spannende Fragen finden Forschungsinteressierte auf der Langen Nacht der Wissenschaften in der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Am Samstag, den 2. Juli können Groß und Klein Wissenschaft am Campus Charité Mitte wieder in Präsenz erleben – von 17 bis 24 Uhr. „Erleben. Verstehen. Wissen.“ – Unter diesem Motto kehrt die Lange Nacht der Wissenschaften nach zweijähriger Pandemiepause zurück. In Berlin und Potsdam bieten über 60 Einrichtungen mehr als 1.400 verschiedene Programmpunkte an. Die Charité öffnet am Campus Charité Mitte ihre Türen für ein abwechslungsreiches Programm im und am CharitéCrossOver-Gebäude (CCO). Hier bieten Wissenschaftler:innen der Charité Einblicke in ihre biomedizinische Forschung: So wird es im Lichthof des CCO ein Bühnenprogramm mit drei Sessions zu den Themen „Global Health“, „Facetten der Hirnforschung“ sowie „Neues Wissen – Neue Behandlungsmöglichkeiten“ geben. Nachfragen aus dem Publikum sind dabei ausdrücklich erwünscht. Darüber hinaus finden interaktive Workshops, Vorträge, zwei Führungen über den Campus sowie Aktivitäten für Kinder drinnen und draußen statt. Die Möglichkeiten der modernen Herzmedizin, die Komplexität unseres Gehirns, neue Behandlungsansätze bei Rückenschmerzen oder der Nutzen von Mikroben – Besucher:innen erwarten spannende Themen aus der vielseitigen Forschung der Charité. Sie sind herzlich eingeladen, das ECMObil zu besichtigen, für eine Nacht zu Biobanker:innen zu werden, an einem Bewegungstraining in der virtuellen Realität teilzunehmen und vieles mehr. Auch die Jüngsten können in eigens für sie ausgerichteten Formaten – wie etwa einem Sprichworttest – die Welt der Wissenschaft beschnuppern und ihren Teddy in der Kuscheltier-Sprechstunde vorstellen. Alle Programmpunkte und weitere Details gibt es im Charité-Programmheft. Servicehinweise Standort: Campus Charité Mitte im und am CharitéCrossOver-Gebäude, Eingang Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin, Geländeadresse: Virchowweg 6 Auf dem Campus der Charité und in geschlossenen Räumen herrscht Maskenpflicht. Im Innenhof und an den Imbissständen kann auf das Tragen einer Maske verzichtet werden. Tickets für die Lange Nacht der Wissenschaften kosten 14 Euro und ermäßigt 9 Euro. Kinder unter 6 Jahren haben freien Eintritt.
Weltweite Krebs-Challenge: Das Rätsel der DNA-Ringe
- 16-06-2022Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und MDC Der Kinderonkologe Prof. Dr. Anton Henssen von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat gemeinsam mit Forschenden aus den USA und Großbritannien den Zuschlag für eine „Cancer Grand Challenge“ erhalten: Mit fast 24 Millionen Euro wird das internationale Team die Rolle ringförmiger DNA bei der Entstehung und Bekämpfung von Krebs untersuchen. Das Berliner Team um Prof. Henssen erhält für die kommenden fünf Jahre mehr als eine Million Euro. Im Jahr 2014 machte Prof. Henssen in den Zellen krebskranker Kinder eine ungewöhnliche Entdeckung. Er bemerkte, dass sich dort kleine Ringe aus DNA angesammelt hatten. Ein Teil der genetischen Information war somit nicht mehr wie gewöhnlich in den Chromosomen verpackt. Und ganz offensichtlich brachten die Ringe das restliche Erbgut derart durcheinander, dass die kindlichen Zellen anfingen, sich zu verändern. Das Thema hat den 36-jährigen Forscher und Arzt, der seit 2019 am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung von Charité und MDC, die Emmy Noether-Forschungsgruppe „Genomische Instabilität bei kindlichen Tumoren“ leitet, seither nicht mehr losgelassen. „Als ich anfing, mich für die zirkuläre DNA und ihre Rolle bei der Entstehung von Krebs zu interessieren, war ich damit ziemlich allein“, erzählt Prof. Henssen. Er ist nicht nur Wissenschaftler, sondern kümmert sich auch als Kinderarzt an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité um seine kleinen Krebspatient:innen. Inzwischen sei das Forschungsfeld jedoch weiter ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt, sagt Prof. Henssen. Schon seit knapp zwei Jahren werden der Wissenschaftler und sein Projekt „CancerCirculome“ mit einem Starting Grant des European Research Council (ERC) unterstützt. Auch der Förderinitiative „Cancer Grand Challenges“ – die seit 2020 von den beiden größten Geldgebern in der Krebsforschung weltweit, der Cancer Research UK und dem National Cancer Institute der National Institutes of Health in den USA, getragen wird – ist die bislang womöglich unterschätzte Rolle der winzigen DNA-Ringe nicht entgangen. Als eine von neun großen Herausforderungen in der Krebsforschung wählte sie das Thema „Extrachromosomale DNA“, kurz ecDNA. Die „Cancer Grand Challenges“ unterstützen derzeit mehr als 700 Forschende und Befürworter:innen in zehn Ländern. Elf Teams stellen sich bereits den schwierigsten Herausforderungen in der Krebsforschung – am 16. Juni wurden vier neue Teams bekannt gegeben. „Für mich stand damit fest, dass ich an dieser Challenge teilnehmen will“, erzählt Prof. Henssen, der am 1. Juni an der Charité eine Mildred-Scheel-Professur der Deutschen Krebshilfe angetreten hat. Weltweit gebe es gerade einmal eine Handvoll Gruppen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Nun hat das Team aus den USA, Großbritannien und Deutschland, das von Prof. Paul Mischel von Stanford Medicine in Kalifornien geleitet wird, mit seinem Projekt „eDyNAmiC“ (extrachromosomal DNA in Cancer) den Zuschlag erhalten. Verbunden ist damit eine finanzielle Förderung in Höhe von 20 Millionen britischen Pfund für die kommenden fünf Jahre. Etwa eine Million davon wird Prof. Henssen und seinem Berliner Team zur Verfügung stehen. Man wisse inzwischen, dass fast ein Drittel aller kindlichen und erwachsenen Tumore in ihren Zellen DNA-Ringe tragen und dass diese Tumore fast immer besonders aggressiv seien, sagt Prof. Henssen. „Wir wollen nun herausfinden, was genau diese Ringe so gefährlich macht, wie sie entstehen und wie wir sie ausbremsen können – um so effektivere Therapien zu entwickeln.“ Dieser Herausforderung stellen sich im Projektteam nicht nur Biolog:innen und Mediziner:innen, sondern auch Mathematiker:innen und Informatiker:innen. Prof. Henssen und sein Berliner Team, zu dem auch Forschende des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) gehören, wollen sich zunächst die Struktur der Ringe genauer anschauen und herausfinden, wie ihre DNA in Histonen und anderen Proteinen verpackt ist und wie die Expression ihrer Gene reguliert wird. „Denn möglicherweise führen Veränderungen in der Genexpression dazu, dass Tumore mithilfe der Ringe gegen die derzeit vorhandenen Therapien resistent werden“, sagt er. Dass sein einst vermeintliches Nischenthema nun eine solch große Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält, freut Prof. Henssen natürlich sehr. „Mir persönlich hätte nichts Besseres passieren können“, sagt der Forscher. Seine große Hoffnung ist nun, seinen Patient:innen in absehbarer Zeit zu helfen, die ihr Leben noch vor sich haben – dank einer neuartigen Therapie, die die Ringe attackiert und so den tödlichen Tumor verschwinden lässt.
Horizon Europe: Charité koordiniert vier neue EU-Projekte
- 02-06-2022Die EU-Kommission hat drei europäische Verbundvorhaben und ein umfassendes Infrastrukturprojekt, geleitet von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), auf den Weg gebracht. Zwei weitere Projekte werden mit Beteiligung von Charité-Forschenden starten. Die neuen Vorhaben unter Leitung der Charité befassen sich mit Fragen der psychischen Gesundheit, einer innovativen Zelltherapie, Prognosen bei Schlaganfall und virtuellen Modellen des Gehirns. Sie sind mit Förderungen von insgesamt rund sieben Millionen Euro für die Charité verbunden. Das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union ist das weltweit größte Einzelförderprogramm. Entdeckungen in der Gesundheitsforschung ermöglichen, innovative Lösungen finden und Forschungsinfrastrukturen auf höchstem Niveau halten – das sind Ziele des Clusters Gesundheit im Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe. Gemeinsam mit ihren europäischen Partnern können die Forschenden in den kommenden vier bis fünf Jahren nun ihre Ideen voranbringen. „Das ist ein sehr guter Auftakt im neu gestarteten Programm Horizon Europe“, sagt Prof. Dr. Axel Radlach Pries, Dekan der Charité. „Unter den insgesamt 13 zur Förderung vorgeschlagenen deutschen Anträgen mit Koordination stammen drei aus der Charité. Wir werden weiter beständig daran arbeiten, dass die Berliner Universitätsmedizin auch zukünftig im europäischen Ranking zu den 20 besten Einrichtungen des Clusters Health gehört.“ Unter den deutschen Universitäten bleibt die Charité in dieser Förderlinie damit weiterhin auf Platz eins. Die neuen EU-Verbünde unter Leitung der Charité sind: environMENTAL: Herausforderungen der Umwelt und ihren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit begegnen Klimawandel, Urbanisierung und psychosozialer Stress im Zuge der COVID-19-Pandemie sind drei der derzeit größten globalen Umweltherausforderungen. Wie sie sich langfristig auf die Gesundheit des Gehirns auswirken, dem wollen Forschende um Prof. Dr. Gunter Schumann, Leiter des Forschungsbereichs Neurowissenschaftliche Populationswissenschaft (PONS) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charite Mitte und der Fudan Universitaet Shanghai, nachgehen. Ziel ist es, Interventionen zu entwickeln, die helfen, Erkrankungen vorzubeugen oder aber frühzeitig einzugreifen. Daten von mehr als einer Million europäischen Bürgerinnen und Bürgern, Patientinnen und Patienten, darunter Bildgebungsdaten großer verhaltensbezogener Personengruppen, sollen dabei helfen, Gehirnmechanismen aufzudecken, die mit umweltbedingten Widrigkeiten verbunden sind und zu Symptomen von Depression, Angst, Stress oder Drogenmissbrauch führen. Die Bevölkerungs- und Patientendaten fließen zusammen mit Umweltdaten, Satelitendaten, Daten aus Klimamodellen und digitalen Gesundheitsanwendungen in ein komplexes Modell ein, das den Einfluss von Umweltherausforderungen auf Verarbeitungsprozesse im Gehirn beschreibt. Umfangreiche Omics-Analysen, dreidimensionale Hirnorganoide und virtuelle Gehirnsimulationen werden dazu beitragen, zugrundeliegende molekulare Mechanismen aufzuspüren. Das Wissen darüber, welche genetischen und umweltbedingten Einflüsse zu welchen Krankheitsmechanismen führen, soll dazu beitragen, individuelle Risiken abzuschätzen. Um die Behandlung umweltbedingter psychischer Erkrankungen zu erleichtern, sollen zudem gezielt Wirkstoffe identifiziert werden, die zum jeweiligen Auslöser einer Erkrankung passen und digitale Gesundheitslösungen mit Elementen der virtuellen Realität zum Einsatz kommen. Laufzeit: 5 Jahre ab 1. Juni 2022 Gesamtfördersumme: rund 9 Mio. Euro geneTIGA: Entwicklung einer spezifischen Zelltherapie für eine Form der chronischen Nierenerkrankung (IgA-Nephropathie) Chronische Nierenerkrankungen, ausgelöst durch unerwünschte Immunreaktionen, nehmen deutlich zu. Sie belasten nicht nur die Betroffenen, sondern immer stärker auch Gesellschaft und Gesundheitssystem. Bei der sogenannten IgA-Nephropathie (IgAN) handelt es sich um eine Form der Nierenerkrankung, bei der es zu einer dauerhaften Entzündung der Filterteilchen, der Glomerula, in der Niere kommt, einhergehend mit voranschreitender Einschränkung der Nierenfunktion. Derzeitige Therapieformen sind nur begrenzt wirksam, unter anderem, weil sie das bei der Erkrankung gestörte Immungleichgewicht nicht nachhaltig beeinflussen. Prof. Dr. Petra Reinke ist Gründungsdirektorin des Berlin Center for Advanced Therapies (BeCAT), Mitglied des Steuerungskomitees des BIH Center for Regenerative Therapies (BCRT) und Leiterin der Arbeitsgruppe Zelltherapie und personalisierte Immunsuppression am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Sie leitet den neuen Verbund mit dem Ziel, eine sichere und effiziente Zelltherapie, basierend auf genom-editierten, also zielgerichtet genetisch veränderten, Abwehrzellen (T-Zellen) zu entwickeln. Dabei wollen die Forschenden drei molekularbiologische Technologien erproben und neue Standards für die Sicherheitsbewertung entwickeln. Am Ende soll ein möglicher Kandidat einer spezifischen Zelltherapie stehen – sozusagen ein „lebendes Arzneimittel“, das als einmalige Behandlung für IgAN und ähnliche Erkrankungen klinisch erprobt werden soll. Darüber hinaus könnte der spezifische Therapieansatz auch bei anderen Erkrankungen mit ähnlichen Entstehungsmechanismen wirksam sein und die Entwicklung von Gen- und Zellprodukten der nächsten Generation beschleunigen. Laufzeit: 4 Jahre ab 1. Juli 2022 Gesamtfördersumme: rund 5,7 Mio. Euro VALIDATE: Künstliche Intelligenz hilft Prognosen und Behandlung bei akutem Schlaganfall zu verbessern Methoden des maschinellen Lernens (ML) und der künstlichen Intelligenz (KI) werden in der Medizin zunehmend eingesetzt. Sie ermöglichen beispielsweise Prognosen für Krankheitsverläufe oder erleichtern klinische Entscheidungen wie die Wahl der optimalen Behandlung für den jeweiligen Patienten oder die Patientin. Der Einsatz entsprechender Tools führt zu verbesserten Behandlungsergebnissen, gleichzeitig können die vorhandenen Ressourcen im Gesundheitswesen bestmöglich genutzt und verteilt werden. Im Charité-Labor für künstliche Intelligenz in der Medizin (CLAIM) ist ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Ingenieuren für maschinelles Lernen, Medizinern und Wissenschaftlern unter der Leitung von Dr. Dietmar Frey, darauf spezialisiert, Ansätze der künstlichen Intelligenz für Anwendungen in der Medizin zu bearbeiten. Genutzt werden hierzu klinische Daten, Bildgebungsdaten, Kombinationen von beiden und Querschnittsdaten von Krankenkassen. Im nun startenden Projekt VALIDATE werden auf künstlicher Intelligenz basierende Prognoseinstrumente für die Schlaganfallversorgung entwickelt, erprobt und die Ergebnisse anschließend überprüft. Grundlage sind modernste Methoden des maschinellen Lernens wie künstliche neuronale Netzwerke und komplexe Entscheidungsalgorithmen. Die Forschenden erwarten, dass die auf großen Datenmengen beruhenden Behandlungsentscheidungen bei akutem Schlaganfall sicherer, schneller und genauer sind und in der klinischen Praxis zu besseren Ergebnissen für Patientinnen und Patienten führen. Der europäische Verbund besteht aus erfahrenen klinischen Partnerinstitutionen und Experten für die Entwicklung vertrauenswürdiger KI-Anwendungen. Ebenfalls Partner ist die europäische Allianz für Schlaganfall, Stroke Alliance for Europe (SAFE). Laufzeit: 4 Jahre ab 01.Mai 2022 Gesamtfördersumme: rund 5,9 Mio. Euro An zwei weiteren europäischen Verbundprojekten ist die Charité als Konsortialpartner in den kommenden fünf Jahren beteiligt: 4DPicture: Ziel des Projektes unter Federführung des ERASMUS Universitair Medisch Centrum Rotterdam ist es, die komplexen Entscheidungsprozesse in der Onkologie umzugestalten und datengestützte Entscheidungshilfen in die Behandlungspfade von Patientinnen und Patienten zu integrieren. Zum Einsatz kommen soll die sogenannte MetroMapping-Methode, ein Ansatz, der die Behandelnden wie auch die Krebspatientinnen und -patienten in die Lage versetzt, sich an der Entscheidungsfindung über eine Behandlung zu beteiligen. Ein solches Vorgehen soll zu besser informierten und individuell passenderen Entscheidungen führen, und somit zu besseren Gesundheitsergebnissen. In Berlin leitet ein Team um Dr. Maria Margarete Karsten, Klinik für Gynäkologie am Campus Charité Mitte, die Arbeiten zu Erforschung und Erprobung der Methodik. psychSTRATA: Das Vorhaben unter der Leitung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster strebt eine verbesserte Therapie von Depression, Bipolarer Störung und Schizophrenie an. 26 wissenschaftlichen Einrichtungen unterschiedlicher Fachbereiche aus zwölf europäischen Ländern arbeiten hierbei zusammen, um eine große Menge biologischer Informationen sowie digitale und klinische Daten zu erheben und zu analysieren. Das Labor für statistische Genetik der Charité unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Ripke, ist für die Aufarbeitung und Auswertung genomischer Profile verantwortlich. Ein umfassendes europäisches Infrastrukturprojekt werden Forschende des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und der Charité ebenfalls künftig koordinieren: eBRAIN-Health: Forschungsplattform für das Modellieren und Simulieren komplexer neurobiologischer Vorgänge Das Projekt eBrain-Health unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Ritter, BIH Johanna Quandt Professorin für Gehirnsimulation und Direktorin der Sektion Gehirnsimulation am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité, hat das Ziel, eine dezentrale, datenschutzkonforme Forschungsplattform zu entwickeln, die komplexe neurobiologische Phänomene des Gehirns simuliert. Vielfältige Informationen werden zu diesem Zweck zusammengeführt, beispielsweise aus PET-, EEG- oder MRT-Untersuchungen, aber auch aus Verhaltensstudien und Lifestyle-Erhebungen sowie klinische Daten von tausenden Patientinnen und Patienten sowie von gesunden Kontrollpersonen. Diese werden mit biologischen Informationen aus Wissensdatenbanken kombiniert und für Forschungszwecke bereitgestellt. Die dabei entstehenden digitalen Zwillinge des Gehirns erlauben es einer Vielzahl von Forscherinnen und Forschern, innerhalb einer leistungsfähigen, digitalen Plattform innovative Forschung zu betreiben. Darüber hinaus trägt die neue Forschungsinfrastruktur mit ihren nachvollziehbaren Analysepipelines zu einer reproduzierbaren Wissenschaft bei. Die komplexen, individualisierten Gehirnsimulationen unter Berücksichtigung vieler Daten wiederum haben das Potenzial, Mechanismen von Gehirnfunktion und Erkrankungen besser zu verstehen, Diagnose und Vorhersage von Erkrankungen zu verbessern und Therapien anhand des virtuellen Gehirns zu optimieren. Das Projekt umfasst 20 Partner und findet in Kooperation mit der EBRAINS AISBL, der koordinierenden Instanz des EU-Flagships Human Brain Project, statt. Laufzeit: 4 Jahre ab 1. Juli 2022 Gesamtfördersumme: rund 13 Mio. Euro
Richtfest für zwei Gebäude der Spitzenforschung am Campus Virchow-Klinikum
- 23-05-2022Gemeinsame Pressemitteilung von Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Charité und TU Berlin Ein weiterer Meilenstein der zwei modernen Forschungsgebäude BeCAT und Si-M ist erreicht: Heute haben Vertreter:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit politischen Vertreter:innen das Richtfest gefeiert. Zu den Gästen gehörten die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, Wissenschaftssenatorin und Charité-Aufsichtsratsvorsitzende Ulrike Gote sowie Finanzsenator Daniel Wesener. Die beiden Gebäude entstehen am Charité Campus Virchow-Klinikum und werden als Forschungsbauten mit Landes- und Bundesmitteln in Höhe von knapp 68 Millionen Euro finanziert. Im „Berlin Center for Advanced Therapies“ (BeCAT) sollen Forscher:innen der Charité innovative zellbasierte Arzneimittel entwickeln. Die häufig auch als „lebende Medikamente“ bezeichneten Substanzen eröffnen ganz neue Möglichkeiten für die Behandlung von bisher nicht heilbaren Erkrankungen. Die Schwerpunkte der Forschung und Entwicklung der sogenannten „Advanced Therapies“ liegen im Bereich der Regenerativen Medizin sowie der Hämatologie und Onkologie. Direkt nebenan entsteht im Rahmen der strategischen Partnerschaft von Charité und TU Berlin das gemeinsame Forschungsgebäude „Der Simulierte Mensch“ (Si-M). Dort erforschen die Wissenschaftler:innen an der Schnittstelle von Technik und Medizin die Simulation menschlicher Organfunktionen – ohne den Einsatz von Tierversuchen. Durch die Verbindung von ingenieurwissenschaftlicher und medizinischer Expertise soll die Komplexität menschlicher Organe und Gewebe nachgebildet werden. Ziel ist es, das Verständnis von Krankheiten zu verbessern und neue therapeutische Ansätze zu ermöglichen. Darüber hinaus ist Si-M ein Projekt der Berliner University Alliance (BUA), das dazu beiträgt, den Wissenschaftsstandort Berlin zu einem gemeinsamen Forschungsraum weiterzuentwickeln. Anlässlich des Richtfestes begrüßte Prof. Dr. Heyo K. Kroemer als Vorstandsvorsitzender der Charité die Gäste aus Politik und Wissenschaft sowie die Beteiligten der Forschungsprojekte und des Baus. Er übergab das Wort an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Weitere Grußworte sprachen Wissenschaftssenatorin und Charité-Aufsichtsratsvorsitzende Ulrike Gote und Finanzsenator Daniel Wesener sowie Charité-Dekan Prof. Dr. Axel R. Pries und Astrid Lurati, Charité-Vorstandsmitglied für Finanzen und Infrastruktur. Für die TU Berlin sprach Präsidentin Prof. Dr. Geraldine Rauch. Die Forschungsprojekte wurden vertreten durch Prof. Dr. Petra Reinke, Gründungsdirektorin des BeCAT, sowie die Initiatoren des Si-M Prof. Dr. Roland Lauster, TU Berlin, und Prof. Dr. Andreas Thiel, Charité. Anschließend wurde die Richtkrone mit einem feierlichen Spruch an der Fassade des Si-M hochgezogen. Damit sind BeCAT und Si-M die ersten Bausteine des zukünftigen Forschungscampus Seestraße. Statements Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin: „Die Neubauten der Forschungszentren ‚BeCat – Berlin Center für Advanced Therapies‘ und ‚Si-M – Der simulierte Mensch‘ der Charité sind ein Meilenstein der Zukunftsentwicklung der Forschungs- und Medizinmetropole Berlin. Diese beiden innovativen Forschungsbauten für die Erforschung und Entwicklung neuartiger biomedizinischer Technologien steigern einmal mehr die internationale Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Berlin. Beide Vorhaben bedeuten langfristig neue Hoffnung für Menschen mit bislang unheilbaren Krankheiten und besitzen perspektivisch hohes gesundheitspolitisches Potenzial. Ziel des BeCat ist, neuartige zellbasierte Arzneimittel aus der Grundlagen- und Technologieforschung heraus bis zur klinischen Prüfung zu entwickeln. Das Forschungszentrum Si-M von Charité und TU Berlin eröffnet faszinierende neue Wege für die Simulation von biochemischen Vorgängen in Zellen und Organen und der Modellierung menschlicher Zell- und Organfunktionen. Ich danke Bauherren, Architekten und Architektinnen und allen Beteiligten für ihr Engagement für die neuen Projekte, nicht zuletzt auch dem Bund für seine Beteiligung an dieser Millioneninvestition. Den Bauleuten wünsche ich gute Fortschritte bei den Bauarbeiten für die städtebaulich interessanten Bauten.” Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité: „Ich freue mich, dass wir heute für gleich zwei innovative und zukunftsweisende Forschungsbauten Richtfest feiern können. Beide werden die Wissenschafts- und Medizinmetropole Berlin stärken und dazu beitragen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die durch Spitzenforschung erlangt werden, schnell in die medizinische Versorgung überführt werden und damit den Patientinnen und Patienten zu Gute kommen – gerade solchen mit bisher unheilbaren Erkrankungen. Ich bin überzeugt, dass diese hochmodernen Forschungszentren das wissenschaftliche Renommee von Charité und TU Berlin noch weiter erhöhen werden. Beide Einrichtungen erhalten nun hochwertige, dringend benötigte Forschungsflächen – ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung des Areals an der Seestraße zu einem leistungsstarken Forschungscampus.“ Daniel Wesener, Senator für Finanzen: „Der Bau zeigt eindrücklich, dass Berlin weiterhin auf medizinische Forschung und Versorgung auf Spitzenniveau setzt. Am Campus Virchow-Klinikum konnten wir mit den bereitgestellten Landesmitteln viel für das Gesamtprojekt bewegen. Zusätzlich zu den vom Land Berlin getragenen Kosten haben wir die Erschließung des Standorts und die Anbindung der Gebäude an den Campus mit 3,8 Millionen Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt finanziert. Das zahlt sich auch für andere wichtige Investitionsziele des Senats aus: Wir stärken die Charité als Europas größtes Universitätsklinikum, steigern die Attraktivität des Forschungsstandortes Berlin und damit unser Konzept der Gesundheitsstadt insgesamt.” Prof. Dr. Axel R. Pries, Dekan der Charité: „BeCAT und Si-M sind die größten strukturell-wissenschaftlichen Vorhaben der Medizinischen Fakultät in der Dekade von 2015 bis 2025. Durch die Initiative von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und das Engagement aller Beteiligten in der Fakultät werden diese zukunftsweisenden Projekte jetzt Realität. Beide leben von innovativen Ansätzen und leisten entscheidende Beiträge zur biomedizinischen Forschung und Entwicklung im Bereich von zellbasierten Therapien und Alternativmethoden zu Tierversuchen. Das Si-M wurde als Vorbild für die Entwicklung weiterer institutionen- und fächerübergreifender Forschungsinfrastrukturen in die Berliner University Alliance (BUA) aufgenommen.“ Er ergänzte: „So etablieren wir an der Seestraße einen neuen stimulierenden Forschungscampus auf dem interdisziplinär und über die Grenzen von Institutionen hinweg zum Wohle der Patientinnen und Patienten geforscht wird. Dieser Forschungscampus kann ein Kristallisationskeim für ein biomedizinisches Ökosystem werden, in dem medizinische Innovationen auch mit externen Partnern vorangetrieben werden.“ Prof. Dr. Geraldine Rauch, Präsidentin der TU Berlin: „Die TU Berlin freut sich sehr, dass die besonders enge und gute Zusammenarbeit mit der Charité durch das Richtfest des Si-M-Gebäudes nun auch sichtbar wird. Das auf das Lösen von Problemen ausgerichtete Denken unserer Ingenieurinnen und Ingenieure trifft bei dem Vorhaben ‚Der Simulierte Mensch‘ auf das biologische und therapeutische Know-how der Medizinerinnen und Mediziner. Diese ungewöhnliche Kombination entfaltet eine wissenschaftliche Kreativität, die den Standort Berlin sowohl für die Medizin und wie auch für die Ingenieurswissenschaften prägen und weiter stärken wird.“ Sie fügte hinzu: „Für die vielfältigen Aktivitäten, die die Forschenden des Si-M-Projektes auch bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit vorhaben, steht sinnbildlich das Theatron. Dieser runde Vortragsraum, der besonders für den Austausch der Teilnehmenden untereinander geeignet ist, wird zusammen mit dem für ein Forschungsgebäude sehr offenen Entwurf den Si-M-Bau zu einem architektonischen Highlight für unsere Universität machen.“ Prof. Dr. Petra Reinke, Direktorin des Berlin Center for Advanced Therapies (BeCAT), Mitglied des Gründungs-Steuerungskomitees des BIH Center for Regnerative Therapies (BCRT) und Leiterin der Arbeitsgruppe Zelltherapie und personalisierte Immunsuppression: „Mit dem neuen Gebäude verbessern sich die Rahmenbedingungen für unsere wissenschaftliche Arbeit auch von den räumlichen Gegebenheiten und der passgenauen Ausstattung. So können wir uns auf die Forschung und Entwicklung von neuen ATMP-Arzneimitteln konzentrieren und diese aus der Grundlagen- und Technologieentwicklungsforschung heraus bis hin zur wissenschaftlich fundierten klinischen Prüfung begleiten.“ Prof. Dr. Roland Lauster, Initiator des Si-M und ehemaliger Leiter des Fachgebiets Medizinische Biotechnologie der TU Berlin: „Die Simulation humaner Gewebe eröffnet besonders im Bereich neuer Krebstherapien und Infektionen völlig neue Forschungsansätze, die eine hohe klinische Relevanz aufweisen. So treffen sich die beiden Disziplinen Medizin und Biotechnologie beispielsweise im Bereich der Immuntherapien von Krebserkrankungen.“ Prof. Dr. Andreas Thiel, Initiator des Si-M und Leiter der Arbeitsgruppe „Regenerative Immunologie und Altern“ der Charité: „Im Forschungshaus ‚Der Simulierte Mensch‘ entsteht eine moderne Forschungsinfrastruktur, in der nicht nur Technik und Medizin verzahnt, sondern auch neue Maßstäbe in der Kommunikations- und Wissenschaftskultur gesetzt werden. Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, dass echter Fortschritt nur durch Zusammenarbeit und intensiven Austausch zwischen den Disziplinen möglich ist. Auf diese Weise wollen wir Wissenschaftler:innen von Charité und TU Berlin im Si-M verantwortungsvoll und auf höchstem technologischem Niveau die Ziele der Medizin der Zukunft umsetzen." Zur Video-Aufzeichnung des Richtfestes
Charité und Unfallkrankenhaus Berlin kooperieren in Klinik und Forschung
- 11-05-2022Spitzenvertreter der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des BG Klinikums Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) haben heute einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Die „Vereinbarung über die Zusammenarbeit“ sieht vor, künftig medizinisches Wissen enger auszutauschen, Projekte in Klinik und Forschung gemeinsam durchzuführen und in der Aus-, Fort- und Weiterbildung bis hin zu gemeinsamen Berufungen zu kooperieren. Ziel beider Partner ist es, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die klinische und wissenschaftliche Exzellenz zu fördern sowie die Attraktivität als Arbeitgeber und Ausbildungsstätte zu steigern. Die jetzt vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit beginnt in den Bereichen Unfallchirurgie und Notfallmedizin, in der Hand-, Replantations- und Mikrochirurgie, in der septischen Chirurgie mit Komplikationsmanagement und in der Behandlung von rückenmarkverletzten Patient:innen. Bereits bestehende klinische Studien mit Beteiligung beider Partner, wie zum Beispiel zur Knochenbruchheilung, sollen dabei intensiviert und weitere gemeinsame Handlungsfelder definiert werden. Darüber hinaus sind gemeinsame Seminar- und Kongressformate sowie die Rotation von Mitarbeiter:innen geplant. Dazu Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung: „Berlin kann als bedeutender Wissenschaftsstandort und als Gesundheitsstadt vor allem dann gestärkt werden, wenn es eine Verzahnung von verschiedenen Expertisen gibt. Deshalb begrüße ich die Kooperationsvereinbarung von Charité und ukb sehr. Ich bin mir sicher, dass der enge medizinisch-wissenschaftliche Austausch einen großen Mehrwert darstellt – für beide Einrichtungen, aber auch für die Patientinnen und Patienten und für die Gesundheits- und Wissenschaftshauptstadt Berlin. Ich wünsche gutes Gelingen.“ Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, betont: „Mit dieser Kooperation wollen wir einerseits Kräfte für die klinische und translationale Forschung bündeln und andererseits mit Fokussierungen unsere jeweiligen Profile schärfen. Auf dieser Basis möchten wir im Sinne der Translation neue Präventionsstrategien und Therapiemethoden entwickeln. Es ist unser Anspruch, der Bevölkerung eine sichere, wohnortnahe und auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Krankenversorgung anzubieten.“ Prof. Dr. Axel Ekkernkamp, Geschäftsführer ukb, ergänzt: „In enger Abstimmung und zum wechselseitigen Vorteil werden wir gemeinsame Handlungsfelder definieren, in denen langfristige und nachhaltige Kooperationen entwickelt, vereinbart und umgesetzt werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Profil- und Schwerpunktbildung. Wir betrachten das gesamte ambulante und (teil-)stationäre Versorgungsspektrum beider Einrichtungen, welches von der Akutversorgung über die Rehabilitation bis hin zur Reintegration reicht.“ Aus der Vielzahl der Kooperationsfelder sei beispielhaft die Muskoloskeletale Medizin genannt. Bei den bisherigen gemeinsamen Arbeitstreffen zwischen ukb und den Expert:innen der Charité unter der Leitung von Prof. Dr. Carsten Perka und Prof. Dr. Ulrich Stöckle sind bereits Kooperationspotenziale und Schwerpunktfelder identifiziert worden. Patient:innen mit schweren Verbrennungen, einem Querschnittssyndrom und mit komplexen Handverletzungen werden im ukb behandelt. In der Charité hingegen liegt ein Fokus auf komplexen minimal-invasiven Operationen an den Gelenken, der sogenannten Arthroskopie und der Endoprothetik, dem künstlichen Gelenkersatz.
Neue Leitung der Klinik für Infektiologie und Pneumologie
- 10-05-2022Die Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin wird seit April gemeinsam von Prof. Dr. Martin Witzenrath und Prof. Dr. Leif Erik Sander geleitet. Dabei übernimmt Prof. Witzenrath die W3-Professur für Pneumologie der Charité sowie die Ärztliche Leitung des CharitéCentrums 12 für Innere Medizin und Dermatologie. Prof. Sander übernimmt die W3-Professur für Infektiologie der Charité sowie die Arbeitsgruppe für personalisierte Infektionsmedizin am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Prof. Dr. Norbert Suttorp geht als Klinikdirektor in den Ruhestand, bleibt der Charité jedoch als Seniorprofessor erhalten. Prof. Witzenrath ist seit 2012 Professor für Pneumologie (Lungenheilkunde) an der Charité und war seit 2017 stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie. Seine klinischen Schwerpunkte sind die Lungenheilkunde und die Infektiologie sowie die Beatmungs- und Intensivmedizin. Zu den wissenschaftlichen Interessen gehören Lungenentzündungen, Erkrankungen der Lungengefäße, akutes Lungenversagen sowie die Beatmungsmedizin. „Mein Ziel war es seit Beginn meiner Tätigkeit an der Charité, translationale pneumologische Forschung von Erkrankten zum Molekül und zurück zu ermöglichen. Dank eines großartigen und systemmedizinisch orientierten Teams können wir verschiedene Mechanismen experimentell untersuchen und Therapiemöglichkeiten in klinischen Studien prüfen. Der besondere Reiz und ein Teil des Erfolgs liegt in der Vernetzung mit exzellenten Vertreter:innen anderer Disziplinen der Charité und im internationalen Umfeld“, erklärt Prof. Witzenrath. Zudem betont er: „Die Pneumologie als großes klinisches Fach der Inneren Medizin behandelt Patient:innen mit vielen unterschiedlichen akuten und chronischen Erkrankungen. Unser Anspruch ist es, an allen drei bettenführenden Charité-Campus die pneumologische Versorgung auf höchstem Niveau zu gewährleisten und zugleich den individuellen Menschen stets im Mittelpunkt zu sehen.“ Während der Corona-Pandemie ist Prof. Witzenrath eng in die Versorgung der COVID-Patient:innen und die Forschungsaktivitäten der Charité eingebunden. Zudem ist der Internist einer der Sprecher des Charité/BIH COVID-19 Research Board. Das Research Board wurde im März 2020 ins Leben gerufen, um die Forschungsprojekte von Charité und BIH zu koordinieren. Dabei werden Wissenschaft und Krankenversorgung noch intensiver miteinander vernetzt und der Zugriff auf Forschungsdaten vereinfacht. „In der Pandemie war es für uns als Charité von Anfang an essentiell, gemeinsam mit dem BIH aktiv die Erforschung von COVID-19 voranzutreiben und Therapieoptionen zu prüfen. Hierbei konnten wir an der Charité zahlreiche präklinische und klinische Forschungsprojekte etablieren. Zudem können wir so Ressourcen und Technologien gemeinsam nutzen und Synergien fördern“, unterstreicht Prof. Witzenrath. Prof. Sander kam 2011 aus den USA an die Charité und hat 2016 die Professur für Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung angetreten. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Immunantwort und der Entstehung der schützenden Immunität durch Impfungen und Infektionen. Prof. Sander und sein Team führen seit Beginn der Corona-Pandemie zahlreiche Forschungsprojekte zu COVID-19 durch, beispielsweise zu fehlgeleiteten Immunantworten bei schweren COVID-19-Verläufen, zur Wirkung der COVID-19-Impfung sowie zu Verträglichkeit und Wirksamkeit der sogenannten Kreuzimpfung. Prof. Sander ist Mitglied des Charité/BIH COVID-19 Research Board. Zu den klinischen Schwerpunkten gehören die Behandlung und Prävention von Infektionen der Lunge und der Atemwege, hochkontagiöse Infektionen sowie personalisierte Therapien für Infektionskrankheiten. „Die Infektiologie ist ein dynamisches Fachgebiet, in dem wir uns regelmäßig mit neuen Krankheiten auseinandersetzen müssen. COVID-19 ist da nur das jüngste Beispiel. Die Infektiologie ist zudem ein klassisches Querschnittsfach, das von der Interaktion mit nahezu allen anderen Fachdisziplinen der Medizin lebt. Diese Interaktion macht es besonders reizvoll. Zudem stehen wir nicht erst seit COVID-19 vor enormen Herausforderungen: Sich wandelnde Ökosysteme, eine zunehmende Bevölkerungsdichte und weltweite Mobilität begünstigen das Auftreten neuer Infektionskrankheiten. Gleichzeitig verlieren viele Antibiotika aufgrund verbreiteter Resistenzen ihre Wirksamkeit gegen alte, bekannte Erreger. Wir haben in der Infektionsforschung gerade im Bereich von modernen Therapien, den sogenannten ‚advanced therapies‘, einiges aufzuholen. Und natürlich brauchen wir neue Impfstoffe, um Infektionskrankheiten zu verhindern, denn Prävention ist immer besser als Therapie. Genau dieses dynamische Feld, das großartige interdisziplinäre Umfeld der Charité und des BIH – mit der herausragenden Berliner Tradition in der Infektionsmedizin – reizen mich an dieser tollen neuen Aufgabe“, erklärt Prof. Sander. Prof. Suttorp hatte 1999 die Charité-Professur für Infektiologie und die Leitung der Klinik für Infektiologie, ergänzt ab 2005 durch die Pneumologie, übernommen. Ab 2016 war er zudem Ärztlicher Leiter des CharitéCentrums 12 für Innere Medizin und Dermatologie. Prof. Suttorp gilt als prägend für den translationalen Schwerpunkt der Infektiologie und Immunologie an der Berliner Universitätsmedizin. Zudem war er Impulsgeber für die neue Leitungsstruktur: „Infektiologie und Pneumologie – inklusive der internistischen Intensivmedizin – das sind schon zwei sehr große Fächer. Beide Bereiche müssen sich weiterentwickeln – und das selbstständig und vor allem zugleich zusammen. Das schafft ideale Gestaltungs- und Wachstumsbedingungen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Beteiligten gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten können.“ Er ergänzt: „Ich freue mich daher sehr, dass die Charité mit Martin Witzenrath und Leif Sander zwei hervorragende Persönlichkeiten mit einer hohen klinischen und wissenschaftlichen Kompetenz gewinnen konnte. Darüber hinaus sind sie ausgezeichnete Organisationstalente – und sie verstehen sich gut.“ Prof. Suttorp bleibt als Seniorprofessor Sprecher des Sonderforschungsbereichs Transregio 84 „Angeborene Immunität der Lunge: Mechanismen des Pathogenangriffs und der Wirtsabwehr in der Pneumonie“.
Charité-Jahresabschluss 2021 mit ausgeglichenem Ergebnis
- 29-04-2022Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat das Jahr 2021 mit einem leichten Überschuss von rund 7,8 Millionen Euro abgeschlossen. Das vergangene Jahr war für die Charité abermals maßgeblich durch die Pandemie geprägt. Dank der Unterstützung des Landes Berlin ist es gelungen, die Deckungslücke aus den coronabedingten Belastungen auszugleichen. Darüber hinaus zeigen die Gesamteinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro und das ausgeglichene Jahresergebnis die solide wirtschaftliche Basis der Berliner Universitätsmedizin. Der Aufsichtsrat der Charité hat den Jahresabschluss in seiner heutigen Sitzung festgestellt. Auch im zweiten Jahr der Corona-Pandemie waren die Mitarbeitenden der Charité extrem gefordert. Dabei hat jede Welle der Pandemie ihre Besonderheiten gezeigt und neue Herausforderungen mit sich gebracht. Mit mehr als 6.400 stationär versorgten COVID-19-Patient:innen – davon mehr als 2.900 auf den Intensivstationen – hat die Berliner Universitätsmedizin eine führende Rolle bei der Versorgung von schweren COVID-Fällen eingenommen. Mit viel Engagement ist es den rund 17.600 Charité-Beschäftigten trotz der schwierigen Rahmenbedingungen gelungen, 2021 ein Jahresergebnis von rund 7,8 Millionen Euro zu erwirtschaften. Das positive Ergebnis ist zudem der erneuten Unterstützung des Landes Berlin zu verdanken, das die coronabedingten Verluste der Berliner Universitätsmedizin in Höhe von fast 62,6 Millionen Euro vollständig ausgeglichen hat. Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité, erklärt: „Die Corona-Pandemie hat die Anforderungen an eine Universitätsmedizin grundlegend verändert und die Charité vor enorme Herausforderungen und Belastungen in Forschung, Lehre und Krankenversorgung gestellt. Die Charité hat mit der Expertise und dem außerordentlichen Einsatz ihrer Beschäftigten auch im Jahr 2021 einen wesentlichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet, in Berlin, aber auch bundesweit. Die Corona-Pandemie hat uns allen die enorme Bedeutung einer leistungsfähigen und gut ausgestatteten Universitätsmedizin vor Augen geführt.“ Sie ergänzt: „Um die finanziellen Sonderlasten der Pandemie für die Charité abzumildern, hat das Land 2021 Mittel in Höhe von 62,6 Millionen Euro bereitgestellt. Der Wissenschafts- und Gesundheitsstandort Berlin ist nicht zuletzt wegen der Charité im nationalen und internationalen Vergleich hervorragend aufgestellt. Es ist Anspruch des Senats, mit politischer und finanzieller Unterstützung auch künftig optimale Rahmenbedingungen für eine exzellente, international konkurrenzfähige und wirtschaftlich stabile Universitätsmedizin zu gewährleisten. Als Aufsichtsratsvorsitzende und im Namen des Senats gilt mein besonderer Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Charité, die im vergangenen Jahr Herausragendes geleistet haben.“ Die Charité hatte gleich zu Beginn der Corona-Pandemie ihre Prozesse in Klinik und Fakultät an die veränderten Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen während einer dynamischen Pandemie angepasst, um in einer der schwersten Gesundheitskrisen der letzten Jahrzehnte handlungsfähig zu bleiben. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, betont: „Wir danken dem Land Berlin für die finanzielle Unterstützung. Zudem zeigt das gute Ergebnis auch die wirtschaftliche Stabilität der Charité und vor allem natürlich die hohe Leistungsfähigkeit und Motivation aller unserer Mitarbeitenden.“ Er fügt hinzu: „Zwei Jahre Pandemie, das sind zwei Jahre beeindruckender Teamgeist und fortwährendes außergewöhnliches Engagement. Ich bin stolz auf unser ‚Team Charité‘ und möchte mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich bedanken, denn sie alle haben wirklich Großartiges geleistet.“ Trotz der Einschränkungen des klinischen Normalbetriebs konnten 2021 bei 3.099 Betten 682.731 ambulante Fälle sowie 123.793 voll- und teilstationäre Fälle versorgt werden. Astrid Lurati, Vorstandsmitglied für Finanzen und Infrastruktur der Charité, erklärt: „Das zweite Jahr der Pandemie hat die Charité in Krankenversorgung, Forschung und Lehre weiterhin auf eine Belastungsprobe gestellt. Neben der bestmöglichen Versorgung der vielen COVID-Patienten waren wir bestrebt, unseren Auftrag in jeder Hinsicht umfassend und qualitätsorientiert zu erbringen. Unseren neuen herausfordernden Tagesalltag haben wir gemeinsam sehr gut gemeistert, sodass es am Ende eines durch erhebliche Unsicherheiten und Risiken geprägten Wirtschaftsjahres gelungen ist, 2021 mit einem soliden Ergebnis abzuschließen. Mein großer Dank gilt hierfür allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Konzerngesellschaften, die alle einen wertvollen Beitrag hierzu geleistet haben, aber auch dem Land Berlin, das uns erneut die coronabedingten Verluste ausgeglichen hat. Im zweiten Ausnahmejahr sind 2021 in der Charité insgesamt 2,3 Milliarden Euro eingenommen worden. Der Jahresüberschuss der Charité beläuft sich auf rund 7,8 Millionen Euro und das Konzernergebnis auf rund 10,9 Millionen Euro.“ Ein wichtiger Meilenstein zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege und den Gesundheitsfachberufen war zudem die Einigung auf den Tarifvertrag „Gesundheitsfachberufe Charité“ zur Entlastung des Klinikpersonals. Kern sind eine fest definierte Mindestpersonalbemessung für alle bettenführenden Stationen und verschiedene Funktionsbereiche sowie das sogenannte CHEP-Punktesystem, mit dem die Mitarbeiter:innen einen Ausgleich für besondere Belastungen geltend machen können. Die Medizinische Fakultät konnte im Berichtsjahr mit Drittmitteleinnahmen in Höhe von rund 215,8 Millionen Euro einen neuen Höchstwert erreichen, der die Exzellenz der Forschung dokumentiert und einen erheblichen Beitrag zur wissenschaftlichen Entwicklung Berlins leistet. Die herausragende Forschungsstärke der Berliner Universitätsmedizin spiegelt sich beispielsweise auf nationaler Ebene in der Beteiligung an 28 DFG-Sonderforschungsbereichen und international in 23 EU-Projekten wider. Darüber hinaus haben sich von den insgesamt 5.857 Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften 549 Beiträge mit Forschungsthemen zu SARS-CoV-2/COVID-19 befasst. Ein wegweisendes strategisches Thema war zudem die Integration des Berlin Institute of Health als „Berlin Institute of Health in der Charité“ (BIH) zum Jahresbeginn 2021. Mit der Integration bildet das BIH als „Translationsforschungsbereich“ – zusätzlich zum Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät – die dritte Säule der Charité. Prof. Dr. Christopher Baum hat als Vorsitzender des BIH-Direktoriums die mit der Integration neu geschaffene Charité-Vorstandsposition für den Translationsforschungsbereich übernommen. Damit ist auch der Prozess der Weiterentwicklung des nun sechsköpfigen Charité-Vorstands abgeschlossen. Einen Wechsel gab es zudem bei der Position des Vorstands für Krankenversorgung: Prof. Dr. Martin E. Kreis folgte im Januar auf Prof. Dr. Ulrich Frei, der in den Ruhestand gegangen war. Weiterentwickelt und konkretisiert wurde ferner auch die Strategie 2030 „Wir denken Gesundheit neu“ im Dialog mit den Mitarbeitenden. Der Strategieprozess steht in der Charité-Tradition der Translation als einer Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung zum Wohle der Patient:innen. Zusammen mit den Beschäftigten sollen die Entwicklungen der kommenden Jahre in der Region und deutschlandweit mitgestaltet werden. Dabei versteht sich die Charité als tragende Säule des Gesundheitssystems und als Teil einer exzellenten Wissenschaftsregion. Darüber hinaus wurden Ende letzten Jahres die notwendigen vertraglichen Voraussetzungen für das Deutsche Herzzentrum der Charité (DHZC) finalisiert: Ab 2023 werden die Charité und das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) darin ihre herzmedizinischen Kompetenzen bündeln. Das DHZC wird ein international führendes universitäres Herzzentrum sein. Dafür entsteht zudem ab 2023 ein hochmoderner Neubau am Campus Virchow-Klinikum. Abschließend unterstreicht Prof. Kroemer den Bezug zwischen Gegenwart und Zukunft: „Wir sind im Vorstand der Überzeugung, dass wir morgen von den Dingen leben werden, die wir heute planen und überlegen. Insofern ist es unabdingbar, auch in schwierigen Zeiten über die strategische Entwicklung nachzudenken: Die größten Themen für die Zukunft sind der demographische Wandel, der medizinische Fortschritt und die Digitalisierung. Die Demographie führt – kurz gesagt – zu weniger Leistungserbringern und deutlich mehr Leistungsnehmern. Parallel dazu wird der medizinische Fortschritt die Ressourcen des Systems erheblich fordern. Daher müssen wir das Gesundheitssystem nachhaltig und klug digitalisieren.“ Kennzahlen 2021 Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist mit rund 100 Kliniken und Instituten an 4 Campi sowie 3.099 Betten eine der größten Universitätskliniken Europas. Forschung, Lehre und Krankenversorgung sind eng miteinander vernetzt. Mit Charité-weit durchschnittlich 17.615 und konzernweit durchschnittlich 20.921 Beschäftigten gehört die Berliner Universitätsmedizin auch 2021 zu den größten Arbeitgebern der Hauptstadt. Dabei waren 5.047 der Beschäftigten in der Pflege und 4.988 im wissenschaftlichen und ärztlichen Bereich sowie 1.265 in der Verwaltung tätig. An der Charité konnten im vergangenen Jahr 123.793 voll- und teilstationäre Fälle sowie 682.731 ambulante Fälle behandelt werden. Im Jahr 2021 hat die Charité Gesamteinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro, inklusive Drittmitteleinnahmen und Investitionszuschüssen, erzielt. Mit den 215,8 Millionen Euro eingeworbenen Drittmitteln erreichte die Charité einen erneuten Rekord. An einer der größten medizinischen Fakultät Deutschlands werden mehr als 9.000 Studierende in Human- und Zahnmedizin sowie Gesundheitswissenschaften und Pflege ausgebildet. Darüber hinaus werden 730 Ausbildungsplätze in 11 Gesundheitsberufen sowie 111 in 8 weiteren Berufen angeboten. Jahresbericht 2021 Digital, nachhaltig und wissenswert: Der Charité-Jahresbericht „Einblicke 2021 | Insights 2021“ gibt auf 70 Seiten einen Überblick über die Themen und Entwicklungen in Klinik und Pflege, Wissenschaft und Forschung sowie Studium und Lehre. Der deutsch-englischsprachige Jahresbericht ist jetzt in der Mediathek auf der Charité-Website unter „Publikationen“ veröffentlicht.